17. Juli 2022In 2022/2

„Die Kulturlandschaft ist international“

Interview mit Miriam Koch, Beigeordnete für Kultur und Integration Stadt Düsseldorf

von Dr. Susan Tuchel


Wie kommt man dazu wissenschaftliches Bibliothekswesen zu studieren und dann doch in die Politik zu gehen?

Eigentlich hatte ich mein Studium mit den Fächern Politik und Geschichte begonnen. Aber dann bin ich in ein Streiksemester geraten gegen die Einführung von Studiengebühren. Und bei einer Veranstaltung trat jemand von der Fachschaft Bibliothekswesen auf die Bühne, und das Berufsbild erschien mir auf einmal irgendwie klarer und zielorientierter. Ich habe das Studium mit Diplom durchgezogen und war ein Jahr lang Abteilungsleiterin Deutsche Forschungsberichte an der Universitätsbibliothek in Hannover. Aber eigentlich wusste ich vom ersten Tag an, das ist es nicht. Rückblickend hätte ich besser weiter Politik und Geschichte studiert.

Dafür sind Sie Politikerin – das werden nur wenige, die das Fach studiert haben. Warum wurden Sie eine Grüne?

Das Kernkraftwerk Grohnde war nicht weit weg von Hameln, wo ich aufgewachsen bin. Bis zum Atomkraftwerk sind es zehn Kilometer. Bei der Demonstration im März 1977, die als „Schlacht um Grohnde“ mit 15.000 Demonstranten und vielen Verletzten in die Protestgeschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung einging, war ich zu jung. Aber bei der großen Friedensdemo in Bonn 1983 war ich dabei und stand in der Menschenkette. Grün war ich schon immer, und ich habe auch immer grün gewählt.

Und dort haben Sie dann auch schnell Karriere gemacht.

Ganz so schnell ging es nicht. Ich habe mir eine Familienauszeit genommen, habe zwei Töchter bekommen, die ich aktuell um ihre Studienzeit in Berlin und Hamburg ein bisschen beneide, und war ehrenamtlich in der Politik tätig. Dann habe ich mich in der Landtagsfraktion in Hannover um eine Stelle bei den Grünen beim Fraktionsvorsitzenden beworben und bekommen. Relativ schnell war ich dann Büroleiterin und habe als Referentin für Stefan Wenzel gearbeitet, der später niedersächsischer Umweltminister wurde und seit 2021 Mitglied des Bundestags ist. Obwohl er nur vier Jahre älter ist als ich, war er mein Mentor und Chef und hatte eine richtig gute Pressestelle.

Das heißt, Sie können auch selber Pressemitteilungen verfassen?

Ja, gar kein Problem. Mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kenne ich mich aus. Als ich 2010 nach Düsseldorf gekommen bin, habe ich mich um die Stelle als Fraktionsgeschäftsführerin der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen beworben. Dort hätte ich eigentlich auch eine Pressemitteilung schreiben sollen, aber weil das Bewerbungsgespräch so gut lief, haben sie das glatt vergessen.

Was zog Sie nach Düsseldorf?

Wie sagt man so schön: Ich kam der Liebe wegen hierher. Zunächst habe ich auch nur in Düsseldorf gearbeitet, gewohnt habe ich in Neuss-Selikum. 2016 bin ich dann zusammen mit meiner jüngeren Tochter nach Düsseldorf-Bilk gezogen. Ich wohne sehr gerne hier.

Und wo gehen Sie am liebsten hin?

Das ist schwer zu beantworten, weil es so viele schöne Orte und so viele tolle Gastronomien gibt. Ich finde die Stadtstrände super und mein aktuelles Lieblingsrestaurant an der Rheinuferstraße ist das Robert mit dem Punkt hinter dem Namen. Aber auch die Bar im KIT besuche ich sehr gerne, wenn ich mir dort die Ausstellungen ansehe. Das ist ja das Schöne an meinem neuen Amt, dass ich als Beigeordnete für Kultur und Migration so viel mit Kunst machen „darf“.

Sie sind die Chefin von wie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

In meinem Dezernat arbeiten im Bereich Kultur circa 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im Bereich Migration und Integration rund 550.

Müssen Sie da wegen der Ukraine-Krise gerade wieder aufstocken und wie hoch sind die Budgets, die Sie zur Verfügung haben?

Der aktuelle Haushalt sieht für das Kulturamt und die großen Häuser 175 Millionen Euro vor, dem Amt für Integration stehen 125 Millionen zur Verfügung. Und in der Tat mussten wir auch mit einer Aufstockung der Mitarbeiter auf den Krieg in der Ukraine reagieren, um den Menschen schnell zu helfen.

Mit Flüchtlingswellen haben Sie viel Erfahrung. 2015 haben sie Ihnen ein Amt beschert, das es vorher noch nicht gab. Sie wurden die erste Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf. Wie beurteilen Sie diese Zeit im Rückblick? Was lief gut, was weniger gut?

2015 war es tatsächlich ein Sprung ins kalte Wasser für mich, als Thomas Geisel mich fragte, ob ich das machen wolle. Mein erster Auftrag damals war, die Hotelunterbringungen zu beenden. Rückblickend würde ich sagen, wir haben kaum Fehler gemacht, wobei ich heute sagen würde, nie wieder Traglufthallen und auch keine Sommerzelte mehr für Geflüchtete. Seit 2015 hat sich für uns alle viel verändert. Für viele Düsseldorfer Bürger und auch für viele Angestellte der Stadt wurde Flucht erstmals erlebbar. Wir haben Menschen in Empfang genommen, die Wochen und zum Teil Monate unterwegs waren. Ein Mann war querschnittsgelähmt, den hatten die anderen die ganze Zeit getragen.

Und wie war die Situation, als am 24. Februar der Krieg in der Ukraine ausbrach?

Wir waren vor dem Krieg gut ausgelastet. Und die Zahlen von heute haben nichts mit den Zahlen von 2015 zu tun. 2015 ging es nicht so schnell. Der Zustrom war gesteuerter, und es war damals sehr schnell klar, dass die Menschen nicht mehr zurück in ihre Heimat können. Bei den ukrainischen Geflüchteten ist die Situation eine ganz andere. Sie haben direkt eine Aufenthaltserlaubnis und eine Arbeitserlaubnis. Die meisten wollen wieder zurück. Wir haben die Geflüchteten zuerst in Hotels und in Messehallen untergebracht. Das ist auf Dauer keine gute Lösung. Deswegen versuchen wir jetzt in Richtung Selbstversorgungseinheiten zu gehen und würden gerne ein Objekt kaufen.

Als ehemalige Leiterin des Amtes für Migration und Integration waren Sie nah dran am Schicksal vieler Menschen.

Definitiv. Wir sprechen immerhin von 160.000 Menschen ohne deutschen Pass und über 1.400 Obdachlose in der Stadt. Wir waren vorher auf einem guten Weg, uns um angemessene Unterkünfte für Obdachlose und Asylsuchende zu kümmern. Dann kam der Krieg und seitdem sind wir nur noch mit operativen Dingen beschäftigt.

Warum heißt das Dezernat, das Sie leiten, jetzt plötzlich Kultur und Integration? Haben Sie die Integration miteingeschleust? 

Nein, es ging darum, inhaltlich den nächsten Schritt zu machen, weil es bei Integration auch immer darum geht, die kulturelle Identität auszuhandeln. Die 160.000 Menschen ohne deutschen Pass kommen als Publikum im kulturellen Programm der Stadt noch nicht überall ausreichend vor. In Hamburg z.B. gibt es Theateraufführungen mit Obertiteln. Die Kulturlandschaft ist international. Wir sollten mehr an internationalen Veranstaltungen teilnehmen und den kulturellen Austausch mit unseren Städtepartnerschaften pflegen. 

Was steht auf Ihrer Agenda außer dem neuen Opernstandort?

Über einen Mangel an Baustellen kann ich nicht klagen. Neben der Oper steht das Fotoinstitut auf der Agenda, ein neuer Standort für die VHS, die Erweiterung des Tanzhauses NRW, der Umzug des Jungen Schauspiels ins Central und wir selber ziehen mit dem Dezernatsbüro vom Zollhof auf den Burgplatz.

Beim Thema Migration macht Ihnen so schnell keiner etwas vor, aber wie sieht es in der Kultur aus?

Natürlich kenne ich sämtliche Amts- und Institutsleitungen. Ich werde bei allen einen Arbeitstag verbringen, um die Häuser von oben bis unten kennenzulernen. Im Heinrich-Heine-Institut war ich schon. Und worauf ich mich auch schon sehr freue, ist, am 11. Juni den Kunstpreis der Künstler der Kunstausstellung „DIE GROSSE“ an die Düsseldorfer Malerin Norika Nienstedt im Kunstpalast zu überreichen. Der Kunstpalast war übrigens der allererste Kunstraum, den ich damals noch als Hamelnerin besucht habe. Bis heute gehören der Kunstpalast und der Ehrenhof zu meinen Lieblingsorten. 


Kurzvita

Miriam Koch scaled, , "Die Kulturlandschaft ist international"Miriam Koch wurde in Hameln geboren. Studiert hat sie wissenschaftliches Bibliothekswesen an der Fachhochschule Hannover. 2001 trat sie bei Bündnis 90/Die Grünen ein. 2004 wurde sie Büroleiterin des Fraktionsvorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag. 2010 kam sie nach Düsseldorf und war bis 2015 Fraktionsgeschäftsführerin der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. 2014 kandidierte sie als Oberbürgermeisterin. 2015 ernannte die Stadt sie zur ersten Flüchtlingsbeauftragten. 2018 wurde sie Leiterin des Amtes für Migration und Integration. Nach ihrer Wahl durch den Stadtrat und mit Amtseid am 2. Mai dieses Jahres startete ihre erste Arbeitswoche als neue Beigeordnete für Kultur und Integration. Miriam Koch lebt in Bilk.


© Fotos: Alexander Vejnovic

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