Paul Breuer und Heinrich Heil

„Heinrich Heine – liebenswert, unbequem und nötiger denn je“

Interview mit Heinrich Heil, stellvertretender Direktor des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf


von Dr. Paul Breuer

Heinrich Heil ist stellvertretender Direktor des Heinrich-Heine-Instituts. Er sieht nicht nur aus wie ein Intellektueller, er ist auch einer. Ruhe und Gelassenheit strahlt der Philosoph aus, wie ein Zen-Gelehrter. Er begegnet seinem Gegenüber mit auffälliger Freundlichkeit. Hört konzentriert zu, antwortet bedächtig und wohl formuliert mit leiser Stimme. Er ist mit einer Asiatin verheiratet, die klassischen Tanz studiert hat. Man fragt sich, ob diese Ruhe, die er ausstrahlt, eine geschickte Tarnung ist. Denn kaum steht Heil auf der Bühne, um über Themen der Literatur oder Kunst zu referieren, verwandelt er sich in einen „sprechenden“ Musiker, mal piano, mal forte, spricht wie Goethes Mephisto, explosiv, um sein Publikum voll in seinen Bann zu ziehen.
Heinrich Heil hat im In- und Ausland Ausstellungen kuratiert, an Hochschulen doziert, Essays und Bücher publiziert und im Büro 01 als Referent für Kultur bei gleich drei Oberbürgermeistern gearbeitet. Seit fast zwei Jahren trägt er als stellv. Direktor Mitverantwortung im Heine-Institut. Man darf gespannt sein, wie er zusammen mit der Direktorin Dr. Sabine Brenner-Wilczek das Institut mit den vielen interessanten Originaldokumenten, Bildern, Skulpturen und Möbeln, den Düsseldorfer Bürgern und den vielen auswärtigen Besuchern näher bringen möchte.

Düsseldorf ist sehr bekannt für seine Museen der bildenden Künste. Das Heinrich-Heine-Institut ist vielen heimischen Bürgern und internationalen Besuchern als Muse-um eher unbekannt. Wie kann der Marketing-Fokus mehr auf das Heinrich-Heine-Museum, auf den Dichter Heinrich Heine, Kind der Stadt Düsseldorf und Namensgeber der Heinrich-Heine-Universität, gerichtet werden?

Das will wohl erwogen und bedacht sein. Es ist nicht damit getan, den Internetauftritt des Instituts etwas aufzuhübschen und mit Blick auf ein jüngeres Publikum flotter zu gestalten. Man darf bei solchen Maßnahmen die inhaltliche Tiefe nicht aus den Augen verlieren und ängstlich im Seichten fischen, nur weil man glaubt, auf dem Weg in tiefere Gewässer zu viele mögliche Interessenten zu verlieren. Das wird Heine und seinem Werk nicht gerecht. Meine Erfahrung lehrt mich, es liegt wesentlich an der ansprechenden Vermittlung der Inhalte. 

Für mich ist ein Leben ohne Kunst und Literatur nicht vorstellbar. Im wahrsten Sinne des Wortes sind es für mich Lebensmittel. Und wenn es gelingt, dies inhaltlich zu vermitteln, dann findet man Mitstreiter. Ich denke da an eine erhellende Stelle aus Dantes Göttlicher Komödie, die ich jetzt nur aus dem Gedächtnis inhaltlich wiedergeben kann: Voller Erwartung bittet Dante seinen scharfsinnigen Begleiter Vergil, ihm endlich die Nahrung zu geben, für die er ihm so unwiderstehlich den Appetit bereitet habe. Was nun das Marketing angeht: Es ist an der Zeit, mit Heine für Düsseldorf Werbung zu machen. Frankfurt mit Goethe und Bonn mit Beethoven machen es vor. Und wir hier in Düsseldorf nehmen unseren Heine noch nicht wirklich bei der Hand. Es ist überfällig, Heines Fahne ganz oben auf dem Flaggschiff der Stadt zu hissen und ihn für das weltoffene Düsseldorf werben zu lassen. Hier müssen wir uns zusammensetzen. Und ich denke mit solchen Überlegungen laufe ich offene Türen ein. Man muss nur endlich Nägel mit Köpfen machen.

Der Name Institut klingt wie ein Haus der Geisteswissenschaften und nicht nach einem Museum, das allen Besuchern offensteht. Wäre eine Namensänderung in ein Heinrich-Heine-Museum mit entsprechender Forschungseinrichtung nicht sinnvoll?

Nein. Eine Akzentverschiebung in Form einer Umkehrung der Gewichte halte ich für falsch. Und dies entspricht auch nicht unserem Auftrag und Selbstverständnis. Die Besonderheit herauszustellen, dass wir weltweit das einzige Heine-Museum beherbergen und dies werbend zu exponieren, sollten wir allerdings forcierter betreiben. Unweit vom Heine-Institut auf der anderen Seite der Bilker Straße befindet sich das sogenannte Schumann-Haus, in dem Robert und Clara Schumann mit ihren Kindern über mehrere Jahre gelebt haben. In nächster Zeit wird das Gebäude grundsaniert und zu einem Museum ausgebaut. Der Stadtrat hat dies mit breiter Mehrheit beschlossen. Und dank eines herausragenden bürgerlichen Engagements konnten über den Förderverein Schumann-Haus beträchtliche Mittel zusätzlich für die Ausstattung des Museums eingespielt werden.

Im Dreiklang von Heinrich-Heine-Institut und Museum, Schumann-Museum und dem ebenfalls in der Bilker Straße gelegenen Kammerkonzertsaal Palais Wittgenstein wollen wir die ‚Straße der Romantik und Revolution‘ ausrufen und in Szene setzen. Hier sehe ich eine große Chance, neue Akzente zu setzen, auch im Hinblick auf das dann mögliche Zusammenspiel der beiden Museen - Heine und Schumann - vor Ort. Frau Dr. Brenner-Wilczek und ich arbeiten aktuell intensiv an einem übergreifenden Konzept.

Info:
HEINRICH-HEINE-INSTITUT

Wer weiß schon, wie leicht Düsseldorfs Dichter und Journalist Heinrich Heine (1797-1856) in den Räumen des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorfs Bilker Straße 12-14 zu finden ist? Neben der Forschungsstätte und dem Archiv beheimatet das Heine-Institut ein Museum, das mit seinen ausgewählten Sonderausstellungen von sich reden macht. Die Dauerausstellung vermittelt eine Einführung in das Leben und Wirken des Dichters. Im Institut werden fast 70 Prozent der weltweit vorhandenen Heine-Autographen und weitere Dokumente sowie Originalhandschriften archiviert und ausgestellt. Heine war schon im 19. Jahrhundert international bekannt und gilt als der bedeutendste deutsche Dichter zwischen Romantik und Realismus.
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 11-17 Uhr, Sa. 13-17 Uhr, So. 11-17 Uhr.

Düsseldorf hat sich viele Jahre bis 1988 gestritten und schwergetan, die Universität nach Heinrich Heine zu benennen. Wie ist das zu erklären?

Was die beschämende Debatte betrifft, habe ich dafür nur ein Kopfschütteln übrig. Die Zeiten haben sich, Heine sei Dank, geändert. Und doch stimmt es mich nachdenklich, im Gespräch bei Empfängen, Vernissagen oder ähnlichen Gelegenheiten immer wieder auf Menschen zu treffen, die ohne rot zu werden, von sich sagen: „Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie im Heinrich-Heine-Institut.“

Selbstverständlich kennen alle Düsseldorfer die Heinrich-Heine-Allee mit ihrer zentralen U-Bahnstation. Ein Knoten-punkt des öffentlichen Nahverkehrs, durch den jeden Tag zehntausende Menschen hasten. Was aber wissen sie von Heine? Der ein oder die andere hat vielleicht schon einmal davon gehört, dass der Text des Liedes von der Loreley aus seiner Feder stammt. Das ist herzlich wenig und sollte sich ändern.

Und an diesem Ort bietet sich eine gute Gelegenheit, Abhilfe zu schaffen. Mein Vorschlag geht in Richtung Rhein-bahn, gemeinsam die U-Bahnstation Heinrich-Heine-Allee zu einem Begegnungsort mit dem Dichter zu gestalten. Auf den Screens und Schautafeln beispielsweise neben Werbung und Wettermeldungen könnten Einspielungen mit Heine Bonmots eingeblendet werden. Anregend frech, zum Schmunzeln sind die und zum Weitererzählen. Ich gebe ein charmantes Beispiel:

„Himmlisch war‘s, wenn ich bezwang

Meine sündige Begier,

Aber wenn‘s mir nicht gelang,

Hatt‘ ich doch ein groß Pläsier“

Lassen wir den Geist Heines ober- und unterirdisch in der Stadt vibrieren. Er wird nicht nur die Düsseldorfer, sondern auch die vielen Pendler und ausländischen Gäste anregend vergnüglich, tiefsinnig und aufgeklärt durch den Tag führen.

Sollte nicht für Schulen dieser Stadt und im näheren Umkreis ein Heinrich-Heine-Tag eingeführt werden, um Schüler über die Bedeutung Heinrich Heines aufzuklären und Zeitgeschichtliches vor Ort zu erzählen? 

Vorschläge, Heine eine Plattform einzuräumen, sind immer willkommen. Ich bin jedoch kein Freund von Eintagsfliegen. Und halte es mit Heine, der stets auf ein „Geltendmachen“ pocht und auf ein beharrliches Insistieren bei der Verwirklichung von Ansprüchen abzielt. Darum meine Forderung: Heine und sein Werk müssen sich exponiert in den Lehrplänen an unseren Schulen wiederfinden.

Und natürlich bedarf es hierfür engagierter Lehrer und den Willen, sich der Mühe zu unterwerfen, die Lehrpläne entsprechend stofflich individuell zu gestalten. Das ist wohl auch möglich und umsetzbar, wie man mir aus schulischen Kreisen berichtet. Nun sind unsere Erfahrungen im Institut mit Schulprojekten positiv, und es ist mir ein besonderes Anliegen, hier die Projekte mit der Joseph Beuys Gesamtschule hervorzuheben. Mit Vergnügen denke ich an wochenlange Proben zu einer Musik- Tanz- und Literaturperformance mit den Schülern und ihrer Lehrerin zurück. Dem Prozess bis zur Aufführung mit seinen Höhen und Tiefen messe ich dabei einen noch höheren Erfahrungswert bei, als den glücklichen Momenten während und nach der Vorstellung.

Heine macht es seinen Lesern nicht leicht, ist oft unbequem und doch liebenswert?

Liebenswert unbequem ist er, und das macht ihn so außerordentlich. Heine sitzt nicht zwischen, sondern steht aufrecht zwischen allen Stühlen. Und Heine nutzt die Chance, ein Unbequemer zu sein. Ein Meisterspötter, der den Finger in die Wunde legt. Nicht als Zweifler, sondern als scharfsinniger Beobachter und Kritiker tritt er auf. Und er hält mit seiner harschen Kritik nicht hinter dem Berg, sondern drückt heftig auf die Stellen, wo es wirklich wehtut. Goethe, der geschmeidige Diplomat, ist da sicherlich einfacher im Umgang und auch deshalb den Frankfurtern ein liebenswerter Sohn der Stadt, in dessen Licht man sich gerne sonnt. Nun, mir liegt der Querdenker Heine mehr. Unbequem nennt er die Dinge beim Namen und solche wie ihn haben wir bitter nötig. Und sein prometheischer Zorn – wie Prometheus ist Heine ein Menschenfreund – gepaart mit seiner Lebenslust machen ihn zu einem liebenswert Unbequemen.

Was würde Heinrich Heine, Ihrer Ansicht nach, uns heute mitteilen wollen, würde er noch leben?

Wozu der Konjunktiv? Heine lebt. Er hat seinen enormen Anspruch an uns weitergegeben, und es liegt an uns, ihm Geltung zu verschaffen. „Geltendmachen ist die Revolution.“ Ein wiederkehrendes Grundmotiv Heines, und er hat dabei als unverbesserlicher Humanist und Kämpfer für die Menschenrechte in erster Linie das Recht auf Selbstverwirklichung im Sinn. 

Ich folge ihm darin leichten Fußes und stoße in seinem Werk auf erstaunliche Anregungen, das Geltendmachen forciert in Angriff zu nehmen. 

Erst kürzlich habe ich Heine als Kunstkritiker für mich entdeckt und in diesem Geiste eine Ausstellung mit Markus Lüpertz konzipiert, die auf große Resonanz gestoßen ist. Darin liegen Ansätze, einer altehrwürdigen Institution frischen Wind zuzuführen. Und der Boréas, der damit vollen Backen pustet und bläst, heißt Heinrich H.



Alexandra Stampler-Brown

„Oper für die Zukunft denken“

Interview mit Alexandra Stampler-Brown, Geschäftsführerin der Deutschen Oper am Rhein


Von Dr. Susanne Altweger

Düsseldorf diskutiert über Um- oder Neubau des Opernhauses. Welche Anforderungen wird es erfüllen müssen? Wie sieht die Oper der Zukunft aus – in 20 Jahren?

Mit diesen Themen befassen wir uns natürlich intensiv. Wir fragen uns, wie wird das Publikum sein, aus welcher Gesellschaft heraus kommt es zu uns, was erwartet es? Wir haben schon vor langer Zeit damit begonnen, das Opernhaus als offenes Kulturangebot zu etablieren, das für die unterschiedlichsten Bedürfnisse etwas im Programm hat: Für geübte Opernbesucher genauso wie für Leute, die einfach mal etwas Neues ausprobieren möchten, für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene. Sollte die Entscheidung zugunsten eines Neubaus fallen, kann die Architektur durchaus helfen, Schwellenängste abzubauen. Die alten Musentempel des 18. und 19. Jahrhunderts hatten einen vollkommen anderen Zweck und gesellschaftlichen Auftrag. Die neuen Häuser, wie die in Oslo, Kopenhagen oder Athen, öffnen sich einem breiteren Publikum, erlauben, ja fordern geradezu vielfältige Nutzung und stellen auch tagsüber eine Verbindung zu den Bürgerinnen und Bürgern her. Durch ein vielfältiges Angebot an kleineren Formaten, zum Beispiel bei einem „making of“ können Schaffensprozesse miterlebt werden. Diese Vorbilder ermöglichen es, sozioökonomische Prozesse vorausschauen.

Binden Sie auch Zukunftsforscher ein? Manchmal liegen diese ja völlig daneben.

Nun, sie geben sehr gute Denkanstöße. Ich war zum Beispiel im Dezember in Glasgow bei einer Konferenz für digitales Marketing. Eine dänische Zukunftsforscherin befasste sich mit der modernen Gesellschaft. Eine ihrer wichtigsten Fragen war: „Wie gehen arbeitende junge Menschen mit ihrer Freizeit um?“ Informationsaustausch und Kommunikation verändern sich im digitalen Zeitalter bekanntlich kontinuierlich und massiv. Spannend für uns ist die Gefühlswelt. Da können wir wirklich punkten. Das Live-Erlebnis in einer Gemeinschaft ist durch nichts zu toppen! Sich einem Musikerlebnis hinzugeben, das schafft innere Ruhe. Bei Wagner kann man das Handy getrost für fünf Stunden offline lassen. Das wirkt wie ein Befreiungsschlag. Und im Anschluss an die Vorstellung die Eindrücke mit Freunden abzugleichen, darüber zu diskutieren ist ganz wunderbar.

Haben Sie dazu schon konkrete Vorstellungen?

Das ist ein ganzes Bündel. Wir arbeiten an vielen Ansätzen gleichzeitig. Das wichtigste ist, wie gesagt, die Überwindung der Schwellenangst: Das Gebäude muss einladend wirken. Zweitens: Bei der Programmgestaltung sind Spielplan, Stilrichtungen und Abwechslung bestimmende Kriterien. Unser Vorteil ist auch künftig der Repertoirebetrieb. Wir bieten immerhin etwa 30 verschiedene Operntitel pro Spielzeit. Dazu kommt noch das Ballett mit einer eigenen Fangruppe. Drittens: Es gibt Lebenszyklen. Das sollte uns die Zukunftsangst nehmen. Es kommen immer junge Menschen nach, die vom Opernvirus infiziert werden. Umfassend haben Preisgestaltung und Programmpolitik einen großen Einfluss. Der Freundeskreis und unsere Sponsoren begleiten uns auf diesem Weg.

Sie sind sehr optimistisch bezüglich neuer Opernliebhaber?

Ja, wir nehmen auch hier unseren Bildungsauftrag ernst und verfolgen seit vielen Jahren konsequent unseren pädagogischen Ansatz, schon Kinder für die Oper zu begeistern. Wir merken sehr deutlich, dass in den Schulen immer weniger musische Bildung angeboten wird. Diese Lücke gilt es zu schließen. Dafür hat Professor Christoph Meyer als Intendant sehr erfolgreich die Kinder- und Jugendsparte an der Deutschen Oper am Rhein etabliert. In jeder Spielzeit steht eine Neuproduktion für junges Publikum auf der großen Bühne, und ein Team von inzwischen drei Musiktheaterpädagoginnen entwickelt größere und kleinere Projekte zur Vermittlung von Oper und Ballett. Notgedrungen verlegen wir viele kleinere Veranstaltungen ins Foyer, aber das ist im Grunde kein ansprechender Raum für kleine Kinder. Mit anderen Räumlichkeiten würden sich auch hier mehr Chancen bieten. Wir könnten unsere langjährigen Erfahrungen erweitern und ausbauen. Schon jetzt besagt unsere Statistik, dass wir pro Spielzeit zwischen 30.000 und 35.000 junge Menschen erreichen. Das ist beachtlich und macht uns stolz.

Werden Sie von der Politik in die Diskussion einbezogen? Theorie ist eines, Sie haben die praktische Erfahrung.

Ja durchaus. Es gibt ein gutes Miteinander und voneinander Lernen. Alle können ihre Ideen einbringen und ich hoffe, dass die Überlegungen weiter ein Gemeinschaftsprojekt bleiben. Man kann nach dem dialogischen Prinzip innovative Skizzen vortragen. Nutzer und Macher sitzen letztlich in einem Boot.

Beziehen Sie auch das Publikum mit ein?

Und ob! Es ist uns gelungen, zum Frühjahr die Ausstellung über Opernhäuser „Neue Oper – viel Theater?“ an unser Haus zu holen. Sie wurde letztes Jahr in Frankfurt gezeigt, kommt Anfang Mai zu uns und bleibt mehr man darüber weiß, desto besser kann man mitreden. Publikumsdiskussionen sind geplant.

Die Oper und ihr weiteres bauliches Schicksal liegen dem Düsseldorfer Publikum sehr am Herzen. Es ist stolz, ein Premiumhaus zu haben. 

Ja wir haben wirklich viel positiven Zuspruch. Mit den möglichen Veränderungen entstünde auch in akustischer Hinsicht eine Riesenchance für Düsseldorf als Kulturstadt. Unser Generalmusikdirektor Axel Kober hat erst vor kurzem in einem Interview auf die Probleme hingewiesen. Es ist nicht einfach für die Musiker, wenn sie oft piano und pianissimo spielen müssen, um die Sänger nicht zu übertrumpfen. Man merkt einfach, dass dieses Theater ursprünglich als Sprechtheater und nicht als Musiktheater konzipiert war.

Falls wir in Düsseldorf ein neues Opernhaus bekommen sollten, gibt es Pläne die Fresken zu erhalten oder zu integrieren?

Soweit sind wir noch nicht. Das käme sicher sehr auf den Stil an, ob alte Teile integrierbar wären. Grundsätzlich finde ich es interessant, alte Elemente in Neuem zu erhalten. Das könnte etwas vom alten Flair mitnehmen.

Bevor Sie nach Düsseldorf kamen, waren Sie am Stadttheater Klagenfurt, das ist ein Mehrspartenbetrieb in einer kleinen Stadt. Wie haben Sie den Wechsel an die Oper am Rhein erlebt?

Natürlich haben wir in Düsseldorf ein anderes Volumen. In Klagenfurt habe ich aber schon umfassende Erfahrungen über Produktionsprozesse und -abläufe erfahren, die mir hier sehr geholfen haben. Wir haben als Landestheater das ganze Bundesland Kärnten bedient. Angenehm war, dass bis auf den Kostümfundus alles unter einem Dach war, die Proben, die produzierenden Werkstätten und so weiter. Ich war immer hautnah dran und konnte die Entstehungsprozesse miterleben. Hier haben wir viel mehr Standorte, vieles ist ausgelagert. Und die Zusammenarbeit mit Duisburg ist natürlich ein einmaliges Phänomen. Zwei große Städte und Opernhäuser, das ist eine große Herausforderung, die ich gerne annehme.

Sie haben eine Doppelbegabung. Sie haben Geige studiert. Wie kam es zum Wirtschaftsstudium?

Ich habe Musik und Jura parallel studiert, das ging wunderbar. Das Wirtschaftsstudium mit dem Fokus Kulturmanagement habe ich nach der juristischen Karriere darauf gesetzt. Es hat einfach gepasst. Ich habe bei einem ganz kleinen Theater angefangen und alles von der Pike auf gelernt. Das Schöne an diesem Beruf ist das Endresultat. Ich liebe es in einer Premiere zu sitzen.

Letzte Frage: Wie wurden Sie gefunden? 

Es hat sich einfach herumgesprochen. Die Intendanten sind untereinander gut vernetzt. Know-how ist das Eine, aber gerade in einer Doppelspitze ist es ebenso wichtig, dass die Chemie stimmt. Zwischen Generalintendant Professor Meyer und mir herrscht eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.


Kurzvita

Alexandra Stampler-BrownGeboren in der Steiermark in Österreich. Jurastudium an der Universität Wien. Musikalische Ausbildung am Franz Schubert Konservatorium in Wien (Violine). 2001 bis 2011 Lebensmittelpunkt in Schottland. MBA in Kulturmanagement an der Queen Margaret University Edinburgh. Ab 2002 an diversen Theatern in Schottland als Generalmanagerin. 2011 bis 2013 Kaufmännische Direktorin am Stadttheater Klagenfurt. Seit 2014 Geschäftsführende Direktorin der Deutschen Oper am Rhein.



Susanne Gaensheimer

„Seit dem Herbst zählen wir im K21 steigende Besucherzahlen“

Interview mit Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen


von Konstanze Petersmann

Seit rund eineinhalb Jahren sind Sie Direktorin der Kunstsammlung NRW. Es ist unübersehbar, dass sich an Ihrem Haus, dem K20 wie dem K21, sehr viel verändert hat. Von Anfang an haben Sie betont, die regionale und die internationale Kunst zugleich im Blick zu haben. Wie kann das geschehen? 

Natürlich kann und darf man den genius loci der Kunststadt Düsseldorf nicht übersehen, das war mir von Anfang an klar. Aber das ist an so einem Ort wie Düsseldorf überhaupt kein Widerspruch zu unserem internationalen Anspruch, schließlich genießen viele der hier lebenden Künstlerinnen und Künstler ein internationales Ansehen. Unser erstes Signal an die hiesige „Szene“: Reinhard Muchas monumentales „Deutschlandgerät“ als Zentralwerk im K21 haben wir im Spätsommer gründlich technisch restauriert. In der kostenfrei zugänglichen ersten Etage des K21 kann das wichtige Archiv der Galerie Fischer digitalisiert gelesen werden, gleich daneben lädt übrigens der Salon21 zum entspannten Aufenthalt. Neben der Galerie Fischer, deren Sammlung und Archiv im Besitz unseres Hauses sind, zählt der legendäre Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela zu den bedeutenden Persönlichkeiten, zu den ganz wichtigen Kunstvermittlern am Rhein von europäischem Rang. Ihm haben wir zum 100. Geburtstag gerade eine erfreulich gut besuchte kleine Ausstellung in seiner damaligen Galerie gewidmet, die als Schmela-Haus heute dritter Standort der Kunstsammlung NRW ist. Zu sehen waren Kunstwerke und Dokumente, mit denen wir an Schmelas Aktivitäten von ZERO und Pop Art bis Beuys erinnert haben. Sein 1971 eröffnetes Galeriegebäude steht als Bauwerk des wichtigen niederländischen Architekten Aldo van Eyck übrigens heute unter Denkmalschutz. Schließlich haben wir mit der Staatlichen Kunstakademie, der direkten Nachbarin unseres K20, etwas sehr Spannendes vereinbart: Künftig werden wir jährlich die Werke der Absolventinnen und Absolventen der Akademie aus dem jeweiligen Vorjahr im Ständehaus vorstellen. Erstmals hat sich am 8. Februar der Premieren-Vorhang im K21 für 60 junge Künstlerinnen und Künstler gehoben, die uns mit der Qualität ihrer Gemälde, Videos, Skulpturen, Performances oder Fotografien überzeugt haben. Natürlich haben wir nicht die Absicht, damit dem sehr beliebten Akademie-Rundgang Konkurrenz zu machen.

Hatten Sie schon die Möglichkeit, diesen Ansatz von regional/international auch in Ihrer Ankaufspolitik umzusetzen? 

Ja, das ist uns gelungen. Unser Blickwinkel bei den rund 20 Ankäufen im vergangenen Jahr war ebenso global wie regional, aber immer auf die internationale Bedeutung der Künstlerinnen und Künstler gerichtet. Zwei Künstler regionaler Herkunft und von internationaler Anerkennung, die beide bisher im Bestand der Landesgalerie gefehlt haben, sind Blinky Palermo und Ulrich Erben: Palermos plastische Wandarbeit aus einem schwarzen und einem verspiegelten Dreieck von 1973 ist dem Jazz-Pionier Thelonious Monk gewidmet. Die beiden abstrakten Gemälde Erbens „Festlegung des Unbegrenzten“ (2015/2018) erscheinen mit ihrem Hell-Dunkel-Verlauf der fein nuancierten Farbflächen wie Ausblicke in die Unendlichkeit.

Einige andere Erwerbungen sind im Zusammenhang mit unserem Forschungs- und Ausstellungsprojekt „museum global“ zu sehen, das uns gezeigt hat, was an Kunst der Moderne in der nichteuropäischen Welt entstanden ist. Hierzu zählt bei der Klassischen Moderne der Ankauf eines Gemäldes von Hassan El-Telmisani (1923-1987), der zu den wichtigsten Vertretern des Surrealismus in Ägypten gehört hat. Zur mittleren Generation der Moderne zählen die Abstraktionen der heute 94-jährigen libanesischen Malerin Etel Adnan. Auf Sonderausstellungen des Museums im K21 und K20 geht der Erwerb einer Installation der indischen Künstlergruppe Raqs Media Collective ebenso zurück wie der Ankauf des Videos „The Horror Show File“ (2010) von Wael Shawky. Ebenso konnten wir Werke des in Paris und Algier lebende Installationskünstlers und Documenta-Teilnehmers Kader Attia und der 1972 in der Ost-Türkei geborenen Künstlerin Nevin Aladağ erwerben.

Stichwort „museum global“: Die Ausstellung geht ja Mitte März zu Ende. Was ist zu sehen und welche Folgen wird das ungewöhnliche Projekt für die Kunstsammlung haben?

Nach etwa drei Jahren Vorbereitung, Recherchen und Forschung in Südamerika, Afrika und Asien durch unser Kuratorinnen-Team haben wir im November die Ausstellung „museum global“ eröffnet. Unsere ganz und gar auf den westlichen Kunstkanon festgelegte Sammlung mit bedeutenden Gemälden der Klassischen Moderne gibt hierzu eine sehr gute Folie ab. Was geschah woanders, als Matisse, Picasso oder Kandinsky ihre großen Werke schufen? Natürlich mussten wir uns auf einzelne Aspekte des weltweiten Geschehens konzentrieren: Wir haben uns auf Werke unter anderem aus Brasilien, Westafrika oder Japan beschränkt. Besonders spannend entwickelt sich der Dialog zwischen unseren Werken und den vielen kostbaren Leihgaben internationaler Sammlungen.

Diese Ausstellung ist für die Kunstsammlung ein wichtiger Schritt und soll bei uns allen, dem Museumsteam wie bei den aufmerksamen Besuchern, eine deutliche Änderung gegenüber der Kunst und Kultur der Moderne, eben einen neuen, einen globalen Blick auf dieses Thema bewirken. Nicht zuletzt in der künftigen Sammlungs-Präsentation im K20 wird dies ab Juni an der neuen Hängung ablesbar sein. Hier werden Sie dann auch erstmals einige der neuen Kunstankäufe des vergangenen Jahres sehen.

Begleitet wird die „museum global“-Präsentation von einem noch bis 24. März geöffneten und kostenfrei zugänglichen „Open Space“: Über einen zusätzlichen Eingang haben wir die Grabbe Halle faktisch wie symbolisch zur Stadt hin geöffnet. Hier bieten wir ein breites Programm mit Vorträgen, mit Film, mit Konzerten oder Gesprächen, damit sich unsere Besucherinnen und Besucher auf diese vielschichtige Ausstellung einstimmen können.

Jeder Museumsbesucher und Kunstfreund in Düsseldorf weiß, dass das etwas aus dem direkten Stadtzentrum entrückte K21 Ständehaus schwer als Ausstellungsort zu nutzen ist. Es ist als ehemaliges Parlamentsgebäude zwar architektonisch interessant und bietet unter der Glaskuppel Saracenos spektakuläre Netzinstallation; es ist aber eben trotz Umbau kein typisches Museumsgebäude. Beobachte ich richtig, dass hier auch einiges geschehen ist? 

Sie haben Recht! Es braucht mehrere, gut abgestimmte Schritte, um dieses Haus wieder zu beleben, wobei jetzt vor allem die seit den 1980er-Jahren entstandene Sammlung der internationalen Gegenwartskunst dort ihren Platz erhalten hat. Anfang September haben wir nach Umbauten und Neueinrichtung der Räume das „Re-Opening“ gefeiert. Für Wechselausstellungen stehen jetzt das weitläufige Untergeschoss und die Bel Etage über dem Haupteingang mit drei Sälen zur Verfügung. Seit Oktober war die chinesische Künstlerin Cao Fei zu Gast, die mit ihren spannenden multimedialen Arbeiten aktuelle Themen des globalen Kapitalismus‘ sowie das Leben in den Metropolen vorgestellt und damit „contemporary China“ zu uns nach Düsseldorf gebracht hat. Gleich zur Wiedereröffnung des K21 startete in der Bel Etage die amerikanische Künstlerin mit dem geheimnisvollen Pseudonym Lutz Bacher ihre Ausstellung. Nicht nur ein jüngeres Publikum konnten wir mit diesem Programm begeistern. Den Feuilletons von FAZ und Süddeutscher Zeitung war Lutz Bacher in Düsseldorf ein Aufmacher wert. Die regionale Westdeutsche Zeitung feierte die unkonventionelle Künstlerin, die für ihre Werke gern Fragmente der Populärkultur verwendet, sogar als New Yorker „Punk-Lady“, die mit ihren politisch-kritischen Werken das K21 belebt hat.

Kostenfrei zugängliche Räume der ersten Etage des K21 beherbergen jetzt den „Salon21“ als Lounge so wie das von uns – zusammen mit der Sammlung der Galerie Fischer – erworbene Archiv dieser bedeutenden Düsseldorfer Kunstgalerie. Mit Original-Dokumenten von den 1960er-Jahren bis heute können sich unsere Besucher in die Aktivitäten der Galerie vertiefen, die besonders während der 1970er-Jahre zur internationalen Durchsetzung von Konzept- und Minimalart wesentlich beigetragen hat! Ganz wichtig ist mir auch, dass jetzt wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Teams ihre Büros im Ständehaus haben. Nicht zuletzt zählen wir seit dem Herbst im K21 steigende Besucherzahlen. Mit all dem wird deutlich: Das K21 lebt!


Kurzvita

Susanne GaensheimerProf. Dr. Susanne Gaensheimer: Die 1967 in München geborene Kunsthistorikerin absolvierte von 1995 bis 1996 das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art in New York. 1998 wurde sie mit einer Dissertation über Bruce Nauman promoviert. Von 1999 bis 2001 war sie Direktorin des Westfälischen Kunstvereins in Münster. Von 2001 bis 2008 leitete sie die Sammlung für Internationale Kunst nach 1945 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und kuratierte eine Vielzahl von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.

Ab Januar 2009 war sie Direktorin des MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, wo sie das Ausstellungs- und Sammlungsprogramm konsequent um eine globale Perspektive erweiterte. 2014 gelang es ihr, das Museum um die Dependance MMK 2 im TaunusTurm zu erweitern. 

Gaensheimer ist seit dem 01.09.2017 Direktorin der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Hier begann sie ihr Programm mit der bisher größten Präsentation des Werks der kubanisch-amerikanischen Künstlerin Carmen Herrera und einer Einzelausstellung der zypriotischen Künstlerin und Choreografin Maria Hassabi. 

Gaensheimer ist Honorarprofessorin am Kunsthistorischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt. Sie brachte ihre Expertise in zahlreiche Kommissionen und Jurys ein, darunter die Turner Prize-Jury sowie die Findungskommissionen für die KuratorInnen der 7. und 8. Berlin Biennale sowie der documenta 14. Sie hat eine Vielzahl von Monografien und Ausstellungskatalogen herausgegeben. Gaensheimer hat zwei Mal den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig kuratiert. 2011 erhielt sie für die posthume Präsentation der „Kirche der Angst“ von Christoph Schlingensief den Goldenen Löwen, die höchste Auszeichnung der Biennale. 2013 tauschte sie mit Frankreich den Pavillon und präsentierte Werke von Romuald Karmakar, Santu Mofokeng, Dayanita Singh und Ai Weiwei.



Barbara Schmitz und Nicole Nau

„In jedem Tanz steckt eine Geschichte unseres Landes, eine Widmung an eine Situation“

Interview mit Nicole Nau, Tänzerin „Tango Argentino“, Malerin, Autorin


Von Barbara Schmitz

Du warst eine Düsseldorfer Grafik-Designerin und hast für renommierte Agenturen gearbeitet. Nun bist du seit vielen Jahren eine der weltweit bekanntesten und einflussreichsten Interpreten des populären Tanzes. Welches innere Feuer hat dich dazu befähigt? 

Erstmals getanzt habe ich mit sechs Jahren. Ich nahm Papas Schallplatten (was streng verboten war) und legte sie auf, bewegte mich zu diesen Klängen. Später habe ich zu Malen begonnen. Sehr gerne, auch sehr gut. Doch die Sorge, dass man sich als Künstler nicht über Wasser halten könne, brachte mich vom Malen ab. Diese Bohème war eine Welt, in der ich nicht zu Hause war, Lebenskünstler. Ich war sehr straight, sehr ordentlich, sehr klar, mit hohen Idealen und Prinzipien. Deshalb entschloss ich mich, Grafik zu studieren, Kunstgeschichte, - aber genau diese Wahl machte mein freies Malen kaputt. Der Kunde wurde wichtiger als das Werk. Ich merkte, dass etwas in mir explodierte, raus musste. Und da war es wieder, das Tanzen, der Tanz, das Frau sein, der Paartanz. Hier nun konnte ich mein eigenes Werk werden. Ich war sehr streng mit mir. Denn so wie ich Farben sehen kann, bevor sie entstehen, kann ich sie fühlen, riechen, ja anfassen. Ich kann im Himmel sehen, aus welchen Farben er gemischt ist; kann mit einem Stift alle Lichter und Schatten schaffen. So konnte ich nun Bewegung sehen, bevor ich sie tanzte. Das war ein sehr schmerzhafter Prozess. So sehr ich den Stift beherrsche, so wenig beherrschte ich anfangs das Medium Tanz. Es ist also nicht das freie Heraustanzen (Ekstase, Bewegung, Fühlen) sondern der gestalterische Moment des Erschaffens, der Kreation. Mit jedem Klang, jeder Bühne, in jeder Bewegung werden Bilder in mir wach, die ich mit Bewegung malen möchte. Mit meinen Büchern war es übrigens genauso. Ich wollte mir nicht etwas von der Seele schreiben, sondern für andere aufschreiben, was mich gerettet hat. Es hat alles Sinn, Ziel, eine Nachricht! In jedem Tanz steckt eine Geschichte von unserem Land, eine Widmung an eine Situation. Auch wenn wir keine Geschichten erzählen, so werden sie dennoch transportiert. Geschichten, die keine Worte brauchen.

Du hast dich mit unglaublicher Akribie in eine Spitzenposition getanzt. Woher nimmst du Stärke und Disziplin?

Ehrlich gesagt, kann ich das gar nicht beantworten. Es ist einfach da, ein Muss, ein inneres Treiben. Der Körper, die Musik, der Tanz, die Kommunikation im Paar, das ist ein absolut intensives Erleben. Ich spüre sofort, ob es stimmt oder nicht stimmt. Ob die Musik in uns getanzt ist, und ich mich wahrhaftig in der Musik bewege – oder die Musik größer bleibt. Im Tanz wird soviel geblendet, wie Klunker, die an dicken Ketten am Hals hängen. Ein Körper muss wie ein Instrument gestimmt sein. Wenn man dann keine Disziplin hat, kommt man auch nicht weit. Vielleicht wird man berühmt, aber im Publikum wahrhaftig etwas bewegen – außer „Ohs“ und „Ahs“ – das kann man dann eben nicht. Alle Disziplin würde ohne Ziel bleiben, wenn in einem nicht diese Ursprungsgabe des Künstlers stecken würde. Alles was ich anfasse wird zu Kunst. Ob es kochen ist, ein Buch schreiben, designen. Ich habe den Tanz gewählt, um diese in mir lauernde Kunst sichtbar machen zu können und Bücher geschrieben, ich male, designe unsere Kleider – und erzähle Geschichten.

Ich bewundere deine vielseitigen Talente: Grafikerin, Tänzerin, Kostümbildnerin, Schriftstellerin, Moderatorin, Schauspielerin, Musikerin, Marketing- und PR-Managerin. Habe ich etwas vergessen?

Laut meiner Schüler bin ich eine begnadete Lehrerin. Dabei unterrichte ich gar nicht, sondern bin und bleibe eine Künstlerin, die ihr Metier vermittelt. Aber das ist wahrscheinlich schon der Knackpunkt: etwas wahrhaftig zu beherrschen. So kann man Konzepte weitergeben inner-halb derer andere sich frei entfalten können. Tanz ist Bewegung in Zeit und Raum. Organisch, lebendig. Da darf man nicht mit Bildern wie Achsen kommen, die statisch stehen. Die Logik selber verbietet es. Ich nenne das Schreibtischtanz. Und ja, eine andere Fähigkeit, die ich habe ist, mich in andere zu versetzen. Ich kann Körper und Bewegung imitieren und so spüren, was der andere wahrnimmt. Das hilft ungemein, um Bewegungsfehler aufzuspüren. Dinge, die man scheinbar nicht sieht, die aber den sehr großen Unterschied ausmachen. Streng, eine Bewegung kann streng aussehen, aber darf sich niemals streng anfühlen, oder lasch aussehen, darf sich aber niemals lasch anfühlen. Das nennt man Interpretation. Dinge, die ich angehe, mache ich einfach gut. Es ist so, dass der liebe Gott mir diese Fähigkeit zum Tausendsassa mitgegeben hat. Das hat aber mit Inspiration zu tun, mit Vorstellung, mit den Sinnen. Einen Sinn für Dinge haben, in Sachen und Angelegenheiten Sinn zu finden und zu sehen. Es gab nur einen Job in meinem Leben, den ich kaum aushielt: ein Ferienjob. Ich musste Fotokopien machen und ordnen. Sechs Wochen lang. Ich legte sie rückwärts, ungerade, gerade, von hinten nach vorne, einfach um meinen Geist bewegt zu lassen. Da merkte ich das erste Mal, dass mein innerer Antrieb die Kreativität ist und mein innerer Tod die Routine, das Nichtdenken, Nichtfühlen.

Du bist eine starke Frau. Wie kommst du mit der männlich geprägten Gesellschaft in Argentinien klar?

Ich bin eine sehr weibliche Frau. Ich liebe klassische Rollen und denke, dass die Frau besonders stark ist, wenn sie Frau bleibt. Da hat sie etwas, was der Mann nie haben kann und ist reich in ihrem Geben. So wie er, wenn er Mann bleibt, reich in seinem Geben bleiben darf. Frau sein hat nichts mit Kleinmädchen-Hysterie zu tun. Stark sein hat nichts mit Macho zu tun. Gerade einen Mann, der sensibel ist und Position bezieht, erlebe ich als männlich. Ehrlich gesagt, gehen mir diese affektierten Rollenbilder ziemlich auf den Wecker. Sie nehmen uns die Chance, einfach zu sein, wie wir sind. Und so sehr Frauen Männer aus ihrem Leben „entfernen“ wollen, mit jedem Kind tragen sie Teile von „ihm“ in sich. Das sind klare Rollen, warum sollten wir versuchen „gleich“ zu sein? Mensch sein! Aber daran hapert es ja nun leider weltweit. Ethik. Moral. Erziehung.

Wenn du mit deinem Mann Luis Pereyra tanzt, dann fühlt man die Magie und Verbundenheit zwischen euch. Und die Freude miteinander. Wie schafft ihr es, diese Authentizität immer wieder aufs Neue sichtbar zu machen.

Unsere Beziehung ist echt. Jeden Tag liebe ich diesen Mann ein Stück mehr und tiefer. Jeden Morgen, wenn ich erwache, denke ich mir, dass es ein Geschenk Gottes ist, diesen Mann an meiner Seite zu haben. Ich weiß, dass es Luis genau so geht. Nun sind wir beide sehr straight in unseren Rollen, in unserem Frau- und Mann-sein. Da gibt es Tabus, Grenzen, über die der andere niemals gehen würde, Respekt, Achtung. Wenn zwei Menschen aus so unterschiedlichen Positionen aufeinandertreffen, dann knistert es gewaltig. Er hat das, was ich nicht habe, und ich das, was ihm fehlt. Wenn wir zusammen tanzen, dann sind wir erst ein Ganzes.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Luis dich bei euren Choreographien durchaus noch ein wenig verblüffen kann?

Oh ja. Dieser Künstler Luis hat ein Wissen und Tiefen, die mich manchmal sogar erschrecken. Erschrecken, weil ich dann, wenn er ein neues Thema aufmacht, erst bemerke, dass er in einer Kulturwelt lebt, die enorm ist, riesig. Wenn es für mich ist wie Honigwaben, in die ich schlüpfe und wieder heraus und denke, ich habe es jetzt verstanden, so besitzt Luis das Geheimnis aller Bienen. Er muss sehr einsam sein. In den 20 Jahren unseres Zusammenlebens und auch in den anderen 20 Jahren, die ich ihn vorher bereits als Künstler kannte – ich habe nie erlebt, dass irgendwer in unserem Genre jemals seine Tiefe erreicht hat. Er erinnert mich an Gades. Dieser Antonio Gades war ein hervorragender klassischer Tänzer – was ja kaum einer weiß – der sich aber entschieden hat, für die eigene spanische Kultur zu tanzen. Und damit degradiert war. Kein richtiger Gitano, denn sein Können war zu „perfekt“, zu gut. Er war einfach der Beste, aber einsam an der Spitze, die sein Volk ihm ja nicht lassen wollte.

Wie balancierst du dich aus? Das Leben in Argentinien scheint mir sehr anders zu sein, als das hier in Europa.

Da sprichst du einen wunden Punkt an. Beide Seiten haben etwas Faszinierendes, und immer vermisse ich den anderen Teil. Es ist, wie wenn man zwei Leben im Herzen tragen würde, die aber nie eines werden können. In Argentinien bin ich „die Deutsche“, in Deutschland „die aus Argentinien. „Anhelar“ ist das spanische Wort für „sich nach etwas sehnen“. Deutschland und Europa vermitteln Ruhe, Ordnung, Ausgeglichenheit, Treue, langjährige Beziehungen. In Argentinien hingegen ist Trubel, Aufregung, Instabilität aber eben auch eine pulsierende Lebendigkeit. Deutschland ist meine Heimat, Argentinien mein Zuhause. Aber oft vermischen sich die Gefühle. Das ist der hohe Preis für ein Künstlerleben, immer aus dem Koffer, irgendwann entwurzelt zu sein.

Was sind deine kleinen Fluchten? Wie und wo tankst du auf? Was sind deine Kraftquellen?

Natur. Tiere. Pflanzen. Der Himmel. Wälder. Ruhe und Stille. Musik. Gute Filme und viele Bücher.

Ihr habt eine besondere Verbindung zu euren Fans in Deutschland. Wie kommt das?

Eine Sache ist es, Publikum zu unterhalten. Etwas ganz anderes, eine gesamte Kultur zu teilen, daran teilhaben zu lassen. Oft sagt uns das Publikum: es ist, als wären wir mit euch nach Argentinien gereist. Oder: wir wussten gar nicht, wieviel Facetten dieses Land hat. Die F.A.Z schrieb: eine Liebeserklärung an Argentinien. Es gibt niemanden im Publikum, den wir nicht wahrnehmen. Wir fühlen alles, Kunst, Musik, Tanz, Schauspiel geht durch uns durch. Das ist keine Maske, die wir aufsetzen, sondern wir erleben das, was wir zeigen. Immer wieder, als sei es ein erstes Mal. Immer anders. Immer variiert. Das Publikum wird dabei Teil von uns, wir nehmen es mit, es trägt uns dann. Das ist eine Symbiose, in der wir „oben“ und die „unten“ eins werden. Unsere Fans wissen das zu schätzen, diese Ehrlichkeit und Transparenz im Spiel auf der Bühne, die Tiefe, das Echte, Authentische. Nichts ist gekünstelt oder aufgesetzt. Sie begleiten uns, folgen uns, reisen mit uns, kommen nach Argentinien. Aber nicht um Fans von Nau/Pereyra zu sein, sondern Fans einer Kunstform, die es heute nicht mehr gibt. Wir sind die letzten Mohikaner. Der Tango beispielsweise, der vor 35 Jahren eine ganze Welt erobert hat, ist bei all der Kommerzialisierung unter die Räder gekommen. Wir aber tanzen ihn weiter, genau diesen Tango Argentino. So wie er war, als er diese unglaubliche innere Kraft hatte.

Welche Gefühle verbinden dich mit deiner Heimatstadt Düsseldorf? An was denkst du, welche Geruchserinnerungen bringen dich zum Beispiel direkt hierhin zurück?

Es ist der Rhein, der mir eine tiefe Verbundenheit an meine Kindheit schenkt. Wir haben damals an der Rheinallee 116 gewohnt: das Tuckern der Schiffe, die freie Sicht auf die Silhouette von Düsseldorf, die hohen Pappeln, das sind Bilder, die mich tief berühren. Und essen? Da ist es das Essen meiner Großmama: herrliche alte Rezepte, wie in Milch gekochte Korkenziehernudeln oder Wirsingeintopf. Sowas gibt es heute gar nicht mehr.

Ihr engagiert euch immer wieder ehrenamtlich. Welche Projekte unterstützt ihr?

Wir helfen wo wir können. Gerade ziehe ich eine zu Sylvester aus dem Nest gefallene Taube auf. Alle unsere Tiere (2 Katzen, 2 Hunde, 1 Schildkröte) sind Findelkinder. So helfen wir auch gerne anderen Menschen in Not, bringen regelmäßig Essen in die Kirche. 2018 haben wir das Frauenhaus Düsseldorf unterstützt, bei der Sammelaktion von Karstadt getanzt und so unsere Gage gespendet. Seit 15 Jahren unterstützen wir Futuro Si, die übrigens in 2019 ihr 25-jähriges Jubiläum haben: Im Oktober werden wir in der Tonhalle unsere große Show präsentieren – und auch diesmal auf unsere Gage verzichten. In Lünen sammeln wir bei unseren Aufführungen für das Kinderhospiz Geld, damit Eltern ihre Kinder in den letzten Monaten begleiten können. Auch hier in Argentinien helfen wir im Krankenhaus für krebskranke Kinder. Wir unterstützen auch die Brotzeit von Uschi Glas und ihrem Ehemann. Das sind alles Projekte, deren Mitarbeiter wir kennen – und wissen, dass unsere Hilfe auch voll ankommen wird.

Welche Pläne habt ihr 2019? Kommt ihr auch wieder nach Düsseldorf?

Ja, wir werden mit großer Company und neuen Programm auf Tournee gehen, die Weltpremiere ist in Wien. Am 26. Oktober stellen wir in der Tonhalle unsere neue Show VIDA! vor. 
Termine: www.vida.show


Kurzvita

Nicole NauNicole Naus Weg zu einer der bekanntesten und einflussreichsten Tango-Tänze-rinnen der Welt ist außergewöhnlich. 1963 in Düsseldorf geboren. Don Bosco Schule, später Cecilien Gymnasium, Graphik Studium an der Fachhochschule Düsseldorf. Parallel arbeitete sie für renommierte Agenturen in Düsseldorf. 1988 sah sie die Show „Tango Argentino“. Dort erlebte sie zum ersten Mal ihren heutigen Ehemann und Tanzpartner – den faszinierenden Künstler, Startänzer aus Argentinien, Luis Pereyra. Fasziniert reiste sie nach Argentinien und verlor ihr Herz endgültig an den Tango. Nach der Ausbildung zur professionellen Tänzerin eroberte sie in kürzester Zeit einen herausragenden Platz in der argentinischen/internationalen Tango-Szene. 10 Jahre später ehrte sie der Staatspräsident als „beste Tangotänzerin“, die argentinische Post widmete ihr zwei Briefmarken. Erst 2000 begegnet sie Luis Pereyra wieder. Es begann ihre Liebesgeschichte und später kam es zu einer Zusammenarbeit. Luis Pereyra ist verantwortlich für den musikalischen Teil und die Choreographie ihrer Shows, sie hat als Designerin alle visuellen Bereiche übernommen: Licht- und Kostümdesign der hinreißenden Kleider, Make Up und Bühnenbild. Luis Pereyra führte sie ein in die Welt aller argentinischen Tänze und die des klassischen Balletts. So lernte sie afrikanische Rhythmen und Formen der Bewegung kennen neben der Strenge des russischen Balletts. Auch als Erzählerin und Schriftstellerin hat sie Erfolg: Sie führt als Moderatorin durch ihre Produktion „Se dice de mi“ und ist oft Gesprächspartnerin in Radio und TV. Ihre außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte erzählt sie in ihrem erfolgreichen Buch „Tanze Tango mit dem Leben“ (Bastei Lübbe Verlag, 2013). Gerne setzt sie sich für Hilfsbedürftige ein: Kinder in Not, Frauen in Not, Menschen in Not, nach dem Motto: Wo viel Licht ist, befindet sich auch viel Schatten. Im Herbst touren Nicole Nau und Luis Pereyra mit ihrer eigenen Company VIDA! in neuer Besetzung um die Welt. Gerade waren Sie in Paris, im Folies Bergère. Nicole Nau ist Member of CID UNESCO.



Andreas Rademachers

„Caritative Projekte sind unser Kerngeschäft“

Interview mit Andreas Rademachers, Kapitelmitglied und Archivar der Großballei Deutschland, Kurator der Deutschen-Lazarus-Stiftung


von Dr. Susanne Altweger

Interview mit Andreas Rademachers, Kapitelmitglied und Archivar der Großballei Deutschland, Kurator der Deutschen-Lazarus-Stiftung

Herr Rademachers, Sie sind jung, stehen mitten im Berufsleben und haben sich entschlossen, einem Orden beizutreten, der viel persönliches Engagement verlangt. Ist das eher ungewöhnlich? 

Keineswegs. Von unserer Generation wird im Arbeitsleben hohe räumliche Flexibilität erwartet. Da ist es natürlich nicht so einfach, sich regional zu engagieren. Als ich 2010 um Aufnahme bat, gehörte ich eindeutig zu den Jüngsten. Grundsätzlich teilen wir das Problem, das wohl alle Vereine haben, in denen eher die älteren Personen in der Überzahl sind. Doch wir haben, was die Verjüngung betrifft, gute Fortschritte gemacht.

Was hat Sie persönlich am Lazarus Orden interessiert?

Das waren verschiedene Auslöser. Durch eine wissenschaftliche Arbeit bin ich auf die seit dem Mittelalter bis heute bestehenden Ritterorden gestoßen. Persönlich war ich auf der Suche, meinen Glauben aktiv zu leben. Die ökumenische Ausrichtung gefiel mir, auch dass jedes Mitglied selbst mitanpackt. Ich fühlte mich sofort angenommen, nicht gebremst, die Gemeinschaft erlaubt auch, eine persönliche Note einzubringen.

Das erstaunt mich, denn es herrscht doch eine straffe Hierarchie mit dem Adel an der Spitze.

Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir kein Adelsverein mehr. Allerdings ist speziell in Frankreich und Spanien die Adelsquote recht hoch. Nach der Verfassung des Ordens muss der Großmeister aus einer regierenden oder ehemals regierenden Familie kommen. Aber generell halten wir es mit Wilhelm II, der vom Adel der Gesinnung statt dem von Geburt sprach. Die Philosophie ist, aus dem christlichen Glauben heraus zu helfen. Das ist unser Wertefundament. Den einzelnen Regionalgruppen wird viel Handlungsfreiheit gegeben. Es gibt aktuell 43 nationale Gliederungen, Mitglieder unterschiedlicher Sprachen und Konfessionen. All die kulturellen Prägungen müssen zusammengeführt werden, und das ist eben die Rolle des Großmeisters Francisco de Borbón, Graf von Hardenberg, der übrigens mit 39 in das Amt gewählt wurde.

Das ist ein großer Name. Könnten Sie uns einen kurzen Abriss der Geschichte des Ordens geben?

Die Gründung fiel in die Zeit nach dem ersten Kreuzzug in Jerusalem im 12. Jahrhundert. Der Orden errichtete ein Haus für Leprakranke, die Ausgestoßenen der damaligen Gesellschaft. Unter den Infizierten waren auch viele Kreuzritter, und man wollte den Kranken weiter ein selbstständiges Leben ermöglichen ohne Verlust der gesellschaftlichen Stellung. Nach dem Ende der Kreuzfahrerstaaten wurde der Sitz nach Boigny in Frankreich verlegt, und man war bis zum Ende der Monarchie fest mit der französischen Krone verbunden. Seit 1841 verwaltet sich der Orden selbst unter dem Protektorat des melkitisch-griechisch-katholischen Patriarchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste er auch wieder außerhalb Frankreichs Fuß und öffnete sich in den 1960er-Jahren allen Konfessionen.

Kann bei Ihnen jeder Mitglied werden oder ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion Grundbedingung? 

Aufnahmekriterien sind Volljährigkeit und Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion, egal ob katholisch, evangelisch, orthodox oder koptisch. Wir erwarten allerdings aktive Teilnahme am Glaubensleben. Die finale Einladung, Mitglied zu werden, liegt aber weiterhin offiziell beim Orden. 

Für größere Ereignisse (Ordenstreffen, Fronleichnamsprozession) treten die Mitglieder in vollem Ornat auf, die Aufnahmezeremonie ist ebenfalls ein Ritual. Läuft man da nicht Gefahr, die falschen Leute anzuziehen? 

Die Gefahr besteht natürlich und deshalb legen wir Wert darauf, mögliche Kandidaten intensiv kennenzulernen. Die Rituale, wie Sie es nennen, aber auch der Ordensmantel und die Insignien, sind ja kein Showelement, wir veranstalten keine Ritterspiele. Im Zentrum der Aufnahme steht ein ökumenischer Gottesdienst. Mitglied zu werden, das ist ein Versprechen und eine Verpflichtung in letzter Instanz Gott gegenüber. Wir wollen keine Mitglieder, die sich bei irgendwelchen Bällen mit Orden und Insignien schmücken wollen. Bei der Investitur weisen wir darauf hin, dass dieses Kreuz, das überreicht wird, der einzige Schmuck ist, den wir vor Gott tragen. Es ist kein dekoratives Element, sondern symbolisiert das Versprechen. Man wird in eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern aufgenommen und das schafft sicherlich auch ein Gefühl großer Zusammengehörigkeit. Der Ordensmantel symbolisiert die Gleichheit aller Mitglieder. Man kann sich in einer Sache auch mal auseinandersetzen, selbst über Einzelheiten streiten, aber immer ist die gemeinsame Basis vorhanden. Nicht Rituale, sondern die karitative und diakonische Arbeit aus gelebtem Glauben heraus stehen im Mittelpunkt.

Wie viele Mitglieder zählt der Orden zurzeit?

In Deutschland tragen insgesamt rund 200 Personen den Mantel mit dem grünen Kreuz, weltweit sind um die 6.000 Frauen und Männer.

Trotz aller Tradition: Sind Sie im modernen Medien-Zeitalter angekommen? Wie sieht es mit der Präsenz im Netz und in den sozialen Medien aus? Sind sie bei Facebook?

Ja, das sind wir. Und in Kürze geht unsere neue moderne Website ans Netz. Man darf ja auch Gutes tun und darüber reden.

Welche aktuellen Projekte unterstützen Sie derzeit?

Karitative Projekte sind sozusagen unser Kerngeschäft. Gerade haben wir eine Schule im libanesischen Ryak für 115.000 Dollar erweitert und saniert, in der in erster Linie Kinder von Flüchlingsfamilien unterrichtet werden. Es ist das Anliegen des früheren melkitischen Patriarchen Gregorius, Infrastrukturen sicherzustellen, die es den Menschen ermöglichen, in der Region zu bleiben. Zuvor haben wir dem multireligiösen geriatrischen St. Louis-Hospital in Jerusalem geholfen, übrigens zusammen mit den Rittern vom Heiligen Grab, und – das war unser Anteil – eine neue Großküche bauen lassen. Aktuell steht ein behindertengerechter Zugang zum Erfurter Dom auf der Agenda. Dauerprojekte liegen auch in der Leprahilfe, zum Beispiel die Unterstützung einer Lepra-Klinik im indischen Bhubaneswar, womit wir ein Stück weit auf den alten Pfaden wandeln. Die rheinische Ordensprovinz (Kommende) arbeitet zudem mit dem Netzwerk Mensch im Kloster Langwaden in Grevenbroich zusammen und unterstützt zukünftig den Verein „Neuss hilft Burundi“. Es gibt viele große und kleine Projekte, die wir auch häufig zusammen mit starken Partnern, wie dem Hilfswerk Deutscher Zahnärzte und der Deutschen Lazarus-Stiftung, umsetzen. 

Spendenkonto Lazarus e.V.
IBAN DE42 3706 0193 6005 0510 19
Pax Bank (BIC GENODED1PAX).

Kurzvita

Andreas RademachersDr. Andreas Rademachers 2006-2011: Studium Geschichte, Germanistik und Staatsrecht Universitäten Bonn und Wien. Promotionsstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung. 2017: Promotion zum Dr. phil. ("Absolution und Neubeginn. Katholische Kirche und Bewältigung der NS- und Kriegsvergangenheit"). 2012-2016: Büroleiter und Pers. Referent im Landtag NRW, seit 2016 Parlaments- und Regierungsbeziehungen bei der Amprion GmbH. 2009-2014: Mitglied des Kreistages des Kreises Heinsberg. Seit 2011 Mitglied des Ordens, 2016 Archivar und Herold der Großballei Deutschland, Mitglied des Kapitels (Vorstands), 2012: Mitglied des Kuratoriums der Deutschen-Lazarus-Stiftung, 2016: Mitglied des Direktoriums der Internationalen Historischen Akademie des Ordens.



Christian Theisen und Kamelia Neumüller

„Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt stetig zu“

Interview mit Kamelia Neumüller, Diplom-Klavierpädagogin und Inhaberin der Musikschule Niederkassel


von Christian Theisen

Wie wichtig ist die musikalische Früherziehung in Zeiten der Digitalisierung?

Der Musikunterricht ist ein kleiner Schutzraum, in dem wir uns fern ab von flimmernden Bildschirmen in eine analoge Welt fallen lassen und uns ganz ohne Ablenkung in die Musik vertiefen können. Frei von Unterbrechungen und Werbepausen, dafür aber im sozialen Gefüge. Wenn man erstmal in die Musik eingetaucht ist, ist es ähnlich wie mit einem guten Buch: man fühlt sich bereichert und aufgetankt. Unter pädagogischer Anleitung entdecken die Schüler im Unterricht Neues und Spannendes, das macht neugierig auf mehr. Dabei vermisst keiner seine digitalen Spiele. Der Alltag dagegen bringt viele Ablenkungen aus verschiedenen Kanälen gleichzeitig, das bereitet Stress. In der heutigen Zeit ist das Fokussieren auf ein Thema wich-tiger Bestandteil des Unterrichts. Die Kinder kommen aber gerade deshalb sehr gerne, sie blühen sichtlich auf. In den Ferien sind sie traurig, wenn ihre Kurse pausieren. Das zeigt, dass die Erlebnisse beim gemeinsamen Musizieren tiefer wirken als ein Computer-spiel. Über einen konzentrierten Zeit-raum hinweg zu musizieren ist eine große Genugtuung für alle, da fällt der Druck des Alltags ab, und ein Ventil öffnet sich.

Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt also nicht ab? Oder ist das auch eine Frage des Elternhauses und Einkommens?

Im Gegenteil. Die Nachfrage nach Musikunterricht nimmt stetig zu. Ich kenne Familien mit begrenztem Einkommen, die alles daran setzen, ihren Kindern das zu ermöglichen, was ihnen verwehrt blieb. Sobald sie sich entschieden haben, ihr Kind für einen qualifizierten Unterricht anzumelden, bleiben sie dabei und sparen an an-derer Stelle. Sie sehen ihre Investition als sinnvoll an, wenn sie den stetigen Fortschritt und die wachsende Begeisterung ihres Kindes beobachten. Viele Eltern achten verstärkt auf die qualifizierte Ausbildung der Lehrkräfte, wenn sie schon eine solche Investition tätigen. In meinen Kursen mischen sich Kinder diverser Sozialstrukturen, selbstverständlich aber auch Kinder von wohlhabenden Familien. Für meinen Unterricht spielt die Herkunft aber keine Rolle. In der Musik blühen die Kleinen alle gleich auf und müssen sich mit ihrer Pauke für ein stimmiges Orchester genauso zurücknehmen wie ihr Sitznachbar. Im Team bilden sie dann gemeinsam einen harmonischen Klangkörper, was ihnen viel Freude bereitet.

Dass die Nachfrage nach Musikunterricht steigt, hängt aber leider auch damit zusammen, dass die Länder und Kommunen bei den städtischen Bildungsangeboten seit Jahren Einsparungen vornehmen, so wie es derzeit auch beispielsweise bei den Schwimmbädern passiert. Auch die musikalische Versorgung an allgemeinbildenden Schulen wurde her-untergefahren, in Kindergärten fehlt sie seit Jahrzehnten. Erzieherinnen bekommen in der Berufsschule nur in Ausnahmen Musikunterricht. Viele Familien kümmern sich nun privat um die fehlende musikalische Bildung ihrer Kinder, was die Wartelisten ins Unermessliche steigen lässt. Dies ist leider ein abendfüllendes politisches Thema mit vielen Facetten.

Du suchst jetzt schon seit mehreren Jahren vergeblich nach geeigneten Musikräumen für deine Musikschule, weil die Kirche St. Anna, auf deren Gelände sich deine Räumlichkeiten befinden, demnächst abgerissen wird. Bei so viel Nachfrage müsste es doch entsprechende Raumangebote geben. Wo liegt das Problem?

Auf dem Gelände der St. Anna hatte ich vor 18 Jahren Glück, die ehemalige Bibliothek der Kirche mieten zu dürfen. Ich fühle mich dort sehr wohl, was den Abschied schwer macht. Das Gebäude liegt im Herzen von Niederkassel ganz ohne angrenzende Nach-barschaft, wo ich mit den Kindern uneingeschränkt musizieren kann. Die Gegend, in der ich meinen treuen Kundenstamm aufgebaut habe, hat sich mittlerweile von ihrem einst dörflichen Charakter zu einem wohlhabenden Standort gewandelt. Das Bauland ist nicht nur unerschwinglich geworden, es steht im linksrheinischen Düsseldorf quasi kein Bauland mehr zur Verfügung. Investoren brechen in den Stadtteil, jeder Winkel wird bebaut. Es bleibt kein Raum mehr für kleine bis mittelständische Unternehmen, und wenn ein Objekt frei wird, liegt der Mietpreis jenseits der Vorstellungskraft von Kleinunternehmern. So bricht gleichzeitig auch die gewachsene Infrastruktur weg: die Metzger um die Ecke, die Friseure oder die Musik-schule gegenüber, die das Kind ohne weiten Fahrtweg besuchen konnte, finden keinen Platz mehr. Die Neubauten werden ausschließlich auf komfortablen Wohnraum ausgerichtet, kleinere Gewerbeeinheiten verschwinden vom Bauplan oder es sitzt darin ein Mobilfunkanbieter. Menschen, die in der guten Wohnlage neue Häuser bauen, müssen bald weite Wege zurücklegen, um kleine Erledigungen zu tätigen. Die bisherige Infrastruktur werden sie nicht mehr bequem vor ihrer Haustür vorfinden. Wie schade, dass dadurch der Verkehr mit all seinen Nebenwirkungen auch zunimmt. 

Um die Objektsuche zu beenden, würde ich gerne selbst eine Gewerbeeinheit bauen oder ein Haus zwecks Musikunterrichtes kaufen, um im Stadtteil zu bleiben, was mein großes Anliegen ist. Aber die Angebote sind nun mal so gut wie vergriffen, zumal das Gebäude aufgrund des Kundenverkehrs nicht im reinen Wohngebiet liegen darf. Da bleibt voraussichtlich nur die Miete. Bei meiner Objektsuche als Mieter besteht aber das Problem, dass kein Vermieter singende Kinder in seinem Areal dulden möchte. Die Angst vor Ärger in der Nachbarschaft ist so groß, dass die Absage per Telefon bereits erteilt wird, noch bevor man sich kennenlernen konnte. Groß ist die Angst vor der Unruhe durch Kinder auf dem Hof: durch Spielen, Klettern, Weinen, Lachen. Lieber wartet man auf ein Steuerbüro oder eine Arztpraxis. Da-bei sind meine Kunden nur Familien, die mit ihrem Kind an der Hand ins Gebäude ein- und ausgehen. Kunden wie beim Zahnarzt oder in einer Buch-handlung, nichts weiter. Diese Ängste bewahrheiten sich ja nicht in der Realität, sind aber trotzdem präsent. Weiterhin gibt es auch Gebäude, die ungeeignet sind. So können Bürogebäude in Leichtbauweise schlecht vom Schall der Klaviermusik isoliert werden. Deshalb werden wir nicht einmal im Industriegebiet fündig: Neben jeder Industriehalle stehen Büros, die nach dem TA-Lärm Ruhegesetz zu schützen wären. Um mit der Musikschule um-ziehen zu können, benötige ich eine Nutzungsänderungsgenehmigung des Bauamts, die unter all diesen Bedingungen nicht erteilt wird. Letztes Jahr hatte ich sogar einen Vermieter gefunden, der mir ein Objekt zur Verfügung gestellt hätte. Wir waren uns einig und glücklich, dass es gegenseitig zum Einverständnis gekommen war, da untersagte das Bauamt leider die gewerbliche Nutzung, die vormals im Gebäude erlaubt war - für beide Seiten schade. Dieser Vermieter war ein Förderer der Kreativen. Bereits seine Eltern hatten in den 60er Jahren ihren eigenen Keller als Proberaum an eine junge Band vermietet – heute kennt sie jeder: Kraftwerk! Die Band ist mittlerweile ein stolzes Aushängeschild der Düsseldorfer Szene.

Kann die Stadt Düsseldorf nicht helfen? Immerhin schafft sie es alleine nicht, der Nachfrage nach Musikunterricht ein ausreichendes Angebot gegenüberzustellen. Insofern wäre es ja sinnvoll, Alternativangebote zu unterstützen, damit möglichst jedes Kind in Düsseldorf Musikunterricht erhalten kann.

Mit meinem Anliegen habe ich mich bereits mehrmals an die Stadt gewandt, die das Thema auch ernst genommen hat, zumal sie ja Stellen an der Städtischen Musikschule kürzt und den wachsenden Unterrichtsbedarf selbst verursacht. Zuerst hatte ich ein sehr fruchtbares Gespräch mit Bürgermeister Friedrich Conzen, dann durfte ich Oberbürgermeister Thomas Geisel die Situation schildern. Mit den zuständigen Mitarbeitern versucht die Stadt, eine Raumlösung zu finden – momentan leider vergeblich. Selbst verfügt die Stadt über keine passen-den Flächen für mich. Viele Kreativräume werden derzeit für Schulunterricht von Gymnasialklassen genutzt, deren Schulgebäude aufwändig saniert wer-den. Die Stadt braucht ihre Objekte dringend selbst. Die vormals verfügbaren Immobilien für Künstler und Kreative haben leider schon längst Wirtschaftsunternehmen und Investoren vereinnahmt. Nun bin ich mit der Stadt im Gespräch, wo es noch eine kleine freie Wiesenfläche geben könnte, die das Bauamt für einen Neubau zulassen würde. Bisher konnte aber keiner meiner Vorschläge realisiert werden. Zu jedem angefragten Quadratmeter besteht bereits ein gesetzlicher Bau-plan. Ich bleibe aber dran und rufe Herrn Geisel die Dringlichkeit immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe ihm sogar vorgeschlagen, unter der Brücke zu bauen, so wie es das Apollo-Varieté-Theater in den 90ern gemacht hat. Da aber die Brücken marode sind und es hier dringend einer Sanierung bedarf, lässt sich diese Idee nicht realisieren. Für jegliche Angebote von Düsseldorfer Immobilienbesitzern bin ich aber sehr dankbar.

Bei deinen Konzerten scheint zumindest kein Raumproblem zu bestehen. Die veranstaltest du regelmäßig für alle Altersklassen, sogar für Babys ab 0 Jahren. Was ist das Konzept dahinter?

Kamelia Neumüller

Neben der Tätigkeit an meiner Musikschule beschäftige ich mich als Konzertpädagogin mit der Konzeption spezieller Konzertprogramme für aus-gewählte Zielgruppen. Mit den Veranstaltungen meiner BAM!-Konzerte ist ein zweites Unternehmen gewachsen, das sich im Düsseldorfer Kulturleben seit fast 8 Jahren etabliert hat. Gemeinsam mit meinem erfahrenen Ensemble führe ich Babykonzerte und Kinderkonzerte auf, das sind klassische Konzerte für Familien mit Kindern von 0-3 oder 4-8 Jahren, die von professionellen Musikern an meiner Seite gespielt werden. Junge Familien können hier zu kindgerechten Uhrzeiten Klassikkonzerte von hoher Qualität besuchen, die speziell auf die Altersgruppe ihrer Kinder ausgerichtet sind. Sie können gemeinsam eine schöne Konzertstunde in angenehmer Atmosphäre genießen, ohne ihr Klein-kind abgeben zu müssen, um am kulturellen Leben teilzunehmen. Die Konzerte finden in enger Kooperation mit dem Bechstein Centrum im stilwerk-Konzertsaal in der Stadtmitte statt. Aber auch die Musikgeragogik hat mich lange beschäftigt: Die ersten klassischen Konzerte für Menschen mit Demenz habe ich 2012 zusammen mit dem ibk-Institut in die Welt gerufen. Diese fanden nicht in den Pflegeeinrichtungen, sondern in renommierten Konzertsälen statt, so dass die Gäste Kulturatmosphäre in einer echten Kulturstätte erleben konnten und nicht im Foyer ihres Pflegeheims. So konnten diese Menschen mit ihren Angehörigen für einen kurzen Augenblick ins satte Leben zurückkehren, während die Musik all ihre Sinne aktivierte, was über einen längeren Zeitraum hinweg messbar aufmunternd und heilsam wirkte. Das Programm mit dem Namen „Auf Flügeln der Musik“ ist heute Bestandteil zahlreicher Konzerthäuser in NRW, für das wir 2014 den BKM-Preis für kulturelle Bildung durch die Kultusministerin Grütters erhalten haben.

Ist Düsseldorf ein guter Standort für Musik? Bis auf einige wenige Bei-spiele sind Künstler aus Düsseldorf international kaum vertreten. Was könnte oder müsste verbessert wer-den?

Künstler brauchen Räume, in denen sie aktiv werden können. Es mangelt hier drastisch an Proberäumen für Musiker – ob für den klassischen Pianisten oder eine Band. Der „Störfaktor“ Musik muss positiven Raum und förderhafte Gesinnung bekommen. Wie die ehemaligen Proberaumvermieter von Kraftwerk.

Dass Proberäume von 10 qm im Keller schnell mal 500 Euro/Monat kosten können, erklärt schon alles. Knappheit bestimmt die Preise. In jedem Beruf ist es möglich, sich ein Büro zu mieten, um sein Start-up gründen. In der Musikausübung gibt es kein Gebäude, in dem der Schall geduldet wird oder Platz bekommt. Hier könnte die Stadt investieren. Die freie Kunstszene würde aufblühen. Als Studentin hatte ich die Möglichkeit, in der Hochschule in einem Überaum zu trainieren – auch wenn die Reservierung ein täglicher Kampf war. Nach dem Examen wird man mit seinem Beruf vor die Tür gesetzt und verfügt über keine Übemöglichkeiten mehr. Der Druck hält an, wenn die nächsten Konzerte folgen, man sich aber mangels Übemöglichkeiten unvorbereitet fühlt. Zu Hause schimpfen die Nachbarn über das stundenlange Praktizieren und führen kostspielige Gerichtsprozesse. Es sind oft die gleichen Menschen, die gerne ins Konzert gehen. Natürlich soll das Heim ein ungestörter Rückzugs-ort sein. Hier könnte die Stadt unter-stützend wirksam werden. Profitieren würden gleichsam Musiker wie ruhe-liebende Bürger. Bisher wird uns Musikern vermittelt, dass kein Raum für diesen Störberuf zur Verfügung steht. Meist müssen wir viel investieren. Die-se Profession ist mit vielen Opfern verbunden. Das Ergebnis ist nur auf der Bühne gesellschaftsfähig, nicht aber im Alltag. Wenn aber zum Beispiel die Schulen den Jugendlichen mehr Freiraum am Nachmittag einräumen würden, damit sie musizieren können, wäre die kreative Welt gerettet. Aber dies ist ein anderes langes Thema.


Kurzvita

Kamelia NeumüllerKamelia Neumüller, Dipl. Klavierpädagogin/Pianistin, Studiengang Musikpädagogik AfT Darmstadt, Hauptfach Klavier, Nebenfächer Flöte, Gesang und Musiktheorie; Dipl. Musikerziehung Studien-gang AME (Allgemeine Musikerziehung) RSH Düsseldorf. Studium Sozialpädagogik und Psychologie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Kamelia Neumüller, Mutter zweier Kinder, widmet sich nach langjähriger solistischer Konzertarbeit und vielseitiger musikpädagogischer Projekte seit der Gründung ihrer privaten „Musikschule Niederkassel“ 2001 ausschließlich Kindern und Jugendlichen in den Fächern Klavier, Blockflöte, Querflöte, Musiktheorie, Musikalische Früherziehung, Liedergarten, BAM!-Babymusikgarten und speziell der Begleitung von hochbegabten Schülern vor Eintritt in das Musikstudium. Sie schrieb mehrere Lehrwerke und Unterrichtsprogramme zur frühkindlichen Musikentwicklung. Das Team umfasst mittlerweile 15 Mitarbeiter. Für Vorschulkinder schrieb Neumüller das Kinderbuch „Lenny, kleines Hasenkind“, das zu einem Kinderkonzert vertont wurde. 2011 gründete sie das Veranstaltungsinstitut BAM!-Konzerte in Kooperation mit dem Bechstein Centrum im Stilwerk.



Wulff Aengevelt

„Wir brauchen Mut, entschlossenes, konsequentes und vor allem ideologiefreies Handeln, dann stellt sich auch der Erfolg ein“

Interview mit Dr. Wulff Aengevelt, Geschäftsführender Gesellschafter der Aengevelt Immobilien


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind geschäftsführender Gesellschafter eines der größten Immobilien Makler Unternehmens in Deutschland. Welche Aufgaben haben Sie im Zusammenhang mit der Vermittlung von Grundbesitz zu erledigen und welchen Anforderungen sehen Sie sich gegenüber? Im politischen Bereich wird gelegentlich gefordert, die Provisionen der Makler zu begrenzen. Wie wird hierauf reagiert?

Der Makler ist nicht der einseitige Wahrnehmer nur einer Marktpartei, sondern erläutert beiden Seiten offen, professionell und fair die Rahmenbedingungen des betreffenden Immobilienmarktes und die zum Auftrag passenden Möglichkeiten zum Kauf- beziehungsweise Mietvertragsabschluss. Dies kann nur gelingen, wenn die zunächst gegensätzlichen Interessen der potentiellen Vertragsparteien aufgezeigt und im Vermittlungs- und Transaktionsprozess fachbasiert moderiert werden. Der Makler führt im Mittel im mehrmonatigen Vermarktungsprozess etwa 30 – 40 qualitativ gleichwertige Beratungstätigkeiten durch. Markant ist, dass der Makler hier nicht für seine Tätigkeit, sondern ausschließlich für den Vertragsabschluss, also strikt erfolgsabhängig, honoriert wird. Die von den Grünen aktuell wiederbelebte Debatte, die Maklerprovision auf 1,6 Prozent netto zu reduzieren, ist nicht nur erkennbar dienstleistungsfeindlich - für zu geringes Honorar gibt es weltweit nur stark eingeschränkte Leistung – sondern zeugt auch von völliger Unkenntnis der betriebswirtschaftlichen berufstypischen Mischkalkulation der Makler. Wenn Makler angeblich zu schnell zu viel verdienen, müssten ja immer mehr statt tatsächlich weniger Personen den Maklerberuf ergreifen wollen und sich damit allen Chancen und Risiken der strikten Erfolgsabhängigkeit stellen. Tatsächlich scheuen aber immer mehr Menschen variable Einkommen und präferieren stattdessen sichere Bezüge.

Der Makler arbeitet also umfassender und verantwortungsvoller, als dass man sich dies gemeinhin vorstellt. Jeder kann aber Immobilien vermitteln, wenn er einen entsprechenden Gewerbeschein besitzt. Müsste man nicht für die Ausübung des Berufs als Makler eine professionelle Ausbildung verlangen und damit auch den Beruf des Maklers schützen?

Ja, es ist zutreffend, dass die vom Gesetzgeber zur Maklertätigkeit verlangten beruflichen Mindestvoraussetzungen völlig unzureichend sind. Die berufsständisch organisierte Maklerschaft fordert schon seit den 50iger Jahren den Nachweis der qualifizierten Sachkunde. Mein Vater, der in unserem Unternehmen als zweite Inhabergeneration 78 Jahre den Maklerberuf ausübte, ist beim damaligen Bundeswirtschaftsminister Erhard mit seinem energischen Verlangen, für Makler einen qualifizierten Sachkundenachweis bundesweit einzuführen, auf konsequente Ablehnung gestoßen. Erhard glaubte an die Selbstreinigungskräfte des Marktes und wollte – im Grundsatz zwar richtig, im Detail hier indessen unangemessen – so wenig wie möglich und bei Maklern gar nichts regulieren. Die organisierte Maklerschaft hat auf Verbandsebene Schritt für Schritt ein umfassendes Ausbildungs-Schulungs- und Qualifizierungsangebot geschaffen. Unsere Familie erstellte in Zusammenarbeit mit der Universität Köln die ersten wissenschaftlich ermittelten Immobilienindices in Deutschland und gehörte 1993 zu den Stiftungsgründern des ersten deutschen Immobilienlehrstuhls. Mittlerweile existieren auch hierzulande dutzende Immobilienlehrstühle. Mit der International Real Estate Business School der Universität Regensburg gibt es den größten und bedeutendsten akademischen Immobiliencampus des Kontinents. Die deutsche Maklerschaft ist daher leistungsstark und selbstbewusst im globalen Wettbewerb.

Die von Ihnen geschilderten Prozesse sind beeindruckend, doch wird das Verhalten von Immobilienmaklern nicht selten kritisch gesehen, was darf man fairerweise erwarten?

Selbstverständlich gibt es auch berechtigte Kritik an dem einen oder anderen Immobilienmakler. Dass in unserem Berufszweig einige durch ihr Verhalten Anlass und gar willkommene Vorwände liefern, die die gesamte Maklerschaft infrage stellen, ist zutiefst bedauerlich. 1973 beschloss der SPD Bundesparteitag das Berufsverbot für Immobilienmakler. Das war verfassungswidrig und konnte daher nicht realisiert werden. Ich habe mich stets für einen objektivierten und damit fairen Umgang mit Maklern eingesetzt. Von den über 30.000 lizensierten Maklerbetrieben arbeiten nach Erkenntnis der für die Makler Zulassung zuständigen Gewerbeaufsichtsämter über 99 Prozent gesetzes- und regelkonform.

Ihr Unternehmen beschäftigt sich nicht nur mit der Vermittlung von Grundbesitz. Sie wirken auch aktiv an der Planung und Umgestaltung von Städten mit. In Düsseldorf haben Sie sich intensiv in die Neugestaltung des Stadtkerns eingeschaltet. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung?

Wir praktizieren die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand sehr intensiv und erfolgreich seit Anfang der 50iger Jahre. Damals ging es darum, Privatbesitz, der für öffentliche Bauvorhaben unerlässlich ist, der öffentlichen Hand zu Marktkonditionen zu sichern. Eigentümer wünschten und wünschen oft kein Geld für die ungewollte Abgabe ihres Grundbesitzes, sondern ein qualitativ vergleichbares Tauschobjekt. Das stand und steht aber in der Regel nicht im Eigentum der öffentlichen Hand. Also akquirieren wir das akzeptable Tauschobjekt und ermitteln eventuelle Ausgleichszahlungen. Damit werden komplizierte Enteignungsverfahren ausgeschlossen. Wir moderieren auf Vertrauensbasis und lösen komplexe Prozesse zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten. Ebenso arbeiten wir bei der Erstellung von Bebauungsplänen mit.

Nach dem Fall der Mauer wurden Sie als erstes Maklerunternehmen exklusiv von der Treuhand beauftragt, maßgeblich bei der Vermarktung von Liegenschaften im Eigentum von volkseigenen Betrieben mitzuwirken. Sicher Neuland. Gab es große Probleme bei der marktwirtschaftlichen Umgestaltung der Immobilienmärkte in Berlin-Ost und in den neuen Bundesländern?

Ja, wir bekamen von der Treuhandanstalt aufgrund unserer Erfolge im Flächenrecycling den Exklusivauftrag, zunächst den über 40 Jahre nicht mehr existenten Immobilienmarkt im Ostteil Berlins marktwirtschaftlich zu starten. Dazu entwickelten wir eine komplexe Vermarktungsmethode, die als „Berliner Modell“ zwingend beim Verkauf nicht mehr betriebsnotwendiger Liegenschaften anzuwenden war. Kernpunkte des Verfahrens waren die Identifizierung der vermarktungstauglichen Liegenschaften und deren wertschöpfende Ausschreibung, anstatt die in der Regel zu großen und zu werthaltigen Immobilien zum Minderpreis im Rahmen der Unternehmensprivatisierung dem Unternehmenskäufer ohne marktangemessene Bewertung mitzuliefern. Wir verlangten von den Bietern innerhalb sportlicher vier Wochen neben bankmäßigem Solvenznachweis vor allem ein plausibles Nutzungskonzept, das dann notarielle Vertragsgrundlage wurde und der Treuhand nach den gesetzlich definierten Parametern des Investionsvorranggesetzes ermöglichte, die Liegenschaft ungeachtet noch ungeklärter Restitutionsansprüche zu verkaufen. Es musste neben der Eigentumsproblematik auch die völlig unzureichende Dokumentationslage überwunden werden. Grundbücher waren von der DDR weitestgehend vernichtet, Grundstücke enteignet und willkürlich mit anderen Flurstücken vereinigt, Bodenkontaminierungen waren nicht systematisch erfasst, Erschließung und Infrastruktur selten anspruchsgerecht etc. etc. Gleichwohl haben wir mit unserem Expertenteam in Tag- und Nachtarbeit 82 bundesweite und internationale Ausschreibungen von insgesamt rund 1.000 Liegenschaften in Berlin-Ost, Leipzig, Dresden, Magdeburg, Halle und Chemnitz durchgeführt. Das damit von den Investoren notariell zugesagte Investitionsvolumen stellte sich auf 9,5 Milliarden Euro, und auf den Verkaufsgrundstücken wurde die Sicherung/Schaffung von mindestens 78.000 Arbeitsplätzen zugesichert. So initiierten wir beispielgebend den Start der wichtigsten Immobilienmärkte im Osten.

In der Öffentlichkeit wird lebhaft der Mangel an bezahlbarem Wohnraum kritisiert. Im Kanzleramt gab es kürzlich einen hochkarätig besetzten Gipfel zu diesem Thema. Je nach politischem Standpunkt werden staatliche Regulierung oder ökonomische Anreize vorgeschlagen, und es wird die Forderung nach kostengünstigerem Bauen erhoben. Eine Lösung des Problems zeichnet sich offenbar nicht ab. Sehen Sie realistische Chancen, die Unterversorgung mittelfristig zu beseitigen oder wenigstens zu mildern? Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden?

In den sogenannten angespannten Wohnungsmärkten Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Düsseldorf brauchen wir insgesamt 60.000 neue Wohnungen jährlich, um den Bestand zu erhalten und den expansionsbedingten Zusatzbedarf der seit Jahren dort ausnahmslos anwachsenden Bevölkerung wohnraummäßig zu decken. Im Vorjahr schnellte angesichts kommunaler Anstrengungen der Wohnungsneubau in den genannten fünf Metropolen erstmals zwar auf die „Rekordhöhe“ von 30.000 Einheiten, das ist aber gerade mal die Hälfte des erforderlichen Mindestneubauvolumens. Zur Beseitigung des eklatanten Mangels an bezahlbaren Wohnungen müsste vor allem preiswertes Agrarland in Wohnbauland zügig ausgewiesen werden. Ich habe für Düsseldorf daher schon vor Jahren die Umnutzung der mit 46 Quadratkilometern viel zu großen Agrarflächen in preiswertes Wohnbauland gefordert. Das wurde von Politik und Verwaltung stark kritisiert, von der Bevölkerung indessen überwiegend (65 Prozent) befürwortet. Ferner müsste die öffentliche Hand in den Metropolen ihren Regelungs- und Regulierungseifer abbauen. Die Bearbeitungsfristen müssten sich speziell für preisgedämpften und öffentlich geförderten Wohnungsneubau deutlich verringern und die Einspruchsmöglichkeiten während der Genehmigungsprozesse abgekürzt werden, so dass die Bestandskraft der Genehmigungen schneller eintritt. Schädlich sind auch die erheblichen Erhöhungen der Grunderwerbsteuer. Wir brauchen Mut und entschlossenes, konsequentes und vor allem ideologiefreies Handeln, dann stellt sich auch der Erfolg ein. Erfreulich ist, dass auf dem Wohnungsgipfel vereinbart wurde, den Gesetzentwurf zur Einführung einer Sonder AfA für Mietwohnungsbau vorrangig zu beraten, die Wohnungsbauprämie weiter zu verbessern und erhebliche Baukindergelder für selbstgenutztes Eigentum zur Verfügung zu stellen. Diese Maßnahmen allein führen aber nicht dazu, dass bezahlbare Wohnungen im bedarfsgerechten Umfang gebaut werden.

Die Mieten steigen, in den Städten scheinen sie geradezu zu explodieren. Der Normalverdiener kann sich eine Wohnung in der Stadt nicht mehr leisten. Muss der Normalverdiener in das Umland ausweichen?

Die Mieten steigen in den Wachstumskernen, weil der Bedarf hier erheblich größer ist als das Angebot. Zur Dämpfung des Preisauftriebs muss also das diesbezügliche Angebot durch Neubauten gezielt verbessert werden. Die von der großen Koalition geschaffene Mietpreisbremse und die Einführung des Bestellerprinzips, wonach die Maklerprovision allein von dem zu zahlen ist, der den Makler beauftragt, sind wie von Experten prognostiziert nun für jedermann erkennbar völlig untaugliche Maßnahmen und daher erfolglos. Der Trend der Stadtflucht ist vorbei. Der Zustrom in die Metropolen und die Rückwanderung in die Städte sind bundesweit seit Jahren im Gang. Die Ein- und Auspendler sind den täglichen Staustress und den Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel satt. Das massenhafte stundenlange Pendeln ist umweltunverträglich und volkswirtschaftlich unproduktiv. Der Umzug in das Umland kann auf Dauer keine Lösung sein. Vielmehr müssen gezielt kostengünstige bedarfsgerechte Wohnungen in den Metropolen gebaut werden.


Kurzvita

Dr. Wulff Aengevelt

1947 in Düsseldorf geboren, Schulbesuch in London und Genf, Abitur in Frankfurt, Studium Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Promotion 1971 in Wien. 1969 trat Wulff Aengevelt als geschäftsführender Gesellschafter in das von seinem Großvater 1910 gegründete Maklerunternehmen ein. Dort verantwortet er unter anderem die Fachbereiche Privatimmobilien, Investment und Immobilienresearch. Er engagiert sich vielfältig als Dozent und Kurator in der Immobilien-Forschung und -Ausbildung, zahlreichen kulturellen/wissenschaftlichen Einrichtungen. Autor zahlreicher Fachpublikationen. Für sein kommunalpolitisches Engagement erhielt er die Ehrennadel der Landeshauptstadt Düsseldorf, ist Ehrensenator der Hochschule für Musik und Theater, Leipzig, Beiratsmitglied des Industrieclubs e. V. Düsseldorf und der Commerzbank AG. Wulff Aengevelt ist verheiratet und Vater von drei inzwischen erwachsenen Kindern, begeisterter Pilot und aktiver Sportler, Fußball- und Eishockey-Fan von Fortuna und DEG und schließlich Musik- und Kunstliebhaber.



Susan Tuchel und Birgitta Radermacher

„Mit Gedanken und Ideen kann man viel bewegen“

Interview mit Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin in Düsseldorf


von Dr. Susan Tuchel

Verraten Sie uns etwas über Ihre Herkunftsfamilie?

Ich bin das jüngste von sechs Geschwistern, also das Nesthäkchen. Meine Eltern hatten einen Familienbetrieb in Köln. Ich habe ein Mädchengymnasium besucht und statt für den hauswirtschaftlichen Zweig habe ich mich für Latein entschieden und als erste in meiner Familie Abitur gemacht.

Und wie kamen Sie zur Jurisprudenz?

Ich war eher unschlüssig. Ich hätte gerne Zahnmedizin studiert, aber dafür reichte der Numerus Clausus nicht, und von einem Innenarchitekturstudium riet mir mein Vater vehement ab. Mit 17 Jahren lernte ich meinen späteren Ehemann kennen. Er erzählte mir etwas von „Hexenverbrennungen“, und das fand ich interessant – ist aber nicht Schwerpunkt des juristischen Studiums (lacht). Da er in einem höheren Semester war, war das Studieren nicht so romantisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich schaffte es schnell, alle Scheine zu machen, wenn auch nicht gerade mit Bestnoten. Für das Examen habe ich dann sehr hart gearbeitet, und während des Referendariats wurde ich schwanger. Auf einmal war ich 30, hatte drei Kinder, einen Mann, ein Haus und einen Hund und war absolut uninteressant für den Arbeitsmarkt.

Und was haben Sie dann gemacht?

Zunächst einmal ganz viele Ehrenämter im Kindergarten, in der Schule und in der Politik, denn ich bin 1982 in die CDU eingetreten. Der Grund war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich hatte im 2. Obergeschoss eines Parkhauses geparkt, passte dann aber nicht gemeinsam mit dem Kinderwagen in den Fahrstuhl, so dass ich ganz schnell die Treppe runterrennen musste, um den Kinderwagen unten wieder in Empfang zu nehmen. Da habe ich mir gedacht, dass sich noch vieles ändern muss.

Hat sich denn in der Retrospektive etwas geändert?

Ja, das hat es. Ich habe mich beispielsweise als Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses für die Sprachförderung in Kindergärten stark gemacht. Mithilfe von Stiftungsgeldern konnten wir 70 Gruppen fördern. Damals hatte ich für dieses Projekt keinen Rückhalt in der Fraktion. Heute gehört die Sprachförderung in den KITA-Alltag. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass man mit Gedanken und Ideen viel bewegen kann.

Sie machten sich dann als Fachanwältin für Familien- und Steuerrecht selbstständig, zogen aus dem Kellerbüro in eine Sozietät am Kölner Zoo und hatten von 1996 bis 2005 einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Köln. Im Jahr 2000 gründeten Sie den Landesverband Donum Vitae. Wie haben Sie das geschafft?

Durch meine vielen Ehrenämter und privaten Kontakte hatte ich mir einen Mandantenstamm und ein gutes „Frauennetzwerk“ aufgebaut. Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt. 1998 bekam ich dann die Anfrage, ob ich Mitglied im Rat der Stadt Köln werden möchte. Damals habe ich mich gefragt, ob ich das schaffe. Danach habe ich mir geschworen, mir diese Frage nie wieder zu stellen. Das Netz hielt! (lacht)

Also auch nicht, als Sie als Beigeordnete für Schule, Jugend, Sport und Kultur die Chefin von 400 Mitarbeitern in Siegen wurden und als Polizeipräsidentin der Kreispolizeibehörde Wuppertal mit einem Schlag 1.800 Mitarbeiter hatten. Hat sich Ihr Führungsstil mit den jeweiligen Aufgaben geändert? 

Nein, ich bin meinem Führungsstil immer treu geblieben. Vieles ergibt sich in der Diskussion, im konsensualen Miteinander, auch hier in der Bezirksregierung. Und ich hatte immer tolle Teams.

Ihr jetziges Amt hat eine lange Tradition. Regierungspräsidenten wurden vor 210 Jahren durch die preußischen Stein-Hardenbergschen Reformen eingeführt. Sie sind Teil der Exekutive. Heute gehören Regionalplanung und -entwicklung, Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die Schulaufsicht zu Ihren Aufgaben. Wie sind Sie in die aktuellen Luftreinhaltepläne involviert?

Für Düsseldorf haben wir zusammen mit vielen Experten, Verbänden und auch der Deutschen Umwelthilfe 65 Maßnahmen erarbeitet, die am 1.1.2019 in Kraft treten sollen. Fahrverbote wird es nicht geben, aber unser gesamtes Mobilitätsverhalten wird sich ändern müssen. Wir regen an, den Radverkehr weiter auszubauen, mehr Ladestationen für E-Bikes zu installieren, den Öffentlichen Personennahverkehr und die Ampelschaltungen zu verbessern. Es gibt Überlegungen, ob Logistikzentren in Außenbezirken sinnvoll sind und die Auslieferung am späten Abend erfolgt, wenn alle zu Hause sind. Es ist ein ganzes Maßnahmenbündel. Jeder und jede ist gefragt: Muss ich zehn Paar Schuhe online bestellen, wenn ich nur ein Paar kaufen möchte? Und reicht vielleicht einwöchentlicher Einkauf mit dem Auto?

Sie wohnen in Düsseldorf-Unterbach. Wie gehen Ihre Kölner Freunde mit diesem Ortswechsel um?

Im Spaß muss ich da schon viel aushalten. Aber da ich auch viele Freunde in Wuppertal habe, liegt Unterbach perfekt in der Mitte.

Haben Sie Lieblingsplätze in Düsseldorf?

Ich liebe es, am Unterbacher See zu sitzen und mit den Füßen im Sand und einem Aperol-Spritz in der Hand den Segelbooten zuzuschauen. Das beeindruckt übrigens auch meine Kölner Besucher. Ansonsten entdecke ich gerade die Gastro-Szene für mich, das Canoo am Robert-Lehr-Ufer, den Medienhafen, und vom Türmchen der Bezirksregierung habe ich einen tollen Blick auf Düsseldorf.

Wie halten Sie sich fit?

Ich laufe und schwimme regelmäßig und da ich zu Hause keinen Internetanschluss habe, lese ich viel, übrigens auch sehr gerne die Bücher vom Juristenkollegen Ferdinand von Schirach.

Hand aufs Herz, für welchen Rosenmontagszug werden Sie sich 2019 entscheiden?

Letztes Jahr habe ich den Düsseldorfer Zug erlebt und am nächsten Rosenmontag werde ich in Köln sein, wo im Übrigen auch meine Kinder und meine sechs Enkel leben. Das passt doch sehr gut zum diesjährigen Motto „Gemeinsam Jeck“, denn Rheinländer sind wir doch alle.


Kurzvita

Birgitta RadermacherBirgitta Radermacher (Jahrgang 1956) wurde in Köln geboren. Nach dem Abitur studierte sie dort Rechtswissenschaften und absolvierte ihr Referendariat. Mit drei kleinen Kindern machte sie sich als Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Familien- und Steuerrecht selbstständig. Von 1999 bis 2004 war sie Vorsitzende im Jugendhilfeausschuss im Rat der Stadt Köln. 2008 wurde sie Beigeordnete der Stadt Siegen für Schule, Jugend, Sport und Kultur. 2010 berief sie der damalige NRW-Innenminister Ingo Wolf zur Polizeipräsidentin der Kreispolizeibehörde Wuppertal.  Im September 2017 ernannte sie das Kabinett zur Regierungspräsidentin in Düsseldorf. Zu Radermachers Aufgaben gehören die Regionalplanung und -entwicklung, Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die mittelbare Schulaufsicht über rund 1.700 Schulen.



Albert Pesendorfer

„Man muss das singen, was zu einem passt“

Interview mit dem Opernsänger Prof. Albert Pesendorfer


von Caroline Merz

Es ist ein warmer Sommermorgen in Berlin, Samstag. Wir sind zum Frühstück verabredet. Ich fahre mit dem Taxi in einen nicht angesagter Stadtteil - das passt zu Albert. Er ist privat kein Star, sondern ein echter österreichischer Naturbursch‘: groß und stark und total sympathisch - schon damals in sich selbst ruhend. Sein Lachen - einfach unnachahmlich herzlich. 

​​Wir haben uns vor 25 Jahren in Wels kennengelernt, spielten ein Liebespaar in einer total schrägen Oper, hatten unendlich viel Spaß. Es war alles urkomisch - eigentlich eine komplette Katastrophe. Danach ging jeder üblicherweise seiner Wege. Aber wir haben uns nach Jahren im „Netz“ wiedergetroffen! Und eigentlich war‘s wieder wie damals. Jetzt haben wir Töchter im selben Alter. Seine Johanna spricht 5 Sprachen und ist wie meine Anastasia richtig klassisch unterwegs – und dazu jeweils einen Sohn. Albert ist trotz des stressigen Berufes ein liebevoller Vater und Ehemann.

Damals hatten wir nie Zeit, über unsere Anfänge in der Musik zu reden. Er überrascht mich zwischen zwei Bissen Croissant: „Weißt‘, eigentlich hab ich Querflöte studiert.“ Ich kann mir das Lachen kaum verkneifen. „Albert, das schaut bei Dir ja so aus, als wenn ich einen Zahnstocher in der Hand halte.“ Die Vorstellung, dass dieser Hüne von Mann Querflöte studiert hat, überrascht mich wirklich. „Und nicht nur das, ich hab‘s auch von 1987 bis 2002 in Oberösterreich an der Landesmusikschule unterrichtet. Nebenbei hab ich noch Gesang in Wien studiert, das hab ich dann auch noch unterrichtet. Ans Solosingen hab ich gar nicht gedacht, ich war so beschäftigt mit der Querflöte. Sogar im Ensemble vom Franz Welser-Möst hab ich gespielt. Und dann einfach in Wien an der Staatsoper für Chor vorgesungen. Und unglaublicherweise bin ich 1997 sofort in den für uns Österreicher heiligen Staatsopernchor gekommen. Das war schon was, der Albert in Wien. Alle waren mächtig stolz auf mich. Jetzt hatte mich der Ehrgeiz gepackt. 2002 kam ich als Solist nach Erfurt. 2005 ging‘s dann wieder in meine Heimat, nach Innsbruck. Brigitte Fassbaender holte mich als Hans Sachs und Zaccaria ans Tiroler Landestheater. Mein Gott, solche Rollen - mein Idol war Kurt Moll. Und es war zu schön um wahr zu sein, tolle Kritiken - und dann ging‘s 2 Jahre später nach Hannover. Ich blieb 6 Jahre im Ensemble. Eine spannende Zeit. Dort lernte ich alle wichtigen Bassrollen. Baron Ochs - bis heute meine Lieblingsrolle -, Landgraf Herrmann, Rocco, Fasolt, Hunding, Hagen, Osmin und noch vieles mehr.“ 

„Man sieht, du hast dich wirklich auf das deutsche Fach konzentriert. Das passt perfekt zu dir.“ „Ja weißt‘,“ murmelt er mit einem nächsten großen Bissen ins Schinkenbrötchen, „man muss das singen, was zu einem passt. So mach ich es auch als Gesangslehrer an der Musikhochschule. Viele kommen mit Vorstellungen, da passt nix zusammen. Und die Stimme schon gar nicht. Da muss man einiges sanft woanders hinlenken. Ich habe eine tolle Klasse. Und eine meiner Schülerinnen ist Mezzo und singt jetzt in Düsseldorf: Karina Repova.“ 

Albert ist immer bescheiden, lächelt versonnen über den leckeren Kaffee. Ja, Professor ist er jetzt, an der Universität der Künste in Berlin. Überhaupt, er scheint sich hier sehr wohl zu fühlen, Berlin ist sein Pflaster. „In der Stadt ist kulturell immer was los, das ist für die ganze Familie spannend, sie sind ja oft allein. Ich habe einfach ein lerchenauisch Glück mit meiner Frau. Sie versteht meinen Beruf durch und durch, ist künstlerische Produktionsleiterin an der Deutschen Oper in Berlin. Ich hab sie kennengelernt, gesehen und geheiratet. Das ist ein Riesengeschenk in meinem Job. Man braucht eine verlässliche Größe im Privatleben. Stress kann dir alle Energie rauben, macht die Stimme stumpf.“ „Ja, in der Tat, es schnürt einem die Kehle zu. Das kommt nicht von ungefähr,“ pflichte ich ihm bei. 

Die Eier kommen. Gibt Kraft. Ich muss lachen, wozu braucht er das noch? „Na ja, jetzt kommt bald der Boris Gudonow, da braucht man Power. Und überhaupt, singen, unterrichten, Familie, Reisen und noch lernen, das zehrt.“ Er ist ja auch noch seit 2012 im festen Engagement in der Deutschen Oper Berlin. Zu den oben genannten Rollen gesellen sich unter vielen noch Gurnemanz, Titurel, König Marke, König Heinrich, Sparafucile, Sarastro, König Treff und Hobson dazu.

„Es ist einfach mein Lieblingshaus, die Deutsche Oper. Hamburg, Bregenz, die Staatsoper Wien und natürlich Bayreuth sind klasse, aber Berlin, das ist es eben. Zürich, die USA und Japan sind toll, ja, und Lied und Oratorium ist sowieso mein Ding.“

Die zwei Eier sind keine Minute kalt geblieben. Kraft braucht er eben, ich muss lachen. Auch ich habe meinen Teller leergeräumt. Haben vom Zwetschgenkuchen seiner Mama geschwärmt, über Kollegen geredet, Dirigenten, das Unterrichten, Familie, Freunde und das Leben. Es war wie vor 25 Jahren in Wels - er ist patent und herzlich, nix Aufgesetztes. Noch ein paar Fotos, dann trennen sich unsere Wege wieder. Schade, er ist ein Freund, er ist in seinem Leben angekommen. Ich freue mich für ihn, gehe mit einem Lachen im Gesicht. Bussi hier, Bussi da, er lächelt und ab geht’s mit dem Sohnemann auf den Fußballplatz, eben ganz Albert!


Kurzvita

Albert PesendorferAlbert Pesendorfer, geb. 21. Juni 1967 in Regau, ist ein österreichischer Opernsänger (Bass) und Professor für Gesang an der Universität der Künste Berlin.