Hemingway

„Als ich im Alter von 14 Jahren 'Der alte Mann und das Meer' gelesen habe, war es um mich geschehen“

Auf Hemingways Spuren


von Dr. Susanne Altweger

Zugegeben: dieser Mensch passt nicht zu mir! Ein vom Töten besessener Macho mit einem Hobby, für das heute Könige abtreten müssen - der Großwildjagd. Und trotzdem: als ich im Alter von 14 Jahren „Der alte Mann und das Meer“ gelesen habe, war es um mich geschehen. Die Prosa des Schriftstellers erfasste mich mit solcher Wucht, dass ich mein Leben lang nicht mehr aufhören konnte Ernest Hemingway zu lesen; besonders intensiv zwischen 14 und 22, als ich das gesamte verfügbare Werk verschlang. Dann kam die Hippie-Phase, und ich wendete mich dem Softie Hermann Hesse zu.

In den letzten Jahren setzte eine massive Hemingway Renaissance ein, und immer neue Bücher über ihn sind erschienen. Gibt es dafür eine Erklärung? Ist vielleicht in Zeiten des Gender Mainstreaming heimlich der echte Kerl wieder gefragt? Jedenfalls wurde auch ich erneut vom Virus infiziert und hatte den Wunsch, eine Hemingway Nostalgie Reise zu den wichtigsten Orten seines Lebens zu unternehmen.

Meine erste Station war die Finca Vigía in San Francisco de Paula nahe Havanna auf Kuba. Dort hatte Hemingway die Jahre von 1939 bis zur kubanischen Revolution 1959 verbracht. Sie zwang ihn, sein Zuhause zu verlassen. Obwohl mit Fidel Castro gut befreundet, war er als Amerikaner plötzlich in Feindesland. Er ließ alles zurück. Nach seinem Tod 1961 gelang es der Witwe Mary Welsh-Hemingway in einem Gespräch mit Fidel kurz vor der Enteignung des Hauses und einem Ausfuhrstopp noch persönliche Briefe und Wertgegenstände herauszuholen und nach Amerika zu bringen. Die Finca verfiel und wurde erst 2007 mit amerikanischen Geldern liebevoll restauriert. So wurde sie zu einem Haupttouristenziel und einer soliden Einnahmequelle des maroden Staates. Ein schönes Gebäude, leicht und luftig mit riesigem Garten. Man kann leider nicht hinein. Es fehlt wohl das Personal, um alles zu schützen. Dafür sind Fenster und Türen weit geöffnet. Sämtliche Besucher scheinen ergriffen von tiefer Bewunderung für den Nobelpreisträger. Sie benehmen sich gesittet und rücksichtsvoll, man steht sich beim Fotografieren nicht im Weg. Drinnen ist die Zeit zurück gedreht, und man erwartet, der Hausherr könne gleich zur Tür herein kommen. Behagliches Mobiliar - und natürlich seine berühmte Schreibmaschine. Wenn da nur nicht überall die ausgestopften Trophäen an den Wänden hängen würden! Das berühmte Miro Gemälde „La Ferme“, das der Hausherr so geliebt hatte, war vor der Revolution glücklicherweise an ein amerikanisches Museum ausgeliehen worden; so blieb es Miss Mary erhalten. Zum Erhalt des Eindrucks hängt eine gute Reproduktion an der Wand. Der weitläufige Garten beherbergt den Swimmingpool, in dem der Legende nach Ava Gardner nackt geschwommen sein soll.

Ein weiterer Hemingway Hotspot in Havanna ist das Hotel Ambos Mundos im Herzen der Altstadt. Dort schrieb er vor dem Erwerb der Finca in einem winzigen, sehr spartanischen Hotelzimmer im fünften Stock. Am besten fährt man mit dem engen Uralt-Lift nach oben. An der Türe ein Schild „Museo Hemingway“. Nur ganz kleine Gruppen dürfen in das Schlaf-/Arbeitszimmer.

Seinen spanischen Bürgerkriegs-Roman „Wem die Stunde schlägt“ soll er hier begonnen und in der Finca vollendet haben.

Die Gestaltung des Raumes lässt Platz für Verbesserungen. Das interessanteste Exponat ist eine Replika der Nobelpreis Urkunde. Wenn man zu Fuß hinunter geht, sieht man in jedem Stockwerk großformatige Fotos mit den üblichen Motiven: Hemingway breit grinsend mit den erlegten Opfern: Marlin, Löwe, Antilope, Nashorn etc. Monströs und abstoßend erscheint mir diese zur Schau gestellte Besessenheit vom Töten. Die Hotellobby zeigt Bilder vom anderen, nachdenklichen Hemingway mit seinen Frauen (er hat vier geheiratet und unglücklich gemacht), mit den Stars aus den Verfilmungen seiner Bücher. Am besten man gönnt sich in der düsteren Art-deco Lobby noch einen Mojito. Der ist überraschend günstig, das Hotel nimmt keinen Hemingway Aufschlag.

Als Bronzefigur in Lebensgröße lehnt Hemingway für immer in seiner Lieblings-Bar El Floridita am Tresen - und mit ihm tausende von Touristen, die spätestens nach dem dritten Mojito sternhagelvoll und laut sind. Auch das Trinken will gekonnt sein, nicht nur das Schreiben. Hemingway beherrschte beides.

Die dritte kubanische Station ist Cojimar, das mittlerweile sehr ärmliche Fischerdorf am Rande von Havanna. Dort hatte Hemingway seine geliebte Yacht „Pilar“ liegen, ein solides 38 Fuß Schiff mit einem charakteristischen festen Sitz für die Hochseefischerei. Nach Hemingways Willen sollte sie im Golf, aus dem er so viele Riesenfische gezogen hatte, versenkt werden. Übrigens hatte er sie im Zweiten Weltkrieg zu einem Spionageschiff umgerüstet mit dem er Nazi U-Boote aufspüren wollte. Gut, dass es zu keiner Begegnung kam und schön, dass die Pilar der Nachwelt erhalten geblieben ist.

In Cojimar wurde Hemingway auch zu seiner Novelle „Der alte Mann und das Meer“ inspiriert. Die Fischer, die als Vorbilder für den unglücklichen Santiago dienten, errichteten ihm ein Denkmal, über dessen künstlerischen Wert sich streiten lässt.

Meine nächste Pilgerstätte war Key West in Florida. Die selbsternannte Conch Republik hat sich ihren altmodischen Charme bewahrt und blieb wegen ihrer Lage am südlichsten Zipfel von Florida von Bausünden verschont. Es sieht fast genau so aus, wie zu Hemingways Zeiten. In der ansprechenden Villa in der Whitehead Street lebte er mit seiner zweiten Frau Pauline von 1931 bis 1939. Vom Original Mobiliar ist einiges erhalten, manche Räume wurden mit Bildern und Filmplakaten museal gestaltet. Die verwöhnte Pauline, von Hause aus vermögend, ließ während ihres langen Alleinseins den wohl ersten Swimming-Pool von Key West in den Garten bauen; ziemlich überdimensioniert und wesentlich teurer, als das ganze Haus. Als Ernest aus dem Spanischen Bürgerkrieg zurückkam, war er nicht gerade erfreut, obwohl sie heftig dazugezahlt hatte. „Well, you might as well have my last cent“, soll er empört ausgerufen haben. Dieser Penny ist in den Boden eingelassen. Wenn er es nicht ist, ist es eine nette Anekdote. Interessant sind der Katzenfriedhof und vor allem die lebenden, direkten Nachfahren seiner Katze „Snowball“ mit den legendären sechs Zehen. Sie wohnen dort sehr gemütlich und lassen sich von niemandem stören, auch nicht wenn man ihre Pfoten vor die Linse holt und nach zählt.

Die letzte Station meiner „Pilgerreise“ war die spannendste. Hemingways Geburtsort Oak Park ist von Chicago aus leicht mit der S-Bahn zu erreichen. Dieses kleine verschlafene Städtchen würde wohl kaum Beachtung finden, wenn es nicht zwei große Söhne hervorgebracht hätte – neben Hemingway den Architekten und Designer Frank Loyd Wright, dessen Gebäude Chicago maßgeblich mit geprägt haben. In Hemingways Geburtshaus sind wir an diesem eiskalten Tag im März allein und bekommen quasi eine „private“ Führung. Ein freundlicher älterer Herr zeigt uns die Räume, die im viktorianischen Stil nach alten Fotos möglichst originalgetreu eingerichtet wurden. Zu den Fotos von Mutter Grace und Vater Dr. Clarence Hemingway sowie zu jedem Zimmer erzählt er interessante Geschichten. Richtig los legt er, als ich mich als Psychologin oute. Da kommen auch Geschichten aus dem Nähkästchen. Ob wissenschaftlich haltbar, weiß ich nicht, aber spannend in jedem Fall. Er zeigt Kinderbilder, auf denen Ernest als Mädchen gekleidet ist, denn Grace gab ihn als Zwilling seiner ein Jahr älteren Schwester Ursula aus. Zwillinge brachten Prestige und darauf war die Mutter erpicht. Der musikalischen jungen Frau, die das Opernfach studiert hatte, blieb eine Bühnenkarriere wegen ihres Augenleidens verwehrt. Erst als dies unabwendbar war, heiratete sie, fügte sich aber nur widerwillig in die Rolle als Hausfrau und Mutter. Nicht zu kurz kam das „Story Telling“ in der Familie, zu der auch die Großväter, die mit im Haus wohnten, gehörten. Deren Kriegserzählungen übten eine große Faszination auf den kleinen Ernest aus, und er begann sich, wie später in seinen Romanen, in die Helden hinein zu versetzen. Der Vater, den er lieber mochte als die musisch kapriziöse Mutter, brachte ihm das Jagen und Fischen bei. In dieser männlichen Gegenwelt fühlte er sich zeitlebens wohl. Schon der kleine Stöpsel von drei Jahren posiert mit gefangenen Fischen oder mit seinem ersten Gewehr, das er vom Vater als Kleinkind bekam. Dringend rät mir unser Guide, jenen unsäglichen Brief von Mutter Grace zu lesen, der für Ernest Anlass war, endgültig mit ihr zu brechen. Hier rechnet sie fast buchhalterisch auf, was sie den Kindern in der Jugend gegeben hat und erwartet eine „Kompensation“. Und schließlich wollte er wissen, ob ich mich als Psychologin mit Hemingways latenter Homosexualität beschäftigt hätte. Nein, hatte ich nicht. Dann sollte ich dringend „Der Garten Eden“ lesen. Dieses Buch, mit dem sich Hemingway Jahrzehnte herumgeplagt hatte und das erst posthum erschienen war, hatte ich mir sofort gekauft, aber es nicht zu Ende gelesen. Zuhause fand ich noch das Lesezeichen  auf Seite 77. Damals hielt ich es für eine schlechte Hemingway Karikatur. Offensichtlich war ich nicht auf dem neuesten Stand der Hemingway Forschung. Mittlerweile ist das „Hem Letter Projekt“ im Gange, die wissenschaftliche Auswertung seiner Briefe, die sehr aufschlussreich sein dürfte.

So bereichert begab ich mich zur letzten Station des Nostalgie-Trips, dem Hemingway Museum, das nur ein paar Häuserblocks entfernt liegt. Ein riesiges Jugendbildnis des Schriftstellers ziert die Fassade. Es zeigt ihn, als er gerade aus dem Kriegseinsatz zurück aus Italien kommt, wohin er sich mit 18 Jahren freiwillig gemeldet hatte.

Verwundet und erschüttert an Leib und Seele verarbeitete er die Ereignisse in seinen Roman  „In einem anderen Land“.

Am Empfang saß eine zauberhafte Lady, die mir vom vorherigen Führer als profunde Kennerin des Werks empfohlen worden war. Da es so viel zu sehen gab, blieb kaum noch Zeit zum Fachsimpeln. „He was a shark“, meinte sie, „but he wrote so wonderful“. Das bringt es auf den Punkt. Und wir hatten das gleiche Lieblingswerk: „Paris, ein Fest fürs Leben“. Es behandelt seine frühen Jahre mit seiner ersten Frau Hadley, als er arm aber glücklich war, in der Gewissheit, ein großer Schriftsteller zu werden. In diesem stark autobiografischen Buch geht es mal nicht um den Tod, das Jagen, das Fischen, Stierkämpfe oder den Krieg, sondern um Literatur. Unglaublich: Er hat es gegen Ende seines Lebens verfasst, aus der Erinnerung. Vielleicht ist es auch Verklärung, die eine große Leichtigkeit atmet. Im Alter hatte sie ihn verlassen.

Nach einem prall gefüllten Leben suchten ihn Unfälle, Krankheiten wie Diabetes, Alkohol-Abhängigkeit und Depressionen heim. Am 2. Juli 1961 hat er sich in seinem letzen Haus in Ketchum/Idaho erschossen. Dorthin wollte ich übrigens nie.



Siegmar Rothstein und Wilfried Schulz

„Mit jeder Produktion verbindet man etwas Besonderes, eine Idee, ein Anliegen“

Interview mit Wilfried Schulz, Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind seit einem Jahr Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses. Des Öfteren haben Sie die Bedeutung des Theaters für das Zusammenleben der Gesellschaft hervorgehoben. Worin sehen Sie den Wert des Theaters? Was kann es bewegen? Wozu wird Theater gebraucht?

Ich glaube, dass die Gesellschaft im Augenblick immer weiter auseinander fällt, im sozialen ebenso wie im politischen Bereich. Ich sehe einen Hang zum Fundamentalismus. Man will einfach nicht mehr zuhören, nachdenken, abwägen.

Der Rigorismus und Egoismus wächst. Die Gesellschaft muss daher nach gemeinsamen Orten suchen, wo man zusammen kommen kann, ohne sich gleich die Köpfe einzuschlagen, wo man lernt, unterschiedliche Meinungen auszuhalten, Differenz zu ertragen.

Hier kann Kunst, Kultur und insbesondere das Theater einen großen Beitrag leisten. Hier schaut man gemeinsam auf die Bühne, bezieht sich auf etwas Drittes, auf eine Geschichte, ein Erlebnis, woraus sich dann ein Dialog entwickeln kann. Man muss einfach nur zwei Stunden zuhören und lernt wieder, sich in andere Menschen einzufühlen und abweichende Auffassungen und Verhaltensweisen zuzulassen und sich darüber zu verständigen.

Sie waren erfolgreicher und anerkannter Intendant des Staatsschauspiels in Dresden. Was hat Sie bewogen, das Angebot anzunehmen, für zunächst fünf Jahre Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses zu werden, das sich 2014 in nicht gerade guter Verfassung und geringer Auslastung befand?

In der Tat ist die Arbeit in Dresden damals sehr gut gegangen. Ich hatte das Angebot, bis ans Ende meiner Tage zu bleiben. In meinem Leben habe ich aber immer versucht, neuen Impulsen zu folgen, weite Wege zu gehen, mich nicht zu wiederholen und so finde ich den Sprung von Dresden nach Düsseldorf - also von Ost-Ost nach West-West - eine große Herausforderung. Mir war klar, dass das Haus unter künstlerischen Aspekten und was den Kontakt zu Publikum und Stadt betrifft in den letzten Jahren nicht besonders gut dagestanden hat. Dass andere übergroße Schwierigkeiten hinzukamen, war nicht abzusehen.

Wie haben Sie den Wechsel empfunden? In Dresden haben Sie stark auf die Pegida Bewegung reagiert, in Düsseldorf haben Sie wohl eine liberalere Grundstimmung vorgefunden.

In Dresden gab es eine sehr angespannte und kontroverse, von täglichen politischen Diskussionen beherrschte Situation. Man wusste genau, warum man dort Theater macht, empfand jeden Tag die Sinnhaftigkeit der gesellschaftlichen Funktion von Theater. Düsseldorf ist legerer. Diese Form von Gelassenheit fühlt sich erst einmal gut an. Ich lebe mit meiner Familie sehr gern in Düsseldorf, hier ist etwas Norditalienisches, etwas Entspanntes. Dennoch darf man nicht verschweigen, dass auch Düsseldorf unter starken sozialen, manchmal auch politischen Spannungen steht. Es gibt eine enorme Diskrepanz zwischen Reichtum und Armut. Das Theater ist dazu da, solche Spannungen aufzunehmen und sich mit der Stadt und der Gesellschaft auseinander zu setzen.

Ihre erste Spielzeit ist vorüber. Sie sind begeistert aufgenommen worden. Die Veranstaltungen sind nahezu ausgebucht. Die Premieren sind Gesprächsstoff in Düsseldorf und werden gefeiert. Was machen Sie anders als Ihre Vorgänger?

Keine Ahnung. Wir haben ein tolles Ensemble, sehr gute Mitarbeiter in der Leitung, in der Dramaturgie, in allen Bereichen. Das Theater, dass wir machen, basiert nicht auf einem tollen Einfall oder meiner Genialität. Wir arbeiten wahnsinnig viel an einer großen Bandbreite über das normale Repertoire hinaus. Wir haben genau auf die Stadt und ihre Menschen  geschaut, vieles ist gut aufgegangen. Wir sind auf die Leute zugegangen.

Ich spüre, dass es in Düsseldorf eine große Sehnsucht danach gibt, angesprochen und mitgenommen zu werden, das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass wir das Theater nicht für uns, sondern für die Zuschauer machen.

Ich glaube, es ist uns gelungen, eine große Vitalität und Lebendigkeit verbunden mit großer Wärme zu erzeugen. Dazu gehören die Silvesterparty ebenso wie Einführungen, öffentliche Premierenfeiern, viele Gespräche und Podiumsdiskussionen. Uns gefällt dieses Theater. Wir verschenken es, es wird angenommen. Auch wenn es mal komplizierter und kontroverser wird. Man will mit dem Theater leben und sich auseinandersetzen.

Sie haben mit Ihrem Kölner Kollegen vereinbart und schon in die Tat umgesetzt, wechselseitig eigene Inszenierungen in das jeweils andere Theater zu schicken. Das bedeutende ITI Festival Theater kommt 2020 nach Düsseldorf. Ist die Krise des Düsseldorfer Schauspielhauses bereits vorbei?

Was die künstlerische Krise des Hauses betrifft, glaube ich, dass wir in der Tat weit vorwärts gekommen sind. Die Inszenierungen – von Wilsons „Sandmann“ bis zur „Großbaustelle“ von Rimini Protokoll, vom schauspielerisch großartigen„Heisenberg“ bis zu Sönke Wortmanns „Willkommen“, von der uralten Geschichte „Gilgamesh“ bis zur Uraufführung von „Auerhaus“ – sprechen für sich. Die Leute merken es und sind enorm aufgeschlossen. Man schaut wieder in Düsseldorf auf das Theater und man schaut auf Düsseldorf. Bezüglich der Infrastruktur und baulichen Situation sind wir noch mitten in der Krise. Diese Krise ist erst überwunden, wenn wir wieder in das Stammhaus zurückgekehrt sind und das letzte Gerüst gefallen ist. Aber auch hier gibt es Fortschritte: Stadt, Land und die Düsseldorfer Bürgergesellschaft arbeiten an der Perspektive und Zukunft dieses wichtigen Hauses.

Solange ich sehe, dass es vorwärts geht, bringt die jetzige Situation zwar große Mühen mit sich, schafft aber auch Befriedigung, weil es ein Zukunftsprojekt ist. Es gibt kein Düsseldorfer Schauspielhaus ohne Düsseldorfer Schauspielhaus.

Sie leben noch mindestens ein Jahr in diesem Ausnahmezustand, müssen in mehreren Ausweichspielstätten improvisieren, wesentlich länger als Ihnen zugesichert wurde. Bereuen Sie es gelegentlich nach Düsseldorf gekommen zu sein, wenn Sie an Ihre glücklichen Zeiten in Hamburg, Hannover und Dresden denken?

Nein, ich lebe immer in der Gegenwart. Ich gebe aber zu, dass ich mich - nachdem ich meinen Vertrag unterschrieben hatte und danach die Probleme scheibchenweise immer größer wurden - gefragt habe: Warum tust du dir das eigentlich an? Ich hatte aber Einladungen an viele Künstler und Mitarbeiter ausgesprochen hier zu arbeiten. Ich hatte tolle Schauspieler angeworben, die ich nicht im Stich lassen konnte. Selbst wenn ich jedes juristische Recht der Welt hatte, konnte es nicht in Betracht kommen, mir meinen Vertrag auszahlen zu lassen, um mich dann in die Toskana oder sonst wohin zu setzen. Das mache ich nicht, das ist nicht mein Leben. Der weitere Grund ist, dass ich ein ganz schlechter Verlierer bin und glaube, dass es sich lohnt, um die Zukunft zu kämpfen.

Sie haben sich für die nächste Spielzeit mit 31 Premieren, davon 13 Ur- und Erstaufführungen, ein gewaltiges Programm vorgenommen. Welche Höhepunkte und welche berühmten Namen werden wir erleben können?

Mit jeder Produktion verbindet man etwas Besonderes, eine Idee, ein Anliegen. Es fällt mir daher schwer, einzelne Programmpunkte hervorzuheben. Ich freue mich sehr auf den Beginn mit der Orestie. Ich habe noch keine Ahnung, wie die Inszenierung am Schluss aussehen wird. Es ist ein ganz wichtiges Stück, das weit entfernt aus der Antike zu uns kommt. Es handelt von der Erfindung der Demokratie und der Überwindung von Rache und Hass, von der Selbstverantwortung der Menschen für ihr Schicksal, auch von der Sehnsucht nach einer besseren und gerechteren Welt. Ich finde es großartig, dass Andreas Kriegenburg die Regie bei der Dreigroschenoper übernommen hat und bin sehr gespannt auf die Inszenierung des Kaufmanns von Venedig durch unseren Hausregisseur Roger Vontobel. Ihre Frage muss man noch einmal am Ende der Spielzeit stellen. Man weiß ja nicht, wie alles wird - auch ich nicht. Kunst birgt die Chance des Gelingens und des Scheiterns. Kunst ist ein Abenteuer.

Wo sehen Sie das Düsseldorfer Schauspielhaus in einigen Jahren?

Einfach da, wo es hingehört: Unter den wichtigen innovativen und von den Zuschauern angenommenen Theatern im deutschsprachigen Theaterraum.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus gehört von seiner Tradition, seiner Geschichte und seiner Ausstattung her zu den fünf, sechs oder sieben bemerkenswerten Häusern in der Republik, die auch international mitspielen sollten, die wahrgenommen werden und nach außen ausstrahlen. Wir sind auf dem Weg.

Fühlen Sie sich durch die Politik ausreichend unterstützt? Die zum Teil unerfreuliche Diskussion über den Standort und die Sanierung des Schauspielhauses ist ja vorbei. Positive Entscheidungen in Stadt und Land sind gefallen, wenn auch noch nicht alle Einzelheiten bereits festgelegt wurden. Glauben Sie, dass die Kultur in Düsseldorf den ihr gebührenden hohen Stellenwert hat und ihr nicht geringere Bedeutung als dem Sport zukommt?

Gegen Sport habe ich nichts einzuwenden. Ich gehe ab und zu zu Fortuna und war ein Fan der Tischtennisweltmeisterschaft. Und natürlich sollten Fußball-EM-Spiele in Düsseldorf stattfinden. Andererseits glaube ich, dass Düsseldorf eine große Kulturstadt ist. Alle Metropolen, die nach vorne marschieren, wissen, dass die Kultur wesentlich für die Ausstrahlung einer Stadt und auch ein großes Bindemittel nach innen ist. Sie ist ein Reflexionsraum der gesellschaftlichen Probleme und schafft Identität.

Ich halte es für eine absolute Selbstverständlichkeit, dass Düsseldorf sich zu seiner Kultur und seinem Kulturstandort bekennt und progressiv etwas dafür tut. In die Zukunft muss man investieren, damit sie eine wird. Düsseldorf wird diese Chance wahren wollen.

Es wird Sie erfreut haben, dass namhafte Düsseldorfer Bürger sich in einem Kuratorium zusammengeschlossen haben, um als Multiplikatoren die Sanierung und Modernisierung der Publikumsbereiche des Schauspielhauses durch Spenden zu unterstützen.

Darüber sind wir natürlich sehr froh. Stadt und Land sind dafür zuständig, dass sich das Haus grundsätzlich in einem ordentlichen Zustand befindet. Sie müssen sich also zum Beispiel um die technische Infrastruktur und die Fassaden- und Dachsanierung kümmern. Daneben ist es äußerst charmant und vollkommen richtig, dass sich Bürger dieser Stadt dafür einsetzen, dass die Bereiche, die dem Publikum gehören, gut aussehen: also die Foyers, die Kasse, die Eingangssituation, die Restauration, der Durchgang zum Hofgarten, die Terrassen und vieles mehr. Das Haus soll transparent und offen sein und wieder strahlen. Wir sind dankbar, dass sich 15 namhafte Bürger dieser Stadt bereit erklärt haben, Geld zu sammeln. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern es zeigt sich hier eine große moralische kulturpolitische Unterstützung. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung.


Kurzvita

Wilfried SchulzWilfried Schulz wurde 1952 in Falkensee bei Berlin geboren. Studium der Theaterwissenschaft, Politologie und Germanistik in Berlin und Paris. 1976-1981 Hochschulassistent an der Hochschule der Künste in Berlin. Dramaturg an den Theatern in Heidelberg und Stuttgart. Chefdramaturg in Basel und von 1993-2000 Chefdramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 2000-2009 Intendant des Schauspiels Hannover, ab Spielzeit 2009/2010 Intendant des Staatsschauspiels Dresden. Seit der Spielzeit 2016/17 Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses. Schulz hatte im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit Lehraufträge an den Universitäten Basel und Hamburg. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen, unter anderem über das Theater von Christoph Schlingensief. Während seiner Tätigkeit als Intendant und Dramaturg erhielten die Theater Einladungen zum Berliner Theatertreffen und waren bei vielen wichtigen Festivals vertreten. Die Produktionen wurden bei großen internationalen Gastspielen aufgeführt. Wilfried Schulz lebt mit seiner Familie in Düsseldorf.



Jörg Knör und Susan Tuchel

„Talente sind das größte Geschenk für einen Künstler“

Interview mit dem Entertainer Jörg Knör


von Dr. Susan Tuchel

Schon beim Besuch Ihrer Website hatte ich das Gefühl, Sie zu kennen. Sie begrüßen einen in Ihrem „Web-Zuhause“ – ein schöner Neologismus – und schreiben, man müsse vorher auch nicht anrufen, sich irgendwie schick machen, auch kein Gebäck mitbringen oder Blumen. Eine pfiffige PR-Strategie?

Nein, die Texte stammen alle von mir. Ich bin von Berufs wegen des Wortes mächtig. Und meine Frau sagt, dass mir das Herz auf der Zunge liege, also schreibe ich, was ich fühle.

Was sind Sie eigentlich genau, Sänger, Musiker, Kabarettist oder Parodist?

Die Musik ist das, was mich am meisten interessiert. Ich stehe auf der Bühne, ich singe, ich parodiere, ich zeichne, ich mache Kabarett, habe also mehr als drei Farben auf meiner Palette. Ich bin mit Leib und Seele Entertainer.

Ihre aktuelle Show, mit der Sie unter anderem in Berlin, Leipzig, Hamburg und auf Sylt zu sehen sind, heißt „Filou! Mit Show durchs Leben“. Sind Sie auch im echten Leben ein Schlingel und Schlitzohr? Immerhin sind Sie zum dritten Mal verheiratet.

Udo Jürgens hat einmal gesagt, dass Künstler nicht traurig sein müssen, wenn sie es nicht schaffen, das bürgerliche Glück zu finden. Ich habe viele Höhen und Tiefen durchlebt. Meine erste Frau verließ mich während unseres gemeinsamen Urlaubs in St. Tropez. Ich saß alleine und völlig fertig da und hatte unglaubliches Glück, dass sich der Düsseldorfer Immobilienmakler Udo Hensgen meiner annahm und mich auf seinem Stahlboot wieder aufbaute. In meiner dritten Ehe habe ich zum ersten Mal das Gefühl, ein Privatleben zu haben. Wir leben in Hamburg, meine Frau ist Managerin in einem Tabakkonzern. Sie hat mich strukturiert und ausbalanciert und – was fast das Schönste ist – sie bringt mich zum Lachen.

Seit 40 Jahren begegnen Sie beruflich Menschen, eine lange Zeit und eine tolle Karriere. Auf Ihrer Website schreiben Sie aber  „The best is yet to come …“. Was haben Sie vor?

Ich könnte natürlich ohne große Mühen eine Biographie schreiben. Aber spannender fände ich eigentlich ein Hörspiel, in dem ich alle O-Töne nachspiele - zum Beispiel einen Schneespaziergang mit Loriot, ein Essen mit Liza Minelli oder eine Autofahrt mit Peter Alexander. Für mich ist alles noch ein Vorspiel, eigentlich läuft alles auf ein Album mit eigenen Songs und eigenen Texten zwischen lustig und übermütig hinaus. Meine aktuelle Show ist der Auftakt hierfür, denn ich habe alle Lieder selbst geschrieben.

Sie sind mit Pe Werner befreundet, waren in allen großen Shows und haben Sketche für Harald Juhnke geschrieben. Auch mit Loriot haben Sie eine eigene Geschichte.

Ja, ich war in den Jahren 1983 bis 1990 die Stimme von Loriots Wum & Wendelin und ich wollte unbedingt von Victor von Bülow mit Knollennase karikiert werden. Und weil ich nicht wusste, wie ich das anstellen sollte, habe ich ihn selbst auf einer Serviette karikiert. Da konnte er dann auch nicht anders als zum Stift zu greifen.

Da wären wir ja schon bei Ihren Knörikaturen, die zu Ihren Markenzeichen gehören. Wie oft greifen Sie zu Filzstift und Serviette?

Sehr oft. Es macht mir einfach großen Spaß mich auf diese Weise mit meinen Mitmenschen zu beschäftigen. Ich zeichne alles und jeden, natürlich auch viele Prominente. Ich bemale nicht nur Servietten, sondern auch Teller. Angefangen habe ich mit Charles Aznavour, dann kamen Udo Jürgens, Udo Lindenberg und Helmut Schmidt und viele andere.

Ihr Vater ist Mitgründer der Deutschen Tinnitus Liga und der European Federation of Tinnitus Associations. Er hat europaweit auch Ärzte auf das Phänomen aufmerksam gemacht und dafür das Bundesverdienstkreuz bekommen. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?

Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Rückblickend finde ich es großartig, dass meine Eltern mich immer verstanden haben, auch als ich als Jugendlicher Travestie gemacht und als Marlene Dietrich aufgetreten bin. Für die Tinnitus Liga habe ich damals übrigens das Logo sowie das Layout für das Magazin entwickelt. Ich hatte auch selber einmal eine Woche lang einen Tinnitus. Ich weiß also, wovon die Betroffenen reden.

Was hat Ihr Leben entscheidend beeinflusst?

Dass ich damals den Studienplatz für Kommunikationsdesign nicht bekommen habe. Meine Mappe war so, dass der Professor meinte, mir nichts mehr beibringen zu können. Diese Ablehnung war hart, aber hat mich dazu gebracht, mein Hobby zum Beruf zu machen und ich habe erkannt, dass Talente das größte Geschenk für einen Künstler sind. Ich habe Oboe und Klarinette gespielt und mir selbst das Saxophonspielen beigebracht. Rückblickend kann ich sagen, ich habe immer gemacht, was mir Spaß gemacht hat und glücklicherweise hat es den Menschen gefallen.

Sie haben über 20 Jahre in Köln gelebt, seit 2014 wohnen Sie mit Ihrer Frau in Hamburg. Welche Beziehung haben Sie zu Düsseldorf?

In den 90er-Jahren war ich ganz oft im Frontpage am Rheinufer bei Harald Rehbock und wir haben zusammen live gesungen. Ich war regelmäßig in den Rheinterrassen und im Schumacher. Immer noch trete ich im Schnitt zehn Mal im Jahr in Düsseldorf auf, weil die Menschen mich mit meiner Show oder für ein Event buchen. Und natürlich kenne ich auch René Heinersdorff sehr gut. Wir haben uns vor vielen Jahren bei einem Event kennengelernt.

Sie sind Gründer des unabhängigen Sozialunternehmens nestwärme e.V. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich hatte unterwegs im Radio eine Reportage gehört über einen Jungen, dessen Haut immer aufplatzte. Damals sammelten die Johanniter Geld dafür, dass solche schwerkranken Kinder zu Hause betreut werden konnten. Ich spendete und rief dort an, ob sie nicht lieber einen eigenen Verein gründen wollten und erfand auch den Namen Nestwärme. Seitdem bin ich als Botschafter dabei und habe in den Jahrzehnten Millionenbeträge für die Organisation gesammelt.


Kurzvita

Jörg KnörJörg Knör ist Jahrgang 1959. Erblickte 10 Minuten vor seinem Zwillingsbruder Jens in einem Wuppertaler Kreißsaal das Licht der Welt. Mit 11 Jahren baute er Bühnenbilder, mit 15 Jahren war er Kandidat bei „Am laufenden Band“ mit Rudi Carrell, seinem großen Vorbild. Er gründete das Schüler-Kabarett "Le Spectacle" und hoffte auf seinen Durchbruch. Der ließ nicht lange auf sich warten. Mit 18 Jahren ging er als jüngster TV-Ansager in die Fernsehannalen ein. Knör moderierte im ZDF, gewann 1981 den ARD-Talentschuppen mit seinen Carrell-, Brandt- und Strauß-Parodien. 1990 ging er mit einer eigenen Jörg Knör Show im ZDF auf Sendung. Sechs Jahre war er bei „7 Tage 7 Köpfe“ bei RTL zu sehen, 1998 gewann er den Bambi „Zuschauerpreis“. Seit 1999 steht er mit seinen Shows auf den Bühnen Deutschlands. Aktuell ist er mit „Filou!“, seiner zehnten Bühnenproduktion, auf Tournee. Eine seiner Stationen im Sommer war das Theater an der Kö, wo er als Guide zusammen mit seiner „Reisegruppe“ musikalischen Halt machte bei den Stationen seines Lebens – ein Konzert der Legenden im Promihimmel.



Marie Agnes Strack-Zimmermann

Portrait: Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Politikerin (FDP)


von Evelin Theisen

Ohne Zweifel, wer Marie-Agnes Strack-Zimmermann trifft, der begegnet einer Frau, die rheinisch fröhlich aber auch durchsetzungsstark ist. Wenn man sie fragt, was sie geprägt hat, dann kommt spontan die Antwort: „Erstens meine Eltern, die mir eine geborgene Kindheit im damals dörflichen Düsseldorf-Niederkassel geschenkt haben, eingebunden in die katholischen Einrichtungen Gemeinde, Kindergarten, Grundschule und zweitens die beiden großen Brüder, die mich beschützt – mir aber auch von frühester Kindheit an beigebracht haben, wie man sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht die Wurst vom Brot nehmen lässt.“ Da waren aber auch zwei starke Großmütter, politisch streitbare Frauen, die ihr Frauenbild ebenfalls stark geprägt haben. „Wegducken gab es nicht, man stand zu seiner Meinung und zu seiner Verantwortung!“

Doch bevor sie politisch aktiv wurde, sollten noch viele Jahre ins Land gehen. Während der Gymnasialzeit – „ich war eine miserable Schülerin“ – verbrachte sie einige Jahre in dem Mädcheninternat Kloster Wald. Diese Jahre waren wunderbar, sagt sie. Nicht nur, weil die Gegend am Bodensee, die Alpen im Blick, wunderschön war, sondern auch, weil die Benediktinerinnen aber auch die weltlichen Lehrerinnen und Lehrer ihren Auftrag darin sahen, neben dem Unterricht aus jungen Mädchen selbstbewusste Frauen zu machen. „Nein, mein Lebensziel war es nicht, in die Politik zu gehen.“, antwortet sie auf die Frage, ob sie das ernsthaft erwogen hat. „Ich war allerdings immer sehr an Politik interessiert. Politik gehörte in unsere Familie zum Alltag, man konnte sich gar nicht entziehen.“ so studierte sie denn auch nach dem Abitur in München (wieder die Alpen im Blick) an der Ludwig-Maximilians-Universität Publizistik, Politik und Germanistik, beendete ihr Studium mit dem Magister (MA) und schloss daran ihre Promotion zum Dr. phil., in der sie sich mit der US-Präsidentschaft vom Ronald Reagan beschäftigte. „Eigentlich wollte ich danach journalistisch arbeiten.“ so jobbte sie während des Studiums beim Bayerischen Rundfunkt und in den Semesterferien in Düsseldorf bei der Westdeutschen Zeitung (WZ), landete aber dann in der Buchverlagsbranche, in der sie 20 Jahre lang im Vertrieb unterwegs war. Diese Zeit war für Strack-Zimmermann, die den Doppelnamen geheiratet hat - „wenn meine Eltern das geahnt hätten, hätten sie mir bestimmt einen kürzeren Vornamen gegeben“, sagt sie schmunzelnd, -  sehr prägend. Im Beruf erfuhr sie, was es bedeutet, wenn Städte sich verändern, der Einzelhandel vor die Hunde geht und das oft nur, weil in den Rathäusern falsche folgenschwere Entscheidungen getroffen wurden. Der Moment sich aktiv in der Kommunalpolitik zu engagieren, wurde durch ihre Kinder ausgelöst. „Ein Zebrastreifen musste vor unsere Kita. Dafür habe ich gekämpft, Unterschriften gesammelt. Die schlechte Nachricht: der Zebrastreifen ist bis heute nicht da (!), die gute Nachricht: ich musste lernen, wenn man wirklich etwas in der Politik erreichen will, braucht man viel Geduld und einen langen Atem.“ Vor 18 Jahren, zu der Zeit mit ihrem Mann Horst und den drei Kindern in Gerresheim lebend, wurde sie 1999 in die Bezirksvertretung gewählt. Eingetreten in die FDP war sie bereits 1990. Keine Partei verkörperte für sie so sehr den Begriff der Freiheit und Selbstbestimmung. „Der Fall der Mauer, die Öffnung ganz Europas, war für mich das Schlüsselerlebnis schlechthin. Meine Generation war geprägt vom Kalten Krieg, vom geteilten Deutschland. Jetzt spürte man, wie der Wind sich drehte, und ich wollte dabei sein!“

Dann ging alles ziemlich schnell: 2004 in den Rat der Stadt gewählt, ein Jahr später Fraktionsvorsitzende. 2008 Wahl zur 1. Bürgermeisterin. Dieses Amt hatte sie bis 2014 inne und füllte es aus, wie kaum eine Person vor ihr. Sie war da für alle, präsent in der ganzen Stadt und immer wieder sehr streitbar. Viele Menschen waren von ihr und ihrer Arbeit angetan, Freunde machte sie sich aber mit ihrer direkten Art nicht überall. Bekannt wurde die begeisterte Motorad- (BMW 1200) und Skifahrerin (natürlich in den Alpen) dadurch allemal. „Der größte und nachhaltigste Erfolg für meine Fraktion und für mich war der Umbau der Innenstadt. Der Kö-Bogen, wie er heute ist, wäre ohne uns so nie und nimmer zustande gekommen und damit die positive Veränderung auch der Straßen drum herum. Überall saßen Mahner, Warner und Verhinderer.“ Düsseldorf war aber offen dafür. Und das sieht Strack-Zimmermann immer noch als große Stärke der Düsseldorfer und Düsseldorferinnen. „Die meisten Menschen in dieser Stadt sind neugierig auf Neues. Heute muss man mehr denn je transparent arbeiten und die Bürger sehr früh mitnehmen.“ Die Stadt wächst sehr schnell – ein bisschen zu schnell, so die Meinung der Liberalen. Die Schönheit des Dorfes am Rhein hat sich herumgesprochen. Viele wollen hier leben. Die Lebensqualität trotzdem zu erhalten, wird die größte Herausforderung der zukünftigen Ratsmitglieder und Oberbürgermeister, denn damit benötigt die Stadt auch mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr schulen und neue Verkehrswege. Apropos oberbürger- meister: Mit CDU OB Dirk Elbers hat sie sehr gut zusammengearbeitet. „Er war immer sehr fair zu mir, hat mich machen lassen. Das werde ich ihm nie vergessen.“ Mit Joachim Erwin – obwohl gemeinsame Ziele im Auge – hat sie sich oft und gerne angelegt, mit Thomas Geisel verbindet sie ein Zweckbündnis. sie gehört trotz politischer Kooperation zu seinen schärfsten Kritikern. „Diese Stadt muss man kennen und lieben. Nur das zählt. Oberbürgermeister zu sein ist kein Selbstzweck, sondern ein Auftrag! Politik bedeutet harte Arbeit unter einem politischen Kompass – sofern man denn einen hat – zu folgen, auch wenn die Luft mal dünner wird.“

Das sah wohl auch der Chef der FDP Christian Lindner so, als er im Herbst 2013 Marie-Agnes Strack-Zimmermann fragte, ob sie mit an- deren streitbaren Liberalen die FDP nach dem Verlust der Bundestagsmandate wieder bundesweit aufrichten wolle. Strack-Zimmermann wollte und arbeitet nun seit vier Jahren neben ihrem kommunalen Mandat bundesweit als stellvertretende FDP Bundesvorsitzende. Ihr Einsatz und der Erfolg der NRW Landtagswahl gibt ihr Recht. Alleine in Düsseldorf holten die Freien Demokraten 17,5 Prozent der Stimmen!

„Wir wollen ein weltoffenes Land sein, tolerant und großzügig dort helfen, wo wir gebraucht werden. Wir wollen, dass sich jeder nach seiner Fasson und mit seiner Begabung entwickeln kann, ohne vom Staat ständig dirigiert und ausgebremst zu werden. Wir wollen in einem starken Europa unseren Anteil einbringen und den Feinden der Verfassung, den fremdenfeindlichen, den homophoben und den antisemitischen Schreihälsen entgegentreten!“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat also noch einiges vor: sie kandidiert im Herbst für den Deutschen Bundestag und möchte ab 24. September die Stimme unserer Stadt in Berlin sein. Die Chancen sind gut und die Freude und die Lust auf neue Herausforderungen sieht man ihr an! Die große Vier-Generationen-Familie – inzwischen sind neben ihrer 93-jährigen Mutter auch zwei Enkelkinder an ihrer Seite – und ihre Freunde erden sie und geben ihr Halt. „Ohne meine Familie und meine treuen Freunde, die zu mir halten, auch wenn ich oft nicht anwesend bin, wäre alles nichts. Politik ist nur ein Mandat auf Zeit, da empfiehlt es sich, das Wesentliche im Leben nie aus den Augen zu verlieren!“


Kurzvita

Marie-Agnes Strack-ZimmermannMarie-Agnes Strack-Zimmermann, geborene Jahn, 10. März 1958 in Düsseldorf. Verheiratet mit Horst Strack-Zimmermann, 3 erwachsene Kinder. Studium in München, danach 20 Jahre selbständige Verlagsrepräsentantin für den Tessloff Verlag, Nürnberg. Seit 1999 in der Kommunalpolitik. Seit 2004 Mitglied im Stadtrat, 2008 bis 2014 1. Bürgermeisterin, z.Z. Fraktionsvorsitzende der FDP im Rat und stellv. FDP Bundesvorsitzende



Horst Kordes

Das Künstlerportrait: Horst Kordes

Kleiner Auszug seiner Ausstellungen:

  • 2000: gemeinsame Ausstellung mit Romero Brito und James Rizzi
  • Seit 2004: ständige Ausstellung im Druckmaschinen Museum Dresden
  • 2012: Hermes Logistik Hamburg, Dr. Michael Otto
  • 2013: Adlon Hotel Berlin
  • 2014: Haus Spiess Erkelenz
  • 2015: Rolls Royce Sylt Budersand
  • 2015: Rolls Royce Port Adriano Mallorca
  • 2016: Moca Museum Peking
  • 2016: Art Miami Basel
  • 2016/2017: Steigenberger Hotel Düsseldorf, Königsallee 1a
Einladung
 
zur Ausstellung „The Time – Tic Tac“
am 8. und 9. Juli 2017 von 15:00 bis 21:00 Uhr
41366 Schwalmtal • Lüttelforst 349
Telefon 0151 - 25336774
www.horstkordesart.de
E-Mail: horstkordesart@gmx.de
Der Künstler freut sich über zahlreiche Besucher!


Christian Theisen und Lars Denner

„Wir sollten nicht noch einmal den Start einer revolutionären Technologie verschlafen und anderen Ländern das Feld überlassen“

Gespräch mit dem Finanzexperten Lars Denner


von Christian Theisen

Herr Denner, kommt die Bitcoin-Revolution?

Ja, der Bitcoin oder eine andere Kryptowährung wird sich meines Erachtens zur neuen digitalen Weltwährung entwickeln. Das Bargeld wird sich zukünftig weiter reduzieren. Paypal und das berührungslose Bezahlen per NFC-Übertragung (W-Lan) durch die ECoder Kreditkarten gibt es schon.

Die Entwicklung des Bitcoin als Zahlungsmittel ist ähnlich zu beurteilen, wie die Entwicklung des Internets 1989. Nur Wenige fanden anfänglich einen Zugang zu der neuen Technologie. Heute ist das Internet mit Email, Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken aus dem privaten und beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken.

Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

In 2016 machte ich mir Gedanken, mein persönliches Anlageportfolio zu erweitern und beschäftigte mich intensiv mit Aktien. Die damit verbundenen Risiken für die Anleger und die Ereignisse der Vergangenheit, wie zum Beispiel Abstürze von 50 Prozent von Weltkonzernen, ließen mich zweifeln. Auf der Suche nach Anlagealternativen habe ich begonnen, mich intensiv mit dem Thema digitale Währung und vor allem Bitcoin zu beschäftigen.

Der Umgang mit Bitcoin erfordert Eigenverantwortung, da man eigenständig sein eigenes Vermögen verwaltet. Dafür ist es wichtig, ein solides Wissen über die Technologie, den Markt sowie die Chancen und Risiken aufzubauen. Um auch andere für dieses spannende und lukrative Thema zu sensibilisieren und zu informieren, habe ich zusammen mit einem Geschäftspartner die Bitcoin-Schule gegründet und biete Schulungen im Großraum Düsseldorf an.

Was genau ist ein Bitcoin?

Grundsätzlich ist der Bitcoin etwas anderes, als die Online-Konten unserer Banken, die viele von uns bereits nutzen. Der Bitcoin (englisch sinngemäß für „digitale Münze“) ist ein digitales, fälschungssicheres und limitiertes Zahlungsmittel. Durch diese Limitierung wird sich, meiner Meinung nach, der Wert positiv entwickeln. Bitcoin besteht im Kern aus einem Zahlungssystem und einer Geldeinheit, welche dezentral in einem Rechnernetz mit Hilfe eigener Software verwaltet bzw. geschöpft wird. Der Bitcoin wird von keiner Institution reguliert und kein Staat kann einfach neue Bitcoins „nachdrucken“. Das System basiert auf einer von den Teilnehmern gemeinsam verwalteten dezentralen Datenbank.

Bitcoin & Blockchain

BitcoinBitcoin ist eine digitale Währung, die nicht über ein Zentralbanksystem, sondern dezentral über den Zusammenschluss von Rechnern zu einem weltweiten Netzwerk funktioniert. Die Bitcoins werden von ihren Eigentümern in digitalen Brieftaschen auf dem Computer oder Smartphone gespeichert.

Die Basis des Bitcoins ist eine dezentral betriebene Datenbank, die Blockchain, die unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto entwickelt wurde und seit 2009 in Betrieb ist. Sämtliche Transaktionen werden in der Blockchain verzeichnet und regelmäßig durch das dezentrale System in einem aufwendigen Rechenprozess automatisch verifiziert.

Bitcoins entstehen durch das sogenannte „Mining“: Jeder kann sich an dem Rechenprozess beteiligen und Rechenleistung zur Verfügung stellen. Alle 10 Minuten erhält einer der Teilnehmer dafür einen Betrag an neuen Bitcoins als Entschädigung. Das System ist so angelegt, dass es endgültig maximal 21 Millionen Bitcoins geben kann. Es ist somit vor Inflation geschützt.

Wo hat man ein Konto?

Ein Bitcoin-Konto (Wallet) ist ohne Schufa und Namen einfach auf jedem Rechner oder Smartphone zu installieren Die BaFin (Bundesaufsichtsbehörde für Finanzen) erlaubt ein Austausch mit dem Bitcoin. Als Zahlungsmittel ist die Akzeptanz vereinzelt auch in Deutschland schon möglich. Die kleinste mögliche Einheit des Bitcoins nennt man Satoshi. Das ist die 8-te Nachkommastelle im Dezimalsystem. Der aktuelle Wert für einen Bitcoin beträgt 1.651,58 Euro (Stand 17. Mai 2017).

Für wen ist Bitcoin interessant?

Zurzeit ist es noch ein spekulatives, volatiles Anlageprodukt mit außerordentlicher Performance. Auf dem Finanzmarkt wird der Bitcoin als Devise eingestuft. Mehrere Fachzeitschriften haben den Bitcoin als die beste Devise der Jahre 2013, 2015 und 2016 bewertet.

Was macht den Bitcoin so interessant?

In erster Linie die aktuelle rasante Wertentwicklung und die prognostizierten zukünftigen Steigerungen.

Welche Technologie steckt dahinter?

Die Technologie hinter dieser Währung, die sogenannte Blockchain, ist die bahnbrechende Erfindung. Diese Technologie ist ein dezentrales Netzwerk, das mit unabhängigen, anonymen Servern auskommt. Sie ist eine verschlüsselte, kryptographisch, öffentliche Datenbank (Kassenbuch von allen Transaktionen), die unabhängig von Staaten, Zentralbanken, Privatbanken oder anderen Unternehmen ist. Somit sind Werte unabhängig von Einflüssen gesichert, zum Beispiel Geldreformen, Regierungswahlen, Dokumenten und Recht usw. Kurz gesagt: Blockchain ist im Grunde ein dezentrales Protokoll für Transaktionen zwischen Parteien, das jede Veränderung transparent erfasst und der Bitcoin ist der Treibstoff für die Blockchain. Je größer das Netzwerk wird, desto größer ist die Nachfrage danach. Da der Bitcoin begrenzt ist, steigt der Wert zwangsläufig.

Warum ist der Bitcoin in Deutschland noch so unbekannt und wie ist der Stand im Ausland?

Dass das Geld bei der Bank sicher sei, ist auch heute noch die weit verbreitete Meinung in unserem Land. Die Niedrigzinsen und die Inflation fressen aber unser Sparguthaben auf. Die Flucht in Sachwerte ist schon in vollem Gange.

Die Niederlande, Österreich und die Schweiz haben es verstanden, dass das Schuldgeldsystem scheitern wird. In diesen Ländern ist die Entwicklung bereits viel weiter. In Japan und ab dem 1. Juni 2017 ebenfalls Australien wird der Bitcoin als offizielle Währung anerkannt und bei einer Norwegischen Bank kann man sein Bitcoin-Konto mit dem Online Girokonto verbinden.

Ähnliches wird auch in Deutschland folgen. Wer sich heute schon mit dem Thema auskennt, hat morgen einen wichtigen Informationsvorsprung. Das gilt nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für Unternehmen. Wir sollten nicht noch einmal den Start einer revolutionären Technologie verschlafen und anderen Ländern das Feld überlassen.


Kurzvita

Lars DennerLars Denner ist seit 1999 selbständig in der Finanzbranche als Mehrfachvermittler // 2010 Orientierung auf Onlinevermittlung, dann Konzentration auf online Baufinanzierungen www.baufinanzierungprofi.de // 2017 zweite Firma: www.bitcoinschule.de // Ausbildungen: Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft (IHK), Certified Financial Expert (CFE) Financial Management St. Gallen, Versicherungskaufmann BWV



Philip Handschin und Susan Tuchel und Sonia Dvorak

„Auf der Bühne fällt alles von einem ab“

Interview mit den Balletttänzern Sonia Dvořák und Philip Handschin


von Dr. Susan Tuchel

Balletttänzer ist eigentlich noch ein recht junger Beruf. 1661 trennte der Sonnenkönig Ludwig XIV. mit der Gründung der Académie Royale de danse in Paris den Tanz vom höfischen Zeremoniell. Dann dauerte es noch einmal 20 Jahre, bis auch Frauen öffentlich tanzen durften. Wie kamen Sie mit dem Ballett in Berührung?

Sonia Dvořák: Meine Großmutter besuchte Ballettkurse für Erwachsene. Ich wollte dort immer mitmachen, seit ich vier Jahre alt war. Musik, Gesang und Theater haben in unserer Familie immer eine große Rolle gespielt. Mein Vater hat im Theaterumfeld gearbeitet, meine Mutter ist Landschaftsarchitektin. Ich hatte das Glück, dass ich schon sehr früh ein seriöses Balletttraining in Ithaca bekommen habe. Zehn bis zwölf Trainings in der Woche hatte ich dort schon als Schülerin.

Philip Handschin: Eigentlich wollte ich in Musicals mitspielen. Ich habe mit meinen Eltern liebend gerne Grace Kelly-Filme gesehen. Dann wurde aus dem Musicaltraum eine Ballettausbildung. Mit fünf Jahren bin ich in meinem Schweizer 6.000 Seelen-Dorf zur Ballettschule gegangen.

Wie kam das bei Ihren Mitschülern an?

Philip Handschin: Nun ja, das kam nicht immer so gut an. Ich habe mich auch im Fußball versucht, bin auch noch bis heute Basel Fan. Aber mein Weg, meine Leidenschaft ist der Tanz. Eine Lehrerin hat mich dann nach Basel geschickt zu einer Schule von Swiss Olympic. Dorthin kommen alle Talente, auch Schwimmer, Fußballer, Turner und so weiter und wir hatten jeden Dienstag und Freitag vormittags Training. Mit 10 Jahren habe ich schon jeden Tag trainiert und den Nussknacker in Schulvorstellungen getanzt.

Wie ging es dann weiter?

Philip Handschin: Nach meiner Ausbildung habe ich mich beim Ballettwettbewerb Prix de Lausanne gemeldet, habe das Gotland Dance Seminar in Schweden sowie einen Sommerkurs beim Boston Ballet besucht. Es folgte ein Gastvertrag beim Finnischen Nationalballett, dem sich 2010 mein Engagement beim Ballett am Rhein anschloss.

Sonia Dvořák: Mein Weg führte mich zunächst nach Toronto. Dort wurde ich an der Canada‘s National Ballet School ausgebildet. Der Direktor der Schule ist übrigens mit Martin Schläpfer befreundet, so erfuhr ich schon sehr früh von der Compagnie in Düsseldorf. Aber vor Düsseldorf kam 2010 noch ein Engagement in Kiel als Solistin beim Ballett. Deutsch konnte ich damals noch nicht, aber ich hatte einen syrischen Freund, der mir mit großer Geduld die deutsche Sprache beibrachte, denn ich wollte auch die Leute außerhalb des Balletts verstehen. Im Ballett ist die „Verkehrssprache“ Englisch, das ist für mich natürlich sehr praktisch. Zur Spielzeit 2014 bin ich dann als Ensemblemitglied zum Ballett am Rhein gekommen.

Wie haben Sie sich kennen- und lieben gelernt?

Philip Handschin: Das Ballett, in dem wir zum ersten Mal zusammen getanzt haben, war „verwundert seyn – zu sehn“ von Martin Schläpfer. Es war die b.22-Premiere im Theater Duisburg. Danach haben wir angefangen, uns auch privat zu treffen und dann ging alles sehr schnell. Seit einem Jahr wohnen wir zusammen in Unterbilk in der Nähe des Floraparks.

Wie sieht denn der Tagesablauf eines Ballettpaares aus? Springen Sie schon mit einer Dehnübung aus dem Bett?

Sonia Dvořák: (lacht) Nein, erst wird gefrühstückt, dann radeln wir zur Merowinger Straße in unser wirklich sehr schönes Probenhaus. Das Training beginnt um 10 Uhr, aber vorher dehne und isoliere ich immer noch bestimmte Muskeln. Dann wird anderthalb Stunden trainiert und bis 14 Uhr mit einem der vier Ballettmeister, mit Martin Schläpfer oder auch mit einem Gast geprobt. Nach einer Mittagspause, bei der wir auch die Küche im Probenhaus gerne nutzen, geht es dann bis 18.30 Uhr weiter. Trotzdem ist jeder Tag anders, einen normalen Alltag kennen wir nicht. Und wenn wir am Abend eine Vorstellung haben, ist der Tag wieder ganz anders. Man ist fokussiert auf den Auftritt und braucht danach oft Stunden, um wieder „runterzukommen“.

Wie viele Auftritte haben Sie im Schnitt und wie halten Sie es mit der Ernährung?

Philip Handschin: Während einer Spielzeit sind es 50 bis 60 Auftritte, wobei die Gastspiele noch hinzukommen. Mit vollem Magen tanzt es sich nicht gut. Wir essen schon gesund, aber lassen auch nichts weg, worauf wir Lust haben. Vor Auftritten nehmen wir mittags die letzte Mahlzeit zu uns, die schon sehr eiweißhaltig und nahrhaft ist.

Haben Sie nach so viel Bewegung überhaupt noch Lust in Ihrer Freizeit tanzen zu gehen?

Sonia Dvořák: Ich tanze sehr gerne Tango und Salsa, auch im Tanzhaus. Aber natürlich darf das meine Arbeit nicht beeinflussen. Und manchmal bin ich nach einem Tag Training und Probe auch einfach körperlich zu erschöpft. Wenn ich zum Beispiel in b.31 Adagio Hammerklavier tanze, brauche ich nach jeder Vorstellung ein neues Paar Spitzenschuhe. Ich führe insgesamt ein ganz anderes Leben als andere in meinem Alter. Ich brauche für meine Arbeit kein Handy und keinen Computer. Dafür bekomme ich jeden Tag Live-Musik von einem Pianisten vorgespielt und lerne, wie ich meinen Körper und meine Gedanken beeinflussen kann.

Haben Sie auch bei dem Film über Martin Schläpfer „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“ mitgewirkt?

Philip Handschin: Ja, wir waren beide zu sehen. Wir genießen es beide sehr, in der Compagnie von Martin Schläpfer zu tanzen. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr gut, das künstlerische Repertoire großartig. Nehmen wir zum Beispiel b.26. Da haben sie drei Jahrhunderte Tanzgeschichte auf einmal. Wir fühlen uns als Schläpfer-Tänzer.

Die Proben für b.32, die „Petite Messe solennelle“ nach Gioacchino Rossinis gleichnamiger Messe haben begonnen. Premiere für das neue Ballett Martin Schläpfers mit vier Solisten, einem gemischten Chor, zwei Klavieren und Harmonium ist am 2. Juni. Die Uraufführung wird vom ZDF/3sat aufgezeichnet und am 22. Juli gesendet. Martin Schläpfer hat dazu gesagt: „Mich interessiert das poröse Gestein zwischen Leben und Gelebtem, Geistigem und Göttlichem, Niedrigem und Hohem, Tanz, Theater, Poesie und Commedia dell’arte.“ Worauf dürfen wir uns freuen?

Sonia Dvořák: Es ist in der Tat ein sakrales Werk, aber nicht klassisch, eine Mischung aus italienischem Leben und Glaubensfragen. Die Bühne wird ein wenig wie eine Piazza aussehen, dennoch reduziert sein. Die Kostüme sind im Stil der 50er-/60er-Jahre. Es wird sehr farbig und abwechslungsreich werden.

Was bedeutet es für Sie auf der Bühne zu stehen?

Sonia Dvořák: Ich möchte immer so authentisch wie möglich sein, ich versuche zu geben und nicht nur zu spielen. Ich spüre mit jeder Faser die Verbindung zum Publikum. 

Philip Handschin: Die Bühne ist wie ein Tunnel, alles fällt von einem ab. Man möchte den Auftritt einfach genießen.

Apropos genießen, worauf freuen Sie sich?

Sonia Dvořák: Wir freuen uns auf den Sommer. Wir sind gern draußen und spannen dann beispielsweise eine Slackline am Rheinufer gegenüber von den Gehry-Bauten, spielen Frisbee mit Kollegen und in der Spielpause im Sommer stehen Prag, die Schweiz und natürlich ein Besuch bei meiner Familie in den USA auf dem Programm.

Ganz ohne Sport?

Philip Handschin: Nein, wandern und schwimmen gehören schon dazu, aber der Körper braucht auch einfach mal eine Pause. Trainiert wird dann nur ganz wenig. Ganz ohne Bewegung geht es allerdings nicht, denn die Beweglichkeit und die Kraft lassen unglaublich schnell nach.


Kurzvita

Sonia DvorakSonia Dvořák wurde geboren in Ithaca/USA, einer City im Tompkins County im Bundesstaat New York. Ihre Ausbildung erhielt die 24-Jährige beim Ithaca Ballet sowie an der renommierten Canada’s National Ballet School in Toronto. 2010 erhielt sie dort den Christopher Ondaatje Ballett-Preis, ein Jahr später den Peter Dwyer Award. 2011 wurde sie als Solistin für das neu formierte Ballett Kiel engagiert. Hier debütierte sie in der Rolle von Clara in „Der Nussknacker“. Außerdem war sie in zahlreichen Solopartien von Yaroslav Ivanenko und Natalia Horecna zu sehen, unter anderem sang und tanzte sie die Hauptrolle der Marilyn Monroe in „Der Fall M.M.“. Zu ihrem Repertoire gehören außerdem Choreographien von George Balanchine, Robert Binet, Nacho Duato und Marius Petipa. Seit der Spielzeit 2014/15 ist die Tänzerin beim Ballett am Rhein engagiert. Hier war sie unter anderem in Werken von Martin Schläpfer, Jerome Robbins, Mats Ek und William Forsythe auf der Bühne zu erleben. Außerdem trat sie als Solistin in George Balanchines „Duo Concertant“ und „Mozartiana“ auf. Aktuell ist sie in der „Petite Messe solennelle“ zu sehen.


Philip HandschinPhilip Handschin stammt aus Gelterkinden, einem Dorf im Kanton Basel-Landschaft in der Schweiz. Seine Ausbildung erhielt der 25-Jährige an der Ballettschule des Theaters Basel, beim Gotland International Dance Seminar in Schweden sowie beim Boston Ballet. 2010 nahm er am Prix de Lausanne-Wettbewerb teil. Nach einem Gastvertrag beim Finnischen Nationalballett trat er 2010/11 als Mitglied des Balletts am Rhein sein erstes festes Engagement an. Hier hat er seitdem eine Hauptrolle in „Bournonville Divertissement“ von August Bournonville getanzt und war in Werken unter anderem von George Balanchine, Jerome Robbins, William Forsythe, Martin Schläpfer, Amanda Miller und Hubert Essakow zu erleben. Seine Partnerin – nicht nur auf der Bühne – ist Sonia Dvořák.



Siegmar Rothstein und Burkhard Hintzsche

„Der ÖPNV spielt als Alternative zum Auto meiner Ansicht nach eine größere Rolle als das Rad“

Interview mit Burkhard Hintzsche, Stadtdirektor der Landeshauptstadt Düsseldorf, Dezernent für Schule, soziale Sicherung, Integration, Jugendamt, Wohnungswesen, Sport, Statistik und Wahlen


von Dr. Siegmar Rothstein

Ende Juni dieses Jahres startet die Tour de France, das größte Radrennen der Welt in Düsseldorf - 30 Jahre nachdem es letztmalig in Deutschland startete. Dieses große Sportereignis soll ein Volksfest werden. Es wird überwiegend begrüßt. Es gibt aber auch Kritik, die Verkehrsbeeinträchtigung und die Unannehmlichkeiten für die Anwohner werden beklagt und es wird gefragt, was die Tour mit Düsseldorf zu tun habe. Wie begegnen Sie dieser Kritik? Welche Bedeutung hat der Grand Départ, die große Abfahrt, für Düsseldorf?

Der Grand Départ Düsseldorf 2017 ist eine große Chance für Düsseldorf! Mit dem Start der legendären Frankreich- Rundfahrt haben wir vom 29. Juni bis 2. Juli ein Sportereignis von weltweiter Bedeutung in unsere Stadt geholt. Wir alle haben die Gelegenheit dabei zu sein, wenn die Tour de France erstmals nach 30 Jahren wieder in Deutschland startet und die Landeshauptstadt mit Gästen aus dem In- und Ausland ein fantastisches Volksfest feiern wird. Die ganze Welt wird uns in diesen Tagen als sportbegeisterte 630.000-Einwohner-Metropole wahrnehmen, die dem Grand Départ eine wunderschöne Kulisse bieten wird.

Bei jedem Marathon in Düsseldorf werden Anwohner durch Straßensperren kurzfristig beeinträchtigt. Dieses Sportereignis ist aber genauso für den Einzelnen absehbar begrenzt, wie die Tour und wird nicht zu größerem Ärger führen. Die Freude Teil eines einmaligen Kollektiverlebnisses zu sein, wird eindeutig überwiegen. Bezogen auf die Verkehrsbeeinträchtigungen haben wir unsere Hausaufgaben nach dem „Race am Rhein“ gemacht und unsere Verwaltungsexperten aus Ordnungs- und Verkehrsamt einbezogen. Ich bin da sehr gelassen. Alles ist hervorragend durchorganisiert und generalstabsmäßig geplant.

Kritisiert werden vor allem die Kosten. Man hält es nicht für vertretbar, „Millionen Euro für ein Fahrradwochenende“ auszugeben, wenn andererseits die Stadtfinanzen Anlass zur Sorge bieten. Sie werden die Kosten sicher für vertretbar halten. Führt der Grand Départ andererseits zu zusätzlichen Einnahmen?

Die Finanzplanung weist aktuell ein Einnahmeziel von knapp acht Millionen Euro auf. Über sieben Millionen Euro sind bereits fest kontraktiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass für eine Großveranstaltung in Düsseldorf jemals so viel Geld eingeworben wurde. Das zeigt, wie hoch die Werbewirksamkeit der Tour von den Marketingabteilungen diverser Unternehmen eingeschätzt wird. Bei dem ein oder anderen Werbepartner möchte ich aber auch eine gewisse Begeisterung für den Radsport unterstellen oder die Freude über ein solches Großereignis am Unternehmensstandort. Den acht Millionen Euro an Einnahmen stehen 13 Millionen Euro an Kosten gegenüber. Macht also fünf Millionen Euro an Kosten, die die Stadt trägt. Und da sage ich ganz klar und mit großer Überzeugung: Nein, fünf Millionen sind für eine internationale Großveranstaltung dieser Dimension sehr gut zu vertreten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für Hotels, Gastronomie, Werbewert der Landeshauptstadt, Gewerbesteuereinnahmen sind in dieser Rechnung noch nicht einmal enthalten, würde ich aber gerne unter dem Punkt „gelungene Wirtschaftsförderung“ für die Stadt verbuchen wollen.

Das Ampelbündnis hat sich vorgenommen, den Radverkehr in der Stadt zu fördern. Dem wird Greenpeace zustimmen, da es der Stadt vorwirft, nicht genügend für den Fahrradverkehr zu tun und zu wenig Leihfahrräder als Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen. Vom Grand Départ erhofft man sich, dass er zusätzlich Bürger veranlassen werde, auf das Fahrrad umzusteigen. Zurzeit werden zusätzlich Radwege in der Stadt eingerichtet, was wiederum bei Autofahrern keine Begeisterung auslöst, wenn Durchgangsstraßen demnächst nur noch eine Fahrspur für Autos vorsehen. Worauf läuft die ins Auge gefasste Umgestaltung der Verkehrsflächen hinaus?

Die Stadt Düsseldorf fördert den Radverkehr und das ist auch gut so. Es ist kein Geheimnis, dass wir hier Nachholbedarf haben. Unabhängig vom Grand Départ ist der Trend zum Fahrrad zweifelsohne da. Eine Bevölkerungsumfrage zeigt, dass speziell die Düsseldorferinnen und Düsseldorfer sehr gesundheitsbewusst und sportbegeistert sind. Es ist also vernünftig, die Radinfrastruktur auszubauen, um weiter ein attraktiver Wohnstandort zu sein. Düsseldorf bildet sich viel auf seine Lebensqualität ein: Radwege tragen dazu bei. Ganz abgesehen vom Umweltaspekt. Die Diskussionen um Wege zur Verringerung der CO2- und Stickstoffdioxidwerte in unserer Innenstadt sind ja durchaus berechtigt. Mehr Radverkehr ist dazu ein kleiner Baustein. Den Autofahrern kann ich allerdings versichern, dass unsere Verkehrsplaner die Verbesserung des Verkehrsflusses durch neue Straßen und Straßensanierungen ebenso im Blick haben, denn machen wir uns nichts vor: Der Autoverkehr steigt und gute Verkehrskonzepte sind ein Standortvorteil. Letztendlich zählt ein vernünftiger Mix an Mobilitätsinfrastruktur. Der ÖPNV spielt als Alternative zum Auto meiner Ansicht nach allerdings eine größere Rolle als das Rad.

Ein anderes Thema: Düsseldorf hat bisher 8.000 Flüchtlinge aufgenommen. Im vergangenen Jahr gab es erhebliche Probleme in Massenquartieren, Streit und Schlägereien zwischen Flüchtlingen, ein Flüchtlingsheim brannte und die fehlende Privatsphäre wurde beklagt. Offenbar sollen nunmehr die Gemeinschaftsunterkünfte zu Gunsten von Einzelunterbringungen aufgelöst werden. Kann dies erreicht werden?

In den Jahren 2015 und 2016 hat Düsseldorf eine Vielzahl von Flüchtlingen aufgenommen, ohne dass eine solch breite Flüchtlingsbewegung vorher absehbar gewesen wäre. Daher war in Düsseldorf - wie in vielen anderen Kommunen auch - ein vorübergehender Rückgriff auf provisorische Unterbringungsmöglichkeiten unverzichtbar. So wurden unterschiedliche Hallen genutzt, um Flüchtlinge für die notwendige Zeit bis zur Herrichtung neuer Gemeinschaftsunterkünfte unterzubringen. In diesen Übergangslösungen konnte eine ausreichende Privatsphäre leider nicht gewährleistet werden, was vereinzelt auch zu Konflikten unter den Bewohnern geführt hat. Inzwischen konnten Dank erheblicher Investitionen der Stadt alle Übergangslösungen in Hallen beendet werden. Für alle Flüchtlinge stehen Räumlichkeiten zur Verfügung, die Rückzugsmöglichkeiten ins Private ermöglichen. Erst am 12. Mai wurde eine weitere Einrichtung eröffnet. Auch vorübergehend in Leichtbauweise errichtete Modulbauten können dank aktuell rückläufiger Unterbringungszahlen und der Realisierung weiterer Baumaßnahmen schrittweise wieder abgebaut werden. Grundsätzlich verfolgt die Stadt das Ziel, alle Geflüchteten mit Bleiberecht mit selbst angemietetem abgeschlossenem Wohnraum zu versorgen. Hierzu haben wir mit dem Projekt „Wohnen für alle“ die Bemühungen, den Bau von bezahlbarem Wohnraum für alle darauf angewiesenen Personengruppen in Düsseldorf zu fördern, noch einmal verstärkt.

Was unternimmt die Verwaltung, um jungen Geflüchteten den Einstieg in Kita und Schule zu ermöglichen?

Wir machen den Kindern aus Flüchtlingsfamilien so schnell wie möglich ein Betreuungsangebot, um einen anschließenden Übergang in Kitas und Schulen möglichst reibungslos zu gewährleisten. Aufgrund der spezifischen Situation der Familien ist die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren vergleichsweise gering. Brückenangebote wie Eltern-Kind-Gruppen oder Spielgruppen erleichtern aber niederschwellig den Einstieg in die Regelbetreuung. Für Kinder ab drei Jahren streben wir durchgängig eine Versorgung in einer geförderten Tageseinrichtung an, sobald die Familie zur Ruhe gekommen ist und eine mittelfristige Perspektive in einer Unterkunft gefunden hat. Die Vermittlung in eine Schule geschieht in enger Kooperation mit der Schulaufsicht und den aufnehmenden Schulen. In der Regel dauert die Unterbringung in ein adäquates Förderangebot circa eine Woche. Alle Seiteneinsteigerschülerinnen und -schüler werden dauerhaft einem Klassenverband zugewiesen. Je nach sprachlichem Förderbedarf und Schulform erfolgt die Einbindung in eine Regelklasse sukzessive oder aber nach dem ein- bis zweijährigen Besuch einer Förderklasse. Beim tatsächlichen Einstieg vor Ort leisten die Schulen selbst hervorragende Arbeit und werden durch die Schulverwaltung dabei unterstützt. Durch die Schulbauprogramme SOM I bis IV und das noch kommende Programm SOM V schaffen wir darüber hinaus die räumlichen Voraussetzungen für einen gelingenden Unterricht in möglichst kleinen Klassen sowie den offenen Ganztag für alle Düsseldorfer Kinder.

Sehen Sie Chancen, Flüchtlingen eine berufliche Perspektive zu bieten?

Absolut! Zunächst möchte ich betonen, dass die gesellschaftliche und berufliche Integration von Flüchtlingen eine Gemeinschaftsaufgabe ist, die nur gelingen kann, wenn alle relevanten Akteure gut zusammenarbeiten. Wir gehen hier in Düsseldorf mit entsprechend gutem Beispiel voran. Als zentrale Anlaufstelle steht den Flüchtlingen der „Integration Point für geflüchtete Menschen mit Wohnsitz in Düsseldorf“ zur Verfügung. Ziel ist es, eine rechtskreisübergreifende Beratung aus einer Hand zu gewährleisten und eine enge Verzahnung mit der kommunalen Ausländerbehörde sicherzustellen. Die Kooperation mit Arbeitgebern in der Stadt läuft hervorragend. Namhafte Unternehmen (zum Beispiel Daimler, Henkel, UPS, Telekom) stellen bereits zahlreiche Praktikumsplätze und Eingangsqualifizierungsmaß nahmen zur Verfügung. Eine noch viel größere Zahl von Unternehmen hat ihr Interesse an der Beschäftigung von geflüchteten Menschen bereits bekundet. Die anstehende Jobmesse am 28. Juni mit 30 Arbeitgebern ist eine hervorragende Plattform, diese Zielgruppe mit den Arbeitsmarktakteuren zusammen zu bringen. Ganz besonders am Herzen liegen mir die vielen Projekte, die in Düsseldorf lokal initiiert wurden, um der besonderen gesellschaftlichen Herausforderung gerecht zu werden. Ein Beispiel ist die assistierte Ausbildung für junge Flüchtlinge bei der Stadt und ihren Töchtern und die sehr erfolgreiche Zusammenarbeit von Jobcenter und Kreishandwerkerschaft bei dem Projekt „Chance Handwerk“, bei dem es gelingt, ausbildungswillige Betriebe im Handwerk und geeignete Flüchtlinge zusammenzubringen.

Zu Ihrem Aufgabenbereich gehört auch die soziale Sicherung. Gibt es in Düsseldorf soziale Leistungen, auf die Sie besonders stolz sind?

Aus dem breiten Aufgabenspektrum des Amtes für Soziale Sicherung und Integration liegen mir die Angebote besonders am Herzen, die Menschen konkrete Hilfestellungen bieten, die aus vielfältigen Gründen auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Exemplarisch greife ich die Senioreneinrichtungen „zentren plus“, die Schuldnerberatung und den Behindertenfahrdienst heraus. Die insgesamt 31 „zentren plus“ werden von den Wohlfahrtsverbänden ASB, AWO, Caritas, Diakonie, DRK und Gemeinnützige Stiftung für Seniorenbetreuung Angermund e.V. betrieben. Es handelt sich um wohnortnahe Anlaufstellen, die neben diversen Angeboten zur Freizeitgestaltung und Kommunikation, auch konkrete Angebote zur Bewältigung des Lebensalltags, wie Essensangebote, Beratung und Hilfen zu altersspezifischen Fragen bieten. Mir ist es wichtig, dass ältere Menschen in ihrem gewohnten Umfeld Unterstützung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfahren.

Die Schuldnerberatung der Stadt Düsseldorf arbeitet mit Schuldnerberatungsstellen und Angeboten der verschiedenen Wohlfahrtsverbände koordiniert und vernetzt zusammen. So wird sichergestellt, dass ein zielführendes, umfassendes und kostenloses Beratungsangebot zur Verfügung gestellt werden kann. Vorrangiges Ziel ist es, Menschen frühzeitig zu erreichen, wirtschaftlich zu stabilisieren, Schulden zu regulieren und die Ratsuchenden psychosozial zu stabilisieren. Diese Prävention ist die beste Hilfe zur Selbsthilfe, schont den Sozialetat auf Sicht und trägt dazu bei, die Stabilität unserer Stadtgesellschaft zu sichern.

Seit 1976 wird in Düsseldorf der Behindertenfahrdienst vorgehalten. Diese freiwillige Leistung richtet sich an Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Um ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, werden die Kosten für den Transport in Spezialfahrzeugen und Schwenktaxen übernommen. Darüber hinaus wird die Arbeit von Behindertenvereinen und -verbänden über Zuschüsse finanziell gefördert und unterstützt. Dieses Angebot ist eine Düsseldorfer Tradition, auf die wir uns etwas einbilden können, beweist sie doch, dass hier schon Inklusion gelebt wurde, als der Begriff als solcher noch auf seine Erfindung wartete.

Welchen Anteil haben soziale Leistungen am Gesamtetat der Stadt?

Der Gesamtetat der Landeshauptstadt Düsseldorf beträgt rund 2,7 Milliarden Euro. Für soziale Leistungen sind rund 550 Millionen Euro eingeplant. Somit investiert der Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf rund ein Fünftel seines Etats in die soziale Infrastruktur der Stadt.

Der Stadtspitze ist es ein großes Anliegen, günstigen Wohnungsbau und bezahlbare Mieten im Stadtgebiet zu ermöglichen. Haben Sie Erfolge?

Die haben wir! Während in den Jahren 2009 bis 2013 durchschnittlich der Neubau von 100 Wohnungen pro Jahr gefördert wurde, ist dieser Wert kontinuierlich auf zuletzt mehr als 300 gesteigert worden. Für das aktuelle Jahr werden mehr als 600 erwartet. Auch die Stärkung der städtischen Wohnungsgesellschaft als größtem Wohnungsanbieter in Düsseldorf unterstützt dieses Anliegen nachhaltig. Daneben unterstützen wir Wohn- und Baugruppen, fördern den Bau von studentischen Wohneinrichtungen und bemühen uns aktuell um die Errichtung eines Wohnheims für Azubis. Nicht zuletzt fördert die Stadt mit eigenen Mitteln den Abbau von Barrieren im Wohnungsbestand und hilft so, die Mieten bei gleichzeitiger Erhöhung der Demografiefestigkeit zu stabilisieren.

Die Stadt Düsseldorf wird als familienfreundlich zertifiziert. Trifft dieses Lob zu?

Auf jeden Fall. Die erste Auditierung im Pilotprojekt Familiengerechte Kommune erfolgte mit dem Grundzertifikat im Juli 2010, die Bilanzierungs-Audits erfolgten dann in den Jahren 2013 und 2014. Seit 2017 ist die Landeshauptstadt Mitglied im Verein „Familiengerechte Kommune“ und erhält nach jährlicher Durchführung von Weiterentwicklungsmaßnahmen das Erhaltungszertifikat „Familiengerechte Kommune“. Das Controlling ist also durchaus engmaschig und sorgt dafür, dass Maßnahmen für Eltern und Kinder immer weiterentwickelt werden. Stillstand ist also ausgeschlossen.

Mit Unterstützung der Projektes „Familiengerechte Kommune“ haben wir in den letzten Jahren beispielsweise die Kindertagespflege ausgebaut und den Elternbesuchsdienst für Eltern erstgeborener Kinder und zugezogene Familien eingeführt. Ein starkes Gewicht wurde auf Kooperationen von Erziehungsberatungsstellen und Familienbildungsträgern auf der einen Seite mit Kitas und Schulen auf der anderen Seite gelegt. Das steigert die Qualität des Angebotes. Auch die bilinguale Förderung in Kitas wird kontinuierlich ausgeweitet. Als nächstes Projekt haben wir den Ausbau unseres Kitanavigators zu einem digitalen Serviceportal für Eltern und Kinder im Fokus.

Das Beratungsunternehmen Mercer sieht Düsseldorf in der internationalen Rangliste der lebenswerten Städte weltweit auf Platz 6. Wir wünschen Ihnen und uns für die Zukunft, dass Sie erfolgreich daran mitwirken können, der Stadt Düsseldorf diesen angesehenen Spitzenplatz zu erhalten.


Kurzvita

Burkhard HintzscheBurkhard Hintzsche wurde 1965 in Duisburg geboren. 1985 Studium Wirtschaftswissenschaften und Verwaltungswissenschaft in Stuttgart-Hohenheim und Konstanz 1990 Abschluss Diplom-Verwaltungswissenschaftler. 1990-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Städtetages, 1993-1999 Referent für Wohnungswesen, Wohnungswirtschaft, Mietrecht, Hochbau und Gebäudemanagement des Deutschen Städtetages, 1999-2001 Referent für Kinder- und Jugendhilfe des Deutschen Städtetages, 2001 Wahl zum Beigeordneten für Jugend, Soziales, Wohnen der Stadt Bielefeld. 2003 Wahl zum Beigeordneten in Düsseldorf. Seit 01.10.2015 Stadtdirektor der Landeshauptstadt Düsseldorf. Dezernatsbereich: Schulverwaltungsamt, Zentrum für Schulpsychologie, Amt für soziale Sicherung und Integration, Jugendamt, Amt für Wohnungswesen, Sportamt, Amt für Statistik und Wahlen (kommissarisch).