29. April 2015In 2015/2

„Eingefahrene Strukturen und Denkmuster verhindern die Chancengleichheit“

Interview mit Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf


von Dr. Susan Tuchel

Sie haben eine Bilderbuchkarriere hingelegt: Mit 26 Jahren waren Sie promovierte Volljuristin, mit 32 Jahren habilitiert. Sie sind verheiratet und haben zwei Söhne. Seit dem 1. November 2014 sind Sie als Rektorin der Heinrich-Heine-Universität für über 30.000 Studierende zuständig. Sie sind die oberste Dienstherrin von 2.000 Lehrenden und 900 Mitarbeitern. Wie kamen Sie zu diesem Amt und was reizte Sie an dieser Aufgabe?

Die Initialzündung war – wie wohl bei vielen Führungskräften in diesem Land – der Anruf eines Personaldienstleisters. Eigentlich spielte ich gerade mit dem Gedanken, wieder zurück in die Forschung zu gehen. Aber da das Amt der Prorektorin in Köln mir bereits viel Freude machte, nahm ich die Herausforderung an.

Aktuell gibt es in der deutschen Hochschullandschaft 65 Rektorinnen beziehungsweise Präsidentinnen. Das macht bei 388 Hochschulen eine Frauenquote von knapp 17 Prozent. Zum Vergleich: Die Frauenquote in den Aufsichtsräten der DAX 30-Unternehmen liegt derzeit bei 23 Prozent. Sie setzen jedoch statt auf Gleichstellung auf Chancengerechtigkeit. Möchten Sie damit das Ende der Genderdebatte einläuten?

Mir geht es vor allem um Diversität und generelle Chancengerechtigkeit. Da ist das Geschlecht zwar ein wichtiger Aspekt, aber eben nicht der einzige. Auch Diskriminierungen aufgrund von Kriterien wie ethnischer Herkunft oder einer Behinderung müssen vermieden werden. Wir alle haben immer noch zu schnell die berühmte Schere im Kopf, wenn es gilt, eingefahrene Strukturen und Denkmuster zu überdenken.

Sie haben die Universität in ihrem 50. Jubiläumsjahr übernommen, standen im schwarzen Talar ganz oben auf dem Mottowagen der Heinrich-Heine-Universität und riefen „Helau“ statt „Alaaf“. Werden die Düsseldorfer Sie auch beim nächsten Rosenmontagszug wiedersehen?

Leider nicht. Dafür ist das Ganze einfach zu teuer. Wir hatten das Glück, dass die Stadtsparkasse uns im Jubiläumsjahr gesponsert hat. Der Initiator der Uni-Wagen-Idee war übrigens Prof. Dr. Ulrich von Alemann. Aber ich war sofort Feuer und Flamme.

Nicht nur die Universität, auch die Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität ist in die Stadt gekommen und ins Haus der Universität am Schadowplatz gezogen. Das ehemalige Bankhaus, das die Stiftung van Meeteren der Universität überlassen hat, bietet mittlerweile ein beeindruckendes Programm – vom Düsseldorfer Science Slam bis zum Aktionstag „Organtransplantation“. Wie wird dies von den Bürgern angenommen?

Die Zahlen sind beeindruckend. Im letzten Jahr haben dort insgesamt 651 Veranstaltungen stattgefunden mit knapp 27.000 Besuchern. Zu den Veranstaltern zählen die Robert-Schumann-Hochschule und das Institut für Internationale Kommunikation. Im April fand das Startup Weekend Düsseldorf dort statt. Good to know: Auch externe Veranstalter können die Räumlichkeiten mieten.

Alle Welt fragt Sie, was die Universität für die Stadt tun könnte. Was würden Sie sich eigentlich von der Stadt und ihren Bürgern für die Universität wünschen?

Interesse für das, woran hier geforscht und was hier gelehrt wird und dass die Öffentlichkeit wahrnimmt, dass die Ausgründungen dem Wirtschaftsstandort Düsseldorf nutzen. Und dann gibt es auch noch das Programm „Chancen nutzen. Das Deutschlandstipendium an der HHU“, das ich den Bürgern ganz besonders ans Herz legen möchte. Für 1.800 Euro im Jahr – der Bund gibt die gleiche Summe dazu – können Stifter einen Studierenden unterstützen, der dann im Monat 300 Euro erhält. Solche Studentenpatenschaften können sehr persönlich sein und auch durch gemeinsame kulturelle Veranstaltungen wie zum Beispiel Opernbesuche intensiviert werden. Manche Stifter unterstützen zehn bis 15 Studenten. Selbstverständlich kann man als Stifter auch anonym bleiben. Aktuell haben wir 266 Stipendiaten. Ich würde mich freuen, wenn wir in diesem Jahr die 300er-Marke nehmen würden.

Immer wieder sieht man Sie zusammen mit dem Namensgeber der Universität auf Fotos abgebildet. Lesen Sie Heine oder stehen beispielsweise auch die Bände von Ferdinand Schirach in Ihrem Bücherregal?

Die stehen tatsächlich alle bei mir. Ich bin absoluter Schirach-Fan. Ansonsten lese ich sehr gerne Hermann Hesse, aber auch die Romane von Dieter Wellershoff und Judith Hermann sowie Biographien und Krimis.

Sie leben in Ratingen, ein Umzug nach Oberkassel ist geplant. Haben Sie schon jetzt Lieblingsplätze in Düsseldorf?

Da mein Mann als Anwalt in Düsseldorf tätig ist, treffen wir uns abends oft im Hafen oder in der Altstadt. Aber auch in‘s Metropol in der Brunnenstraße gehen wir gerne zusammen.

Wenn Ihnen Ihr strikt getakteter Terminkalender einmal Zeit für sich lässt, was macht Anja Steinbeck dann am liebsten?

Wandern, Joggen, Radfahren, Tennis spielen, Ski fahren und vor allem gut essen gehen.


Kurzvita

Anja SteinbeckAnja Steinbeck stammt aus Wiesbaden und studierte Jura in Mainz und Genf. 1992 wurde sie an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz promoviert. Sie habilitierte in den Fächern Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht. 2001 erhielt Steinbeck eine Professur in Köln und war von 2004 bis 2014 Richterin im Nebenamt am Oberlandesgericht Köln. Von 2011 bis Oktober 2014 war sie Prorektorin der Universität zu Köln. Im November 2014 wurde Steinbeck die erste Rektorin in der 50-jährigen Geschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.


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