„Ich zeichne meine Gespenster weg“
Bert Gerresheim – Bildhauer, Grafiker, Pädagoge und Visionär
Die Ausstellung wird bis Sonntag 25. Juli 2021 verlängert, da das Museum wegen Corona leider geschlossen ist. |
Dieser Künstler ist anders. Ihn interessiert nicht, was die Kuratoren der Biennalen für avanciert halten oder was der Zeitgeist gerade am höchsten handelt. Der Düsseldorfer Bildhauer Bert Gerresheim folgt nur den eigenen Visionen.
Seine Familie – urkundlich seit 1388 hier ansässig – erkannte seine Begabung. So konnte er an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Otto Pankok studieren und neben den Zeichnungen auch schon Skulpturen schaffen. Wichtig war seine persönliche Begegnung mit Gerhard Marcks. In Köln studierte er Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik: Quellen, aus denen sich bis heute sein Werk speist. Zu den fundamentalen Erfahrungen und Prägungen gehören die Aufnahme in den (weltlichen) Franziskanerorden 1974 und, ganz zu Beginn, die Dunkelheit als unmittelbare Gefährdung. Gerresheim hat die nächtlichen Bombenangriffe, die er als Kind erlebte, nicht vergessen. In seiner Kunst ist das vielleicht noch in der Schilderung von Groteskem spürbar, welches bei ihm aber auch im Topos des Narren vorliegt. Dazu sagt er:
„Einen „ruhenden“ Franziskaner gibt es nicht. Franziskaner sind auf den Spuren des Franz von assisi in einer Narrenweltwirklichkeit unterwegs.“
Von seinem Lehrer Otto Pankok lernte Gerresheim, dass Gesehenes, Geschautes oder Visionäres der Objektivierung durch Formgestaltung bedarf. Auch Visionäres hat in der Bildkunst Erscheinungsqualität zu erhalten. Wesentlich erschien ihm Pankoks künstlerische und moralische Integrität. Durch die Erfahrung der surrealistischen Kunstauffassung Bretons und die Begegnungen mit Max Ernst und Hans Arp 1961 driftete er in Richtung Traum, Vision und Phantastik ab, das Vexieren („vexare“ = verzerren) als Aussageform erschien ihm entsprechend. Für Gerresheim ein zeitgenössischer Ansatz, um mit heutigen Sehgewohnheiten und Kenntnissen der Psychoanalyse der Vielseitigkeit einer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Eine gewisse Distanzierung von der Welt Otto Pankoks ergab sich so. Aber seine menschliche Wahrhaftigkeit blieb ihm verpflichtend und aus seinen 10 Künstlergeboten ist das eine ganz wesentlich:
„Du sollst nur Deinen träumen trauen“.
Prägende Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussten seine Arbeit: In den letzten Kriegsjahren vor 1945 war „Maria Kevelaer“ durch eine Gnadenbildkopie im Elternhaus präsent – als Hoffnungsfetzen in hoffnungslos bedrohlicher Zeit. Das Ambiente war abgesteckt: der Vater als Soldat in Russland, der Onkel im KZ, die Familie unter Verdacht, jüdischer Abstammung zu sein und in ständiger Erwartung der häufigen Gestapobesuche. Sobald jemand an der Türe erschien, wurde aus Angst die Gnadenbildkopie durch ein ölstrotzendes Hitlerbildnis zum Schutz der Familiensituation überdeckt. Als später -ab 1986 – Gestaltungsaufgaben aus dem Kevelaerer Ambiente kamen, war das eine beziehungsgeladene Herausforderung, die ihre Antwort auch in dem Endzeitbild „Kevelaerer Apokalypse“, dem Hauptfassadenbild der dortigen Basilika mit seinen 260 Figuren, fand.
Werke von Bert Gerresheim haben oft kontroverse Diskussionen ausgelöst. Einige Skulpturen waren bei der Aufstellung umstritten, weil sie den gängigen Erwartungen und Vorstellungen nicht entsprachen. Bei der Enthüllung des Heine Mahnmals 1981 in Düsseldorf kam es so zu Protesten. Es sollte aber die innere Zerrissenheit Heines symbolisieren und findet noch heute großes Interesse. Kontroverse Diskussionen um ein Werk der bildenden Kunst im öffentlichen Raum können signalisieren, dass das diskutierte Bildwerk nicht den erwarteten angenehmen Design-Effekt bedient, sondern eine formalästhetische und geistig spirituelle Aussage vergegenwärtigt, was immer zu denken gibt. Aber Gestaltungsänderungen oder Reduzierungen der projektierten Bildwerke wurden nie notwendig, weil Gerresheim immer ein offenes Gespräch mit den kritischen Parteien suchte, was hier und da sogar zur Erweiterung des Bildprogramms führte.
So war die „Walhalla-Büste“ Heinrich Heines für die Gedenkstätte Walhalla in Donaustauf (initiiert von König Ludwig I.) eine besondere Herausforderung, weil in diesem Walhalla-Ambiente vieler hervorragender Arbeiten bedeutender Bildhauer und in der Erwartung einer harmoniegezielten Formsprache ein Heineporträt, das die Leidenserfahrung des Dichters in seiner Matratzengruft thematisiert, einen schmerzlich störenden Ton anschlägt, eine subversive Störung und Verletzung der Walhalla Heilsatmosphäre darstellt.
Im Düsseldorfer Stadtbild gibt es von Bert Gerresheim rund 30 kleinere oder größere Plastiken, stets hintergründig gestaltet. Sie stehen auf Straßen und Plätzen. Als die Düsseldorfer Jonges zum Beispiel der Stadt eine Nepomuk-Statue für die Oberkasseler Brücke schenkten und Gerresheim mit dem Werk beauftragten, gab er dem Standbild das Gesicht des vom Geheimdienst Polens ermordeten Paters Jerzy Popiełuszko. Am Fuß des Nepomuk ist der Name Hilarius Gilges eingelassen: ein dunkelhäutiger Düsseldorfer, den die Nazis im Rassenwahn erschlugen – Opfer politischen Terrors genau wie der polnische Priester.
Die größten seiner Arbeiten sind das Heinedenkmal am Schwanenmarkt, das Kolbe-Kreuz an der Fassade der Rochuskirche (Jesus trägt am Arm die KZ-Nummer des in Auschwitz ermordeten Franziskanerpaters Maximilian Kolbe) und das gewaltige Stadterhebungsmonument am Burgplatz mit seinen 500 Einzelteilen. Das jüngste Werk ist ein Denkmal für Johanna Ey, die „Mutter“ der Künstler der Moderne in Düsseldorf am Beginn des 20. Jahrhunderts. Da er Mutter Ey 1947 noch persönlich begegnen konnte, war die Arbeit an diesem Bildwerk Erinnerung an Gestern und zugleich Dank an eine wunderbare Frau.
In Anerkennung seiner Verdienste um die Stadt und ihre Bürgerschaft überreichte Oberbürgermeister Thomas Geisel am 8. Oktober 2018 Bert Gerresheim den Jan-Wellem-Ring. Dieser wird an höchstens zehn lebende Personen verliehen. Das Stadtmuseum würdigt den Meister jetzt zum 85. Geburtstag mit einer sehenswerten Ausstellung: Die ganze Bandbreite seines Schaffens einschließlich einer großformatigen Darstellung „Leben und Tod“, einem Bild aus jungen Jahren, wird noch bis zum 3. Januar 2021 gezeigt.
In diesem Jahr sind auch zwei Bildbände neu erschienen:
ISBN 978-3-87448-526-5, 142 Seiten, Großformat, B. Kühlen Verlag, Mönchengladbach ISBN 978-3-87448-529-6, 32 Seiten, Großformat, B. Kühlen Verlag, Mönchengladbach
© Fotos: Barbara Schmitz
© Titelfoto: Evelin Theisen
© Fotos Buchcover: B. Kühlen Verlag, Mönchengladbach
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