3. Mai 2015In 2015/2

„Das Theater ist in einem sich ständig erweiternden Prozess, und wir haben den Auftrag zur Bewahrung und zur Neufindung“

Interview mit Günther Beelitz, Generalintendant Düsseldorfer Schauspielhaus


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie waren bereits 10 Jahre lang Intendant am Düsseldorfer Schauspielhaus. 2014 wurden Sie als Krisenmanager wieder nach Düsseldorf gerufen. Hatten Sie Bedenken, die offenbar sehr schwierige Aufgabe am Düsseldorfer Schauspielhaus zu übernehmen? Was hat Sie letztlich dazu bewogen?

Ich habe ganz besondere Beziehungen zu Düsseldorf und vor allem zum Düsseldorfer Schauspielhaus. Es war mir eine Pflicht, dem Haus in der schweren Zeit mit aller Erfahrung, die ich in meinen verschiedenen Intendanzen sammeln konnte, beizustehen. Als ich dann mit dem Kaufmännischen Geschäftsführer Alexander von Maravic auch ein starkes administratives Team zusammenstellen konnte, war mir schnell klar, dass ich diese Herausforderung annehmen musste. Ich bereue das nicht.

Unter Ihrer ersten Intendanz war das Düsseldorfer Schauspielhaus in der Spielzeit 1982/1983 „Theater des Jahres“ und erhielt 12 Einladungen zum Berliner Theatertreffen, 500.000 Besucher wurden gezählt. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Düsseldorf zurzeit offenbar wenig Begeisterung für das Schauspielhaus aufbringt? Wird vielleicht nicht mehr für das Publikum gespielt oder sind die Düsseldorfer schwieriger geworden?

Wir spielen für das Publikum – sowohl am Gustaf-Gründgens-Platz wie auch im Jungen Schauspielhaus in der Münsterstraße, und zwar wieder täglich. Das ist das erste, was hier wieder eingeführt wurde. Theater muss spielen, spielen, spielen Wir sind vor einem Jahr angetreten, die Grundlagen für ein gutes Theater  zu schaffen: Zunächst galt es, das Haus aus der desaströsen finanziellen Lage herauszubringen, sprich das Haus zu konsolidieren. Das haben wir mit großer Unterstützung von Stadt und Land und der Akzeptanz aller Mitarbeiter geschafft. Das Haus steht wieder auf gesunden Füßen, und alleine das ist ein großer schöner Erfolg. Wenn Sie von den 80er-Jahren sprechen, die das Düsseldorfer Schauspielhaus auch international so bedeutend machten, so sprechen Sie vom vergangenen Jahrhundert im vergangenen Jahrtausend. Das war eine gute Zeit für das Theater im Allgemeinen und für das Düsseldorfer Schauspielhaus im Besonderen. Und ich blicke auf diese Zeit mit Freude zurück. Aber: Das Theater muss sich immer wieder neu beweisen und zwar allabendlich. Natürlich ist das Düsseldorfer Publikum ein spezielles Publikum, das auch schon sehr viele großartige, hochkarätig besetzte Aufführungen gesehen hat. Viele davon, das ist richtig, wurden zu Festivals eingeladen, und da knüpfen wir an: Gerade war das Düsseldorfer Schauspielhaus mit der Uraufführung von Anne Leppers „La Chemise Lacoste“ zum „Radikal Jung Festival“ nach München eingeladen. Das Drama „Mord“ von Hanoch Levin erhielt eine Einladung zu einem großen israelischen Theaterfestival in Tel Aviv. Das ist ein gutes Zeichen. Darüber freue ich mich sehr.

Glauben Sie, wie zu hören ist, dass Theater nicht mehr wichtig genommen wird? Kann das Theater die Bürger heute nicht mehr erreichen? Das Theater ist doch unser Spiegel.

Das sehe ich gar nicht so: Das Theater wird wahrgenommen – aber anders als vor dreißig Jahren. Die Faszination für die Bühne, für das Theater ist geblieben. Das Theater ist aber nicht mehr nur Spiegel der Gesellschaft, wie Sie es so treffend formulieren, sondern es ist auch aufgerufen, Visionen zu entwickeln, sich zu öffnen für den Diskurs. Allerdings speist sich das Theater heute aus anderen Quellen, als das Theater der Nachkriegszeit und das Theater der 60er- bis 80er-Jahre. Diese Zeit trug den Willen zur Aufarbeitung und zur Neuerung, zur Stilfindung in sich. Daraus resultierte die Dekonstruktion. Das Düsseldorfer Schauspielhaus wird Zeit brauchen, sein neues künstlerisches Profil für das 21 Jahrhundert zu finden.

Es wird gelegentlich behauptet, das Theater verletze nicht selten Tabus und habe eine übertriebene Tendenz, Gewalt, Geschmackloses und Sexuelles darzustellen, was nicht wenige vom Besuch abhalte? Sehen Sie auch diese Tendenz? In Düsseldorf wurde „Macbeth“ als großes Theater gefeiert, ein nicht geringer Teil des Publikums sah sich aber nicht in der Lage, die Aufführung bis zum Ende „auszuhalten“.

Es ist doch immer die Frage: Steht die künstlerische Arbeit für das gegebene Thema. Jürgen Gosch hatte mit seinem großartigen „Macbeth“ eine Tragödie der „schwarzen Wünsche“ inszeniert. Er ließ uns in Abgründe schauen, aber nicht, um einen Skandal um des Skandals willen zu provozieren, sondern weil die Absichten der Figuren in dem Stück skandalös sind – der Blick in den von Ihnen angeführten Spiegel ist manchmal nicht leicht. Dennoch: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, schrieb Ingeborg Bachmann. Und um Wahrheit sollte es – bei allem Willen zur Illusion – immer gehen.

Man hört, beim Berliner Theatertreffen habe eine Kritiker-Jury erklärt, klassische Bühnentexte und arrivierte Regisseure hätten ausgedient, stattdessen immer mehr Uraufführungen, Film- und Romanadoptionen und eigentlich unspielbare Textgebirge. Trifft diese Darstellung zu, wird damit eine Theaterkrise beschrieben, werden die Zuschauer in der Tat durch Textgebirge vom Besuch ferngehalten? Für den Spielplan des Düsseldorfer Schauspielhauses trifft das nach Ihrer Ansicht sicher nicht zu.

Das Theater ist derzeit noch geprägt von der Postmoderne und dem Dekonstruktivismus. Aber es gibt auch wieder Autoren, die Geschichten durcherzählen. Unser Spielplan ist ein Bekenntnis zum Geschichtenerzählen. Die Interpretationen sogenannter klassischer Stoffe durch die Regisseure, mit denen das Düsseldorfer Schauspielhaus arbeitet, zeigen, dass weder die Regisseure noch diese Stoffe ausgedient haben. Das Theater sollte seine Tradition und die Geschichte nicht leugnen. Das Theater ist in einem sich ständig erweiternden Prozess, und wir haben den Auftrag zur Bewahrung und zur Neufindung.

Sie fanden bei Ihrem Dienstantritt 2014 – wie Sie sagten – geradezu „ätzende“ Arbeitsbedingungen vor. Sie wollten viel ändern, ein größeres Ensemble schaffen, so dass möglichst wenig Gäste verpflichtet werden müssen – also zurück zum Ensemble Theater, aber auch den Jahresspielplan als buntes Zeitungsmagazin verbreiten und atmosphärische Verbesserungen erreichen. Haben Sie Ihre Pläne verwirklichen oder wenigstens auf den Weg bringen können?

Ja. Das Glück des Hauses ruht auf den Schultern des Ensembles, das wir wieder auf vierzig Schauspieler und Schauspielerinnen aufgestockt haben. Das ist nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Sie dürfen nicht vergessen, dass das Düsseldorfer Schauspielhaus binnen kurzem mehrere Intendantenwechsel zu verkraften hatte. Das erzeugt naturgemäß nicht die beste innerbetriebliche Atmosphäre. Und natürlich sind die Sparmaßnahmen, die wir zur Konsolidierung des Hauses gewährleisten müssen, ohne dabei die künstlerische Qualität einzuschränken, nicht im Interesse des Einzelnen. Da braucht es noch Überzeugungsarbeit. Aber das Team hat sich zusammengefunden, die Wege im Haus sind kürzer geworden, und das Düsseldorfer Schauspielhaus blickt optimistisch auf die kommende Spielzeit.

Sind in der Zukunft weitere Änderungen erforderlich? Sind Sie optimistisch, dass es dem Schauspielhaus gelingt, wieder Vertrauen zu gewinnen?

Der nächste wesentliche Schritt ist die Grundsanierung des Hauses. Es ist da in den vergangen Jahren – aus welchen Gründen auch immer – wenig geschehen. Und das muss jetzt gemacht werden. Nach über 64 Jahren seit dem Bau des Hauses sind die Rohrleitungssysteme, Lüftungsanlage, Elektroleitungen und Installationen absolut erneuerungsbedürftig. Dazu kommen die Schäden, die der Sturm im vergangen Jahr angerichtet hat, der Bau der neuen Tiefgarage im Zuge des Kö-Bogens II und die Neugestaltung des gesamten Vorplatzes. Das heißt für uns, dass wir nach Silvester ab dem 1. Januar 2016 bis zum Ende der Spielzeit die Spielstätte am Gustaf-Gründgens-Platz verlassen und in das Central am Hauptbahnhof ziehen. Dort eröffnen wir mit dem in Düsseldorf nur zu selten gespielten Groß-Dramatiker Bertolt Brecht. Unser Spielzeitmotto „brecht auf“ ist also im zweifachen Sinne zu verstehen: Wir brechen auf in eine neue Spielzeit – und wir brechen ab Januar mit Brecht auf in eine neue, spannende Spielstätte mit einer großzügigen gläsernen Foyer-Brücke, die sich über die ganze Straße spannt. Hier heißt es sehen und gesehen werden. Ein großer Vorteil sind hier die erstklassigen Anbindungen an den Nahverkehr und guten Parkier Möglichkeiten. Zentraler geht’s nicht.

Man erfährt wenig vom Inneren des Schauspielhauses. Sollte man nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen, dass also über die Medien das Schauspielhaus zum Stadtgespräch wird?

Das Schauspielhaus sollte durch seine künstlerische Leistung im Gespräch sein, nicht durch Klatsch und Tratsch. Wir sind täglich in den Printmedien vertreten. 26 Premieren haben wir bisher auf den Bühnen gezeigt. Das ist eine Menge Holz. Aber natürlich öffnet sich das Theater. Unsere Schauspieler geben Workshops, es gibt sehr gute theaterpädagogische partizipative Projekte und wir pflegen den Kontakt mit dem Publikum und dem Freundeskreis des Düsseldorfer Schauspielhauses. Vertrauen neu aufzubauen, braucht Zeit – aber es gelingt.

Ihre erste Spielzeit trug noch die Handschrift Ihres Vorgängers. Welche Akzente setzen Sie in Ihrer zweiten Spielzeit? Vielleicht mehr politisches Theater?

Der Spielplan 2015/2016 entsprang aus unserem gesellschaftspolitischen Umfeld und unserem Dügida-Abwehrmotto: Humanität, Respekt, Vielfalt. Die jüngsten bedenklichen Entwicklungen in Deutschland veranlassten uns, einen ausschließlich deutschsprachigen Spielplan zu gestalten, der danach fragt, ob „Faust“ noch als Vorbild taugt und der sich 70 Jahre nach der Befreiung von Ausschwitz mit dem SS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie beschäftigt.
Ferdinand von Schirach hat sein erstes Theaterstück geschrieben. Sein Gerichtsdrama „Terror“ beschäftigt sich mit der Unantastbarkeit der menschlichen Würde und offenen Rechtsfragen. Nicole Heesters wird die Staatsanwältin spielen und Wolfgang Reinbacher spielt den vorsitzenden Richter, das freut uns sehr. Das ist ein politischer Spielplan, ein kritischer Spielplan, der bereichert wird durch Unterhaltung, die nach der Haltung fragt. Die drei jüdischen Mitglieder der „Comedian Harmonists“ erhielten in den dreißiger Jahren Berufsverbot. Vor 80 Jahren genau löste sich dieses einzigartige Vokalensemble auf. „Die Verwandlung“ von Franz Kafka wird in einer Bühnenfassung von Alexander Müller-Elmau gezeigt, der soeben gerade sehr erfolgreich „März, ein Künstlerleben“ für uns bearbeitet und inszeniert hat.
Ganz besonders freue ich mich auf die Ko-Operation mit dem Theater Mühlheim an der Ruhr. Roberto Ciulli wird das expressionistische Meisterwerk „Die Wupper“ von Else Lasker-Schüler inszenieren mit Schauspielern seines Ensembles und mit Schauspielern des Düsseldorfer Schauspielhauses. Die Premiere findet hier in Düsseldorf statt, wo er vor fast vierzig Jahren wirkte. Da schließen sich einige Kreise, denn auch Volker Hesse wird hier wieder inszenieren und zwar „Leben des Galilei“ des Aufklärers Bertolt Brecht. Der Dramatiker Brecht war übrigens auch ein hervorragender Komödienschreiber. „Die Kleinbürgerhochzeit“ ist ganz im Stile Karl Valentins geschrieben mit einer großen Lust an der Groteske – und immer klug. So wie auch die Komödie von Carl Zuckmayer „Der Hauptmann von Köpenick“ eine kluge Komödie ist, die den blinden Gehorsam aufs Korn nimmt. Zum Abschluss der Spielzeit werde ich Max Frischs Komödie „Biografie: Ein Spiel“ inszenieren. Da wird die Frage gestellt, ob man sein Leben noch einmal genau so leben würde, wenn man die Gelegenheit dazu erhält, oder ob man es ändern wollte oder könnte. Das Stück gehört auch zu den klugen Komödien.

Das heißt, Sie hoffen auf eine weitere positive Entwicklung des Düsseldorfer Schauspielhauses?

Christa Wolf hat einmal gesagt: „Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt was wir befürchten bestimmt“. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.


Kurzvita

Günther BeelitzGünther Beelitz wurde 1938 in Berlin geboren, schloss er nach dem Abitur zunächst eine Lehre als Buchhändler und Verlagskaufmann ab, studierte dann an der Philipps Universität Marburg und der Universität Wien Theaterwissenschaften, Germanistik und Kunstgeschichte.
1969 kam Günther Beelitz als persönlicher Referent von Karl-Heinz Stroux zum ersten Mal nach Düsseldorf. Von 1971 an war er 35 Jahre ununterbrochen Intendant, zunächst am Staatstheater Darmstadt, danach am Düsseldorfer Schauspielhaus (1976 bis 1986), am Bayrischen Staatsschauspiel München, am Deutschen Nationaltheater Weimar und am Theater Heidelberg. Ab 2005 arbeitete er als freier Regisseur, unter anderem in Dortmund, Köln und Düsseldorf und im Rahmen internationaler UNESCO Projekte in Manila, Madrid und Shanghai. Seit 1.3.2014 ist er als Generalintendant für zwei Jahre an das Düsseldorfer Schauspielhaus zurückgekehrt. Günther Beelitz lebt seit längerem wieder in Düsseldorf.


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