4. April 2023In 2023/1, 44. Jahrgang

„Handwerk macht glücklich“ 

Interview mit Sophie Hinkel, Geschäftsführerin Bäckerei Hinkel 

von Barbara Schmitz


„Menschen, die handwerklich tätig sind,
empfinden einen enormen Stolz & Zufriedenheit für ihre Arbeit.“

Was ist deine aktuelle Rolle in der Bäckerei Hinkel? 

Seit einem Jahr bin ich Betriebsleiterin, die „Chefin“. Nachdem ich Ende Januar 2022 den Abschluss als Bäckermeisterin in der Tasche hatte, übernahm ich direkt am nächsten Tag die Betriebsleitung in unserem Betrieb. Ich habe das Glück, dass mein Vater keine Probleme hatte, sich zu lösen. Er schenkt mir sein volles Vertrauen, sodass ich seitdem die gesamte Verantwortung und Entscheidungsfreiheit habe. Natürlich tausche ich mich viel mit ihm aus und frage hier und da nach Rat. Aber durch seine neue, beeindruckende Rolle als Bürgermeister ist er sehr viel unterwegs. Um das Rechnungswesen und die Buchhaltung in unserem Unternehmen kümmert sich seit über 20 Jahren meine Mutter und ihr Erfahrungsschatz ist sehr wertvoll. Wir sitzen im selben Büro und so ist der Austausch einfach. 

Das Handwerk ist für dich ein großer Schatz, hast du eben erzählt, inwiefern?

Obwohl ich in einer Handwerksfamilie groß geworden bin, war mir das gar nicht so bewusst. Diese Entdeckung habe ich dann während meiner Ausbildung im elterlichen Betrieb und noch viel intensiver während der Meisterschule in Olpe gemacht. Dem Handwerk liegt ein Zauber inne, den ich kaum in Worte fassen kann. Tatsächlich belegen Studien, dass Menschen, die handwerklich tätig sind, durch den schöpferischen Akt einen enormen Stolz und Zufriedenheit für ihre Arbeit empfinden. Mehr als andere Berufsgruppen. Das wirkt sich wesentlich auf die Gesamtzufriedenheit im eigenen Leben aus. 

Genauso empfinde ich es auch. Es ist immer spannend, mit ehemaligen Kommilitonen zu sprechen, die einen typischen Büroalltag haben und die Früchte ihrer Arbeit eigentlich nie zu sehen bekommen. Bei mir ist das ganz anders, und dafür bin ich sehr dankbar! Als Kind macht man alles mit den Händen: Erkunden, formen und bauen – so erfahren wir die Welt. In der heutigen Gesellschaft legen wir das irgendwann ab, obwohl es der Urzustand des Menschen ist, etwas mit den Händen zu schaffen. Es ist doch ein Unding, dass es für gewisse Bildungsschichten fast verpönt ist, ein Handwerk zu erlernen. Ich möchte das Studium gar nicht schlecht reden, mich persönlich hat das Studium auf die Arbeit als Unternehmerin gut vorbereitet, aber die Überlegung, nach dem Studium z.B. in den handwerklichen Bereich zu gehen, ist für viele keine Option. Ich bin davon überzeugt, dass viele Studierte nicht einmal wissen, dass es diese Möglichkeit gibt. Das zu propagieren, ist mir wichtig. Die kritische und unumstrittene Rolle von Handwerk, besonders in diesen Zeiten, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber ohne Handwerk gibt es keine Energiewende und somit keine Antwort auf die Klimakrise. Der Fachkräftemangel im Energiebereich wird bis 2030 auf über 400.000 geschätzt. 

Die Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommt, sucht nach Sinn: „Wofür gehe ich jeden Tag zur Arbeit? Passt das Unternehmen, in dem ich arbeite, zu meinen Werten und Zielen?“ Diese Fragen muss man als Unternehmen beantworten können. Das Handwerk hat hier einen entscheidenden Vorteil: Es schenkt Menschen Lebensqualität. Ob es der Heizungsbauer ist, der für wohlige Wärme in den Wohnräumen sorgt, oder die Elektrikerin, die den Herd für die Mahlzeiten anschließt, der Florist, der für Schönheit im Alltag sorgt oder die Bäckerin, die ein Stück Kindheitserinnerung zaubert. Daher bin ich davon überzeugt, dass das Handwerk ein riesiges Potenzial hat, um eine wahre Renaissance zu erleben! 

Welches Feedback geben dir Menschen, die zu einer Backstuben­Führung bei euch reinschnuppern?

Die Menschen sind jedes Mal total begeistert. Die meisten haben keine Vorstellung davon, was das Berufsbild des Bäckers ausmacht. Wir nennen uns manchmal liebevoll die „Museums Backstube“, weil bei uns wirklich alles noch mit der Hand hergestellt wird – jedes Brot wird von Hand abgewogen und geformt, jedes Croissant, jedes Brötchen handwerklich aufgearbeitet. Selbst unsere Florentinertaler werden einzeln händisch mit Schokolade überzogen. Durch die vielen Nachfragen merke ich, wie interessiert die Menschen wirklich sind und sich mit dem Thema Backware auch auseinandersetzen wollen. Das macht mich richtig glücklich. Durch die Führungen und Gespräche entwickeln die Menschen eine ganz andere Wertschätzung für die Produkte, die wir jeden Tag frisch herstellen. Wenn man weiß, wo und wie das Lieblingsbrot hergestellt wird, schmeckt es natürlich auch beim nächsten Mal direkt viel besser. Also eine Win Win Situation! Was mir besonders viel Freude bereitet, sind die Kinderführungen, die mein Onkel bei uns anbietet. Die Kinderaugen sind jedes Mal riesig, wenn jeder mal ein bisschen Teig kneten darf. Das begeisterte Quietschen der Kinder ist in der ganzen Backstube zu hören. Es macht richtig Freude, diese Begeisterung mit Groß und Klein zu teilen. 

Das Marketing läuft bei euch ja wie von selber, es duftet alles so lecker…

Oh ja, und Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Düfte wecken die schönsten Kindheitserinnerungen. Dennoch ist Marketing ein elementarer Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Mein Vater hat in den letzten 40 Jahren einen enormen Markenwert geschaffen, und die Bäckerei Hinkel ist doch aus der Düsseldorfer Altstadt nicht wegzudenken! Er hat der Bäckerei Hinkel ein Gesicht gegeben, sodass jeder und jede weiß, von wem sie ihr Brot kaufen. Das ist auch absolut seine Lieblingsbeschäftigung, im Laden mit den Kunden zu erzählen und eine gute Zeit zu haben. 

Ich möchte unseren Kunden so transparent wie möglich zeigen, wie ihre Backwaren entstehen und welche Menschen sie herstellen. Mir ist es auch besonders wichtig, die Kunden von Morgen anzusprechen und als Marke erlebbar zu sein. Deshalb bauen wir gerade unsere Online-Präsenz weiter aus. Wir gestalten eine neue Website und legen einen starken Fokus auf die sozialen Medien und das Video-Marketing. Besonders im Videobereich werden wir in diesem Jahr viel machen, um Einblicke hinter die Kulissen zu bieten. Wir möchten unseren Backstubenalltag zeigen und unser Fachwissen teilen. Auch Back-Tutorials mit unseren Rezepten werden im Laufe des Jahres entstehen, weil es mir persönlich sehr viel Spaß macht, solche Formate zu gestalten und zu produzieren. Mein Schwerpunkt liegt da besonders im Experience Marketing. Ich bin davon überzeugt, dass wir so aus Kunden echte Fans, eine starke Community, machen können. Die Bäckerei Hinkel möchte sich auch weiterhin für die vielen tollen sozialen Projekte in unserer Stadt einsetzen und sie unterstützen. 

Wie regional und nachhaltig sind eure Rohstoffe, ist eure Produktion? Besonders in diesen Zeiten sind die Energiepreise für einige deiner Bäckerkollegen der Grund, dass Betriebe schließen müssen. Wie geht ihr damit um? 

Nachhaltigkeit und Regionalität sind für mich Ehrensache und selbstverständlich. Unsere Rohstoffe kaufen wir so regional ein wie nur möglich. Unser Mehl beziehen wir über eine Mühle in Neuss. Den Landwirt, der das Korn für unser Mehl in Ratingen anbaut, kennen wir persönlich. Unsere Eier kommen aus Remscheid von einer Vollei-Manufaktur, die wir im letzten Jahr mit viel Spaß besichtigen durften. Dieser Vorsatz zieht sich durch das gesamte Sortiment und unser Bestreben ist, hier noch regionaler und persönlicher einzukaufen. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Unser Roggenmischbrot, das am Abend nicht verkauft wurde, wird getrocknet, gehäckselt und dem Sauerteig für den nächsten Tag zugegeben. So minimieren wir den Foodwaste und erzielen einen noch aromatischeren Teig, durch die Krustenanteile des alten Brotes. 

Wir sind auch Energieeffizient: Wir nutzen die Restwärme unserer zwei großen Öfen und heizen so das Warmwasser für den gesamten Betrieb und die Heizung für die Wohn- und Betriebsräume. Auch unser Gärschrank wird mit der Restwärme des Ofens geheizt, die wir im Keller in zwei großen Pufferspeicher sammeln. Durch kleine Anpassungen und das Bewusstsein unserer Mitarbeiter und des gesamten Backstubenteams haben wir es sogar geschafft, den Gasverbrauch im Januar um 40% zu reduzieren im Vergleich zum letzten Jahr. Auch erneuerbare Energien sind bei uns im Einsatz. Die Photovoltaikanlage auf dem Dach wird für die Frosteranlage genutzt. Darüber hinaus arbeiten wir aktuell an einigen Themen, die den Energieverbrauch in der Backstube und in den Geschäften noch weiter verbessert. 

Welche Führungs­Kultur bevorzugst du? 

Das Thema Führung finde ich superwichtig, das war schon Thema in meiner Bachelor- und Masterarbeit. Ich habe zur Führungseffektivität im deutschen Bäckerhandwerk geforscht. Betriebe, die sich nicht mit moderner Mitarbeiterführung auseinandersetzen, werden sich im Markt nicht halten können. Leider herrscht in einer Großzahl von Handwerksbetrieben ein autoritäres Führungsverständnis wie vor 50 Jahren. Generell wünschen sich Menschen mehr Wertschätzung und Menschlichkeit von ihrer Führungskraft. Die Führungskultur, die ich bei uns zurzeit etabliere, ist vor allem von Transparenz und Klarheit geprägt. Das Ziel ist, dass jeder Mitarbeitende seine Rolle im Gesamtunternehmen versteht und so befähigt ist, bewusst am Team- und Unternehmensziel zu arbeiten. Schon im letzten Jahr haben wir das Thema Aufgabenbereiche und Entscheidungskompetenzen im Führungsteam intensiv besprochen und nach persönlichen Stärken verteilt. Mittlerweile haben wir in unserem 100 Menschen großen Unternehmen 10 Führungskräfte auf 4 verschiedenen Ebenen. Vier dieser Führungskräfte sind bereits in Fortbildung bzw. im Führungskräfteentwicklungstraining, damit wir eine einheitliche und moderne Führung bei uns etablieren können. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder so eine Weiterbildung machen sollte. Genauso wie man in einer Ausbildung lernt, Brot herzustellen, muss man Instrumente und Techniken erlernen, wie man mit Mitarbeitenden umgeht. Erste Erfolge sind, dass wir aktuell keine Probleme haben, neue Mitarbeitende zu finden und die generelle Stimmung im Betrieb im Großen und Ganzen richtig gut ist. Besonders viele junge Menschen fühlen sich von unserer Art angezogen, und wir erhalten auch Initiativbewerbungen. 

Das Führungsverständnis, dass ich vermitteln möchte, ist eher die Haltung eines Coaches. Ich möchte gar nicht alles wissen und entscheiden, sondern meine Mitarbeitenden und die Führungskräfte dazu befähigen, selbst im Sinne der Unternehmensphilosophie zu entscheiden. Wenn es um Investitionen geht wie Maschinen, Anlagen oder neue Bleche im Verkauf, lasse ich die Entscheidung von den Mitarbeitern treffen, die tagtäglich mit diesen Dingen arbeiten. 

Macht dich deine Arbeit glücklich, wofür brennst du? 

Meine Arbeit macht mich sehr glücklich. Die Rolle der Unternehmerin passt ungemein gut zu mir, weil ich gerne Neues entwickle und Menschen begeistern kann. Es macht mir sehr viel Freude zu sehen, dass Ideen, die wir gemeinsam entwickelt haben, von unserem Führungsteam umgesetzt und weitergedacht werden. Dadurch entsteht zurzeit ein großes Momentum im Betrieb. Durch die Unterstützung des Führungsteams kann ich mich auf die unternehmerischen Aufgaben konzentrieren und mich selbst besser verwirklichen – das ist ein wirklich großes Geschenk! Wofür ich besonders brenne? Ich möchte eine Unternehmenskultur schaffen, die den Menschen und das Handwerk feiert. Natürlich ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, aber es spornt mich enorm an, für Probleme und Themen immer wieder neue, kreative und zielbringende Lösungen zu finden. 

Die Individualität von jedem Charakter, der bei uns arbeitet, versuche ich täglich als Geschenk zu verstehen. Außerdem habe ich großen Respekt vor allen, die ihr Leben und Schaffen dem Handwerk verschrieben haben! 


Kurzvita 

Sophie Hinkel, , „Handwerk macht glücklich“ Nach dem Abitur habe ich die erste Luft der Arbeitswelt im elterlichen Betrieb im Verkauf auf der Mittelstraße geschnuppert. Danach studierte ich 2015–2018 in Maastricht, wo ich an der School of Business and Economics meinen Bachelor im Bereich International Business mit einem Auslandsaufenthalt in Ecuador abgeschlossen habe. Zurück in Düsseldorf machte ich 2018–2020 die Lehre zur Bäckerin bei uns im Betrieb und gleichzeitig 2018–2021 nebenberuflich an der FOM in Düsseldorf meinen Master im Bereich Human Ressource Management. Meinen Bildungsweg durfte ich 2021–2022 in Olpe an der Meisterschule mit sehr viel Spaß und einem großen Schatz an Fachwissen beenden und den Titel Bäckermeisterin führen. Zeitgleich mit dem Abschluss zur Bäckermeisterin habe ich die Betriebsleitung bei uns übernommen und führe so als 5. Generation die Bäckerei Hinkel. 


© Porträtfoto: Michael Lübke

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