Düsseldorfs Interesse ist es, mit der Region gut zusammen zu arbeiten
Interview mit Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf
von Dr. Siegmar Rothstein
Ihre Wahl zum Oberbürgermeister mit nahezu 60 Prozent Zustimmung ist von vielen als sensationell empfunden worden. Auch vom DJournal herzlichen Glückwunsch! Sicher ist dieses Ergebnis vor allem auf Ihr großes Engagement zurück zu führen, mit zwölf Stunden täglichem Einsatz und 2.500 Terminen im Jahr. Finden Sie es daher unfair, wenn gelegentlich gesagt wird, nicht Sie und die SPD hätten die Wahl gewonnen, vielmehr hätte die CDU und vor allem Elbers die Wahl verloren?
Es gibt wie immer im Leben nicht nur eine Ursache für ein Ergebnis. Ich stehe in der Tat für eine hohe Schlagzahl, und ich hatte und habe ein hochmotiviertes Team. Ich glaube, der politische Gegner und der Amtsinhaber haben Fehler gemacht, vor allem als sie Düsseldorf und die Düsseldorfer immer wieder in ihren Klischees zeigten. Diese Klischees sind nicht nur bei Düsseldorfs Nachbarn unbeliebt, sondern die meisten Düsseldorfer sind ihrer überdrüssig. Sie erkennen sich nicht wieder, es entspricht nicht ihrem Lebensgefühl. Dagegen teilten viele Wählerinnen und Wähler wichtige politische Ziele meines Wahlkampfes, wie wir im Frühjahr durch die einzige repräsentative Umfrage bestätigt bekommen haben: vor allem bezahlbares Wohnen, eine zeitgemäße Verkehrspolitik, mehr Fokus auf die Stadtteile und nicht nur auf Luxusprojekte in der City. Das alles waren auch Ziele, auf die sich die SPD in großer Einigkeit verständigt hatte. Hinzu kam dann in den Wochen vor der Stichwahl, dass weite bürgerliche wie auch alternative Kreise in mir eine echte Alternative zum Amtsinhaber entdeckt haben. Die Oberbürgermeister-Wahl war am Ende eine reine Persönlichkeitswahl. Überraschend war für mich allerdings die Höhe von 59,2 Prozent.
In diesen Wochen wird Ihnen sehr viel Sympathie entgegen gebracht, Sie haben es offenbar durch Ihr Auftreten geschafft, Vertrauen zu gewinnen. Gleichzeitig stehen Sie vor einer gewaltigen Aufgabe, die Landeshauptstadt Düsseldorf überzeugend zu führen. Haben Sie gelegentlich Herzklopfen, wenn Sie an die Bewältigung dieser Aufgabe denken, oder sehen Sie Ihrer Arbeit ganz gelassen entgegen, weil Sie schließlich in Ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit Organisationen kennen gelernt haben und keinen großen Unterschied zum Führen einer Stadtverwaltung sehen?
Ich habe immer gesagt, ich habe einen gehörigen Respekt vor der komplexen Aufgabe eines Oberbürgermeisters. Die Erfahrungen aus der Wirtschaft und aus der Welt werden mir helfen, aber die Gesamtaufgabe, erster Diener der Bürgerschaft in einer wachsenden Großstadt zu sein, bedeutet viel mehr.
Sie wollen starke neue Akzente setzen. So sind günstiger Wohnungsbau und bezahlbare Mieten in Düsseldorf ein großes Thema. Sie haben gesagt, dass es nicht sein kann, dass nur „Betuchte“ es sich leisten können, in Düsseldorf zu wohnen. Mit dieser Ansicht sind Sie auf große Zustimmung gestoßen. Sie haben die bisherige Politik kritisiert. Was aber möchten Sie ändern, wie wollen Sie Ihr Ziel erreichen?
Die meisten Erwartungen, die mit meinem Amtsantritt verbunden werden, beziehen sich wohl auf das Thema bezahlbares Wohnen. Hier müssen wir sanft umsteuern in möglichst vielen Stadtteilen und einen Mix erreichen, der die Vielfalt der Stadt und ihrer Bürger abbildet. Konkret: Grundstücke dürfen nicht nur an Investoren vergeben werden, die eine möglichst hohe Rendite erzielen und sich dann herausziehen wollen. Wir können mit Auflagen arbeiten, die, wenn sie klar kommuniziert sind, von Investoren auch akzeptiert werden. Wir erhöhen die Vielfalt der Player auf dem Wohnungsmarkt, wir stärken die Genossenschaften, die städtische Wohnungsgesellschaft und alternative Bauformen. Wir nehmen dazu ab 2015 einige Millionen Euro mehr in die Hand, und wir nehmen endlich auch die bislang verschmähten Fördermittel des Landes NRW für öffentlich geförderten Wohnungsbau in vollem Umfang in Anspruch. Freilich ist das Thema ein Projekt, in dem in meiner gesamten Amtszeit immer neue Impulse gesetzt werden müssen.
Auch die Verkehrspolitik liegt Ihnen offenbar sehr am Herzen. Sie wollen den Autoverkehr weitgehend und den Durchgangsverkehr vollständig an der Innenstadt vorbeiziehen lassen und den Fahrrad- und den öffentlichen Nahverkehr mehr fördern. Dem wird entgegen gehalten, dass auch der Individualverkehr die Innenstadt erreichen muss, da die Geschäftswelt auf den Besuch von Kunden angewiesen ist.
Wir verbannen ja nicht das Auto aus der Innenstadt. Aber die allermeisten Düsseldorfer würden ihr Auto gern stehenlassen, wenn sie in die Innenstadt fahren. Dazu brauchen wir eine besser getaktete Rheinbahn auf etlichen Linien. Als erstes habe ich in Auftrag gegeben, die Zeitfresser zu analysieren. Und wir haben die Mittel für den Radwegebau auf zwei Millionen Euro aufgestockt.
Sie haben sich noch mehr vorgenommen, wie etwa die Förderung der Randgebiete Düsseldorfs. Die Durchführung Ihrer Pläne wird nicht unerhebliche Geldmittel erfordern. Werden Sie versuchen politisch durchzusetzen, dass gegebenenfalls auch neue Kredite aufgenommen werden, weil schließlich mit den neuen Krediten auch neue Werte geschaffen werden?
Der Kernhaushalt der Stadt bleibt schuldenfrei. Aber es steht außer Frage, dass manche Stadtteile große Anstrengungen rechtfertigen, um sie attraktiver zu machen. Garath zum Beispiel wurde für doppelt so viele Menschen geschaffen, als jetzt dort wohnen. Viele älter gewordene Bürger leben in zu groß gewordenen Wohnungen. Sie brauchen kleinere aber barrierefreie Wohnungen. Noch mehr gilt es, für nachwachsende Generationen attraktive und vor allem bezahlbare Alternativen zu schaffen oder zu fördern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur eine für eine Handvoll Stadtplaner. Und weil das so ist, ist es sinnvoll und richtig, zu investieren. Dabei werden die Stadt, das Land und private Investoren helfen. Ähnliches gilt für den notwendigen Schulbau. Kinder in Containern zu unterrichten, darf nicht Schule machen!
Sie wollen eine neue Führungskultur schaffen, geprägt von Offenheit, Vertrauen, Wertschätzung und Kollegialität. Hierzu gehört wohl auch, dass Sie die Beziehung zu unseren Nachbarn und das Verhältnis zur Landesregierung verbessern wollen. Befürchten Sie aber nicht, dass dann möglicherweise gelegentlich die Interessen Düsseldorfs in den Hintergrund treten müssen?
Düsseldorfs Interesse ist es, mit der Region gut zusammen zu arbeiten. Etwa in der Verkehrspolitik: Hier gilt es, gemeinsam ein leistungsfähiges System von Bus und Bahn zu entwickeln, um den allmorgendlichen Stau der vielen Einpendler nach Düsseldorf zu entschärfen. Auch im Bereich der Energieversorgung kann ich mir eine Zusammenarbeit sehr gut vorstellen. Ich habe keine Sorge, dass Düsseldorf als große Metropole am Rhein darunter leiden wird. Im Gegenteil: Wir profitieren alle davon.
Sie wollen ferner eine neue politische Kultur erreichen. Vorschläge zur Kommunalpolitik sollen, wie Sie gesagt haben, nach der inhaltlichen Güte und nicht nach dem Absender beurteilt werden. Stets soll also das Gemeinwohl maßgebend sein, nicht etwa parteipolitische Interessen. Dem wird wohl kaum widersprochen werden. Aber auch in Zukunft wird unterschiedlich gesehen werden, was dem Gemeinwohl dient, so dass auch demnächst „parteiisch“ argumentiert wird.
Natürlich gibt es keine Patentrezepte, was dem „Gemeinwohl“ dient. Wichtig ist mir aber, dass diese Diskussion transparent und unter breiter Teilhabe möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger erfolgt. Dabei sollten die einzelnen Belange sorgfältig abgewogen werden, so dass am Ende eine Entscheidung steht, die auf möglichst breite Akzeptanz stößt.
Wahrscheinlich wird es zur Ampelkoalition kommen. Hier schließen sich Parteien zusammen, die sich bisher als politische Gegner gegenüber standen und die gegensätzliche Positionen vertraten. Offenbar wird gegenwärtig versucht, sich über die gesamte politische Agenda zu einigen, damit es nicht bei ersten wichtigen Entscheidungen zum Krach kommt. Führt der gefundene Kompromiss aber nicht gelegentlich dazu, dass man seine eigene Position kaum noch erkennt und wird es dann nicht sehr schwierig, den gefundenen Kompromiss in praktische Politik umzusetzen.
Aus den Sondierungsgesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es jedenfalls keine grundlegend unterschiedlichen Positionen in den wesentlichen Zukunftsfragen der Stadt gibt. Aber der Teufel steckt natürlich wie immer im Detail. Ich vertraue aber darauf, dass alle Partner soviel Verantwortungsgefühl haben, dass die eigene zugespitzte Profilierung auch einmal zurückstehen kann. Ich sehe nicht, dass Kompromisse, die im Rahmen dieser Verhandlungen gefunden werden, mit der Identität eines der Partner vollständig unvereinbar sein könnten.
Sie erwecken den Eindruck, dass Düsseldorf einen starken Oberbürgermeister hat. Sie wollen nicht, wie Sie gesagt haben, die Marionette irgendwelcher Parteifunktionäre sein. Darf man das dahingehend verstehen, dass Sie sich über Parteibeschlüsse hinwegsetzen, wenn Sie es im Interesse Düsseldorfs für geboten halten so wie seinerzeit Helmut Schmidt es getan hat, wenn er es für notwendig erachtet hat?
Es gilt der Grundsatz: Erst die Stadt, dann die Partei! Der Oberbürgermeister ist den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Meine Replik zu den Parteifunktionären bezog sich darauf, dass ich in den Verhandlungen zu einer Ampel-Kooperation letztlich den absoluten Fokus auf das Gemeinwohl haben muss. Im Übrigen gilt das, glaube ich, auch für die Beschlusslagen der lokalen Parteien.
Sie sind sehr sportlich. Ihr perfekter Radschlag im Karneval und Ihr Marathon in der Vorwahlzeit sind in bester Erinnerung. Wird Ihnen noch Zeit bleiben für den Sport und die anderen Hobbys?
Da bin ich mir sicher, auch wenn ich in diesem Jahr nur den einen Düsseldorf-Marathon gelaufen bin und den Berlin-Marathon jetzt absagen musste. Aber ich jogge regelmäßig mit meiner Frau am Rhein und brauche den Sport. Auch Musizieren steht weiter auf dem Programm, bei mir ebenso wie bei meinen Kindern. Hobbys zu haben, Sport zu treiben, sich im Ehrenamt zu engagieren und in ganz normale Alltagswelten einzutauchen, bleibt auch für einen Oberbürgermeister ein Stück Normalität und Lebensqualität. Wichtiger als Sport, Ehrenämter und Hobbys ist mir, dass mein Familienleben nicht unter die Räder kommt.
Kurzvita
Thomas Geisel wurde 1963 in Ellwangen/Ostalbkreis geboren. Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Freiburg, Genf und den USA, Bachelor of Arts, Georgetown University Washington, Master in Public und Administration Harvard University.
Thomas Geisel bekleidete führende Positionen in diversen Unternehmen, bei der Treuhand Nachfolgerin BVS, dem Energieunternehmen ENRON in London und bei der Ruhrgas AG, später E.ON, in Essen. Eintritt in die SPD am Tag des Abiturs 1983. Politisch war Thomas Geisel unter anderem persönlicher Referent des SPD-Bundesgeschäftsführers Blessing. Ehrenamtlich ist er engagiert als Mitglied der Arbeiterwohlfahrt und in der evangelischen Düsseldorfer Kreuzkirchengemeinde. Thomas Geisel ist verheiratet und hat fünf Töchter. Seit 2003 lebt er in Düsseldorf.
Ähnliche Beiträge
Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ist sowohl eine Aufgabe der Verwaltung als auch der Gesellschaft. Sie liegt mir besonders am Herzen
Interview mit Annemarie Lütkes, Regierungspräsidentin im Bezirk Düsseldorf und…