15. August 2017In 2017/3

„Wissenschaft darf niemals nur Herrschaftswissen sein“

Interview mit dem Wissenschaftsjournalisten Jean Pütz


von Dr. Paul Breuer

81 Jahre alt und kein bisschen leise – das trifft genau auf Jean Pütz zu. Rechtzeitig zu seinem Geburtstag erscheint seine Biographie „Ich hab‘ da mal was vorbereitet – Ein Glückspilz packt aus“  in enger Anbindung an die Zeitgeschichte. Diese Biographie beschreibt nicht nur den Lebensweg eines vor dem 2. Weltkrieg Geborenen, geflüchtet durch den schrecklichen Krieg und dessen Nachwehen von Luxemburg nach Köln und wieder zurück. Sie ist auch die Bestandsaufnahme einer ungewöhnlichen Karriere, die nur mit eisernem Willen, Disziplin und einem charismatischen Talent möglich wurde. Jean Pütz hat es geschafft, einer ganzen Generation schwer erklärbare technische und physikalische Phänomene mit seiner rheinischen fröhlichen Leichtigkeit nahe zu bringen. Sein ihm angeborener Humor machte es möglich, die scheinbar komplexesten Zusammenhänge in mehr als 2.000 TV-Sendungen, darunter die bekannte Sendereihe „Hobbythek“ als – wie er sagt – ‚trojanisches Steckenpferd‘, verständlich und kurzweilig zu erklären. Das ist das Kennzeichen der Karriere eines besessenen und rastlosen Wissenschaftsjournalisten, der sein Leben der Vermittlung von Wissenschaft für jedermann gewidmet hat. Jean Pütz‘ Credo: „Wissenschaft darf niemals nur Herrschaftswissen werden! Wissenschaft und Technik haben vor allem die Aufgabe, den Menschen das Leben zu erleichtern und gegebenenfalls zu verlängern.“

Seine Biographie ist gespickt mit Anekdoten aus der damaligen Zeit. Es kommt alles zur Sprache: die Erfahrungen, die Konsequenzen und die Wünsche. Und so ist diese Autobiographie ein zutiefst persönliches Buch – die nachdenklich stimmende Bilanz eines langen, erfolgreichen und vom Glück verwöhnten Lebens.
Daneben mischt er sich über seine Homepage www.jean-puetz.net und über seine Facebook-Auftritte unter dem Motto „Der Vernunft eine Chance‘ gerne in politische und technische Fehlentwicklungen unserer Zeit ein. Seine Homepage beinhaltet mittlerweile über 40.000 glaubhafte Artikel zu aktuellen wissenschaftlichen Themen.

Leve Jong, wie geht es Dir heute?

Ganz hervorragend. Ich bin ja noch gesund und noch keinen Zentimeter kleiner geworden. Das muss die Wissenschaft noch klären. Als ich meinen 80. Geburtstag feierte und der WDR mich in den Nachrichten als Urgestein bezeichnete, hatte ich ein Gefühl von Endzeitstimmung. Genauso wäre es bestimmt auch gewesen, wenn mein Begräbnis bevorgestanden hätte. Aber ich konnte alles noch miterleben und hatte noch ganz viele Pläne. Meine Biographie habe ich ja jetzt verwirklicht. Ich wollte auch meinen Kindern erklären, welch komischen Typ mit Schnäuzer sie als Vater ertragen mussten – und den Lesern plausibel machen, in welch phantastischem Zeitalter sie leben und der Bürger selbst dafür verantwortlich ist, dass es so bleibt.

In Deiner Biographie beschreibst Du, dass Du auch ein großer Anhänger der sozialen Marktwirtschaft bist.

Ja, ich halte sie für die Voraussetzung für eine offene Gesellschaft, die dem Einzelnen Chancen gibt, sich nach seinem Gusto zu entwickeln, kreativ zu werden – allerdings auch mit einer gehörigen Portion Selbstverantwortung. Wer diese Art Marktwirtschaft verwirft, landet unweigerlich in einer Planwirtschaft à la DDR mit allen Gängeleien und Verbrechen am Menschen, die dort üblich waren.

Was empfindest Du, wenn Du immer noch um ein Autogramm oder Selfie gebeten wirst?

Na ja, ich halte das für eine Art Wunder, denn normalerweise heißt es ja „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Warum mir dieses Schicksal erspart bleibt, kann ich nicht erklären. Es freut mich aber, dass ich meinem Leben eine Art Nachhaltigkeit verliehen habe. Das Wort „Nachhaltigkeit“ habe ich in meiner Sendung „Energie, die treibende Kraft“ noch vor dem Club of Rome und den Grünen geprägt im Rahmen eines 11. Gebotes: ‚Du sollst mit den Gütern, die uns die Erde schenkt, sorgfältig umgehen, damit unsere Kinder und Kindeskinder die gleichen Chancen erhalten, wie wir.‘

Wie oft hörst die Worte “Guten Tag, Herr Pütz. Sie kennen mich nicht, aber ich Sie!“ Nervt einen diese Popularität nicht manches Mal?

Ja, Popularität hat – wie Du weißt – zwei Seiten. Einerseits schmeichelt sie, andererseits halte ich sie für ungerecht, denn Millionen von Menschen erfüllen ebenso ihre Bürgerpflichten. Das Einzige, worin ich mich von ihnen unterscheide ist, dass ich elektronisch vervielfältigt wurde. Die Popularität ist also nicht nur mein Verdienst, sondern ich verdanke sie auch den technischen Möglichkeiten. Das hilft mir, ganz schön bescheiden zu bleiben.

Zurück zur der Biographie: Was hat Dich eigentlich zu dieser intensiven Beschäftigung mit Wissenschaft und Technik geführt?

Schon als junger Mensch war ich unbändig neugierig. Mich trieb immer das Warum und das Weshalb. Verstärkt wurde das, weil meine Eltern, mein Bruder und ich nur mit Ach und Krach zwei große Bombenangriffe im Weltkrieg überlebt hatten. Dass ich später an der Uni empirische Soziologie studierte, geschah nur deshalb, weil ich wissen wollte, warum ein zivilisiertes und kultiviertes Volk, wie die Deutschen, einem Psychopathen und Verbrecher wie Hitler so viel Macht übertragen konnten. Leider sehe ich heute, dass dieser extreme Nationalismus wieder mal mit seinen „Fake News“ und „Postfaktischen“ wieder aufersteht.

Gesunde Ernährung, biologische Gesichtspflege, naturverbundene Haushaltsprodukte, natürliche Süßstoffe und vieles mehr waren Themen Deiner „Hobbythek“-Beiträge. Erinnerst Du Dich noch an eine Sendung, die Dir besonders am Herzen lag?

Nun ja, mit der „Hobbythek“ wollte ich das Leben abbilden, wie es ist und den Menschen sagen, dass sie viel schlauer sind, als sie denken und nicht den Werbeverheißungen der modernen Zeit ausgeliefert sein müssen. Ich bin stolz darauf, dass ich Ende der 80er-Jahre in der ARD zusammen mit Ranga Yogeshwar eine abendfüllende Sendung zum Thema AIDS ausgestrahlt habe. Ich hoffe, es hat mitgeholfen, dass diese schreckliche Krankheit in Deutschland so wenig Fuß gefasst hat. Näheres dazu habe ich ausführlich in meiner Biographie geschrieben.

Auch mit Themen wie Rauchen, Saufen und sonstigen Süchten habe ich mich beschäftigt. Als lustbetonter Mensch verordnete ich mir zwei entscheidende Einschränkungen: Lust nicht auf Kosten anderer und so viel Lust, dass ich langfristig am nächsten Tag auch noch Lust haben konnte.

Verrate uns doch Dein Geheimnis, wie man diese geistige Spritzigkeit und körperliche Fitness, die Dich immer noch auszeichnet, konservieren kann?

Ich bin auf keinen Fall Asket, genieße das Leben und versuche, mich durch Verstand zu überlisten. In meinem „Hobbythek“-Buch „Darm und Po“ habe ich zwei entscheidende Kriterien für das Langzeit-Allgemeinbefinden herausgestellt: 1. Die Gesundheit des Darms und 2. Die Gesundheit der Zähne. Für mich gilt das Prinzip „Wer rastet der rostet“ ohne Ausnahme. Das gilt nicht nur für sportliche Betätigung, sondern auch für das Gehirn. Ein Mensch, der nach seiner Pensionierung sich im wahrsten Sinne des Wortes zurückzieht, der darf sich nicht wundern, dass er zunehmend verfällt, sowohl körperlich als auch geistig. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen, dass man sogar Demenz herauszögern kann, in dem man geistig kreativ und körperlich aktiv bleibt. Körperlich habe ich mich fürs Fahrradfahren entschieden und geistig, in dem ich immer noch viel schreibe. Zum Beispiel arbeite ich im Verbund mit meiner Sekretärin täglich mehrere Stunden an meiner Homepage. Vor allen Dingen aber hält meine junge Familie mich auf Trab. Meinem sechsjährigen Töchterchen habe ich versprochen, sie tanzend auf dem Abiturball zu begleiten, sofern sie Lust auf höhere Schulbildung hat. Mein fünf Jahre älterer Freund und ich haben verabredet, uns in zwanzig Jahren am Kölner Dom zu treffen.

Dein ältester Sohn Jörn (59) ist Professor in Straßburg. Deine Tochter gerade mal sechs Jahre alt. Ihr lebt zusammen mit Pina und Eurem Sohn Jean Adrian auf Deinem Landhaus „Pützerosa“ in Heiligenhaus, idyllisch im Grünen gelegen mit Blick auf Düsseldorf und bis Essen. Auch in Köln bist Du ständig zu sehen. Wofür schlägt nun Dein Herz mehr?

Zunächst einmal für Remich an der Luxemburger Mosel, meine Heimat als Jugendlicher. Dann für Köln, die Stadt meiner Pubertät, wo ich groß geworden bin und die auch heute noch mein Büro beheimatet. Ich bin `ne kölsche Luxemburger.

Du bist schon einige Jahre Mitglied der Düsseldorfer Jonges. Was gefällt Dir an Düsseldorf?

Na ja, ich plädiere inständig dafür, dass die Kölner mit den Düsseldorfern Frieden schließen. Als man mir die Tischgemeinschaft „Kinn Ziet“ schmackhaft machte, konnte ich nicht widerstehen. Ich bin glücklich, solche Tischfreunde zu haben, mit denen man intelligent diskutieren kann, die mir Düsseldorf auch dem Gefühl nach näher gebracht haben. Baas Josef Nagel ist wahrhaftig unser Alphatier. Er ist der einzige, dem ich mich in meinem langen Leben unterwerfe – aus lauter Spaß an der Freud. Wir treffen uns einmal im Monat, das ist für mich stets ein Highlight. Du kannst es nachvollziehen, da Du ja auch Mitglied von „Kinn Ziet“ bist.

An der Tatsache, dass die Düsseldorfer Jonges mich als Kölner aufgenommen haben, spricht für ihre große Toleranz, wenngleich sie mich in einem Brief darauf aufmerksam machten, ich dürfe mich in Köln niemals mehr schlecht über Düsseldorf äußern. Daran habe ich mich gehalten und sehe keine Veranlassung, mich in Zukunft nicht daran zu halten. Seit Düsseldorf 2017 Ausgangspunkt der Tour de France war, ist Düsseldorf für mich kein Dorf mehr, sondern ich nenne sie „Düsselstadt“.


Kurzvita

Jean PützJean Pütz wurde geboren am 21. September 1936 in Remich/Luxemburg. Nach seiner Ausbildung als Elektromechaniker besuchte er die Staatliche Nikolaus-Otto-Ingenieurschule in Köln, an der er das Studium der Nachrichtentechnik abschloss. Auf dem zweiten Bildungsweg holte er das Abitur nach und studierte Physik und Mathematik für das Lehramt. Parallel zum Studium und Referendarzeit studierte Pütz noch Soziologie und Volkswirtschaft. Von 1970 bis 2001 war Pütz festangestellter Redakteur beim WDR Köln, bei dem er die neu gegründete Redaktion Naturwissenschaft und Technik aufbaute und 30 Jahre leitete. Sie wurde eine der erfolgreichsten Redaktionsgruppen im WDR-Fernsehen mit Serien wie „Einführung in die Elektronik“, „Digitaltechnik“, „Die Welt des Schalls“, „Die Welt des Fernsehens“ mit über einer Million verkaufter gleichnamiger Begleitbücher. Pütz ist Vater der legendären Sendereihe „Hobbythek“, die über 30 Jahre lang mit circa 350 Themen monatlich in allen 3. Programmen ausgestrahlt wurde. Auch Sendereihen wie die „Wissenschaftsshow“, das Umweltmagazin „Dschungel“, „Bilder aus der Wissenschaft“, „Globus“ und viele Einzelsendungen im ARD-Programm sind unter seiner Ägide entstanden. Nach Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wurde Jean Pütz 2004 vom WDR im Rahmen einer Gala verabschiedet. Seit 2005 arbeitete er als freier Mitarbeiter beim Magazin „Volle Kanne“ (ZDF) und bei weiteren TV-Sendern mit. Seit 2007 tourt Pütz live mit seiner „Pützmunter-Show“, einer Art naturwissenschaftlichem Kabarett, durchs In- und Ausland. Für seine journalistische Tätigkeit erhielt er zahlreiche Preise. Als Autor hat er in den letzten 30 Jahren rund 60 Bücher veröffentlicht. Er ist Mitglied in verschiedenen Kuratorien, unter anderem der „Junge Presse NRW e.V.“ und der „WPK“, dem Verband der unabhängigen Wissenschaftspublizisten, den er mitgegründet hatte und dessen langjähriger Vorsitzender er war.


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