8. August 2017In 2017/3

„Als ich im Alter von 14 Jahren ‚Der alte Mann und das Meer‘ gelesen habe, war es um mich geschehen“

Auf Hemingways Spuren


von Dr. Susanne Altweger

Zugegeben: dieser Mensch passt nicht zu mir! Ein vom Töten besessener Macho mit einem Hobby, für das heute Könige abtreten müssen – der Großwildjagd. Und trotzdem: als ich im Alter von 14 Jahren „Der alte Mann und das Meer“ gelesen habe, war es um mich geschehen. Die Prosa des Schriftstellers erfasste mich mit solcher Wucht, dass ich mein Leben lang nicht mehr aufhören konnte Ernest Hemingway zu lesen; besonders intensiv zwischen 14 und 22, als ich das gesamte verfügbare Werk verschlang. Dann kam die Hippie-Phase, und ich wendete mich dem Softie Hermann Hesse zu.

In den letzten Jahren setzte eine massive Hemingway Renaissance ein, und immer neue Bücher über ihn sind erschienen. Gibt es dafür eine Erklärung? Ist vielleicht in Zeiten des Gender Mainstreaming heimlich der echte Kerl wieder gefragt? Jedenfalls wurde auch ich erneut vom Virus infiziert und hatte den Wunsch, eine Hemingway Nostalgie Reise zu den wichtigsten Orten seines Lebens zu unternehmen.

Meine erste Station war die Finca Vigía in San Francisco de Paula nahe Havanna auf Kuba. Dort hatte Hemingway die Jahre von 1939 bis zur kubanischen Revolution 1959 verbracht. Sie zwang ihn, sein Zuhause zu verlassen. Obwohl mit Fidel Castro gut befreundet, war er als Amerikaner plötzlich in Feindesland. Er ließ alles zurück. Nach seinem Tod 1961 gelang es der Witwe Mary Welsh-Hemingway in einem Gespräch mit Fidel kurz vor der Enteignung des Hauses und einem Ausfuhrstopp noch persönliche Briefe und Wertgegenstände herauszuholen und nach Amerika zu bringen. Die Finca verfiel und wurde erst 2007 mit amerikanischen Geldern liebevoll restauriert. So wurde sie zu einem Haupttouristenziel und einer soliden Einnahmequelle des maroden Staates. Ein schönes Gebäude, leicht und luftig mit riesigem Garten. Man kann leider nicht hinein. Es fehlt wohl das Personal, um alles zu schützen. Dafür sind Fenster und Türen weit geöffnet. Sämtliche Besucher scheinen ergriffen von tiefer Bewunderung für den Nobelpreisträger. Sie benehmen sich gesittet und rücksichtsvoll, man steht sich beim Fotografieren nicht im Weg. Drinnen ist die Zeit zurück gedreht, und man erwartet, der Hausherr könne gleich zur Tür herein kommen. Behagliches Mobiliar – und natürlich seine berühmte Schreibmaschine. Wenn da nur nicht überall die ausgestopften Trophäen an den Wänden hängen würden! Das berühmte Miro Gemälde „La Ferme“, das der Hausherr so geliebt hatte, war vor der Revolution glücklicherweise an ein amerikanisches Museum ausgeliehen worden; so blieb es Miss Mary erhalten. Zum Erhalt des Eindrucks hängt eine gute Reproduktion an der Wand. Der weitläufige Garten beherbergt den Swimmingpool, in dem der Legende nach Ava Gardner nackt geschwommen sein soll.

Ein weiterer Hemingway Hotspot in Havanna ist das Hotel Ambos Mundos im Herzen der Altstadt. Dort schrieb er vor dem Erwerb der Finca in einem winzigen, sehr spartanischen Hotelzimmer im fünften Stock. Am besten fährt man mit dem engen Uralt-Lift nach oben. An der Türe ein Schild „Museo Hemingway“. Nur ganz kleine Gruppen dürfen in das Schlaf-/Arbeitszimmer.

Seinen spanischen Bürgerkriegs-Roman „Wem die Stunde schlägt“ soll er hier begonnen und in der Finca vollendet haben.

Die Gestaltung des Raumes lässt Platz für Verbesserungen. Das interessanteste Exponat ist eine Replika der Nobelpreis Urkunde. Wenn man zu Fuß hinunter geht, sieht man in jedem Stockwerk großformatige Fotos mit den üblichen Motiven: Hemingway breit grinsend mit den erlegten Opfern: Marlin, Löwe, Antilope, Nashorn etc. Monströs und abstoßend erscheint mir diese zur Schau gestellte Besessenheit vom Töten. Die Hotellobby zeigt Bilder vom anderen, nachdenklichen Hemingway mit seinen Frauen (er hat vier geheiratet und unglücklich gemacht), mit den Stars aus den Verfilmungen seiner Bücher. Am besten man gönnt sich in der düsteren Art-deco Lobby noch einen Mojito. Der ist überraschend günstig, das Hotel nimmt keinen Hemingway Aufschlag.

Als Bronzefigur in Lebensgröße lehnt Hemingway für immer in seiner Lieblings-Bar El Floridita am Tresen – und mit ihm tausende von Touristen, die spätestens nach dem dritten Mojito sternhagelvoll und laut sind. Auch das Trinken will gekonnt sein, nicht nur das Schreiben. Hemingway beherrschte beides.

Die dritte kubanische Station ist Cojimar, das mittlerweile sehr ärmliche Fischerdorf am Rande von Havanna. Dort hatte Hemingway seine geliebte Yacht „Pilar“ liegen, ein solides 38 Fuß Schiff mit einem charakteristischen festen Sitz für die Hochseefischerei. Nach Hemingways Willen sollte sie im Golf, aus dem er so viele Riesenfische gezogen hatte, versenkt werden. Übrigens hatte er sie im Zweiten Weltkrieg zu einem Spionageschiff umgerüstet mit dem er Nazi U-Boote aufspüren wollte. Gut, dass es zu keiner Begegnung kam und schön, dass die Pilar der Nachwelt erhalten geblieben ist.

In Cojimar wurde Hemingway auch zu seiner Novelle „Der alte Mann und das Meer“ inspiriert. Die Fischer, die als Vorbilder für den unglücklichen Santiago dienten, errichteten ihm ein Denkmal, über dessen künstlerischen Wert sich streiten lässt.

Meine nächste Pilgerstätte war Key West in Florida. Die selbsternannte Conch Republik hat sich ihren altmodischen Charme bewahrt und blieb wegen ihrer Lage am südlichsten Zipfel von Florida von Bausünden verschont. Es sieht fast genau so aus, wie zu Hemingways Zeiten. In der ansprechenden Villa in der Whitehead Street lebte er mit seiner zweiten Frau Pauline von 1931 bis 1939. Vom Original Mobiliar ist einiges erhalten, manche Räume wurden mit Bildern und Filmplakaten museal gestaltet. Die verwöhnte Pauline, von Hause aus vermögend, ließ während ihres langen Alleinseins den wohl ersten Swimming-Pool von Key West in den Garten bauen; ziemlich überdimensioniert und wesentlich teurer, als das ganze Haus. Als Ernest aus dem Spanischen Bürgerkrieg zurückkam, war er nicht gerade erfreut, obwohl sie heftig dazugezahlt hatte. „Well, you might as well have my last cent“, soll er empört ausgerufen haben. Dieser Penny ist in den Boden eingelassen. Wenn er es nicht ist, ist es eine nette Anekdote. Interessant sind der Katzenfriedhof und vor allem die lebenden, direkten Nachfahren seiner Katze „Snowball“ mit den legendären sechs Zehen. Sie wohnen dort sehr gemütlich und lassen sich von niemandem stören, auch nicht wenn man ihre Pfoten vor die Linse holt und nach zählt.

Die letzte Station meiner „Pilgerreise“ war die spannendste. Hemingways Geburtsort Oak Park ist von Chicago aus leicht mit der S-Bahn zu erreichen. Dieses kleine verschlafene Städtchen würde wohl kaum Beachtung finden, wenn es nicht zwei große Söhne hervorgebracht hätte – neben Hemingway den Architekten und Designer Frank Loyd Wright, dessen Gebäude Chicago maßgeblich mit geprägt haben. In Hemingways Geburtshaus sind wir an diesem eiskalten Tag im März allein und bekommen quasi eine „private“ Führung. Ein freundlicher älterer Herr zeigt uns die Räume, die im viktorianischen Stil nach alten Fotos möglichst originalgetreu eingerichtet wurden. Zu den Fotos von Mutter Grace und Vater Dr. Clarence Hemingway sowie zu jedem Zimmer erzählt er interessante Geschichten. Richtig los legt er, als ich mich als Psychologin oute. Da kommen auch Geschichten aus dem Nähkästchen. Ob wissenschaftlich haltbar, weiß ich nicht, aber spannend in jedem Fall. Er zeigt Kinderbilder, auf denen Ernest als Mädchen gekleidet ist, denn Grace gab ihn als Zwilling seiner ein Jahr älteren Schwester Ursula aus. Zwillinge brachten Prestige und darauf war die Mutter erpicht. Der musikalischen jungen Frau, die das Opernfach studiert hatte, blieb eine Bühnenkarriere wegen ihres Augenleidens verwehrt. Erst als dies unabwendbar war, heiratete sie, fügte sich aber nur widerwillig in die Rolle als Hausfrau und Mutter. Nicht zu kurz kam das „Story Telling“ in der Familie, zu der auch die Großväter, die mit im Haus wohnten, gehörten. Deren Kriegserzählungen übten eine große Faszination auf den kleinen Ernest aus, und er begann sich, wie später in seinen Romanen, in die Helden hinein zu versetzen. Der Vater, den er lieber mochte als die musisch kapriziöse Mutter, brachte ihm das Jagen und Fischen bei. In dieser männlichen Gegenwelt fühlte er sich zeitlebens wohl. Schon der kleine Stöpsel von drei Jahren posiert mit gefangenen Fischen oder mit seinem ersten Gewehr, das er vom Vater als Kleinkind bekam. Dringend rät mir unser Guide, jenen unsäglichen Brief von Mutter Grace zu lesen, der für Ernest Anlass war, endgültig mit ihr zu brechen. Hier rechnet sie fast buchhalterisch auf, was sie den Kindern in der Jugend gegeben hat und erwartet eine „Kompensation“. Und schließlich wollte er wissen, ob ich mich als Psychologin mit Hemingways latenter Homosexualität beschäftigt hätte. Nein, hatte ich nicht. Dann sollte ich dringend „Der Garten Eden“ lesen. Dieses Buch, mit dem sich Hemingway Jahrzehnte herumgeplagt hatte und das erst posthum erschienen war, hatte ich mir sofort gekauft, aber es nicht zu Ende gelesen. Zuhause fand ich noch das Lesezeichen  auf Seite 77. Damals hielt ich es für eine schlechte Hemingway Karikatur. Offensichtlich war ich nicht auf dem neuesten Stand der Hemingway Forschung. Mittlerweile ist das „Hem Letter Projekt“ im Gange, die wissenschaftliche Auswertung seiner Briefe, die sehr aufschlussreich sein dürfte.

So bereichert begab ich mich zur letzten Station des Nostalgie-Trips, dem Hemingway Museum, das nur ein paar Häuserblocks entfernt liegt. Ein riesiges Jugendbildnis des Schriftstellers ziert die Fassade. Es zeigt ihn, als er gerade aus dem Kriegseinsatz zurück aus Italien kommt, wohin er sich mit 18 Jahren freiwillig gemeldet hatte.

Verwundet und erschüttert an Leib und Seele verarbeitete er die Ereignisse in seinen Roman  „In einem anderen Land“.

Am Empfang saß eine zauberhafte Lady, die mir vom vorherigen Führer als profunde Kennerin des Werks empfohlen worden war. Da es so viel zu sehen gab, blieb kaum noch Zeit zum Fachsimpeln. „He was a shark“, meinte sie, „but he wrote so wonderful“. Das bringt es auf den Punkt. Und wir hatten das gleiche Lieblingswerk: „Paris, ein Fest fürs Leben“. Es behandelt seine frühen Jahre mit seiner ersten Frau Hadley, als er arm aber glücklich war, in der Gewissheit, ein großer Schriftsteller zu werden. In diesem stark autobiografischen Buch geht es mal nicht um den Tod, das Jagen, das Fischen, Stierkämpfe oder den Krieg, sondern um Literatur. Unglaublich: Er hat es gegen Ende seines Lebens verfasst, aus der Erinnerung. Vielleicht ist es auch Verklärung, die eine große Leichtigkeit atmet. Im Alter hatte sie ihn verlassen.

Nach einem prall gefüllten Leben suchten ihn Unfälle, Krankheiten wie Diabetes, Alkohol-Abhängigkeit und Depressionen heim. Am 2. Juli 1961 hat er sich in seinem letzen Haus in Ketchum/Idaho erschossen. Dorthin wollte ich übrigens nie.


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