„Im Spiel ist man frei“
Interview mit der Schauspielerin Alexandra von Schwerin
von Dr. Susan Tuchel
Sie wurden in Stuttgart geboren, wuchsen aber in Vorarlberg in Österreich auf. Eine Kindheit wie im Bilderbuch?
Ja, auf jeden Fall. Wir waren eine ganz klassische 60er Jahre-Familie mit Vater, Mutter, zwei Kindern, einem Opel und einem Häuschen im Grünen. Keiner aus unserer Familie hatte etwas mit Kunst im Sinn. Mein Vater arbeitete als Manager für Bayer Leverkusen in Dornbirn. Meine Mutter war Hausfrau, hielt als Schwäbin das Geld zusammen und lehrte uns Kinder Bescheidenheit.
Dabei stammen Sie aus einem deutschen Adelsgeschlecht, dessen Stammbaum sich immerhin bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen lässt.
Ja, es gibt aktuell noch an die 300 Schweriner, die sich alle zwei Jahre treffen. Die Pflege der Tradition hat allerdings mein Bruder übernommen. Ich war schon als Jugendliche eher eine Revoluzzerin und wusste auch erst überhaupt nicht, was ich werden wollte. Dann habe ich ein Semester auf Hawaii studiert und dort eine Theateraufführung gesehen, die am Rande eines Kraters stattfand. Das hat mich fasziniert, und mir gefiel die geschützte Atmosphäre in dem Theaterraum so gut, dass ich beschloss, Theaterwissenschaften zu studieren. Zurück in Österreich entschied ich mich, nach Berlin zu gehen. Berlin war schon damals sehr hipp und so packte ich meinen Rucksack und trampte dorthin. Was ich nicht wusste: In Berlin gab es für Theaterwissenschaften einen Numerus Clausus von 1,6. Ich fing an, mich politisch zu engagieren und war zeit-weise in der Hausbesetzerszene aktiv.
Wie sind Sie dann zur Hochschule der Künste in Berlin gekommen?
Über einige Umwege und eine Zufallsbekanntschaft. In New York hatte ich in einer russischen Kneipe einen Amerikaner kennengelernt, der in einer deutschen Theatergruppe spielte. Klingt verrückt, war aber wirklich so. Den habe ich dann in Berlin angerufen, und er hat sich mit mir getroffen. Dann bin ich ein Jahr mit seiner Theatergruppe unterwegs gewesen, so als Mädchen für alles. Als dann eine Schauspielerin ausfiel, sprang ich ein und fühlte mich von der ersten Minute an wohl auf der Bühne. Ich lernte in meinem Umfeld immer mehr Schauspieler kennen, die sich für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule der Künste in Berlin vorbereiteten. Ich habe mit ihnen Stücke geprobt und Monologe eingeübt und mich dann auch be-worben. Von den 800 Bewerbern wurden elf genommen und ich war dabei.
Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Aufführungen?
Da taucht vor meinem geistigen Auge sofort die Rolle der Cordelia in „King Lear“ auf. In dieser Shakespeare-Inszenierung von Robert Wilson am Schauspielhaus Frankfurt spielte Marianne Hoppe den König Lear und Christoph Waltz und Richie Müller waren die beiden Söhne von Gloster.
Zur Karriere auf der Bühne kam dann die Fernsehkarriere. Aktuell sind Sie in der Serie „Professor T“ mit Matthias Matschke im ZDF zu sehen, außerdem in der ARD-Serie „Phönix-See“ und in „Helen Dorn“. Was macht für Sie den Unterschied zwischen Bühne und Film aus? Was reizt Sie mehr?
Es hat beides seinen Reiz, aber es sind auch zwei Paar Stiefel. Die Kamera sieht in den Kopf hinein, auf der Bühne arbeitet man stärker mit veräußerlichten Mitteln, da müssen Sie auch schon mal „draufdrücken“. Aber auch die Bühne wird heute psychologischer, gleicht sich in Vielem dem Film an.
Bis zum 17. November stehen Sie in Düsseldorf mit Jochen Busse, Hugo Egon Balder, René Heinersdorff und Katarina Schmidt auf der Bühne, übrigens zum 25-jährigen Jubiläum des Theaters an der Kö. Sie sind eine der beiden starken Frauen, die in „Komplexe Väter“ für Ordnung im emotionalen Chaos sorgen. Ist das Neuland für Sie?
Ja, es ist mein erstes „klassisches“ Boulevardstück. 2018 habe ich in einem Zwei-Personenstück mit Mathieu Carrière in der Komödie im Bayerischen Hof in München gespielt. Da hat mich René Heinersdorff gesehen, mich ein paar Tage später angerufen und mir eine Rolle in seiner Komödie „Komplexe Väter“ angeboten, und ich habe angenommen. Und seitdem touren wir mit dem Stück durch Deutschland. Die Premiere war in Hamburg, dann waren wir am Berliner Schillertheater und in Köln am Theater am Dom. Wir haben vor ausverkauften Häusern gespielt. Das Stück funktioniert und die Leute haben Spaß daran. „Komplexe Väter“ ist richtig gutes Boulevardtheater und René hat mir viel beigebracht.
Was denn genau?
Dass man im Boulevard viel offensiver auf das Publikum zugehen muss. Das ist schauspielerisch schon sehr interessant und war für mich eine ganz neue Dimension des Spielens.
Sie arbeiten das erste Mal hier in Düsseldorf. Was mögen Sie als Wahl-Kölnerin an Düsseldorf?
Ich gehe hier sehr gerne japanisch essen, und mein Partner und ich besuchen regelmäßig das K21, da er Künstler ist. Wir kennen uns aus dem Studium, haben einen 22-jährigen Sohn, der in Dortmund Fotografie studiert. Weil wir beide aus der Hausbesetzerszene kommen und immer noch eine „Kreuzberger Denke“ haben, blieb es bei der Partnerschaft ohne Trauschein, bei Urlauben im Defender mit Dachzelt und Blick in den Sternenhimmel.
Sie sind seit 16 Jahren freiberufliche Schauspielerin und haben 2006 eine Schauspielschule für Kinder und Jugendliche in Köln gegründet. Sie geben dort Workshops, haben aktuell Engagements in Stuttgart am Staatstheater, wo Sie in „100 Songs“ von Roland Schimmelpfennig mitspielen, stehen bis November hier in Düsseldorf auf der Bühne und zwischendurch immer wieder vor der Kamera. Woher nehmen Sie die Kraft und Energie?
Ich finde meinen Beruf nie anstrengend und sehr abwechslungsreich. Auf der Bühne oder vor der Kamera zu stehen ist für mich wie Urlaub, weshalb ich wohl auch schon länger keinen mehr gemacht habe. Auch wenn es in der Freiberuflichkeit Aufs und Abs gibt, genieße ich meine Freiheit sehr. Die Schauspielschule habe ich aus Leidenschaft gegründet. Es ist einfach phantastisch zu sehen, wie gefestigt und selbstbewusst die Kinder sind, wenn sie einen Schauspielkursus besucht haben. Sie nehmen eine Menge mit für ihren Lebensweg, denn auf der Bühne zu stehen und zu spielen macht frei. Ich sehe das Spiel auf der Bühne als ein Gegengewicht zu den Ängsten, die vor allem Heranwachsende umtreiben. Einige Kinder und Jugendliche bereiten wir in der Sprachschule „juniorhouse“ auf Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen vor, und einige unserer ehemaligen Schüler haben mittlerweile Engagements an Theatern in Kiel, Kaiserslautern und Mainz. Das ist eine schöne Bestätigung meiner Arbeit und bringt mich auch in meinem Spiel und damit auch in meinem Leben weiter.
Kurzvita
Alexandra von Schwerin wurde 1962 geboren. Sie hat an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Stationen am Burgtheater in Wien, dem Schauspiel in Frankfurt, dem Schauspiel in Bonn, dem Staatstheater in Darmstadt sowie Engagements an der Oper in Brüssel, der Opéra National in Lyon und der Opéra du Rhin in Straßburg folgten. Die gebürtige Stuttgarterin wirkte in vielen Film- und Fernsehproduktionen mit, darunter in Serien wie R.I.S. – Die Sprache der Toten, SOKO Wismar und Köln, Notruf Hafenkante, Der Staatsanwalt, Danni Lowinski, aber auch in Fernsehfilmen wie „Der Stich des Skorpions“ mit Jörg Schüttauf, Martina Gedeck und Matthias Brandt. Für ihre schauspielerische Leistung erhielt sie Film-, Fernseh- und Comedypreise. 2015 gewann von Schwerin sowohl die Goldene Kamera in der Kategorie „Bester Fernsehfilm“ als auch den Grimme-Preis für den Tatort Wiesbaden „Im Schmerz geboren“. Die Wahl-Kölnerin gründete 2006 „juniorhouse“, eine Schauspielschule für Kinder, Jugendliche und junge Nachwuchsschüler. Vom 11. September bis zum 17. November steht sie in „Komplexe Väter“ im Theater an der Kö auf der Bühne, einer Komödie von und mit René Heinersdorff.
Fotos: Alexander Vejnovic, Schauspielerportraits
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