20. November 2018In 2018/4

„Caritative Projekte sind unser Kerngeschäft“

Interview mit Andreas Rademachers, Kapitelmitglied und Archivar der Großballei Deutschland, Kurator der Deutschen-Lazarus-Stiftung


von Dr. Susanne Altweger

Interview mit Andreas Rademachers, Kapitelmitglied und Archivar der Großballei Deutschland, Kurator der Deutschen-Lazarus-Stiftung

Herr Rademachers, Sie sind jung, stehen mitten im Berufsleben und haben sich entschlossen, einem Orden beizutreten, der viel persönliches Engagement verlangt. Ist das eher ungewöhnlich? 

Keineswegs. Von unserer Generation wird im Arbeitsleben hohe räumliche Flexibilität erwartet. Da ist es natürlich nicht so einfach, sich regional zu engagieren. Als ich 2010 um Aufnahme bat, gehörte ich eindeutig zu den Jüngsten. Grundsätzlich teilen wir das Problem, das wohl alle Vereine haben, in denen eher die älteren Personen in der Überzahl sind. Doch wir haben, was die Verjüngung betrifft, gute Fortschritte gemacht.

Was hat Sie persönlich am Lazarus Orden interessiert?

Das waren verschiedene Auslöser. Durch eine wissenschaftliche Arbeit bin ich auf die seit dem Mittelalter bis heute bestehenden Ritterorden gestoßen. Persönlich war ich auf der Suche, meinen Glauben aktiv zu leben. Die ökumenische Ausrichtung gefiel mir, auch dass jedes Mitglied selbst mitanpackt. Ich fühlte mich sofort angenommen, nicht gebremst, die Gemeinschaft erlaubt auch, eine persönliche Note einzubringen.

Das erstaunt mich, denn es herrscht doch eine straffe Hierarchie mit dem Adel an der Spitze.

Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir kein Adelsverein mehr. Allerdings ist speziell in Frankreich und Spanien die Adelsquote recht hoch. Nach der Verfassung des Ordens muss der Großmeister aus einer regierenden oder ehemals regierenden Familie kommen. Aber generell halten wir es mit Wilhelm II, der vom Adel der Gesinnung statt dem von Geburt sprach. Die Philosophie ist, aus dem christlichen Glauben heraus zu helfen. Das ist unser Wertefundament. Den einzelnen Regionalgruppen wird viel Handlungsfreiheit gegeben. Es gibt aktuell 43 nationale Gliederungen, Mitglieder unterschiedlicher Sprachen und Konfessionen. All die kulturellen Prägungen müssen zusammengeführt werden, und das ist eben die Rolle des Großmeisters Francisco de Borbón, Graf von Hardenberg, der übrigens mit 39 in das Amt gewählt wurde.

Das ist ein großer Name. Könnten Sie uns einen kurzen Abriss der Geschichte des Ordens geben?

Die Gründung fiel in die Zeit nach dem ersten Kreuzzug in Jerusalem im 12. Jahrhundert. Der Orden errichtete ein Haus für Leprakranke, die Ausgestoßenen der damaligen Gesellschaft. Unter den Infizierten waren auch viele Kreuzritter, und man wollte den Kranken weiter ein selbstständiges Leben ermöglichen ohne Verlust der gesellschaftlichen Stellung. Nach dem Ende der Kreuzfahrerstaaten wurde der Sitz nach Boigny in Frankreich verlegt, und man war bis zum Ende der Monarchie fest mit der französischen Krone verbunden. Seit 1841 verwaltet sich der Orden selbst unter dem Protektorat des melkitisch-griechisch-katholischen Patriarchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste er auch wieder außerhalb Frankreichs Fuß und öffnete sich in den 1960er-Jahren allen Konfessionen.

Kann bei Ihnen jeder Mitglied werden oder ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion Grundbedingung? 

Aufnahmekriterien sind Volljährigkeit und Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion, egal ob katholisch, evangelisch, orthodox oder koptisch. Wir erwarten allerdings aktive Teilnahme am Glaubensleben. Die finale Einladung, Mitglied zu werden, liegt aber weiterhin offiziell beim Orden. 

Für größere Ereignisse (Ordenstreffen, Fronleichnamsprozession) treten die Mitglieder in vollem Ornat auf, die Aufnahmezeremonie ist ebenfalls ein Ritual. Läuft man da nicht Gefahr, die falschen Leute anzuziehen? 

Die Gefahr besteht natürlich und deshalb legen wir Wert darauf, mögliche Kandidaten intensiv kennenzulernen. Die Rituale, wie Sie es nennen, aber auch der Ordensmantel und die Insignien, sind ja kein Showelement, wir veranstalten keine Ritterspiele. Im Zentrum der Aufnahme steht ein ökumenischer Gottesdienst. Mitglied zu werden, das ist ein Versprechen und eine Verpflichtung in letzter Instanz Gott gegenüber. Wir wollen keine Mitglieder, die sich bei irgendwelchen Bällen mit Orden und Insignien schmücken wollen. Bei der Investitur weisen wir darauf hin, dass dieses Kreuz, das überreicht wird, der einzige Schmuck ist, den wir vor Gott tragen. Es ist kein dekoratives Element, sondern symbolisiert das Versprechen. Man wird in eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern aufgenommen und das schafft sicherlich auch ein Gefühl großer Zusammengehörigkeit. Der Ordensmantel symbolisiert die Gleichheit aller Mitglieder. Man kann sich in einer Sache auch mal auseinandersetzen, selbst über Einzelheiten streiten, aber immer ist die gemeinsame Basis vorhanden. Nicht Rituale, sondern die karitative und diakonische Arbeit aus gelebtem Glauben heraus stehen im Mittelpunkt.

Wie viele Mitglieder zählt der Orden zurzeit?

In Deutschland tragen insgesamt rund 200 Personen den Mantel mit dem grünen Kreuz, weltweit sind um die 6.000 Frauen und Männer.

Trotz aller Tradition: Sind Sie im modernen Medien-Zeitalter angekommen? Wie sieht es mit der Präsenz im Netz und in den sozialen Medien aus? Sind sie bei Facebook?

Ja, das sind wir. Und in Kürze geht unsere neue moderne Website ans Netz. Man darf ja auch Gutes tun und darüber reden.

Welche aktuellen Projekte unterstützen Sie derzeit?

Karitative Projekte sind sozusagen unser Kerngeschäft. Gerade haben wir eine Schule im libanesischen Ryak für 115.000 Dollar erweitert und saniert, in der in erster Linie Kinder von Flüchlingsfamilien unterrichtet werden. Es ist das Anliegen des früheren melkitischen Patriarchen Gregorius, Infrastrukturen sicherzustellen, die es den Menschen ermöglichen, in der Region zu bleiben. Zuvor haben wir dem multireligiösen geriatrischen St. Louis-Hospital in Jerusalem geholfen, übrigens zusammen mit den Rittern vom Heiligen Grab, und – das war unser Anteil – eine neue Großküche bauen lassen. Aktuell steht ein behindertengerechter Zugang zum Erfurter Dom auf der Agenda. Dauerprojekte liegen auch in der Leprahilfe, zum Beispiel die Unterstützung einer Lepra-Klinik im indischen Bhubaneswar, womit wir ein Stück weit auf den alten Pfaden wandeln. Die rheinische Ordensprovinz (Kommende) arbeitet zudem mit dem Netzwerk Mensch im Kloster Langwaden in Grevenbroich zusammen und unterstützt zukünftig den Verein „Neuss hilft Burundi“. Es gibt viele große und kleine Projekte, die wir auch häufig zusammen mit starken Partnern, wie dem Hilfswerk Deutscher Zahnärzte und der Deutschen Lazarus-Stiftung, umsetzen. 

Spendenkonto Lazarus e.V.
IBAN DE42 3706 0193 6005 0510 19
Pax Bank (BIC GENODED1PAX).

Kurzvita

Andreas RademachersDr. Andreas Rademachers 2006-2011: Studium Geschichte, Germanistik und Staatsrecht Universitäten Bonn und Wien. Promotionsstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung. 2017: Promotion zum Dr. phil. („Absolution und Neubeginn. Katholische Kirche und Bewältigung der NS- und Kriegsvergangenheit“). 2012-2016: Büroleiter und Pers. Referent im Landtag NRW, seit 2016 Parlaments- und Regierungsbeziehungen bei der Amprion GmbH. 2009-2014: Mitglied des Kreistages des Kreises Heinsberg. Seit 2011 Mitglied des Ordens, 2016 Archivar und Herold der Großballei Deutschland, Mitglied des Kapitels (Vorstands), 2012: Mitglied des Kuratoriums der Deutschen-Lazarus-Stiftung, 2016: Mitglied des Direktoriums der Internationalen Historischen Akademie des Ordens.


Ähnliche Beiträge