9. September 2020In 2020/2

„Satire soll ja nicht Wirklichkeit einfach nur beschreiben, sie muss sich positionieren“

Interview mit Jacques Tilly, Bildhauer, Kommunikationsdesigner und Karnevalswagenbau-Künstler


von Barbara Schmitz

Welche Aufgabe hat Satire heute im Gegensatz zu früheren Zeiten?

Wie zu allen Zeiten hat die Satire auch heute die Aufgabe, gesellschaftliche oder politische Fehlentwicklungen, Skandale und jede Form des Machtmissbrauchs humorvoll aufzuspießen. Satire stärkt das Immunsystem einer jeden Gesellschaft für die Abwehr totalitärer und autoritärer Bestrebungen. Doch in den letzten Jahren hat es hier eine Verschiebung um 180 Grad gegeben. In den 80er Jahren, als ich mit dem Wagenbau begonnen habe, stand der meist linksliberal positionierte Satiriker natürlich gegen den Staat und seine Repräsentanten. Man war gegen Franz-Josef Strauß, Bundeskanzler Helmuth Kohl, gegen Atomkraft und Nachrüstung. Man rief zum Ungehorsam gegenüber diesem „System“ auf und sympathisierte mit den damals vorherrschenden Alternativbewegungen. Doch die Lage ist heute völlig anders. Rechtsextreme Verschwörungsidioten, PEGIDA, eine AfD, die Nazis in ihren Reihen duldet und fördert, irre Reichsbürger und andere Wirrköpfe bilden heute eine aggressive Gegenkultur gegen den Staat, seine Repräsentanten und die liberalen Medien. Wutbürger greifen gegenüber Polizeibeamten, Feuerwehr und Sanitätern zu körperlicher Gewalt. Da muss sich die Satire vor diesen Staat stellen und vielleicht auch mal – entgegen all ihrer eigenen Traditionen – zum Gehorsam aufrufen.

Wirst du deshalb so von rechts angefeindet?

Ich werde als „Systemling“, als „Systemhure“ beschimpft. Mit meiner Satire würde ich „Systempropaganda“ betreiben, so meinen die Kritiker vom rechten Rand. Seitdem ich den Rechtspopulismus – ein Begriff, der den aktuellen Extremismus geradezu verharmlost – satirisch auf die Schippe nehme, bin ich jedenfalls regelmäßig nach Rosenmontag einem rechten Shitstorm ausgesetzt, bis hin zu Morddrohungen. Aber das gehört zu meiner Arbeit. Je stärker die aufjaulen, desto sicherer bin ich mir, dass ich zielgenau getroffen habe. Und bei meinen früheren Wagen, die die Schattenseiten des Islam zum Thema hatten, waren wiederum viele Linke empört und haben reflexartig „Rassismus“ gerufen. Wie man sieht, kommt jeder mal dran.

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Welche Werte leiten dich?

Als Narr bin ich parteipolitisch neutral, wie die blinde Justitia. Jede Strömung bekommt bei mir einen drüber, niemand wird bevorzugt, indem er verschont wird. Und ich bin Wechselwähler, ich habe schon bei fast allen demokratischen Parteien mein Kreuzchen gemacht. Aber natürlich muss mich bei meiner Arbeit ein Wertekanon leiten, der mir hilft, bestimmte politische Entwicklungen oder Ereignisse richtig zu bewerten. Satire soll ja nicht Wirklichkeit einfach nur beschreiben, sie muss sich positionieren und muss bisweilen eine polemisch zugespitzte Anklage darstellen. Dazu muss man natürlich wissen, wo oben und unten ist. Ich habe meinen Kompass an den Werten der Aufklärung und eines säkularen Humanismus geeicht, an Freiheit, Gleichberechtigung und einer universell gültigen Menschenrechtsidee. Im Zentrum steht für mich das freie Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen – auch und gerade, was die Religion betrifft. Hier hat so manche Religionsgemeinschaft noch einen recht ansehnlichen Entwicklungsbedarf. Vor allem in Bezug auf Kinder und deren Rechte.

Bist du für diese Haltung von Amnesty International mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet worden?

In der Tat war ich überrascht, als mir Amnesty International 2017 das „Gelbe Trikot der Menschenrechte“ verlieh. Denn zugegeben, ich riskiere in diesem freiheitlichen Rechtsstaat, in dem ich leben darf, nicht besonders viel. In autoritär geführten Staaten wie Russland und der Türkei, aber auch in fast allen islamischen Staaten riskieren Dissidenten und Kritiker jeglicher Couleur Gefängnis und oft auch weit Schlimmeres. Insofern könnte ich aus dem Stehgreif Dutzende von Personen nennen, die so einen Preis hundertmal mehr verdient haben, als ich. Aber dennoch habe ich mich gefreut, dass gerade Amnesty meine Arbeit auf diese Weise würdigt und positiv bewertet. Eine kompetentere und renommiertere Beurteilungsinstanz in Sachen politischer Ethik gibt es kaum. Mein ganzes Leben habe ich Amnesty für den konsequenten Einsatz für die Menschenrechte, gegen die Folter und die Todesstrafe bewundert.

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Werden alle Wagen zerstört nach Rosenmontag?

Ja, fast alle politischen Wagen überleben den Veilchendienstag nicht. Sie hatten ja ihren Auftritt, wurden millionenfach gesehen und fotografiert, womit sie ihren Lebenszweck erfüllt haben. Doch in letzter Zeit gibt es verstärkt Ausnahmen. Direkt nach Rosenmontag erreichten mich immer wieder Bitten aus verschiedenen Ländern, einige Wagen nicht zu zerstören, sondern noch einmal „vor Ort“, also in den Ländern, auf die sie sich beziehen, fahren zu lassen. So habe ich inzwischen schon vier Wagen nach England „exportiert“, die dann dort von Europafreunden im Kampf gegen den völlig absurden Brexit eingesetzt wurden. Ebenso viele Wagen fuhren durch Polen, um gegen den Demokratieabbau der rechtskonservativen Pis-Regierung zu demonstrieren. Ein Wagen aus Düsseldorf fuhr auch schon durch Prag. Und die politischen Aktivisten sind extrem dankbar für die Schützenhilfe aus Düsseldorf. Denn die Wagen haben auch im Ausland eine sehr starke mediale Durchschlagskraft, denn sie gehen direkt ins emotionale Zentrum des Betrachters. Der Satz, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, ist ja keine leere Floskel.

Du thematisierst mit deinen Mottowagen seit Jahren Trump. Wie kommt deine Arbeit in den USA an?

Ich habe schon Anfang 2016, als Trump noch am Anfang seiner Kandidatur stand, zwei Trumpwagen gebaut, die sehr stark von den amerikanischen Medien aufgegriffen wurden. Das waren die ersten Trumpwagen weltweit, kaum jemand hat ihn damals ernst genommen. Vor allem mein Spruch „Make fascism great again“ wurde dann zigmal in den Headlines amerikanischer Medien zitiert. Das war ein Volltreffer. Und auch in den Folgejahren hat natürlich jeder unserer Rosenmontagszüge harte Anti-Trumpwagen im Angebot gehabt. Vor allem der Wagen, auf dem Trump Miss Liberty vergewaltigt, hat bei den rechten US-Medien Empörung hervorgerufen. Es gab eine Facebook-Gruppe in den USA gegen meine Wagen, mit Abertausenden von Kommentaren. Und ich hatte dann auch 2017 die Gelegenheit, meine Arbeiten in Chicago in einem Kulturhaus auszustellen. Aber die ganz harten Trumpwagen sollte ich dort nicht zeigen. In den USA gilt drastische Polemik als unhöflich, als unkorrekt. Das hat mich ein wenig ernüchtert.

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Aus wie vielen Ländern erhältst du Resonanz?

In den letzten Jahren gab es verstärkt Medienberichte über die Düsseldorfer Wagen in einem Ausmaß, das ich mir nie hätte erträumen können. Allein 2019 habe ich unsere Wagen über 1500 mal in der Weltpresse gefunden, auf allen Kontinenten, in fast 100 Ländern. Im letzten Jahr habe ich einen sehr gemeinen Anti-Salvini-Wagen gebaut, und alle italienischen Medien haben sich auf den Wagen gestürzt. Auch das italienische Staatsfernsehen hat sich für ein Interview bei mir gemeldet. Im Iran wurde ein Wagen rauf- und runtergezeigt, der den saudischen Prinzen Salman mit der blutigen Kettensäge zeigte. Es ist fantastisch und sehr motivierend, dass die Wagen eine solch unglaubliche Reichweite haben. Aber das erhöht natürlich auch den Erwartungsdruck, der steigert sich von Jahr zu Jahr.

Du baust seit 1983 Karnevalswagen, wie hat sich seitdem die Reaktion darauf verändert?

In den 80er und frühen 90er Jahren war der Wagenbau noch eine vergleichsweise müde Sache. Es durften keine wirklich kontroversen Themen aufgegriffen werden. Religion, Krieg oder menschliches Leid waren tabu. Entsprechend eng war mein Freiheitsrahmen. Erst als Zugleiter Hermann Schmitz Mitte der 90er Jahre im Düsseldorfer Karneval ganz neue Leute ans Ruder brachte, wurde die Sache spannend. Plötzlich war viel mehr möglich. Aber damals war die Öffentlichkeit in Sachen subversiver Humor noch nicht sehr weit. Das sei „geschmacklos“ hieß es immer über meine Wagen. Heute ist Geschmacklosigkeit geradezu mein Markenzeichen und wird allgemein akzeptiert, zum Teil begeistert gefeiert. So ändern sich die Zeiten.

Wie stehst du zum CC, wirst du auch schon mal ausgebremst ?

Es ist unglaublich, wie gut die Zusammenarbeit zwischen mir und dem Comitee Düsseldorfer Carneval läuft, und zwar seit Jahrzehnten. Noch nie bin ich eingeschränkt und zensiert worden, im Gegenteil. Die Wagenentwürfe waren den hohen Herren und Damen vielfach nicht hart genug, oft genug musste ich deshalb nacharbeiten und radikalere Ideen abliefern. Ich bin wirklich sehr dankbar für diese paradiesischen Arbeitsbedingungen, die es so wirklich nur in Düsseldorf gibt. Von den Wagenbaukünstlern aus den anderen Narrenhochburgen höre ich oft ganz anderes. Diese Freiheit und das Vertrauen, das das CC mir und meinem Team schenkt, motiviert uns natürlich ungemein und ist ein ganz wichtiger Grund für den Erfolg unserer Arbeit.

Gerade ist schon das fünfte Buch von dir erschienen, was ist diesmal der Schwerpunkt?

In der Tat ist Anfang Juli das inzwischen fünfte Buch über meine Arbeit erschienen. Während die vorigen Bücher den Schwerpunkt auf der Politik und dem Endergebnis, also den fertigen Wagen und den Reaktionen darauf hatten, geht es diesmal um das „making of“. Darum ist die Hauptperson in diesem Buch mal nicht der werte Herr Tilly, sondern mein Team. Jedes Teammitglied wird vorgestellt und man erfährt sehr viel über den technischen und künstlerischen Entstehungsprozess, gerade der politischen Wagen von 2019 und 2020.

Welches Talent sollte man mitbringen, wenn man zu deinem Team gehören möchte?

Neben einer natürlich notwendigen künstlerischen Begabung sind vor allem zwei Dinge wichtig: Erstens muss man teamfähig sein. Und das fällt gerade Künstlern schwer, die ja immer eine große Ich-Stärke und innere Autonomie aufweisen. Und dann müssen meine Teammitglieder natürlich „kriegstauglich“ sein, das heißt jeder muss auch unter hohem Zeitdruck noch ein enormes Arbeitspensum schaffen, muss also sehr belastbar sein. Da sind schon viele gescheitert.

Wieviel Zeit bleibt euch, um die immer hoch aktuellen politischen Wagen zu bauen?

Wenn am Samstag vor Rosenmontag noch etwas politisch Wichtiges passiert, ist das am Montag im Zoch. Wir brauchen mindestens einen Tag, und dann natürlich die Nacht zu Rosenmontag. Und wie oft hatten wir diesen Fall schon. Manchmal war Rosenmontagmorgen die Farbe noch nicht trocken. Deshalb ist der Düsseldorfer Zoch der aktuellste unter den rheinischen Karnevalsumzügen.

Wie kann Karneval zu Corona-Zeiten überhaupt gefeiert werden?

Wenn ich das wüsste. Ich bin ja kein Hellseher, ich weiß nicht, wie die Corona-Lage im Winter sein wird. Gerade der Sitzungskarneval wird nur mit enormen Einschränkungen funktionieren, falls er überhaupt stattfinden kann. Ich denke, die Karnevalisten sind sich da ihrer Verantwortung bewusst. Die Gesundheit hat immer Vorrang vor allem anderen. Und was den Zoch angeht: Auch hier gibt es verschiedene Ideen, wie man ihn auch in Coronazeiten verantwortungsvoll durchführen kann. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Zoch komplett und damit in jeder auch noch so eingeschränkten und reduzierten Form abgesagt wird. Das würde den Psychohaushalt der Düsseldorfer doch nachhaltig durcheinanderbringen.


Kurzvita

Jacques Tilly, , „Satire soll ja nicht Wirklichkeit einfach nur beschreiben, sie muss sich positionieren“Jacques Tilly ist der bekannteste Karnevalswagenbauer Deutschlands. Seine dreidimensionalen satirischen Großplastiken kommen inzwischen nicht nur im Düsseldorfer Karneval, sondern auch im In- und Ausland zum Einsatz. Jacques Tilly wurde 1963 in Düsseldorf-Oberkassel geboren und besuchte das Oberkasseler Comenius-Gymnasium. Mit 20 Jahren kam er, direkt nach dem Zivildienst 1983, in die Düsseldorfer Wagenbauhalle und baut seitdem Jahr für Jahr die Wagen für den Zoch. Auch ein Kommunikationsdesign-Studium an er Gesamthochschule Essen hat seine Arbeit für das Winterbrauchtum nicht unterbrechen können. Die Professoren drückten beide Augen zu, wenn er im Wintersemester nur sehr sporadisch in der Uni anwesend war – weshalb sein Studium mit neun Jahren außergewöhnlich lange dauerte und erst 1994 zum Abschluss kam. Doch anstatt Karriere in den Werbeagenturen zu machen, bliebt er weiterhin dem Karneval treu. Seit 1998 baut Jacques Tilly neben dem Karneval auch Großplastiken für Messen, Diskotheken, Events, Film und TV. Seine Spezialität sind großformatige, medientaugliche Eye-Catcher, die auch politisch komplexe Themen auf eine einfache und sofort verständliche Bildformel reduzieren. Sein Team ist inzwischen auf gut ein Dutzend Personen angewachsen. Jacques Tilly ist im Beirat der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. Er hat mit seiner Frau Ricarda Hinz zwei Söhne. 2014 war er „Düsseldorfer des Jahres“ im Bereich Kultur, 2016 überreichte ihm der Oberbürgermeister den „Goldenen Ring der Stadt Düsseldorf“, 2017 verlieh ihm Amnesty International einen „Menschenrechtspreis“ und 2019 bekam er die „Auszeichnung für Zivilcourage“ des Heine- Kreises sowie den „Kunstpreis“ der Düsseldorfer Jonges verliehen.

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