17. Februar 2020In 2020/1

„Wer grüne Politik will, muss einen grünen Oberbürgermeister wählen“

Interview mit Stefan Engstfeld, Mitglied des Landtags NRW, Bündnis 90/Die Grünen


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind mit kurzer Unterbrechung seit nahezu 10 Jahren für Bündnis 90/Die Grünen im NRW-Landtag. Wie sind Sie zur Politik gekommen? 

Über mein Engagement in der Schülervertretung und der evangelischen Kirche war ich schon früh an politischen Zusammenhängen interessiert. Mich haben dann neben persönlichen Erfahrungen auch politische Ereignisse grundlegend geprägt: Waldsterben, saurer Regen, Rheinverschmutzung, der Irak-Krieg und der Atomunfall in Tschernobyl. Besonders prägend war sicher die friedliche Revolution 1989, mit der die Menschen in der DDR die Maueröffnung 1989 ermöglicht haben. Aber auch mein Zivildienst als Pfleger in der Uni Klinik Düsseldorf hat mich nachhaltig beeindruckt. Grundlegende Antworten auf die Fragen, warum wir unsere Umwelt und unsere freiheitliche Gesellschaft schützen müssen, finde ich bei den Grünen. 

Nun wollen Sie Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf werden. Eine Mitgliederversammlung Ihrer Partei hat Sie mit knapp 96 Prozent zum OB-Kandidaten gewählt. Wie ist es Ihnen gelungen, den Kreisverband vollständig hinter sich zu versammeln? 

Ich freue mich sehr über dieses breite Votum, das Rückenwind für einen tollen Wahlkampf gibt. Der Kreisverband wollte einen Kandidaten, der gestaltet, politische Änderungen in den Bereichen Klima, Verkehr, Wohnen und sozialer Zusammenhalt weiter vorantreibt, der Menschen mitnimmt und sie begeistern kann. Es freut mich, dieser Kandidat zu sein. 

Bündnis 90/Die Grünen haben es geschafft, den Kampf für konsequenten Klimaschutz ganz vorne auf die Tagesordnung zu setzen. in diesem Zusammenhang setzen Sie sich für eine „echte“ Verkehrswende ein, die bisherigen Maßnahmen halten Sie nicht für ausreichend und kritisieren die dritte Umweltspur. Müssen wir mit weiteren Verboten und schmerzhaften Veränderungen rechnen? Keine Autos in der Innenstadt oder doch zumindest Tempo 30 und hohe Parkgebühren, kein Silvesterfeuerwerk? 

Wir Grüne streiten seit 40 Jahren für konsequenten Klimaschutz, auch schon, als man uns dafür noch ausgelacht hat. Das Thema ist nun stärker auf der politischen Agenda, weil immer mehr, vor allem junge Menschen, uns alle daran erinnern, dass wir keine Zeit mehr haben, noch abzuwarten. Wir müssen endlich konsequent handeln, um nichts weniger als unsere Zukunft zu sichern. 

Dabei hilft es, wenn man zunächst über Angebote, statt Verbote nachdenkt. Nehmen wir das Beispiel Verkehr: Politik hat die Aufgabe, klimafreundliche Alternativen zum eigenen Auto zu schaffen. Der Öffentliche Nahverkehr zum Beispiel muss so attraktiv sein, dass die Menschen gerne und kostengünstig umsteigen und ihn auch mit anderen Verkehrsmitteln einfach kombinieren können. Dafür will ich sorgen. Ich bin mir sicher, dass viele Düsseldorferinnen und Düsseldorfer die Vision einer Stadt wie Kopenhagen teilen. Mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrerinnen und Radfahrer, mehr Grün, gesündere Luft und weniger Lärm sind Ziele, die Düsseldorf noch lebenswerter machen. 

Und warum nicht mit Gastronomen, Wirten und dem Riesenrad-Betreiber Bruch zum Beispiel über ein zentrales Laserfeuerwerk oder eine LED-Drohnenlightshow zu Silvester nachdenken, um so eine Alternative zum in der Altstadt bereits verbotenen Feuerwerk zu schaffen? 

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird auch in Düsseldorf heftig beklagt. Je nach politischem Standpunkt werden staatliche Regelungen oder ökonomische Anreize vorgeschlagen. Sehen Sie Chancen, die Unterversorgung mittelfristig zu beseitigen? 

Wohnen ist die zentrale Gerechtigkeitsfrage unserer Zeit. Wir brauchen neue Ideen, um den Verdrängungswettbewerb und Grundstücksspekulationen wirkungsvoll zu begegnen. Und damit muss auch das ausspielen von Interessen oder angeblichen Gegensätzen ein Ende haben: Bezahlbarer und energetisch sanierter Wohnraum darf ebenso wenig ein Gegensatz sein, wie zum Beispiel sozialer Wohnraum und Künstlerateliers. 

Ihre Partei gestaltet schon jetzt das politische Geschehen in Düsseldorf in der sogenannten Ampel aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Ihre Partei hat die bisherige Zusammenarbeit positiv bilanziert, es gibt offenbar viel Übereinstimmung. Im Wahlkampf wird aber wohl das trennende im Vordergrund stehen? Was trennt die Partner der Ampel? Sehen Sie sich als echte Alternative zum derzeitigen Amtsinhaber? 

Was den Politikstil angeht sind die Unterschiede zum Amtsinhaber wohl unübersehbar: Ich stehe für Respekt vor der anderen Meinung und dafür, scheinbare Gegensätze zu einer neuen Lösung zu kombinieren. alle inhaltlichen Unterschiede zu ihm aufzuzählen würde den Rahmen des Interviews sicher sprengen. Aber klar ist: Ich stehe für eine echte Verkehrswende, die Verbindung von Ökologie und bezahlbarem Wohnraum, sowie für die Einheit von Wirtschaft und Umwelt. 

Und wir haben unser grünes Herz nicht erst nach der Europawahl entdeckt, als klar war, dass damit Wahlen gewonnen werden können. Für uns ist Klimaschutz keine Frage der Macht eines einzelnen. Für uns ist Klimaschutz eines Existenzfrage für uns alle. Wir kämpfen seit Jahrzehnten für konsequenten Umwelt- und Klimaschutz. Wer grüne Politik will, muss einen grünen Oberbürgermeister wählen. 

Wie sehen Sie Düsseldorf in der Zukunft? Was sollen die prioritäten in den nächsten Jahren sein? 

Es geht darum, Düsseldorf zukunftsfest und zu einer nachhaltigen Stadt zu machen, in der wir nicht auf Kosten Anderer leben. Der Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlage und ist doch schon längst in unserer Stadt angekommen. Man muss sich nur mal unseren Wald anschauen oder sich an den letzten Sommer mit dem heißesten Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und das Niedrigwasser im Rhein erinnern. Wir stehen vor einem Verkehrskollaps, der auch durch das jahrzehntelange Bauen für Autos statt für Menschen resultiert. Und wenn wir nicht gegensteuern, driftet die Gesellschaft weiter auseinander. 

Wenn auch Ihre Partei bei der Europawahl mit 29,2 Prozent die meisten Stimmen erhalten hat, wird sie wohl kaum bei der Kommunalwahl die absolute Mehrheit erreichen. Käme für Sie neben der Fortsetzung der Ampel auch eine Zusammenarbeit mit der CDU in Betracht, wenn dieses Zweierbündnis die Mehrheit im Rat der Stadt Düsseldorf hätte? Im Bund wird Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz nicht mehr ausgeschlossen. 

Gerade die Ereignisse zuletzt in Thüringen haben gezeigt: eine Zusammenarbeit kann es nur mit Parteien geben, die eine klare Abgrenzung zur AfD und zu nationalistischen Gedankengut haben. Wir erwarten, dass alle demokratischen Parteien vor der Wahl einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit rechten Parteien eine Absage erteilen. Ansonsten müssen die Wahlprogramme und auch mögliche Verhandlungen nach der Kommunalwahl zeigen, mit welchen demokratischen Kräften es die meisten Gemeinsamkeiten gibt. Mir ist es wichtig, dass alle demokratischen Parteien untereinander gesprächsbereit und kompromissbereit sind. Es geht um unser Düsseldorf und unsere Demokratie. 

In der Politik, auch in der Kommune, müssen bei unterschiedlichen Auffassungen Kompromisse geschlossen werden, sie sind unverzichtbar. Fällt es Ihnen schwer, Auffassungen zu akzeptieren und dann nach außen zu vertreten, die Sie eigentlich ablehnen? Man muss sich als Oberbürgermeister wohl auch gelegentlich über die Parteilinie hinwegsetzen. 

Ich stehe für ein Miteinander statt Gegeneinander. ich möchte Brücken bauen und Partizipation an politischen Entscheidungen ermöglichen. Zeit nehmen. Zuhören. Zusammen anpacken. Das ist mein Politikstil, für den ich antrete. Dazu gehört, den so gefundenen Kompromiss dann auch mit allem Herzblut und Engagement umzusetzen. 

Gegenwärtig gibt es bereits fünf Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters in Düsseldorf. Das gab es bisher noch nicht. Wen hätten Sie am liebsten in der Stichwahl? 

Mich selbst (lacht). schließlich will ich erster grüner Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf werden. Aber im Ernst: Dass es derzeit vier Kandidaten aus dem demokratischen Spektrum gibt, ist doch gut. Die Düsseldorferinnen und Düsseldorfer haben nun die Wahl zwischen völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten mit verschiedenen Positionen und Politikstilen. 

In Ihrer bisherigen politischen Karriere haben Sie sich mit Europapolitik, Bundesangelegenheiten und Strukturpolitik beschäftigt, nur am Rande mit Kommunalfragen und Kommunalverwaltung. Wie werden Sie dem Angriff des politischen Mitbewerbers begegnen, Sie seien deshalb nicht ausreichend für das Amt eines Oberbürgermeisters vorbereitet? 

Mir fallen mindestens zwei Amtsinhaber aus Düsseldorf ein, die trotz Karrieren bei einem großen Konzern oder in der Kommunalpolitik, sowie in einem Fall sogar mehreren Uniabschlüssen gezeigt haben, dass sie es trotzdem nicht können. Die Spitze der Stadt muss vor allem gestalten. Dafür braucht es einen Oberbürgermeister, der die Menschen mitnimmt und sie begeistern kann und der die politische Erfahrung besitzt, um auch schwierige politische Weichenstellungen fair aber ebenso effizient angehen zu können. 

Wer die richtigen Lösungen finden will, sollte nicht im Alleingang vorschnelle Antworten rausposaunen, sondern die richtigen Fragen stellen, um dann zusammen mit Expertinnen und Experten, Akteurinnen und Akteuren, Bürgerinnen und Bürger und auch den Fachleuten aus der Verwaltung Lösungen zu finden und für diese zu werben. Düsseldorf ist unsere Heimat, die wir lieben, und so müssen wir sie auch behandeln und regieren. Dazu braucht ein guter Oberbürgermeister neben gesundem Menschenverstand und Respekt vor allem politische Erfahrung, Geduld, Empathie und Herz. Das bringe ich mit. 

Haben Sie nicht doch ein wenig Herzklopfen und gehörigen Respekt, wenn Sie an die komplexe Aufgabe denken, die Landeshauptstadt Düsseldorf mit über 10.000 Beschäftigten zu führen? 

Wer vor einer solchen Aufgabe keinen Respekt hat, ist fehl am Platz. Aber ich bin sicher: Mit einer motivierten Verwaltung und einer engagierten Stadtgesellschaft wie wir sie in Düsseldorf haben, kann man gemeinsam viel erreichen. Darum denke ich nicht nur mit Respekt, sondern mit Freude an diese Aufgabe. 

Bleibt ihnen Zeit für Hobbies, aus denen Sie Kraft schöpfen können? Sie sind in Düsseldorf schon jetzt sehr präsent und schaffen es zum Beispiel, an einem Tag drei karnevalistischen Sitzungen zu besuchen. Mit hoher Vitalität sind Sie offenbar gesegnet. 

Danke! Tatsächlich sind das Brauchtum, ebenso wie zum Beispiel die Fortuna und die Düsseldorfer eG, Hobbies, bei denen ich abschalten kann und Kraft schöpfe – und zwar nicht erst seitdem ich OB-Kandidat bin. im Urlaub tauche ich gerne mal ab. In den Tiefen des Meeres begreift man, wie klein wir Menschen auf diesem Planeten, der zu 71 Prozent aus Wasserflächen besteht, eigentlich sind. Das erdet ungemein. 


Kurzvita

Stefan Engstfeld

Stefan Engstfeld wurde 1970 in Duisburg geboren. Abitur in Ratingen-Lintorf und Zivildienst in den Universitätskliniken Düsseldorf, Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg in Essen. Mitarbeiter der Landtags- und Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Engstfeld wurde 2010 in den Landtag NRW gewählt, dem er bis heute mit kurzer Unterbrechung angehört, von 2012 bis 2017 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Er ist Sprecher für Rechtspolitik und Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuss. Daneben ist er Mitglied der Landesanstalt für Medien, Aufsichtsratsmitglied von NRW.INVEST, Vorstandsmitglied des paritätischen Wohlfahrtsverbandes Düsseldorf und Mitglied in zahlreichen Beiräten und Vereinen zwischen Brauchtum und Sport. Er ist verheiratet mit Kerstin Jäckel-Engstfeld, der ehemaligen Leiterin des Amtes für Kommunikation der Landeshauptstadt Düsseldorf und lebt in Düsseldorf. 

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