16. November 2022In 2022/3

„Arzt sein heißt da sein“

Interview mit Dr. Tobias Steinke, Chefarzt für Gefäßchirurgie in der Schön Klinik Düsseldorf

von Dr. Susan Tuchel


Der Weg zum Facharzt für Gefäßchirurgie ist lang und erfordert umfassende Weiterbildungen. In welcher Form profitieren Patienten von diesem Teilgebiet der Chirurgie, das medizingeschichtlich gesehen noch recht jung ist?

Gefäßchirurgen behandeln alle Erkrankungen der Arterien und Venen. Wir haben übrigens viel mehr Venen als Arterien in unserem Körper. Das Verhältnis liegt bei rund 75 Prozent zu 20 Prozent. Die fehlenden fünf Prozent sind die Kapillaren, die kleinsten Blutgefäße, die den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe ermöglichen. Probleme gibt es immer dann, wenn das Blut nicht mehr richtig zirkulieren kann. Dann kommt es zu Gefäßerkrankungen, zu Krampfadern, Venenthrombosen, Thrombosen oder Atherosklerose, einer Verengung durch Cholesterinestern und andere Fette, bevorzugt an den Innenwänden der Herzkranzgefäße, immer noch weltweit die Todesursache Nummer eins. 

Meist treten arterielle Verschlusserkrankungen im fortgeschrittenen Alter auf, aber nicht nur. Wir behandeln auch jüngere Menschen mit Krampfadern und Venenerkrankungen oder fortgeschrittenem Nierenversagen. All unsere Patientinnen und Patienten brauchen eine intensive Betreuung. In jeder Behandlung bauen wir ein Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen und Patienten auf und diese spüren und genießen es, dass wir uns um sie kümmern. Das ist die menschliche Seite meiner Arbeit. 

Was fasziniert Sie an Ihrer operativen Arbeit? 

Von der fachlichen Seite her hat mich an der Gefäßchirurgie schon immer fasziniert, dass ich den Erfolg eines Eingriffs bereits auf dem OP-Tisch beurteilen kann. Ich kann sehen, wenn ein Gefäß wieder durchblutet ist und weiß dann: alles ist gut. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Operationen. Da müssen sich Operateur und Patientinnen und Patienten oft in Geduld üben, um zu beurteilen, ob die Operation tatsächlich den gewünschten Erfolg hat. 

Wir sind auch aus einem sehr persönlichen Grund auf Sie zugekommen. Sie haben durch eine Operation die Amputation eines Fußes oder sogar eines Unterschenkels verhindert. Und zwar bei dem Mann eines unserer Redaktionsmitglieder. Das hat eine unbeschreibliche Wirkung für seine Lebensqualität. 

Jemanden vor der Invalidität zu bewahren, ist natürlich auch für mich ein echtes Glücksgefühl. Das Beispiel, das Sie anführen, zeigt aber auch, was auf dem Spiel stehen kann. Für mich sind die Patientinnen und Patienten immer auch eine Herausforderung, die ich mit allen meinen Kräften meistern möchte. Und da lasse ich auch nicht locker. Ich liebe meine Tätigkeit, und zwar 12 bis 14 Stunden am Tag. Morgens bin ich schon gegen 6.30 Uhr in der Klinik und verlasse diese selten vor 19 Uhr. Arzt sein heißt da sein. In Notfällen bin ich auch immer erreichbar. 

Wie viele Operationen führen Sie pro Tag durch? 

Zwischen zwei und fünf. Insgesamt werden in meiner Klinik fünf bis zehn Eingriffe täglich durchgeführt. In unserem Gefäßzentrum versorgen wir im Jahr ca. 1.400 Patientinnen und Patienten stationär, hinzu kommen noch die ambulanten Eingriffe. Viele Patientinnen und Patienten kommen zu uns, weil wir hier einen Schwerpunkt in der Dialyse-Zugangschirurgie haben. Für die Blutwäsche oder Nierenersatz-Therapie ist ein Gefäßzugang erforderlich, über den das Blut aus dem Körper in die Maschine gepumpt, dort gereinigt wird und anschließend wieder zurück in den Körper kommt. Diesen Zugang nennt man Shunt und spricht von der sogenannten Shunt-Chirurgie. Für diese Therapie kommen nicht nur Patientinnen und Patienten von der Uniklinik Düsseldorf, sondern aus ganz Deutschland zu uns. Über 1.000 Patientinnen und 

Patienten sind das im Jahr, auch weil sich unter den Betroffenen herumspricht, dass wir das hier besonders gut machen. Spezialisiert sind wir in der Schön Klinik Düsseldorf auf endovaskuläre AV-Fistelanlagen. Bei der EndoAV-Fistel wird minimalinvasiv eine Verbindung zwischen einer körpereigenen Vene und einer Arterie am Arm geschaffen. Durch die Aufweitung der Vene können die Kanülen für die Dialyse dann ohne Probleme angestochen werden. Wenn die Venen nicht ausreichend gut sind, schaffen wir einen AV-Shunt mithilfe von Prothesenmaterial. 

Ist das eine gängige Methode? 

Nein, wenn Kliniken mit der EndoAV-Fistel beginnen möchten, dann begleite ich sie bei der Einführung und fliege dafür in andere Länder und Städte, z.B. zuletzt nach Zürich oder Warschau. Ich halte auch Vorträge und Workshops über diese Operationstechnik.

Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht ersparen. Der Gesundheitssektor liegt mit einem Anteil von 5,2 Prozent des bundesweiten CO2-Ausstoßes nur knapp hinter der Stahlindustrie. Wie sieht die Klimabilanz in der Schön Klinik aus? 

Unsere Häuser sind nicht klimatisiert. Wir heizen mit Fernwärme aus der Müllverbrennung und wir haben ein zertifiziertes Energiemanagementsystem nach ISO 50001. Da sind wir auf einem guten Weg, aber das löst natürlich nicht das grundsätzliche Problem, dass wir im OP wegen der Sterilität mit sehr vielen Einmalmaterialien arbeiten müssen. Und metallene Instrumente im Ambulanzbereich nach Gebrauch zu sterilisieren, soll laut Studien mehr Energie verbrauchen und teurer sein als diese nach Gebrauch zu entsorgen. Damit müssen wir wohl oder übel leben. 

Wie kamen Sie zu Ihrer Profession? Sind Sie vom Elternhaus „vorbelastet“?

Mein Vater war Lehrer, meine Mutter Erzieherin, aber ich hatte einen Onkel, der war leitender Oberarzt in einer orthopädischen Fachklinik im Sauerland. Bei ihm war ich oft und auch schon mal nachts in der Klinik. Aber ich bin der Einzige aus der Familie, der in seine Fußstapfen getreten ist. Meine vier Brüder haben ganz andere Wege eingeschlagen. Einer arbeitet bei der Polizei, der andere ist Luftund Raumfahrtingenieur, der dritte Personalberater bei einem Chemiekonzern und der vierte arbeitet an der Uni Münster in der Personalentwicklung. Ich freue mich aber schon darüber, dass meine beiden Söhne ebenfalls Mediziner werden wollen, meine Tochter arbeitet hier schon in der Schön Klinik Düsseldorf als Anästhesistin.

Bleiben bei einem 12 bis 14 Stunden Tag noch Zeit für Hobbies oder Sport?

Viel Zeit bleibt in der Tat nicht. Andererseits weiß ich am besten, wie wichtig Bewegung für die Gesundheit und die Gefäße ist. Ich fahre sehr gerne Mountainbike und gehe joggen, meistens in Spanien, wo wir ein Haus haben, da meine Frau spanische Vorfahren hat und wir uns dann dort mit ihrer Familie treffen. Solche Auszeiten sind mir wichtig. 

Haben Sie Lieblingsorte in Düsseldorf? 

Das Oberkasseler Rheinufer, das hier direkt vor der Kliniktür liegt und den Medienhafen. Den schätze ich so, weil er eine ideale Location ist. Wir führen in der Hotellerie am Hafen viele nationale und internationale Workshops durch. Die ärztlichen Kollegen kommen dazu sogar aus dem Nahen Osten und den Golf-Anrainerstaaten angereist. 

SCHÖN KLINIK GRUPPE
Kurzinfo
 

Die Schön Klinik Gruppe trägt ihren Namen nach den beiden Gründern Else und Franz-Josef Schön. 1985 öffnete die erste Klinik am Chiemsee ihre Pforten mit einer Station für Patientinnen und Patienten mit Essstörungen. Damit trafen die Bauunternehmer und Klinikgründer den Nerv der Zeit. Statt der erwarteten 200 Zuschriften trafen mehr als 3.000 ein. 1993 kam mit der Schön Klinik Neustadt zur Psychosomatik der Schwerpunkt Orthopädie dazu. 1994 folgte die Neurologie als dritter strategischer Kernbereich, dann wurde das Spektrum um die Chirurgie und die Innere Medizin erweitert. 

Die Schön Klinik Gruppe hat sich mit 11.300 Mitarbeitenden seitdem zu Deutschlands fünftgrößter Klinikgruppe in privater Trägerschaft entwickelt. Der familiengeführte Konzern wird mittlerweile in dritter Generation von Christopher Schön geführt. An 16 Kliniken sowie 30 ambulanten und tagesklinischen Einrichtungen in Deutschland und Großbritannien werden jährlich rund 300.000 gesetzlich und privat versicherte Patientinnen und Patienten behandelt. 

Seit 2017 betreibt die Schön Klinik Düsseldorf SE & Co. KG das ehemalige Dominikus-Krankenhaus Düsseldorf-Heerdt als Träger. Sie ist spezialisiert auf Erkrankungen der Gefäße, des Herzens, auf den Bereich HNO, die Allgemeinund Viszeralchirurgie sowie den gesamten Bewegungsapparat. Die Schön Klinik Düsseldorf verfügt über eine interdisziplinäre Notaufnahme für medizinische Notfälle und ist als Wirbelsäulenspezialzentrum sowie als Endo-Prothetik-Zentrum zertifiziert. Rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um mehr als 30.000 stationäre und ambulante Patientinnen und Patienten pro Jahr. 

 

Kurzvita

Steinke, , „Arzt sein heißt da sein“Tobias Steinke (Jahrgang 1963) wurde in Essen geboren und wuchs am linken unteren Niederrhein in Pfalzdorf, einem Stadtteil von Goch, auf. Er studierte Humanmedizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und wurde 1996 promoviert mit einer Arbeit über „Sensibilitätsstörungen nach bilateraler sagittaler Unterkieferosteotomie“. Seinen Facharzt für Chirurgie machte er ebenfalls 1996 und bildete sich in der Gefäßchirurgie im Klinikum Krefeld fort. Es folgte ein Auslandsaufenthalt an der Universitätsklinik Bern. Seit 2001 ist Dr. Steinke Chirurg mit dem Schwerpunkt „Gefäßchirurgie“. Im selben Jahr wurde er leitender Oberarzt der gefäßchirurgischen Abteilung des Klinikums Krefeld und bildete sich zum Endovaskulären Spezialisten (DGG) fort. Seit 2005 ist der Mediziner Chefarzt des Fachzentrums für Gefäßchirurgie in der Schön Klinik Düsseldorf, dem ehemaligen Dominikus Krankenhaus. Von 2005 bis 2016 war er zusätzlich Belegarzt der Kaiserberg Klinik Duisburg mit dem Schwerpunkt minimalinvasive Venentherapie. Die Schön Klinik Düsseldorf ist das einzige linksrheinische Krankenhaus der Landeshauptstadt. Der Chefarzt ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in unmittelbarer Nähe der Landeshauptstadt. 

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