20. Februar 2019In 2019/1

„Seit dem Herbst zählen wir im K21 steigende Besucherzahlen“

Interview mit Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen


von Konstanze Petersmann

Seit rund eineinhalb Jahren sind Sie Direktorin der Kunstsammlung NRW. Es ist unübersehbar, dass sich an Ihrem Haus, dem K20 wie dem K21, sehr viel verändert hat. Von Anfang an haben Sie betont, die regionale und die internationale Kunst zugleich im Blick zu haben. Wie kann das geschehen? 

Natürlich kann und darf man den genius loci der Kunststadt Düsseldorf nicht übersehen, das war mir von Anfang an klar. Aber das ist an so einem Ort wie Düsseldorf überhaupt kein Widerspruch zu unserem internationalen Anspruch, schließlich genießen viele der hier lebenden Künstlerinnen und Künstler ein internationales Ansehen. Unser erstes Signal an die hiesige „Szene“: Reinhard Muchas monumentales „Deutschlandgerät“ als Zentralwerk im K21 haben wir im Spätsommer gründlich technisch restauriert. In der kostenfrei zugänglichen ersten Etage des K21 kann das wichtige Archiv der Galerie Fischer digitalisiert gelesen werden, gleich daneben lädt übrigens der Salon21 zum entspannten Aufenthalt. Neben der Galerie Fischer, deren Sammlung und Archiv im Besitz unseres Hauses sind, zählt der legendäre Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela zu den bedeutenden Persönlichkeiten, zu den ganz wichtigen Kunstvermittlern am Rhein von europäischem Rang. Ihm haben wir zum 100. Geburtstag gerade eine erfreulich gut besuchte kleine Ausstellung in seiner damaligen Galerie gewidmet, die als Schmela-Haus heute dritter Standort der Kunstsammlung NRW ist. Zu sehen waren Kunstwerke und Dokumente, mit denen wir an Schmelas Aktivitäten von ZERO und Pop Art bis Beuys erinnert haben. Sein 1971 eröffnetes Galeriegebäude steht als Bauwerk des wichtigen niederländischen Architekten Aldo van Eyck übrigens heute unter Denkmalschutz. Schließlich haben wir mit der Staatlichen Kunstakademie, der direkten Nachbarin unseres K20, etwas sehr Spannendes vereinbart: Künftig werden wir jährlich die Werke der Absolventinnen und Absolventen der Akademie aus dem jeweiligen Vorjahr im Ständehaus vorstellen. Erstmals hat sich am 8. Februar der Premieren-Vorhang im K21 für 60 junge Künstlerinnen und Künstler gehoben, die uns mit der Qualität ihrer Gemälde, Videos, Skulpturen, Performances oder Fotografien überzeugt haben. Natürlich haben wir nicht die Absicht, damit dem sehr beliebten Akademie-Rundgang Konkurrenz zu machen.

Hatten Sie schon die Möglichkeit, diesen Ansatz von regional/international auch in Ihrer Ankaufspolitik umzusetzen? 

Ja, das ist uns gelungen. Unser Blickwinkel bei den rund 20 Ankäufen im vergangenen Jahr war ebenso global wie regional, aber immer auf die internationale Bedeutung der Künstlerinnen und Künstler gerichtet. Zwei Künstler regionaler Herkunft und von internationaler Anerkennung, die beide bisher im Bestand der Landesgalerie gefehlt haben, sind Blinky Palermo und Ulrich Erben: Palermos plastische Wandarbeit aus einem schwarzen und einem verspiegelten Dreieck von 1973 ist dem Jazz-Pionier Thelonious Monk gewidmet. Die beiden abstrakten Gemälde Erbens „Festlegung des Unbegrenzten“ (2015/2018) erscheinen mit ihrem Hell-Dunkel-Verlauf der fein nuancierten Farbflächen wie Ausblicke in die Unendlichkeit.

Einige andere Erwerbungen sind im Zusammenhang mit unserem Forschungs- und Ausstellungsprojekt „museum global“ zu sehen, das uns gezeigt hat, was an Kunst der Moderne in der nichteuropäischen Welt entstanden ist. Hierzu zählt bei der Klassischen Moderne der Ankauf eines Gemäldes von Hassan El-Telmisani (1923-1987), der zu den wichtigsten Vertretern des Surrealismus in Ägypten gehört hat. Zur mittleren Generation der Moderne zählen die Abstraktionen der heute 94-jährigen libanesischen Malerin Etel Adnan. Auf Sonderausstellungen des Museums im K21 und K20 geht der Erwerb einer Installation der indischen Künstlergruppe Raqs Media Collective ebenso zurück wie der Ankauf des Videos „The Horror Show File“ (2010) von Wael Shawky. Ebenso konnten wir Werke des in Paris und Algier lebende Installationskünstlers und Documenta-Teilnehmers Kader Attia und der 1972 in der Ost-Türkei geborenen Künstlerin Nevin Aladağ erwerben.

Stichwort „museum global“: Die Ausstellung geht ja Mitte März zu Ende. Was ist zu sehen und welche Folgen wird das ungewöhnliche Projekt für die Kunstsammlung haben?

Nach etwa drei Jahren Vorbereitung, Recherchen und Forschung in Südamerika, Afrika und Asien durch unser Kuratorinnen-Team haben wir im November die Ausstellung „museum global“ eröffnet. Unsere ganz und gar auf den westlichen Kunstkanon festgelegte Sammlung mit bedeutenden Gemälden der Klassischen Moderne gibt hierzu eine sehr gute Folie ab. Was geschah woanders, als Matisse, Picasso oder Kandinsky ihre großen Werke schufen? Natürlich mussten wir uns auf einzelne Aspekte des weltweiten Geschehens konzentrieren: Wir haben uns auf Werke unter anderem aus Brasilien, Westafrika oder Japan beschränkt. Besonders spannend entwickelt sich der Dialog zwischen unseren Werken und den vielen kostbaren Leihgaben internationaler Sammlungen.

Diese Ausstellung ist für die Kunstsammlung ein wichtiger Schritt und soll bei uns allen, dem Museumsteam wie bei den aufmerksamen Besuchern, eine deutliche Änderung gegenüber der Kunst und Kultur der Moderne, eben einen neuen, einen globalen Blick auf dieses Thema bewirken. Nicht zuletzt in der künftigen Sammlungs-Präsentation im K20 wird dies ab Juni an der neuen Hängung ablesbar sein. Hier werden Sie dann auch erstmals einige der neuen Kunstankäufe des vergangenen Jahres sehen.

Begleitet wird die „museum global“-Präsentation von einem noch bis 24. März geöffneten und kostenfrei zugänglichen „Open Space“: Über einen zusätzlichen Eingang haben wir die Grabbe Halle faktisch wie symbolisch zur Stadt hin geöffnet. Hier bieten wir ein breites Programm mit Vorträgen, mit Film, mit Konzerten oder Gesprächen, damit sich unsere Besucherinnen und Besucher auf diese vielschichtige Ausstellung einstimmen können.

Jeder Museumsbesucher und Kunstfreund in Düsseldorf weiß, dass das etwas aus dem direkten Stadtzentrum entrückte K21 Ständehaus schwer als Ausstellungsort zu nutzen ist. Es ist als ehemaliges Parlamentsgebäude zwar architektonisch interessant und bietet unter der Glaskuppel Saracenos spektakuläre Netzinstallation; es ist aber eben trotz Umbau kein typisches Museumsgebäude. Beobachte ich richtig, dass hier auch einiges geschehen ist? 

Sie haben Recht! Es braucht mehrere, gut abgestimmte Schritte, um dieses Haus wieder zu beleben, wobei jetzt vor allem die seit den 1980er-Jahren entstandene Sammlung der internationalen Gegenwartskunst dort ihren Platz erhalten hat. Anfang September haben wir nach Umbauten und Neueinrichtung der Räume das „Re-Opening“ gefeiert. Für Wechselausstellungen stehen jetzt das weitläufige Untergeschoss und die Bel Etage über dem Haupteingang mit drei Sälen zur Verfügung. Seit Oktober war die chinesische Künstlerin Cao Fei zu Gast, die mit ihren spannenden multimedialen Arbeiten aktuelle Themen des globalen Kapitalismus‘ sowie das Leben in den Metropolen vorgestellt und damit „contemporary China“ zu uns nach Düsseldorf gebracht hat. Gleich zur Wiedereröffnung des K21 startete in der Bel Etage die amerikanische Künstlerin mit dem geheimnisvollen Pseudonym Lutz Bacher ihre Ausstellung. Nicht nur ein jüngeres Publikum konnten wir mit diesem Programm begeistern. Den Feuilletons von FAZ und Süddeutscher Zeitung war Lutz Bacher in Düsseldorf ein Aufmacher wert. Die regionale Westdeutsche Zeitung feierte die unkonventionelle Künstlerin, die für ihre Werke gern Fragmente der Populärkultur verwendet, sogar als New Yorker „Punk-Lady“, die mit ihren politisch-kritischen Werken das K21 belebt hat.

Kostenfrei zugängliche Räume der ersten Etage des K21 beherbergen jetzt den „Salon21“ als Lounge so wie das von uns – zusammen mit der Sammlung der Galerie Fischer – erworbene Archiv dieser bedeutenden Düsseldorfer Kunstgalerie. Mit Original-Dokumenten von den 1960er-Jahren bis heute können sich unsere Besucher in die Aktivitäten der Galerie vertiefen, die besonders während der 1970er-Jahre zur internationalen Durchsetzung von Konzept- und Minimalart wesentlich beigetragen hat! Ganz wichtig ist mir auch, dass jetzt wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Teams ihre Büros im Ständehaus haben. Nicht zuletzt zählen wir seit dem Herbst im K21 steigende Besucherzahlen. Mit all dem wird deutlich: Das K21 lebt!


Kurzvita

Susanne GaensheimerProf. Dr. Susanne Gaensheimer: Die 1967 in München geborene Kunsthistorikerin absolvierte von 1995 bis 1996 das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art in New York. 1998 wurde sie mit einer Dissertation über Bruce Nauman promoviert. Von 1999 bis 2001 war sie Direktorin des Westfälischen Kunstvereins in Münster. Von 2001 bis 2008 leitete sie die Sammlung für Internationale Kunst nach 1945 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und kuratierte eine Vielzahl von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.

Ab Januar 2009 war sie Direktorin des MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, wo sie das Ausstellungs- und Sammlungsprogramm konsequent um eine globale Perspektive erweiterte. 2014 gelang es ihr, das Museum um die Dependance MMK 2 im TaunusTurm zu erweitern. 

Gaensheimer ist seit dem 01.09.2017 Direktorin der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Hier begann sie ihr Programm mit der bisher größten Präsentation des Werks der kubanisch-amerikanischen Künstlerin Carmen Herrera und einer Einzelausstellung der zypriotischen Künstlerin und Choreografin Maria Hassabi. 

Gaensheimer ist Honorarprofessorin am Kunsthistorischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt. Sie brachte ihre Expertise in zahlreiche Kommissionen und Jurys ein, darunter die Turner Prize-Jury sowie die Findungskommissionen für die KuratorInnen der 7. und 8. Berlin Biennale sowie der documenta 14. Sie hat eine Vielzahl von Monografien und Ausstellungskatalogen herausgegeben. Gaensheimer hat zwei Mal den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig kuratiert. 2011 erhielt sie für die posthume Präsentation der „Kirche der Angst“ von Christoph Schlingensief den Goldenen Löwen, die höchste Auszeichnung der Biennale. 2013 tauschte sie mit Frankreich den Pavillon und präsentierte Werke von Romuald Karmakar, Santu Mofokeng, Dayanita Singh und Ai Weiwei.


Ähnliche Beiträge