21. November 2017In 2017/4

In São Paulo geboren … in Düsseldorf zu Hause


von Hernani Soares de Silva

Die Herausforderung, in einem fremden Land zu leben, war schon immer ein präsentes Thema in meiner Familie. Seit 10 Jahren verheiratet, Eltern eines liebenswerten fünfjährigen Jungen, ist das jetzt das zweite Mal, dass wir außerhalb Brasiliens leben.

Das erste Mal war 2008 mit 28 Jahren, als ich für eine große Amerikanische Bank arbeitete. Den Wunsch nach einem Auslandsaufenthalt habe ich meinen Arbeitgebern gegenüber immer kommuniziert, da es in meinen Augen eine große kulturelle Bereicherung wäre. Und ich sah es als Chance, mich auf die Herausforderung einer globalen Zukunft vorzubereiten, der ich im Laufe meiner Karriere begegnen würde. Als dann endlich die Möglichkeit kam, erkannte ich trotz umfangreicher Lektüre und großer Lust, dass es keine einfache Entscheidung werden würde. Der Weg würde mich nach Schweden (Stockholm) führen, wohin die Bank zu expandieren plante. Wie würde ich mich in einem so fremden Land anpassen, vor allem dem Wetter, dem strengen Winter und den damit verbundenen Veränderungen?

Mit der Familie einen Umzug in ein fremdes Land zu organisieren, ist nie eine leichte Aufgabe. Auch wenn sowohl das professionelle wie das persönliche Leben dadurch bereichert werden, gibt es dennoch Fragen, die diskutiert werden müssen, unter anderem die Beschäftigung des Ehepartners zum Beispiel. Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch keine Kinder, was uns die Entscheidung leichter machte, jedoch nicht weniger anspruchsvoll. Nach unendlichen Recherchen über alle möglichen Themen entschieden wir uns, die Herausforderung gemeinsam anzugehen und verließen Brasilien bereits 45 Tage nach der Bestätigung des Vertrages. Und wir trafen die richtige Entscheidung.

Es war eine extrem bereichernde Zeit, tolle Erfahrung und Möglichkeit, eine ganz andere Wirtschaft kennen zu lernen, die so beständig und vorhersehbar mit Veränderungen umgeht. Schweden ist auf einem komplett anderen Niveau – verglichen mit den Problemen, der Struktur und der Wirtschaft meines Landes. Meine Frau hatte nach 6 Monaten eine Stelle gefunden. Ein Vorteil, nach Schweden gezogen zu sein, war der Lernprozess, uns in einem neuen Land einzuleben. Das hat uns als frisch verheiratetes Paar sehr viel nähergebracht. Wir reisten, lernten viele neue Orte kennen, genossenen den schwedischen Winter (in Brasilien beträgt die jährliche Durchschnittstemperatur 23°C) und bewunderten Schwedens natürliche und architektonische Schönheit.

Mit der schweren Wirtschaftskrise Ende 2008/09 mussten leider so manche Zukunftsvisionen überdacht werden. Ein Jahr nach unserer Ankunft entschied sich die Bank, ihre Anteile in Schweden zu verkaufen und somit änderte sich wieder alles. Wir zogen zurück nach Brasilien und führten unsere Karrieren dort weiter. Aber wir hatten viel mitgenommen aus einer wichtigen Zeit unseres Lebens und waren uns sicher, dass wir weitere Erfahrungen in Europa sammeln wollten. So redeten wir oft über die Möglichkeit, für einen längeren Zeitraum zurückzukehren.

Mitte 2016 kam die erhoffte Möglichkeit. Diesmal wurde meine Frau eingeladen, eine Position im Management ihres deutschen Arbeitgebers aus der chemischen Industrie mit Sitz in Krefeld anzutreten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die deutsche Kultur für sie nichts Neues war, da sie deutsche Vorfahren hat und auch immer bei deutschen Unternehmen in Brasilien gearbeitet hat. Zudem lebte sie bereits während ihrer Jugend hier, weil ihr Vater aufgrund seiner Tätigkeit in der Automobilbranche zum Hauptsitz seines Arbeitgebers nach Süddeutschland geschickt wurde. Dies machte es uns deutlich leichter, und es war anders als beim ersten internationalen Umzug. Jetzt kannte zumindest einer von uns die Sprache und Kultur des Landes. Aber es kam ein neuer Aspekt hinzu: Wir hatten inzwischen ein Kind. Monatelang überlegten wir. Pro & Contra, Auswirkungen auf die Karriere, Familie, Freundschaften wurden detailliert besprochen. Verschiedene Szenarien haben wir analysiert. Am Ende gab es jedoch 4 ausschlaggebende Faktoren für unsere Entscheidung: Lebensqualität, Sicherheit, neue professionelle und persönliche Herausforderungen und vor allem die wirtschaftliche Situation Brasiliens.

Die brasilianische Wirtschaft machte gerade eine schwere Krise durch, die dazu noch starke Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate hatte. Erste Anzeichen für diese Krise gab es bereits Ende 2014. Sie wurde von einer politischen Krise begleitet und verstärkt, was in Demonstrationen gegen den Staat überall im Land mündete. Dilma Rousseff, damalige Präsidentin, wurde Ende 2016 durch ein Amtsenthebungsverfahren entlassen und ihr Vizepräsident, Michel Temmer, übernahm die Regierung. Eine der Charakteristika dieser Krise war die starke wirtschaftliche Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt ging in zwei aufeinander folgenden Jahren drastisch zurück. Die Wirtschaft schrumpfte um 3,8% in 2015 und um 3,6% in 2016. Die Arbeitslosenrate erreichte im März 2017 ihren Höhepunkt mit 13,6%, was mehr als 14 Millionen Arbeitslosen entspricht. Es war wirklich an der Zeit, neue Herausforderungen zu 

Im November 2016 besuchten wir Düsseldorf und die Region in Begleitung einer Beratung zum ersten Mal. Falls es noch irgendwelche Bedenken gab, waren diese nach 8 Tagen, in denen wir die Stadt kennenlernten, verschwunden. Wir waren von der Architektur und der internationalen Atmosphäre begeistert. Die Entscheidung für Düsseldorf war endgültig getroffen.

Seit April 2017 leben wir nun in Meerbusch. Das ist zwar nur 7 Monate her, die waren allerdings sehr intensiv und brachten viel Neues mit sich. Jede Reise mit dem Zug oder dem Bus zeigt uns weitere Aspekte dieser wunderschönen Region. Ein Restaurantbesuch, ein typisches Gericht, ein Gespräch im Café (die zahlreich und sehr gut sind), ein Spaziergang im Park, ein Besuch im Museum, ein Fußballspiel – all das ist neu und Teil spannender Erlebnisse, die uns als Individuen in Deutschland wachsen lassen.

Allerdings werden die Herausforderungen in so kurzer Zeit immer größer. Angefangen bei der Sprache (bei der selbst Einheimische den Schwierigkeitsgrad hoch einschätzen), dem Einkauf im Supermarkt (weil die ja nicht rund um die Uhr geöffnet haben, wie in Brasilien) bis hin zur Notwenigkeit, die Führerscheinprüfung noch einmal abzulegen (es ist schon 20 Jahre her, dass ich meinen in Brasilien gemacht habe). Wir akzeptieren aber, dass dies ein Teil der Integration in die Gesellschaft ist. Wir sind glücklich, fühlen uns sehr gut aufgenommen und wohl mit den Beziehungen, die wir in dieser Zeit bereits aufgebaut haben.   

Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass diese herzliche Aufnahme uns positiv überrascht hat, da wir aufgrund unserer vorangegangenen Recherche wirklich etwas anderes erwartet hatten. Wir wollten aber gerne mitten unter den Deutschen leben, ihre Kultur und Bräuche teilen. So war es die richtige Entscheidung, und wir haben nun viele Kollegen, die uns jederzeit ihre Hilfe anbieten. Außerdem lernen wir andere Werte kennen, die verschieden zu denen unseres Landes sind.

Deswegen der Geheimtipp: Leben um zu lernen!

Nach dieser Maxime lebend haben wir uns auch für einen deutschen Kindergarten entschieden und gegen einen internationalen, dessen Curriculum und Pädagogik wir aus Brasilien gewohnt wären. Auch dies erweist sich jeden Tag als eine sehr gute Entscheidung. Unser Sohn wurde wunderbar aufgenommen und integriert sich bestens in der Schule und der Kultur. Wir haben neue Freundschaften gefunden. Das hilft gegen die Sehnsucht nach unseren Freunden und der Familie, die wir in Brasilien zurückgelassen haben. Die deutsche Leidenschaft für den Fußball hat uns ebenfalls überrascht. Wir Brasilianer werden mit Liebe zum vererbten Team geboren und weltweit als ein Volk gesehen, das diese Sportart vielleicht am meisten verehrt. Jedoch merken wir hier keinen großen Unterschied. Ich habe viele Spiele besucht, und die deutsche Leidenschaft ähnelt sehr der brasilianischen, jedoch werde ich in diesem Bericht sicherlich keinen Kommentar zum 7:1 bei der WM 2014 geben…

Nach 7 Monaten fällt unser Fazit also sehr positiv aus: Wir passen uns weiterhin an und suchen nach neuen Herausforderungen. Wir sind uns jederzeit sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und wir sind bereit, den Winter in der Region von Düsseldorf zu erleben – aber natürlich nicht ohne den brasilianischen Sommer doch ein bisschen zu vermissen…


Kurzvita

Hernani Soares da SilvaHernani Soares de Silva wurde geboren 1980 in Sao Paulo, Brasilien. Akademische Ausbildung an der Universität Mackenzie in Business Management. 2013 MBA in Business Strategy an der FIA (Fundacao Instituto de Administracao) Universität, 2014 Spezialisierungskurs in Business Strategy an der La Verne Universität, Californien, USA. Arbeitet seit über 14 Jahren im Finanzsektor für verschiedene Firmen, wie z.B. Citigroup sowohl in Lateinamerika als auch in Skandinavien. Lebt seit April dieses Jahres mit Familie in Düsseldorf. Seine Frau, die Head of Customer Service für Europa in der Chemieindustrie ist, hat einen Expatriat-Vertrag in Krefeld. Nachdem der ganze Umzug erledigt ist und Aufenthaltsgenehmigung sowie Arbeitserlaubnis vorliegen, ist es soweit, neue Herausforderungen im Finanz-und Risk Management zu suchen.


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