Thomas Geisel und Paul Breuer

„Es macht mir ungeheuren Spaß zu gestalten“

Interview mit Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf


von Dr. Paul Breuer

Vor mehr als einem Jahr sind Sie als frisch gewählter Oberbürgermeister mit einem 10 Punkte-Wahlversprechen angetreten. Dieser Plan war eine Prioritätenliste vom städtischen Wohnungsbau, infrastrukturellen Verkehrsprojekten, Bäderkonzepte bis hin zu neuen Start-Ups-und Bildungs-Initiativen. Die meisten dieser Vorhaben wurden erfolgreich abgearbeitet. Sie wollten einen sozialgemischten, also auch bezahlbaren Wohnungsbau vorantreiben. Wie weit sind Sie damit gekommen?

Das ist nach wie vor eine der großen Herausforderungen  meiner Amtszeit. Ich bin zuversichtlich, dass wir Ziel – 3000 neue Wohnungen pro Jahr – schaffen.  So haben wir die Städtische Gesellschaft SWD gestärkt und mit der NRW-Landesregierung eine Vereinbarung über ein Globalbudget für die Wohnungsbauförderung abgeschlossen.

Den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu stärken  ist ein Thema auf der Prioritätenliste. Wie können die Verkehrsverbindungen für die Bürgerinnen und Bürger attraktiver gestaltet werden, insbesondere in den Abendstunden und an Wochenenden?

Durch Ausbau und Optimierung von zusätzlichen Verkehrsverbindungen. Dazu gehört: 1. die Verlängerung der 701 Linie zum ISS Dom. Das sollte bis 2017 zu schaffen sein. 2. Die U81-Verbindung zwischen Flughafen und der Messe, perspektivisch dann zwischen  Messe und Lörick bzw. Meerbusch, 3. die Vorrangschaltung für Bahnen an zirka 30 Lichtsignalanlagen und 4. die Takterhöhung für die ÖPNV-Verbindungen in der Innenstadt. Um einen 5-Minuten-Takt zu sichern werden allerdings mehr Fahrzeuge angeschafft werden müssen.

Die chaotischen Verkehrsprobleme durch die vielen Baustellen sind für viele Düsseldorfer und Berufspendler ein Ärgernis. Sehen Sie Chancen, das Baustellenmanagement in der gesamten Stadt besser zu optimieren? Bis wann glauben Sie, wird dieser Zustand noch anhalten?

Die Stadt arbeitet intensiv an der Verbesserung der Baustellensituation. Allerdings: Solange die Stadt wächst, werden sich hier auch Kräne drehen. Es ist leider nicht zu vermeiden, dass zuerst die Absperrung erfolgt und mit einer gewissen Verzögerung dann die eigentlichen Arbeiten beginnen. Nach der Eröffnung der Wehrhahn-Linie erfolgt die Oberflächengestaltung. Auch der Köbogen II am Gründgens-Platz wird noch realisiert. Die Beeinträchtigungen werden, so schätze ich, noch bis 2018/19 andauern.

Zu den neuen Start-Up-Unternehmen mit Zentrum im Medienhafen: Diese Start Ups kreieren vor allem Software-Applications. Fördern Sie auch die Ansiedlung industriell-basierter Start-Ups? Wo liegt hier der Focus der Stadt? IT/Medien oder beides?

"Eigentlich beides. Wir bemühen uns auch Bio-Unternehmen und Life Sience Engineering Gesellschaften für den Standort Düsseldorf zu gewinnen. Für die Industrie sind wir in Düsseldorf optimal aufgestellt, wenn man die Verkehrsanbindungen regional und auch international berücksichtigt."

Die ansässige Industrie in Düsseldorf ist ja nicht auf Wachstum programmiert. Wie akquirieren Sie den Industriestandort national und international?

Selbstverständlich rühren wir da permanent die Werbetrommel. Schließlich bietet unsere Stadt eine hohe Lebensqualität - auch durch strukturelle städtebauliche Maßnahmen. Wir haben neben Frankfurt und München den drittgrößten Flughafen in Deutschland mit den wichtigsten internationalen Anbindungen. Hinzu kommt unsere rheinische Mentalität, die es allen leicht macht, hier schnell Fuß zu fassen und sich zu integrieren.

Die Beitragsfreiheit für KITAs wird wieder thematisiert.

Es ist schade, dass die anderen Parteien unserer Stadt sich gegen eine Gebührenerhöhung der Kita-Beiträge bei bereinigten gemeinsamen Haushaltseinkommen von über 50.000 Euro sträuben. Natürlich sollen die Kita-Beiträge für niedrigere Einkommen, das wird auch zunehmend die Gruppe der zu erwartenden Flüchtlinge betreffen, die wir in nächster Zeit aufnehmen müssen, beitragsfrei bleiben – und sogar die Betreuung der Unter-Dreijährigen beitragsfrei werden. Bildung und Integration beginnen schließlich schon in den Kitas. Dass die Beitragsfreiheit für Kita-Plätze allerdings auch für die höheren Einkommen gelten soll, erschließt sich mir nicht. 

Ihre Forderungen an die Stadtsparkasse Düsseldorf, einen akzeptablen Betrag des zu erwirtschaftenden Gewinns an die Kommune abzuführen, wäre gerade jetzt ein mehr als solidarischer Beitrag. Wie sehen Sie die Chance, dass dieser Streitpunkt im Sinne der Stadt in Kürze beigelegt werden kann?

Im Interesse unserer Stadt bin ich zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommen wird. Wir haben jedenfalls unsere Hände zu einem vernünftigen Kompromiss ausgestreckt. Ehrlich gesagt: Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass sich die Stadtsparkasse Düsseldorf, bisher zu keinem Entgegenkommen bereit erklärt hat. In der Vergangenheit war es nicht selbstverständlich und auch nicht üblich, dass der erwirtschaftete Gewinn der Stadtsparkasse thesauriert wurde.

Sinn und Zweck einer Städtepartnerschaft ist das freiwillige Zusammentreffen von Menschen über Grenzen hinweg. Vordergründig ist der Austausch von kulturellen aber auch wirtschaftlichen Interessen. Was erwarten Sie von der Städtepartnerschaft mit Palermo?

"Der Kontakt zum Oberbürgermeister von Palermo ist seit Jahren ausgezeichnet. Gegenseitige regelmäßige Besuche zeigen dies auch. Vor allem in der Kultur gibt es viele Parallelen."

Sie waren kürzlich mit einer Wirtschaftsdelegation in den USA, um auch dort in Gesprächen auszuloten, welche Partnerstadt für Düsseldorf in Frage kommen könnte. Gibt es dabei schon konkrete Ergebnisse? Worin läge der Schwerpunkt einer Partnerschaft mit Boston? Wäre Seattle nicht auch eine Option?

Boston ist sicherlich vom wissenschaftlichen Austausch  sehr interessant für Düsseldorf. Außerdem ist hat es etwa so viele Einwohner wie Düsseldorf und steht – vor allem in den Bereichen Umwelt und Verkehr - vor ähnlichen Herausforderungen. Seattle ist aber sicherlich auch eine super attraktive Stadt.  

Für NRW mit der Landeshauptstadt Düsseldorf sind die USA ein wichtiger Handelspartner. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

In den nächsten Jahren könnte ich mir vorstellen, eine passende Partnerstadt zu finden.

Ihr Vater Alfred Geisel war langjähriger Vizepräsident des baden-württembergischen Landtags. In wieweit hat seine Tätigkeit Ihre politische Einstellung zur Politik beeinflusst?

Natürlich hat mich seine  politische Tätigkeit als Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg beeinflusst. Auch wenn wir vom Temperament schon unterschiedlich waren, habe ich seine politischen Aktivitäten aufmerksam verfolgt.

Sie gelten als Jurist mit Schwerpunkt Gesellschaftsrecht auch als kompetenter Wirtschaftsfachmann. Eine hervorragende Voraussetzung zu Ihrer jetzigen Tätigkeit. Haben Sie sich den Weg des Oberbürgermeisters vorstellen können?

Ja. Ich habe schon sehr früh gesagt, ich möchte Bundeskanzler werden. Oder auch Oberbürgermeister einer großen Stadt. Es macht mir ungeheuren Spaß, nicht nur zu verwalten sondern auch zu gestalten.

Kaum im Amt, wurde Düsseldorf von dem Orkan „Ela“ heimgesucht. In zweistelliger Millionenhöhe wurden die Schäden beziffert. Über 1.000 neue Bäume gepflanzt. Die Düsseldorfer Bürger haben über zwei Millionen Euro privat gespendet. Das war die erste unerwartete Herausforderung, die Sie professionell und mit großem persönlichem Einsatz gemeistert haben. Hat Sie das Bürgerengagement, wie das der Feuerwehr, Polizei, des Heimatvereins „Düsseldorfer Jonges“ nicht überrascht?

Nicht unbedingt. Es hat mich natürlich sehr gefreut, wie toll wir alle zusammengestanden haben, die Stadt von den Verwüstungen zu befreien und wieder befahrbar zu machen. Die vielen ehrenamtlichen Bürger, die mitgeholfen haben, das Chaos zu beseitigen, das war schon beeindruckend, ebenso wie die große Spendenbereitschaft für Neue Bäume für Düsseldorf

Sie sind Vater von fünf Kindern. Wie vereinbaren Sie Ihr anstrengendes Amt des Oberbürgermeisters mit den Anforderungen Ihrer Familie und Ihren Hobbys?

Es ist sicherlich nicht einfach. Aber der Tag hat 24 Stunden, der Rest ist eine Frage  der Prioritäten. Selbstverständlich gehe ich zum Beispiel zum Elternsprechtag meiner Kinder.

Ihre Frau Vera ist neben den Mutterpflichten und Partnerin auch noch in einigen gemeinnützigen und sozialen Aktivitäten/Organisationen eingebunden. Finden Sie noch Zeit, ein normales Familienleben zu führen?

Für mich ist ein intensives, harmonisches Familienleben äußerst wichtig, für mich vielleicht das wichtigste im Leben. Ich versuche, die Familie vor allem bei Wochenendterminen mit einzubeziehen – wenn sie wollen.

Wo sehen Sie Düsseldorf in fünf Jahren?

Städtebaulich wird Düsseldorf - mit allem was zur Lebensqualität einer Stadt dazu gehört und auch ausmacht – ein Magnet für viele Firmen und Touristen aus aller Welt sein. Es wird einen StartUp-Hub mit dem Schwerpunkt Hafen geben. Düsseldorf wird eine lebendige Kulturmetropole bleiben und diesen Ruf sogar noch ausbauen. Sie wird nach der Austragung der Tour de France weltweit ein begehrter Austragungsort für sportliche Großereignisse sein. Und Düsseldorf wird eine gastfreundliche, tolerante und weltoffene Großstadt sein, die so selbstbewusst ist, dass sie auch über sich selbst lachen kann.

Zum Schluss möchte ich Ihnen für Ihren Einsatz, den Start der „Tour de France“ 2017 nach Düsseldorf zu holen, gratulieren. Ein sportliches Event mit hohem wirtschaftlichen Ertrag und einem immensen, weltweit werbeträchtigen Imagegewinn für unsere Stadt Düsseldorf. Wie beurteilen Sie hier die Sicherheitsproblematik einer solchen Mamutveranstaltung?

Sie können sich darauf verlassen, dass wir alle relevanten sicherheitstechnischen Aspekte berücksichtigen werden. Diese Veranstaltung wird erfolgreich und ein großes Erlebnis für unsere Zuschauer und unsere Stadt sein. Ich hoffe sehr, dass wir den Zuschlag erhalten. Zusagen von Sponsoren lassen hoffen, dass bis dahin auch die finanziellen Bedenken zur Zufriedenheit aller ausgeräumt sind.

Ach, ja, gibt es dieses Jahr zu Weihnachten wieder eine CD mit Chor und Kammermusik und Thomas Geisel mit Querflöte in der Kreuzkirche?

Ja, das es wird etwas geben – lassen Sie sich überraschen!


Kurzvita

Thomas GeiselThomas Geisel (52) ist ein Optimist, (hat von Beginn an seine Wahl geglaubt), gebildet (Jurist), musikalisch (spielt Querflöte), nicht nur redegewandt, auch sprachbegabt (spricht neben Englisch, Französisch noch andere Sprachen), sportlich (Marathonläufer, Radfahrer, Radschläger), humorvoll, sozial, volksnah und SPD Mitglied. So gibt er sich auch, wirkt authentisch, reflektiert und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Jemand, der zuhören kann. Mit dem man gerne zusammen ist und über viele Themen reden, aber auch streiten kann. Ein Übermensch? Nein. Er weiß durchaus was politisch umsetzbar ist. Da ist er Realist zugleich. Sein Credo: Ohne für seine Ideen zu kämpfen, lohnt es sich gar nicht erst anzufangen.



Konrad Henkel

Portrait: Vor 100 Jahren wurde Konrad Henkel geboren

Dr. Simone Bagel-Trah:

Konrad Henkel hat wichtige Weichenstellungen getroffen, die unser Unternehmen bis heute prägen“


von Evelin Theisen

Am 25. Oktober 1915 - vor genau 100 Jahren - wurde Dr. Konrad Henkel, Enkel des Firmengründers Fritz Henkel, geboren. Mehr als 50 Jahre stand er im Dienste des Unternehmens und hat dessen Entwicklung entscheidend geprägt: von 1961 bis 1980 als Vorsitzender der Geschäftsleitung und von 1980 bis 1990 als Vorsitzender des Aufsichtsrats und des Gesellschafterausschusses. Danach blieb Konrad Henkel dem Unternehmen als Ehrenvorsitzender der Henkel-Gruppe bis zu seinem Tod im Jahr 1999 eng verbunden.

Der promovierte Chemiker stieg 1948 im Bereich Produktentwicklung in die Henkel & Cie. GmbH ein, bevor er 1956 zum Geschäftsführer und Mitglied der Geschäftsleitung ernannt wurde. Nach dem Tod seines Bruders, Dr. Jost Henkel, übernahm Konrad Henkel 1961 den Vorsitz der Geschäftsleitung.

Dr. Simone Bagel-Trah, Vorsitzende des Aufsichtsrats und des Gesellschafterausschusses: „Er hat Henkel nicht nur moderner und internationaler aufgestellt, sondern vor allem dazu beigetragen, dass sich das Familienunternehmen auch strukturell veränderte – unter anderem, indem erstmals ein Manager an die Spitze der Geschäftsleitung berufen wurde, der nicht aus dem Kreis der Familie kam.“ 1980 übergab Konrad Henkel den Vorsitz der Geschäftsführung an Prof. Dr. Dr. Helmut Sihler, den ersten familienexternen Geschäftsführer der Unternehmensgeschichte.

Konrad Henkel förderte unter anderem die Einführung innovativer und moderner Marketingansätze und stärkte die Internationalisierung des Konzerns. Parallel zum Ausbau einer führenden Position in Europa kamen weitere Geschäftsaktivitäten unter anderem in Japan, Lateinamerika sowie in den USA hinzu. Um Henkel für die Herausforderungen einer internationalen Zukunft aufzustellen, brachte er grundlegende organisatorische Veränderungen auf den Weg. 1969 erfolgte die Neuordnung des Unternehmens in Sparten, Funktionen und Regionen mit einer Zentralgeschäftsführung. Ein weiterer Meilenstein: der Börsengang von Henkel im Jahr 1985. Durch die Wahl von Vorzugsaktien konnten sich erstmals familienfremde Anleger am Unternehmen beteiligen.

Konrad HenkelAls Wissenschaftler und Manager setzte Konrad Henkel früh auf ökologische und gesellschaftliche Verantwortung. Das umfasste die Entwicklung umweltschonender Produkte und Produktionsprozesse, aber auch eine besondere Verantwortung für die Mitarbeiter. „Der Henkel-Geist hat sich über viele Jahrzehnte dadurch gebildet, dass Firma und Familie immer zusammengestanden haben und die Mitarbeiter stets als Teil des Ganzen gesehen und gefördert wurden“, so Konrad Henkel 1995 in der internen Mitarbeiterzeitung.

Konrad Henkel prägte nicht nur das Unternehmen, sondern engagierte sich auch als Privatmensch auf vielfältige Art und Weise. Unter anderem war er Ehrenbürger der Stadt Düsseldorf und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes. 1973 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Düsseldorf. Am 24. April 1999 verstarb er im Alter von 83 Jahren in Düsseldorf.



Kay Lorentz und Björn Merse

„Die parallel gespielten Ensembleprogramme haben sich gegenseitig befruchtet“

Interview mit Kay Lorentz, Geschäftsführer Theater "Kom(m)ödchen“


von Björn Merse

Herr Lorentz, Sie sind erblich vorbelastet. Wann war Ihnen klar, dass Sie lieber hinter der Bühne als auf der Bühne arbeiten wollen?

Seit Stunde Null. Mir wurde das Gen, sich auf Bühnen wohl zu fühlen, nicht in die Wiege gelegt. Bis heute versuche ich alles Mögliche, persönliche Bühnenauftritte zu vermeiden. Erst wenn nichts anderes mehr geht, steige ich drauf - in der Regel völlig übermüdet, weil ich drei Nächte vorher nicht ruhig schlafen konnte.

Von welchem Elternteil sind sie am meisten beeinflusst worden?

Vom Vater, ganz klar. Er war der Strippenzieher im Hintergrund. Für ihn war es das Größte, andere Menschen im Rampenlicht gut aussehen zu lassen. Und er hatte - neben vielen anderen Fähigkeiten - eine gute Nase beim Aufspüren der richtigen Leute für die Bühne. Ich versuche, ihm nachzueifern.

Seit vielen Jahren sind die Programme des Kom(m)ödchen-Ensembles in aller Munde und auch wirtschaftlich erfolgreich. Wäre es aktuell überhaupt möglich, Ihr Haus ohne die eigenen Programme finanziell erfolgreich zu führen?

Nein. Die wirtschaftliche Ausgangslage von Ensemblebetrieb und Gastspiel ist komplett unterschiedlich. Von den Einnahmen einer Ensemblevorstellung zahle ich die Gagen für die Kollegen, den Techniker und die Putzfrau. Der Rest bleibt im Haus. Die Einnahmen eines Gastspiels werden bei uns üblicherweise prozentual geteilt. Der Löwenanteil wird dem Künstler ausgezahlt. Wäre ich auf den kleineren Teil angewiesen, könnte ich das Haus nicht erhalten.

Will man heutzutage ein Stück wie „Couch“, „Sushi“, „Freaks“ oder „Deutschland gucken“ besuchen, muss man monatelang im voraus Karten bestellen. Hätten Sie mit dieser Entwicklung gerechnet?

Gerechnet? Nein. Gehofft? Ja. Wir hatten 60 Jahre ein Ensembleprogramm pro Jahr im Spielplan. Die Entscheidung, ein neues Programm herauszubringen ohne auf das vorhandene zu verzichten, war in meinem Haus sehr umstritten. Heute stellen wir fest, dass die parallel gespielten Ensembleprogramme sich nicht kannibalisieren. Im Gegenteil, sie haben sich sogar gegenseitig befruchtet.

Weshalb gibt es in der breiten Öffentlichkeit und im Fernsehen so wenig Formate für Ehring, Pispers, Rether & Co. und so viel Raum für Mario Barth, Cindy, Bülent Ceylan & Atze Schröder? Und: Bedauern Sie das überhaupt?

Das liegt wohl daran, dass viele Programmdirektoren glauben, Ehring, Pispers, Rether & Co. würden die breite Öffentlichkeit nicht erreichen. Unterm Strich wollen wahrscheinlich zu wenig Menschen diese Jungs sehen. Heute sitzen in Sendern zu viele Menschen ohne Rückgrat, ohne Neugier, uninspirierte, stromlinienförmige Hasenfüße. Es zählt die Quote. Was am meisten Menschen versammelt, ist Trumpf. Ich habe mich dieser Gleichung noch nie anschließen können.

Wenn Sie sich einen Künstler aussuchen dürften, der noch nie im Kom(m)ödchen aufgetreten ist – welcher wäre das?

Tom Waits. Und zwar nachts um 12, ohne Werbung, keine Ankündigung, tuschel-tuschel unter Fans, nur kleines Besteck auf der Bühne. Das wär’s!

Das Kom(m)ödchen steht für Düsseldorf, wie der Schloßturm oder Jan Wellem. Gab es schon Angebote aus anderen Städten, auch dort als Wahrzeichen tätig zu werden?

Nein, keiner traut sich doch, uns abzuwerben. Außerdem bin ich nicht käuflich. Obwohl, wir gastieren - immer schon - mit unseren Programmen landauf / landab in vergleichbaren Häusern. Insofern findet Kom(m)ödchen längst auch in anderen Städten der Republik statt.

Wenn Sie einem Fremden Ihre Stadt Düsseldorf mit ein paar Sätzen erklären wollten - welche wären das?  

Vorausgesetzt man ist nicht mittellos, kann man in Düsseldorf ganz gut leben. Es gibt den Rhein mit seinen schönen Auen, einige reizvolle Stadtviertel zum Wohnen, eine wunderbar vielfältige Gastroszene, ein ordentliches Kulturangebot - aufgeteilt auf entsprechende Häuser mit klarem programmatischem Profil - und es gibt das Kom(m)ödchen. Ok, es gibt auch eine zu lahme Stadtverwaltung, seit Jahren Verkehrschaos und zu viele Wichtigtuer mit aufgeblasenem Ego. Aber das verspielt sich.

Auf welche neuen Projekte dürfen wir Zuschauer uns in Zukunft freuen?

Im November geht die neue Kom(m)ödchen-DokusoapInfotainmentMixedandReality-Show an den Start. Sie heißt „Machtin machts“. Gastgeber Martin Maier-Bode und als sidekick Daniel Graf präsentieren diese Show in der Deko unseres Hammerprogramms „Deutschland gucken“. Ich glaube, das wird ein großer Spaß.


Kurzvita

Kay LorentzKay Lorentz wurde 1951 in Düsseldorf geboren. Nach dem Abitur 1974 Studium der Germanistik, Soziologie, Geographie, Arabistik und Ethnologie an der Freien Universität Berlin. Lorentz war von 1980 bis 1982 zunächst Technischer Leiter des „Kom(m)ödchen“. Dann wechselte er 1982 bis 1986 als Aufnahmeleiter zum Sender Freies Berlin. 1985 bis 1987 war er wieder Technischer Leiter des „Kom(m)ödchen“. 1987 bis 1988 arbeitete er für eine Konzert- und Gastspieldirektion in Essen. 1988 bis 1989 war er Aufnahmeleiter für RTLplus Frühstücksfernsehen in Luxemburg. Im Mai 1989 gründete er zusammen mit Axel Link die Filmproduktionsfirma TV-Link GmbH. Im Januar 1994 gründete er zusammen mit seiner Mutter Lore Lorentz die Kom(m)ödchen GmbH in Düsseldorf. Seit Januar 1995 ist er Geschäftsführender Gesellschafter der Kom(m)ödchen GmbH und damit verantwortlich für alle Kom(m)ödchen Produktionen, Gastspiele und Aktivitäten.
Lorentz ist verheiratet, hat zwei Kinder (Lukas 20 Jahre und Luzie 19 Jahre) und lebt in Düsseldorf.



„Die parallel gespielten Ensembleprogramme haben sich gegenseitig befruchtet“

Interview mit Kay Lorentz, Geschäftsführer Theater "Kom(m)ödchen“


von Björn Merse

Herr Lorentz, Sie sind erblich vorbelastet. Wann war Ihnen klar, dass Sie lieber hinter der Bühne als auf der Bühne arbeiten wollen?

Seit Stunde Null. Mir wurde das Gen, sich auf Bühnen wohl zu fühlen, nicht in die Wiege gelegt. Bis heute versuche ich alles Mögliche, persönliche Bühnenauftritte zu vermeiden. Erst wenn nichts anderes mehr geht, steige ich drauf - in der Regel völlig übermüdet, weil ich drei Nächte vorher nicht ruhig schlafen konnte.

Von welchem Elternteil sind sie am meisten beeinflusst worden?

Vom Vater, ganz klar. Er war der Strippenzieher im Hintergrund. Für ihn war es das Größte, andere Menschen im Rampenlicht gut aussehen zu lassen. Und er hatte - neben vielen anderen Fähigkeiten - eine gute Nase beim Aufspüren der richtigen Leute für die Bühne. Ich versuche, ihm nachzueifern.

Seit vielen Jahren sind die Programme des Kom(m)ödchen-Ensembles in aller Munde und auch wirtschaftlich erfolgreich. Wäre es aktuell überhaupt möglich, Ihr Haus ohne die eigenen Programme finanziell erfolgreich zu führen?

Nein. Die wirtschaftliche Ausgangslage von Ensemblebetrieb und Gastspiel ist komplett unterschiedlich. Von den Einnahmen einer Ensemblevorstellung zahle ich die Gagen für die Kollegen, den Techniker und die Putzfrau. Der Rest bleibt im Haus. Die Einnahmen eines Gastspiels werden bei uns üblicherweise prozentual geteilt. Der Löwenanteil wird dem Künstler ausgezahlt. Wäre ich auf den kleineren Teil angewiesen, könnte ich das Haus nicht erhalten.

Will man heutzutage ein Stück wie „Couch“, „Sushi“, „Freaks“ oder „Deutschland gucken“ besuchen, muss man monatelang im voraus Karten bestellen. Hätten Sie mit dieser Entwicklung gerechnet?

Gerechnet? Nein. Gehofft? Ja. Wir hatten 60 Jahre ein Ensembleprogramm pro Jahr im Spielplan. Die Entscheidung, ein neues Programm herauszubringen ohne auf das vorhandene zu verzichten, war in meinem Haus sehr umstritten. Heute stellen wir fest, dass die parallel gespielten Ensembleprogramme sich nicht kannibalisieren. Im Gegenteil, sie haben sich sogar gegenseitig befruchtet.

Weshalb gibt es in der breiten Öffentlichkeit und im Fernsehen so wenig Formate für Ehring, Pispers, Rether & Co. und so viel Raum für Mario Barth, Cindy, Bülent Ceylan & Atze Schröder? Und: Bedauern Sie das überhaupt?

Das liegt wohl daran, dass viele Programmdirektoren glauben, Ehring, Pispers, Rether & Co. würden die breite Öffentlichkeit nicht erreichen. Unterm Strich wollen wahrscheinlich zu wenig Menschen diese Jungs sehen. Heute sitzen in Sendern zu viele Menschen ohne Rückgrat, ohne Neugier, uninspirierte, stromlinienförmige Hasenfüße. Es zählt die Quote. Was am meisten Menschen versammelt, ist Trumpf. Ich habe mich dieser Gleichung noch nie anschließen können.

Wenn Sie sich einen Künstler aussuchen dürften, der noch nie im Kom(m)ödchen aufgetreten ist – welcher wäre das?

Tom Waits. Und zwar nachts um 12, ohne Werbung, keine Ankündigung, tuschel-tuschel unter Fans, nur kleines Besteck auf der Bühne. Das wär’s!

Das Kom(m)ödchen steht für Düsseldorf, wie der Schloßturm oder Jan Wellem. Gab es schon Angebote aus anderen Städten, auch dort als Wahrzeichen tätig zu werden?

Nein, keiner traut sich doch, uns abzuwerben. Außerdem bin ich nicht käuflich. Obwohl, wir gastieren - immer schon - mit unseren Programmen landauf / landab in vergleichbaren Häusern. Insofern findet Kom(m)ödchen längst auch in anderen Städten der Republik statt.

Wenn Sie einem Fremden Ihre Stadt Düsseldorf mit ein paar Sätzen erklären wollten - welche wären das?  

Vorausgesetzt man ist nicht mittellos, kann man in Düsseldorf ganz gut leben. Es gibt den Rhein mit seinen schönen Auen, einige reizvolle Stadtviertel zum Wohnen, eine wunderbar vielfältige Gastroszene, ein ordentliches Kulturangebot - aufgeteilt auf entsprechende Häuser mit klarem programmatischem Profil - und es gibt das Kom(m)ödchen. Ok, es gibt auch eine zu lahme Stadtverwaltung, seit Jahren Verkehrschaos und zu viele Wichtigtuer mit aufgeblasenem Ego. Aber das verspielt sich.

Auf welche neuen Projekte dürfen wir Zuschauer uns in Zukunft freuen?

Im November geht die neue Kom(m)ödchen-DokusoapInfotainmentMixedandReality-Show an den Start. Sie heißt „Machtin machts“. Gastgeber Martin Maier-Bode und als sidekick Daniel Graf präsentieren diese Show in der Deko unseres Hammerprogramms „Deutschland gucken“. Ich glaube, das wird ein großer Spaß.


Kurzvita

Kay Lorentz wurde geboren 1951 in Düsseldorf. Nach dem Abitur 1974 Studium der Germanistik, Soziologie, Geographie, Arabistik und Ethnologie an der Freien Universität Berlin. Lorentz war von 1980 bis 1982 zunächst Technischer Leiter des „Kom(m)ödchen“. Dann wechselte er 1982 bis 1986 als Aufnahmeleiter zum Sender Freies Berlin. 1985 bis 1987 war er wieder Technischer Leiter des „Kom(m)ödchen“. 1987 bis 1988 arbeitete er für eine Konzert- und Gastspieldirektion in Essen. 1988 bis 1989 war er Aufnahmeleiter für RTLplus Frühstücksfernsehen in Luxemburg. Im Mai 1989 gründete er zusammen mit Axel Link die Filmproduktionsfirma TV-Link GmbH. Im Januar 1994 gründete er zusammen mit seiner Mutter Lore Lorentz die Kom(m)ödchen GmbH in Düsseldorf. Seit Januar 1995 ist er Geschäftsführender Gesellschafter der Kom(m)ödchen GmbH und damit verantwortlich für alle Kom(m)ödchen Produktionen, Gastspiele und Aktivitäten.

Lorentz ist verheiratet, hat zwei Kinder (Lukas 20 Jahre und Luzie 19 Jahre) und lebt in Düsseldorf.



Susan Tuchel und Frank Büssing

„Als Schauspieler lebt man von der Energie, die vom Publikum kommt“

Interview mit dem Schauspieler Frank Büssing


von Dr. Susan Tuchel

Ihre Eltern, die beide in Berlin studiert haben, sind vor dem Mauerbau nach Westdeutschland gekommen und in Büderich gelandet. Ihre Mutter war Zahnärztin, ihr Vater Diplomphysiker und arbeitete in der Gerresheimer Glashütte. Wie kamen Sie da zur Schauspielerei?

Ich hatte mich nach dem Abitur eigentlich für Zahnmedizin eingeschrieben. Das kam vermutlich daher, dass ich schon als Kind zusammen mit meiner Schwester immer Zahnarzt gespielt habe. Wir hatten ja einige Instrumente zu Hause vorrätig. Da ich den erforderlichen Numerus clausus nicht erreicht hatte, stand ich auf der Warteliste für einen Studienplatz. Dann las ich eines Morgens in der Rheinischen Post, dass Statisten am Schauspielhaus gesucht würden. Ich ging hin und aus irgendeinem Grund wollte der Regisseur Roland Schäfer mich unbedingt haben. Vielleicht auch, weil ich so groß bin und er für diese Rolle einen großen Mann brauchte.

Nun werden aber aus den wenigsten Statisten richtige Schauspieler.

Ja, das stimmt. Ich hatte ja auch gar nicht vor, dabeizubleiben. Aber das Stück, in dem ich mitspielte, „Kabale und Liebe“, war damals ein Riesenerfolg und wurde 100 Mal statt der geplanten 30 Mal aufgeführt. Als „Edelstatist“ bin ich sogar mit zu einem Gastspiel nach Russland gefahren. Damals wurde ich geradezu süchtig nach Theaterluft. Ich ging dauernd zu den Proben und habe stundenlang zugesehen. Und als ich dann nach einem Jahr per Nachrückverfahren einen Studienplatz in Zahnmedizin bekam, hatte ich schon an einigen Schauspielschulen vorgesprochen und war an der Fachakademie in München aufgenommen worden. Ich habe diese Lebensentscheidung nicht bereut. Und ich war offensichtlich auch kein schlechtes Vorbild für meinen Sohn Max, der mit 24 Jahren gerade die Schauspielschule in Leipzig besucht.

Aus dem Fernsehen kennt man Sie auch, aber eher aus kleineren Rollen. War das nie eine Option, eine Karriere beim Fernsehen?

Doch, auch da gab es immer wieder Anfragen. Aber da ich über viele Jahre zum festen Ensemble in Kassel gehörte, war ich für die Filmbranche nicht flexibel genug. Und außerdem gefällt mir der direkte Kontakt zum Publikum noch besser. Als Schauspieler gibt man viel von seiner Energie ab, aber man lebt auch von der Energie, die beim Bühnenspiel von unten nach oben kommt.

Sie sind passionierter Schwimmer und von Sternzeichen Wassermann. Sie fotografieren und malen - mehr als ein Hobby?

Es ist schon eher eine Passion. Ich liebe das Schwimmen und genieße es, wenn das Wasser einen sanft streichelt, wenn man seine Bahnen zieht. Schwimmen hat für mich und mein Leben ganz viele Facetten. Ich habe in der Münster Therme in Düsseldorf schon vor einigen Jahren eine Unterwasserlesung gehalten mit dem Titel „Mit allen Wassern gewaschen“. Mit einer Quick-Snap-Kamera war ich in vielen Schwimmbädern unterwegs und habe die Geschichten eingefangen, die Menschen unter der Wasseroberfläche erzählen. Diese Polaroids habe ich auch mehrfach ausgestellt, unter anderem auch bei KIP, „Kunst im Pool“. Und wenn ich zum Pinsel greife und in Öl oder Aquarelle male, dann male ich am liebsten Bilder in Blau.

Würden Sie sich auch gerne in dieser Richtung sozial engagieren?

Ich denke schon seit Jahren darüber nach, eine Stiftung zu gründen, die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen schwimmen können. Schön wäre es, wenn ich da auf Gleichgesinnte träfe. Vielleicht ruft mich ja jemand nach der Lektüre des Interviews an, wer weiß.

Sie gehören mittlerweile fast zum Stamm des Ensembles des Theaters an der Kö. Wie fanden Sie und René Heinersdorff zusammen?

Ich habe im Laufe der Jahre eine gewisse Vorliebe für das Boulevard-Theater entwickelt und bin immer wieder zu den Aufführungen hingegangen. Robby und ich haben geplaudert und dann kam irgendwann der Anruf und es passte.

In „Mutti“ spielten Sie Horst Seehofer auch sprachlich sehr überzeugend. Haben Sie das in Ihrer Münchner Zeit gelernt?

Für Dialekte habe ich so etwas wie ein brachliegendes Talent. Ich bin zwar immer noch öfter in München, wo meine Schwester lebt, aber genauso gut habe ich holländische, schweizerische und berlinerische Dialekte drauf.

Wie bekommen Sie den Kopf frei vom vielen Auswendiglernen?

Ich gehe mit meinem Hund spazieren, auch Segeln am Unterbacher See genieße ich im Sommer. Eine ganz besondere Auszeit ist es für mich, mit meiner Vespa zum Fußballgucken ins Café Gattopardo auf der Heyestraße zu knattern oder bei Mama Lisi in Düsseldorfs „Little Italy“ essen zu gehen.


Kurzvita

Frank BüssingNachdem Frank Büssing 1978 als Statist Theaterluft am Düsseldorfer Schauspielhaus geschnuppert hatte, wurde er bereits ein Jahr später an der Otto-Falckenberg-Schule in München angenommen. Zahlreiche Engagements folgten: Büssing (Jahrgang 1958) gehörte zum Ensemble am Staatstheater in Kassel. Er stand auf der Bühne in Bielefeld, bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, beim Schauspiel Bonn, im Theater Freiburg, im Schauspielhaus Zürich, im Theater Oberhausen sowie im Theater der Stadt Koblenz. Von 1986 bis 1988 spielte er im Düsseldorfer Schauspielhaus. An der Vlaasmen Opere in Antwerpen war Büssing in einer internationalen Produktion in Mozarts "Entführung aus dem Serail" zu sehen. Der gebürtige Düsseldorfer wirkte außerdem bei diversen Film- und Fernsehproduktionen mit (u.a. Tatort, Derrick, ZDF-Fernsehspiel "Das verletzte Lächeln"). Zuletzt verkörperte er Horst Seehofer in „Mutti“ im Theater an der Kö.



Görres-Gymnasium

Portrait: Das „Görres“

Die Schule im Herzen der Stadt


von Dr. Antonietta Zeoli

Im Herzen einer kosmopolitischen, interkulturellen, hochmodernen und ausgesprochen liebenswerten Stadt hat das humanistische Görres Gymnasium seit vielen Jahrhunderten seinen Platz gefunden. Unsere Zeiten sind schnelllebig, mobile Kommunikation und grenzenloser Zugang zum Cybernetz lassen uns geradezu als Exot der heutigen Bildungsdebatten erscheinen.  Und darauf sind wir sehr stolz!

Während in Düsseldorf um 1545 unsere damals Schüler im Lambertus-Stift unterrichtet wurden, mit dem Pferd zum Unterricht anreisten und alle Unterkünfte rund um das „illustre Gymnasium“ Wochen im Voraus ausgebucht waren, sieht unser heutiger Schulalltag doch anders aus. Zwischen 1510 und ca. 1600 war das Kollegium gespalten zwischen Protestantismus und Katholizismus. Die antike Turmbibliothek kann so manche Geschichte darüber erzählen.

Neben den zweifelsohne zahlreichen Unterschieden zwischen 1545 und heute haben Schülerinnen und Schüler vergangener Epochen vieles gemein. 1580 beobachtete die Jugend, wie die eine neue Citadellanlage entstand. Das Rathaus, wie wir es heute kennen, wurde 1570 fertig gestellt. Heute beobachten unsere Schülerinnen und Schüler geradezu täglich auf dem Weg zur Schule, wie unsere Stadt sich architektonisch und planerisch weiterentwickelt. Die vielen Baustellen machen es so manchem unserer Fahrschüler aus dem ganzen Stadtgebiet nicht immer leicht zu uns in die Innenstadt zu reisen. Aber sie scheuen keine Mühen, um pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. Und wenn sie auch nicht mehr zu Pferde kommen, Platz für den Drahtesel ist allemal vorhanden.

Das Gymnasium im Wandel der Zeit.

Heute sind unsere Schülerinnen und Schüler an der Kö umgeben von Werbung, Luxusartikeln und Banktempeln. Zweifel, Zukunftsangst oder Orientierungslosigkeit haben da keinen Raum. So fehlen auch zentrale Themen wie die Liebe zur eigenen Familie oder die Frage nach dem richtigen, gerechten und guten Handeln. Das Görres-Gymnasium stellt sich der Komplexität der Gegenwart und ist zentraler Ort der Auseinandersetzung zwischen der Vergangenheit und dem Heute. Eben in diesem Prozess hilft der Bezug auf universelle Werte, geformt von unserem humanistischen Weltbild und weiterentwickelt durch die Aufklärung. Nicht zu vergessen, woher wir eigentlich kommen, hilft uns zu verstehen, wohin wir gehen.

Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich auch in unserer Schülerschaft. Neben jungen Menschen aus allen Teilen der Welt besuchen auch viele, viele Kinder aus alteingesessenen Düsseldorfer Familien das Görres. Viele der Eltern waren hier schon selbst Schüler und engagieren sich heute ehrenamtlich im „Verein der Ehemaligen“, den es seit 1926 gibt. Gelegentlich werden Anekdoten ausgetauscht, die den Schülern zeigen, was für Rabauken ihre Eltern dazumal waren, oder wie hippiemäßig der nun gesetzte Kollege W. in den frühen Siebzigern unterwegs war.

Turmbibliothek des Görres-Gymnasiums
Turm-Bibliothek des Görres-Gymnasiums

Noch weiter als eine Generation greift die Transkribier-AG von Studiendirektor Herbert Gromig zurück: Gemeinsam mit Primanern entziffert er alte Abiturarbeiten aus unserem Schularchiv: dabei werden hundert Jahre alte vergilbte Klausurbögen, die eng mit Sütterlinschrift beschrieben sind, mühevoll ausgelesen und abgetippt. Schon die Themenstellung lässt einen den Eishauch der Geschichte spüren: Auf diese Weise lernen unsere Schülerinnen und Schüler der Oberstufe den Umgang mit historischem Quellenmaterial. Eine Chance, die in der Regel, Studierenden an Universitäten vorbehalten ist. Die Transskribier-AG hat uns vieles über die Biographien ehemaliger Schüler gelehrt. Nicht wenige sind direkt nach dem Notabitur in Kriegszeiten an der Front gefallen. Andere wiederum erzählen in ihren Aufsätzen von den Fronterlebnissen, die sie letztlich ein Leben lang nicht mehr losgelassen haben.

Die Vergangenheit hütet auch unsere Turmbibliothek. Unter dem im Jahre 2006 durch den Denkmalschutz wiederhergestellten Turmhelm lagern 20.000 kostbare Bände, die die Schule seit ihrer Gründung im Jahre 1545 durch die sich wandelnden Zeiten als Lehrerbibliothek begleitet haben. Bibliophile Schätze von hohem Wert und großer Seltenheit sind das Unterpfand unserer langen Schultradition. Viele von ihnen sind verfasst in Latein oder Griechisch.

Und so werden am Görres in alter Tradition immer noch Latein und Griechisch unterrichtet, was es nur noch ganz selten gibt in Deutschland. Alt ist dabei jedoch nur die Tradition. Alles andere ist modern: denn wir stellen den ersten Schriftstellern Europas unsere Fragen. Wir hören ihre Antworten, versichern uns so unseres Herkommens und gewinnen zugleich einen neuen Blick auf die Probleme unserer Zeit. Abiturzeugnisse, die sowohl ein Graecum als auch ein Latinum ausweisen, reichen nicht mehr viele Schüler an Universitäten zur Bewerbung ein. Darüber hinaus stehen in guter humanistischer Tradition an unserem humanistischen Gymnasium die sprachliche Ausbildung, der mathematisch-naturwissenschaftliche und der künstlerische Bereich gleichwertig nebeneinander.

Der Schulchor des Görres, der einst auch  Chor der Andreas Kirchengemeinde war, ist mit Konzertreisen in alle Welt  weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt geworden. Vierzig Jahre lang wurde er von dem im Jahre 2013 verstorbenen Ulrich Brall geleitet. Herr  Mathias Staut leitet heute unseren Görres Kinder- und Jungendchor. Er ermöglicht musikalische Begegnungen, die für unsere Schulgemeinde prägend sind. Die jungen Kooperationsprojekte mit der Tonhalle und der Heinrich Heine Universität, die nach einem unserer berühmtesten Ehemaligen benannt ist, sind zweifelsohne gelungene Vorhaben, die wir auch in Zukunft wiederholen möchten.

Das Görres-Gymnasium

1545 gründete Wilhelm V. (1516–1592), Herzog von Jülich-Kleve-Berg am Düsseldorfer Stiftsplatz ein „seminarium rei publicae“, die „Herzogliche Landesschule“. Erster Rektor wurde Johannes Monheim (1509–1564), Schüler des Humanisten Erasmus von Rotterdam (1465–1536). Das „Gymnasium Dusselopolitanum“ hatte von Anfang an ein anspruchsvolles Leistungsprofil und wurde deshalb auch „gymnasium illustre“ genannt. Dem humanistischen Bildungsauftrag entsprechend bildeten die klassischen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch die zentralen Unterrichtsfächer. Den mehr als 1000 Schülern – manche Chronisten sprechen sogar von 2000 – standen die 3000 Einwohner der Stadt gegenüber.

Später durch Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578–1653) wurde die Schule 1620 als Jesuitenkolleg auf den Jesuitenorden übertragen und bezog 1625 ein neues Schulgebäude an der Andreaskirche. Der Unterricht beinhaltete täglich bis zu zwölf Stunden Lernen und Beten.
Nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 veranlasste Karl Philipp Theodor von Pfalz-Sulzbach anstelle der Schließung des Düsseldorfer Jesuitenkollegs dessen Änderung in ein „Kurfürstliches Gymnasium“.

Heinrich HeineIm Zuge der französischen Besetzung wiederum wurde das „Kurfürstliche Gymnasium“ 1803 aufgelöst und als „Lyzeum“ fortgeführt. Schulgebäude wurde das ehemalige Franziskanerkloster an der Citadellstraße, die Antoniuskirche erhielt den Namen Maxkirche. Einer der berühmtesten Schüler des Lyzeums war Heinrich Heine (1797–1856; s. Abbildung).

Nach der Eingliederung Düsseldorfs in das Königreich Preußen wurde das Lyzeum 1815 in das „Königliche Katholische Gymnasium“ umgewandelt. 1830 zog die Schule, die nunmehr „Königlich Preußisches Gymnasium“ hieß, in ein neues Schulgebäude (der "Alte Kasten") an der Alleestraße, heute Heinrich-Heine-Allee. 1906 erfolgte dann der letzte Umzug in das von Johannes Radke (1853–1938) entworfene Gebäude an der Bastionstraße / Königsallee.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Schule in „Staatliches Hohenzollern-Gymnasium“ umbenannt und während des Dritten Reiches in „Staatliches von-Reichenau-Gymnasium“, um einer Umbenennung in „Staatliches Adolf-Hitler-Gymnasium“ auszuweichen.
Nach Ende des Krieges wurde der Name „Staatliches Hohenzollern-Gymnasium“ wieder angenommen und 1947 erhielt die Schule den neuen Namen „Görres-Gymnasium“ nach dem Hochschullehrer und katholischen Publizisten Joseph Görres (1776–1848).

Ebenso legen wir ergänzend zur fachlichen Ausbildung besonderen Wert auf die charakterliche Entfaltung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen hin zu verantwortungsbewussten, selbstständigen und kreativen Bürgern. Ehrenamtliches Engagement wird bei uns groß geschrieben. So bieten wir z. B. allen Schülerinnen und Schülern der Klassen 9 mit der „Woche des Ehrenamtes“ an, sich in diesem Sinne zu engagieren. Ehrenamt macht Spaß und weckt neue Fähigkeiten und erweitert den Horizont. So entdecken unsere Obertertianer eine Woche lang, was es bedeutet, sich für jene einzusetzen, die fern der glamourösen Innenstadt leben. Und das meint nicht die geographische Entfernung.

Das Görres Gymnasium ist im Vergleich zu anderen Gymnasien im Stadtgebiet eine kleine Schule, so dass nicht nur die Lehrer alle Schüler, sondern die Schülerinnen und Schüler sich auch untereinander gut kennen und Freundschaften nicht nur innerhalb der Jahrgangsstufen, sondern auch darüber hinaus entstehen. Eben dies fördert die Gemeinschaft der Kinder untereinander. Viele treffen sich später im Verein der Freunde und Förderer des Görres Gymnasiums wieder. Auch die gute Zusammenarbeit mit den Eltern zeigt sich nicht nur bei Gelegenheiten wie dem Sommerfest und dem Weihnachtsbasar.

Einen anderen Schwerpunkt setzt die Synthese von Musik und Medien, bei der Vertonung selbstgedrehter Filme sowie der Produktion eigener Hörspiele. Gemeinsame regelmäßige Projekte sind das Weihnachtskonzert und das von Schülerinnen und Schülern selbstständig organisierte Varieté. Wer sich für die Ergebnisse des Kunstunterrichts, vor allem auch der seit 20 Jahren regelmäßig stattfindenden Leistungskurse, interessiert, möge sich auf www.goerres.de begeistern lassen.

Zu den kreativen Ausdrucksmöglichkeiten gehört auch das darstellende Spiel. Das Görres Gymnasium hat im Kollegium  ein hohes Maß an Expertise . So realisiert die „Gruppe aus 6“  ambitionierte und höchst erfolgreiche Projekte, die sie einer breiten Öffentlichkeit im Rahmen der Maskerade am Goethe Gymnasium und der Schultheatertage im FFT Düsseldorf vorstellt. Nicht wenige unserer Görres Schüler entscheiden sich aufgrund ihrer besonderen Theatererfahrung eben diese zu ihrem Beruf zu machen.

Im Sinne einer ganzheitlichen Bildung wird natürlich auch Sport am Görres durchgehend unterrichtet. Neben dem traditionellen Schulsport stehen eine Skifreizeit und die erfolgreiche Teilnahme an Schulwettkämpfen, aber auch die Kooperation mit dem Düsseldorfer Hockeyclub (DHC) im Mittelpunkt.

Schulhof des Görres-Gymnasiums
Schulhof des Görres-Gymnasiums

Unser Gebäude steht an der Kö. Dort bieten wir den größten Luxus auf der ganzen Luxusmeile feil: Bildung. Der Haupteingang geht nach Absicht des Architekten jedoch auf die Bastionsstraße. Dort wacht über der Eingangspforte auch die Eule, die unser Wahrzeichen ist. Ein früherer Direktor konnte sich mit dieser Adresse aber nicht abfinden und hat den Trick mit dem verlegten Eingang wohl als erster praktiziert, der jetzt an allen Kö-Anrainergrundstücken gang und gäbe ist: nun ist der „Haupteingang“ der ehemalige Hintereingang, nicht sehr präsentabel, aber eben an der Kö. Das aus dem Jahre 1906 stammende Gebäude steht unter Denkmalschutz und wurde 2004-2006 grundlegend restauriert. Das war eine aufregende Zeit für Schüler und Lehrer. Die Kollegen erinnern sich, welch einen Sport die Schüler sich daraus machten, aus den Fenstern der Container, die behelfsmäßig für den Unterricht entlang der Kö aufgestellt worden waren, Papierbällchen in cruisende Cabriolets zu werfen. Und Wolfgang Niersbach, der 1970 bei uns Abitur gemacht hat, weiß noch, wie er die Möwen aus dem Klassenzimmerfenster mit Kreide gefüttert hat.

So geht es bei uns oft lustig zu, manchmal ernst, aber wir empfinden uns immer als eine ganz besondere Gemeinschaft an einem ganz besonderen Ort: unserem Görres.

Kontakt

Kommissarische Schulleiterin: Dr. Antonietta P. Zeoli
Pressearbeit: OStR Riccarda Schreiber
Webseite: www.goerres.de

Görres-Gymnasium-Logo


Kurzvita

Antonietta ZeoliAntonietta P. Zeoli ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in Düsseldorf, wo sie als kommissarische Schulleiterin am Görres-Gymnasium arbeitet. Sie unterrichtet die Fächer Englisch, Deutsch, Philosophie und praktische Philosophie. Zunächst in Haan als Gymnasiallehrerin beschäftigt, leitete sie nach 6 Jahren im Schuldienst im Auftra des Schul- und Integrationsministeriums NRW Projekte rund um bildungspolitische Themen zum Diversity Management im öffentlichen Dienst. Am Görres Gymnasium ist sie seit 2012 Mitglied der Schulleitung. Ihre Publikationen behandeln neben philosophisch didaktischen Aufsätzen Untersuchungen rund um die Integrationsdebatte der letzten 20 Jahre. Ihr Habilitationsvorhaben an der Universität Bremen ist eng verzahnt mit Management-Aufgaben im Schulleitungsbe reich. Seit 2014 ist Frau Dr. Zeoli Mitglied im Vorstand der Heinrich Böll Stiftung NRW.



Christian Lindner und Siegmar Rothstein

„Bildung, klare marktwirtschaftliche Regeln und ein Staat, der sich auf Kernaufgaben konzentriert, anstatt alles zu bürokratisieren: Das ist die Mission meiner Partei“

Interview mit Christian Lindner, Vorsitzender der FDP


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie kommen aus dem Bergischen Land, haben aber seit langem Ihren Lebensmittelpunkt in Düsseldorf. Wie beurteilen Sie unsere Stadt? Fühlen Sie sich hier zuhause?

Ja, der FDP-Vorsitzende ist bekennender Düsseldorfer. Mein Wahlkreis liegt zwar im Rheinisch-Bergischen Kreis – dort bin ich aufgewachsen. Mein Zuhause ist aber seit zehn Jahren hier am Rhein. Ich schätze unsere Stadt sehr. Einmal abgesehen von der wirtschaftlichen Substanz, hat sie ein großartiges kulturelles Angebot von Tonhalle über Oper bis zum Theater an der Kö. Hier arbeiten beeindruckende Künstler wie Günther Uecker, Bernd Schwarzer oder Stephan Kaluza. Und als leidenschaftlicher Anhänger automobilen Kulturguts sage ich: Es gibt eine tolle, freundschaftliche Oldtimer-Szene. Und die Stadt ist, nebenbei gesagt, auch politisch ein Modell. Seit 15 Jahren wird hier im Prinzip eine liberale Politik verfolgt: Erst die wirtschaftlichen Grundlagen verbessern – etwa durch Verkauf unnötiger öffentlicher Beteiligungen, Schuldenfreiheit, moderate Steuern und neues Gewerbe – um anschließend in soziale und kulturelle Aufgaben zu investieren. Erst kommt das Erwirtschaften des Wohlstands, dann das Verteilen. In Köln sieht man, was passiert, wenn man es anders herum versucht.

Im Dezember 2013 wurden Sie zum Vorsitzenden der FDP gewählt. Ihre Partei war bei der vorangegangenen Wahl aus dem Bundestag ausgeschieden. Sie galten und gelten als großer Hoffnungsträger, der die FDP wieder auf den Erfolgskurs bringen und in den Bundestag zurückführen kann. Sie selbst haben gesagt, der Wiederaufbau der FDP wäre ein Kraftakt. Für Sie bedeuten diese Jahre sicher eine ungeheure Belastung, die Sie an die Grenze Ihrer Belastungsfähigkeit bringt. Was war letztlich Ihre Motivation, sich dieser Aufgabe zusätzlich zu stellen?

Ich glaube daran, dass es eine Partei geben muss, die sich um den Einzelnen und seine Entfaltungsmöglichkeit kümmert. Gerade in einer Gegenwart, die den Einzelnen klein macht, etwa durch die stark miteinander verwachsenen Finanzen von Staaten und Banken, durch eine in jeden Winkel des Lebens eindringende Bürokratie, durch die Shitstorm-Kultur und durch den Silicon-Valley-Kapitalismus, der sich dem Wettbewerb durch Monopole zu entziehen droht. Ich bin der Überzeugung, dass der Einzelne wieder groß gemacht werden muss. Durch Bildung, klare marktwirtschaftliche Regeln und einen Staat, der sich auf Kernaufgaben konzentriert, statt alles zu bürokratisieren. Das ist die Mission meiner Partei. Ich wollte und will nicht tatenlos zusehen, wie dieses Element des politischen Gesprächs in Deutschland verloren gehen könnte.

Hat nach Ihrer Ansicht die FDP Fehler gemacht, die letztlich dazu führten, dass sie die fünf Prozent-Hürde nicht überspringen konnte? Lag es vielleicht auch daran, dass die damaligen Führungspersönlichkeiten die Wähler nicht überzeugt haben?

Offensichtlich war in den Augen der Wählerinnen und Wähler ein personeller und politischer Neuanfang bei der FDP nötig. Diesen Auftrag haben wir angenommen. Der wesentliche Grund für das Scheitern der FDP ist, dass wir über ein Jahrzehnt die Entbürokratisierung im Steuerrecht gefordert, dann aber noch nicht einmal das zuständige Ministerium reklamiert haben. Dadurch entstand in den Augen der Öffentlichkeit der Eindruck, man kämpfe noch nicht einmal für seine Ziele. Zu Scheitern, wenn sich zum Beispiel das wirtschaftliche Umfeld durch eine Staatsschuldenkrise in Europa verändert, wäre sicher verstanden worden. Aber der Eindruck, die FDP kämpfe nicht einmal für ihre Ziele, kostete viel Vertrauen. Daher waren die Umfragen für die FDP ab Juni 2010 bereits unterhalb von fünf Prozent. Anderes kam noch hinzu.

Nach der Bundestagswahl 2013 ist die damalige Führung komplett von der politischen Bühne verschwunden. Sind in zufriedenstellenden Maße neue Führungspersönlichkeiten nachgewachsen? In Hamburg und Bremen hatte die FDP bei der Wahl offenbar überzeugende Spitzenkandidaten.

Auch in Düsseldorf muss ich hinzufügen. Hier hatten wir ebenfalls eine Wahl nach der Bundestagswahl. Mit Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann haben wir eine streitbare Liberale, die unter schwersten bundespolitischen Belastungen für unsere Partei im Kommunalwahlkampf ein respektables Ergebnis erzielt hat. Und die den Mut und die Kraft hatte, die Stadt auch in einer neuen Konstellation der Kooperation auf Kurs zu halten. Sie gehört inzwischen als stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Demokraten zu den neuen Persönlichkeiten auf Bundesebene. Daran kann man schon sehen, wie stark der personale Wechsel ist - und diese Liste könnte man fortsetzen:

Mit Wolfgang Kubicki und Nicola Beer, Hermann Otto Solms, Volker Wissing und Alexander Graf Lambsdorff haben wir ein starkes Team aus Persönlichkeiten.

Ich glaube, dass eine Partei ein Mix sein muss an Temperamenten, Generationen und Geschlechtern.

Wie wollen Sie die Führung bekannt machen? Ohne im Bundestag zu sein, wird es schwierig, Aufmerksamkeit zu erringen. Es gibt nicht oft die Gelegenheit, im Hinblick auf einen Zwischenruf des politischen Gegners, eine sogenannte „Wutrede“ zu halten, die Ihnen Spaß gemacht hat und die auf große positive Resonanz gestoßen ist.

Ich beschäftige mich weniger mit dem 'Wie' des Bekanntmachens oder des 'Wie' der Rückkehr in den Bundestag. Dass wir Kampagnen können, wenn es drauf ankommt, haben wir bewiesen. Entscheidend ist aber doch die Frage nach dem 'Warum' eine Partei in den Bundestag will.

Also, warum wollen Sie wieder in den Bundestag. Worauf wollen Sie in Zukunft Ihr Augenmerk richten? Was ist gewissermaßen Ihr Alleinstellungsmerkmal?

Wir wollen den wohlverstandenen Individualismus stärken, der in unserer Verfassung vorgegeben ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Würde des Einzelnen entsprechen liberalem Denken. Der aktuell praktizierte Kollektivismus und Bürokratismus höhlen diese Tradition der Wirtschaftsordnung und der Freiheit schleichend aus. Wir wollen als Gegengewicht wieder bürgerliche Politik ins Parlament bringen – gerade in Zeiten, in denen es im Parlament aktuell nur eine versammelte Sozialdemokratie gibt. Der alte Dreisatz Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Toleranz ist kurzgefasst das Programm der FDP. Dies muss stets aktuell interpretiert werden. Es ist gewissermaßen unser Alleinstellungsmerkmal - umso mehr, nachdem zu meinem großen Bedauern die CDU aus der Traditionslinie von Ludwig Erhard nahezu vollständig ausgeschieden zu sein scheint.

Sie setzen sich sehr kritisch mit der Innenpolitik der großen Koalition auseinander, deren Außenpolitik beurteilen Sie offenbar positiv. Was ist der Kern Ihrer Kritik?

Der Kern meiner Kritik besteht darin, dass diese Große Koalition Politik nach der Methode Kamelle macht: Alles raus und den Jubel der Straße genießen – das ist im Rheinischen Karneval ein willkommenes und erprobtes Mittel. Mit der Methode Kamelle darf man aber Deutschland nicht auf Dauer regieren. Die Große Koalition verbraucht Deutschlands Substanz, indem jetzt verteilt wird, was kommende Generationen noch nicht erarbeitet haben. Selbst die Investitionsquote in öffentliche Infrastruktur wie Straßen oder Internet sinkt bis 2017 trotz prosperierender Steuereinnahmen, weil der Konsum so hochgefahren wird. Wir sonnen uns in der wirtschaftlichen Stärke, die sich überwiegend durch den niedrigen Zins, den niedrigen Außenwert des Euro und den niedrigen Ölpreis ergibt. Für unsere Stärke gibt es keine Garantie für die Zukunft. nion und SPD machen auch mit der „Rente mit 63“ Politik für eine einzige Generation, die aber alle anderen, die jünger oder älter sind, bezahlen müssen.
Die wesentliche Kernaufgabe des Staates, die Bildung unserer Kinder und Enkel, wird stiefmütterlich behandelt. Die Methode Kamelle macht zwar kurzfristig beliebt, aber sie ist hochgefährlich für unser Land.

Die FDP hat in der Regierung mit der CDU dem ersten und zweiten Rettungspaket für Griechenland zugestimmt. Weitere Rettungspakete lehnen Sie nunmehr ab. Warum?

In den Jahren 2010 und 2012 mussten wir den unkontrollierten Zusammenbruch der Eurozone fürchten. Es wären enorme Ansteckungsgefahren von einer griechischen Staatspleite ausgegangen. Man sprach von einem Dominoeffekt, der etwa Portugal und sogar Frankreich über seine privaten Banken hätte erfassen können. Ich habe das nicht für verantwortbar gehalten und deshalb dem ersten und zweiten Rettungspaket zugestimmt, auch der Einführung des europäischen Stabilitätsmechanismus als einer dauerhaften Brandmauer. Diese Entscheidung würde ich heute ohne Abstriche genauso wieder treffen.
Inzwischen hat sich die Lage verändert. Es hat Fortschritte gegeben. Wir haben neue Institutionen und die gerade genannte Brandmauer geschaffen, insofern besteht diese Ansteckungsgefahr nicht mehr. Beim jetzigen dritten Griechenlandpaket sagte der Internationale Währungsfonds, Griechenland sei in Wahrheit nicht schuldentragfähig - auch nicht mit dem Spar- und Reformprogramm, das die Griechen ja selbst nicht für wirksam halten und es politisch ablehnen. Wie sollte man also daran glauben, dass es umgesetzt werden könnte? Wenn man dem überschuldeten Griechenland Geld gibt, ist das kein Hilfskredit mehr, sondern ein Transfergeschenk. Damit wird der Stabilitätsmechanismus, der gebildet worden ist, um die finanzpolitische Eigenständigkeit wieder herzustellen, zu einem neuen Länderfinanzausgleich mit den entsprechenden falschen Anreizen, sich nicht um die eigene Kraft zu kümmern, sondern sich auf andere zu verlassen. Das wollen wir nicht, das verändert den Charakter der Stabilisierungspolitik und den Charakter der Währungsunion. Das vergrößert die Fliehkräfte in Europa und trägt deshalb nicht dazu bei, Probleme zu lösen und die Krise zu überwinden, sondern wirft uns zurück im Grunde schon vor das Jahr 2010.

Zurück zur FDP: Erste Wahlerfolge sind schon eingetreten. In Hamburg haben Sie 7,4 Prozent erreicht und in Bremen 6,6, jeweils bei äußerst schlechter Ausgangslage. Auch der neue Oberbürgermeister von Dresden, Dirk Hilbert, hat das FDP Parteibuch. Wolfgang Kubicki hat sich drastisch ausgedrückt: „Der Generalverschiss ist vorbei“. Kann man schon von einer Trendwende sprechen oder müssen noch positive Ergebnisse bei den kommenden drei Landtagswahlen im März 2016 erreicht werden und danach in NRW, bevor Sie hoffen können, 2017 wieder in den Bundestag einzuziehen?

So ist es. In der Frage liegt schon die Antwort. Wir sind bislang über Plan, ich hätte nicht geglaubt, dass uns schon jetzt die Umfragen bei bis zu sechs Prozent sehen. Trotzdem bin ich vorsichtig. Das Eis ist noch dünn, es knackt gelegentlich. Wir haben durch die erzielten Wahlerfolge eine Bestätigung bekommen, dass unser Kurs der Erneuerung wieder Vertrauen bringen kann. Aber das war noch keine Trendumkehr. Die können wir uns erst bei den drei Wahlen in großen Flächenländern im Südwesten und im Osten erarbeiten, also in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Letzteres liegt mir persönlich am Herzen, weil wir 25 Jahre nach der Deutschen Einheit zeigen wollen, dass die Freien Demokraten unverändert eine gesamtdeutsche Partei sind.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Bundeskanzlerin für die Zeit nach der letzten Bundestagswahl eine Große Koalition anstrebte, jedenfalls hat die CDU nichts dafür getan, der FDP, ihrem langjährigen Regierungspartner, den Wiedereinzug in den Bundestag zu ermöglichen. Das tat sicher weh. Nunmehr wird die FDP geradezu vermisst, jedenfalls vom Wirtschaftsflügel der CDU. Er bescheinigt ihr gute bis sehr gute wirtschaftspolitische Kompetenz. Die FDP ist nach seiner Ansicht das notwendige marktwirtschaftliche Korrektiv. Das muss Sie doch erfreuen.

Ich nehme das wahr. Es ist mir aber eigentlich egal, weil ich Vorsitzender einer Partei bin, die aus eigener Kraft ins Parlament will. Ich wäre kein Freier Demokrat geworden, weil ich Teil einer Art Ergänzungshilfstruppe einer anderen Partei sein wollte.
Ich bin mit 18 in die FDP eingetreten, weil ich dort den Geist der Freiheit, die Freude an Eigenverantwortung und Leistungskraft, den Wunsch, vorankommen zu wollen, die Neugier auf Zukunft und die Großzügigkeit gegenüber anderen gefunden habe.  
Das gab es für mich nur in der FDP. Deshalb will diese Partei aus eigener Kraft in das Parlament kommen und danach entscheiden, mit wem sie regiert. Sie will nicht von anderen Parteien abhängig sein. Genscher hat einmal, als SPD Politiker damals sagten, bei bestimmten Fragen wedele der Schwanz mit dem Hund, so schön geantwortet: 'Wenn dem Hund das nicht gefällt, muss sich der Schwanz einen neuen Hund suchen'.

Sie werden in diesem Interview keine Koalitionsaussage machen, aber man könnte einmal ein wenig träumen: die CDU gewinnt bei der nächsten Bundestagswahl 40 Prozent plus x, die SPD verharrt bei 25 Prozent und möchte nicht wieder Juniorpartner werden. Die Grünen sehen große Meinungsverschiedenheiten mit der CDU, die insbesondere im Wahlkampf deutlich wurden. Andere Parteien kommen für die CDU als Koalitionspartner nicht in Betracht. Die FDP erreicht 7-8 Prozent, eine Koalition mit der CDU wäre möglich. Nach den Sitzungen von Präsidium und Vorstand ruft Sie Frau Merkel an. Würden Sie auf einen solchen Anruf positiv reagieren?

Ich spreche regelmäßig mit Frau Merkel, und wir treffen uns gelegentlich. Genauso halte ich den Kontakt zu den Vorsitzenden der anderen Parteien. Das von Ihnen geschilderte Szenario halte ich für äußerst wahrscheinlich, ohne die einzelnen Prozentpunkte zu bewerten. Dann würde man natürlich miteinander sprechen. Für die FDP gilt jedoch, jedenfalls solange ich sie führe, dass es keine Regierungsbeteiligung um jeden Preis gibt. Das ist die Lehre aus 2009 bis 2013. Wir werden sehr genau zehn Prioritäten und zehn rote Linien festlegen. Dann muss man schauen, ob man mit CDU und CSU die Prioritäten umsetzen kann und ob die roten Linien tatsächlich von der Union geachtet werden. Eine Koalition darf nie zum Selbstzweck werden, sondern ist ein Mittel zur Umsetzung von politischen Projekten.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Parteien bei Koalitionsverhandlungen nach der Wahl nicht im vollen Umfang ihre Positionen durchsetzen können. Aber allein der FDP hängt man den Makel an, Umfallerpartei zu sein. Dies seit 1961, als Mende im Wahlkampf versprach, nur mit Ludwig Erhard eine Koalition einzugehen und dann doch mit Konrad Adenauer als Bundeskanzler die gemeinsame Regierungsarbeit fortsetzte.

Mit Vorwürfen und Kritik muss man im politischen Geschäft leben – gerade wenn es von den konkurrierenden Parteien kommt. Und das Einfachste ist natürlich zu sagen, die andere sei eine Umfallerpartei. Aber damals war bereits 1963 die Kanzlerschaft Adenauers vorbei und Ludwig Erhard wurde Bundeskanzler. Diese Veränderung ist also in der damaligen Legislaturperiode erreicht worden. Leider hängt das nach. Die FDP hat aber immer entscheidende Weichenstellungen in Deutschland umgesetzt, für die sie gekämpft hat. Sie musste teilweise sogar um ihre Existenz fürchten. Wir haben mit unseren Stimmen 1969 die neue Ostpolitik möglich gemacht, 1982 die wirtschaftspolitische Erneuerung mit dem berühmten Lambsdorff-Papier erreicht, auch den NATO-Doppelbeschluss gegen den leidenschaftlichen Protest der weißen Tauben der Friedensbewegung gestützt. Die FDP darf mit Stolz auf ihre historische Bilanz blicken. Auch 2009 bis 2013 wurde mehr Positives erreicht, als wahrgenommen wurde. So ist seinerzeit erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik am Ende der Legislaturperiode weniger ausgegeben worden, als zu Beginn. Es wurde zum ersten Mal wirklich gespart.

Christian Lindner 2017 im Alter von 38 Jahren Vizekanzler - eine verlockende Vorstellung?

Ich kann auf diese Frage gar nicht antworten, ob ich das anstrebe oder nicht. Selbst unter idealen Bedingungen, dass die FDP all ihre Ziele mit einem Koalitionspartner umsetzen könnte, würde ich heute nicht sagen, dass ich bei einer Regierungsbeteiligung der FDP eine Position im Kabinett anstrebe. Das müsste ich offen lassen, weil ich glaube, dass man auch aus dem Parlament heraus das Programm der Partei vertreten kann. Vielleicht sogar besser, als wenn man in die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin eingebunden ist.

Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft? Sie wirken äußerst dynamisch und voller Energie. Haben Sie noch Zeit für Hobbies?

Vielen Dank für das Kompliment. Ich habe nicht viel Zeit, aber ich nutze sie intensiv. Ich treibe viel Sport. Ich habe Benzin im Blut – dieser Leidenschaft fröne ich intensiv, indem ich auf langen Dienstreisen nach alten Autos im Internet fahnde oder ab und an mit meiner Frau an einer Oldtimer-Rallye teilnehme. Das größte Geschenk aber ist unser großer und herzlicher Freundeskreis, mit dem wir regelmäßig verreisen oder mit dem wir der Düsseldorfer Gastronomie Umsatz bescheren.


Kurzvita

Christian LindnerChristian Lindner wurde 1979 in Wuppertal geboren. Nach Abitur Studium der Politikwissenschaft, des Öffentlichen Rechts und der Philosophie an der Universität Bonn (Magister Atrium). Lindner ist Hauptmann der Reserve. Er war ab 1997 mit verschiedenen Unternehmen selbständig, im Jahr 2000 zog er al​s jüngster Abgeordneter in der Geschichte des Landtages NRW ins Parlament und blieb dort Abgeordneter bis 2009. Von Oktober 2009 bis Juli 2012 Bundestagsabgeordneter und 2009 bis Dezember 2011 Generalsekretär der Bundes FDP. Seit 2012 wieder Mitglied des Landtags NRW und Vorsitzender der FDP Landtagsfraktion sowie des Landesverbandes NRW. Nach der Bundestagswahl 2013 Vorsitzender der FDP, der jüngste in der Geschichte der Freien Demokraten, am 15. Mai 2015 erneut gewählt mit 92,41 Prozent Zustimmung. Christian Lindner erhielt Auszeichnungen, zum Beispiel 2010 den Redner und Dialogpreis als bester politischer Redner und 2014 den Orden wider den tierischen Ernst in Aachen. Er hat zahlreiche Schriften und Bücher veröffentlicht, ist Mitglied im Fernsehrat ZDF und in einigen Kuratorien. Christian Lindner ist verheiratet, lebt in Düsseldorf.



Paul Breuer und Josef Hinkel

„Der Düsseldorfer Karneval der Zukunft ist frech, kreativ und international“

Gespräch mit Josef Hinkel, selbständiger Bäckermeister


von Dr. Paul Breuer

Josef Hinkel, 56 Jahre, verheiratet, fünf Kinder, Bäckermeister, Unternehmer, CC Karnevalspräsident a.D. ist ein Ur-Düsseldorfer, der mit seinem Fahrrad in blütenweißer Bäckerkluft seine Düsseldorfer Bäckereien in der Hohe Straße und Mittelstraße regelmäßig mehrmals am Tag aufsucht, um nach dem Rechten zu sehen. Die Qualität seiner Backwaren hat absolute Priorität. Er überlässt nichts dem Zufall, wenn es um neue Backprodukte geht. Täglich bis zu 60 verschiedene Brotsorten stellt er nach alten Rezepturen her. „Die Herstellungsverfahren einiger unserer Backprodukte erfolgen nach alten Methoden, wie man sie noch selten irgendwo findet“, sagt stolz der Knappe des Obermeisters. Seine Bäckereien sind meist schon morgens gut besucht, die Verkäuferinnen und Verkäufer handverlesen.

Ein weiteres großes Engagement gilt dem Karneval. Josef Hinkel ist immer positiv gestimmt und trägt sein Herz auf der Zunge. Er ist humorvoll, spontan und sehr kommunikativ. Kein Wunder, dass er als CC-Karnevalspräsident Düsseldorfs die Nachfolge von Engelbert Oxenfort in einer schwierigen Zeit des Umbruchs antrat und den Versuch unternahm, dem Düsseldorfer Karneval einen modernen Anstrich zu verpassen. Seine verbindliche Art und die Vermeidung jeglicher Form von Polarisierung sorgte für Zusammenhalt innerhalb der verschiedenen Karnevalsgesellschaften. Kein leichtes Unterfangen, wenn man als Unternehmer auch ehrenamtlich einer für Düsseldorf wichtiger Institution vorsteht, die medial mit großer Aufmerksamkeit - auch kritisch - begleitet wird. Der Rheinische Karneval ist in unseren Breitengraden ja auch eine ernste Angelegenheit - „Do kenne ma kinne Spass!“.

Wieso er so beliebt ist in Düsseldorf, frage ich ihn. Seine bescheidene Antwort: “Man muss die Leute am Herzen packen, das ist das Geheimnis!“ Wenn das nur so einfach wäre...
Der lebenslustige Josef Hinkel ist eigentlich zu jung, um sich nur in seine Backstuben zurückzuziehen. Seine Familie bedeutet ihm sehr viel und er genießt es, wenn seine Freizeit es zulässt, mit Frau und den Kindern etwas zu unternehmen.
Gute Gründe nachzufragen, wie er sich seine weitere Zukunft vorstellt. Ohne Karneval?

Josef, du bist gerade aus den USA zurück. Die 10 Tage in New York, Boston und Cape Cod waren bestimmt interessant. Warum gerade die USA und nicht Teneriffa?

Unsere Tochter hat gerade ein Praktikum bei Oak Mill Bakery, einer Großkonditorei und Brotbäckerei in Chicago, gemacht. Ich wollte mir persönlich einen Eindruck von den Backbetrieben in den USA machen. Bei dieser Gelegenheit habe ich mir auch einige Betriebe in Boston angesehen.

Der Nachwuchs wird schon „eingeordnet“?

Natürlich. Aber da habe ich noch andere Absichten verfolgt. Warum nicht US Bäckern eine Ausbildung als Bäckergeselle oder -meister in unseren Betrieben ermöglichen? Die Ausbildung von jungen Bäckergesellen nach dem Motto: „Zurück zu den Wurzeln“ war schon immer meine Überzeugung.

Also Kooperationen mit amerikanischen Bäckern suchen? Nachdem Düsseldorf wohl bald eine US Partnerstadt mit Boston einzugehen beabsichtigt, könnte die deutsche Bäckerzunft auch dort Brote nach deutschen Rezepten und Backmethoden einführen.

Klar, das wäre toll. Auch wir könnten von amerikanischen Ideen und der Herstellung von Backwaren profitieren. Sicher ist, dass deutsche Broterzeugnisse in den USA sehr gefragt sind.

Auffällig ist, dass es in deinen Bäckereien keine belegten Brötchen und Kaffee gibt. Absicht?

Wir wollen hochqualitative Backerzeugnisse anbieten, keine Bistroatmosphäre kreieren. Das können andere sicherlich besser. Dies ist unser Alleinstellungsmerkmal und daran wollen wir auch festhalten. Das heißt nicht, dass wir nicht an eine Ausweitung unserer Produktpalette denken. Da sind verschiedene Modelle vorstellbar.

Der Rückzug vom Düsseldorfer Karneval war wohl unter anderem aus gesundheitlichen Gründen gegeben - kein Wunder bei dieser Doppelbelastung von Karneval und Geschäft. Wie geht es dir heute?

Nach dieser Erholungsphase fühle ich mich wieder total fit. Die gesundheitlichen Probleme sind ausgestanden.

Als ehemaliger Karnevalsprinz und Präsident des Comitee Düsseldorfer Carneval ist man wohl lebenslang dem Karneval verbunden. Verfolgst du noch die Vorbereitungen der kommenden Session 20015/16?

Aber klar doch. Ich habe und halte noch immer zu den verschiedenen Karnevalsgesellschaften Kontakt. Wie du sagst: Einmal Karnevalsprinz immer Karnevalsprinz!

Wie und wo siehst du den Düsseldorfer Karneval in der Zukunft?

Frech – auch und gerade zu politischen Themen -, kreativ und international!

Wie ist die Zusammenarbeit mit den anderen Städten?

Intensiv. Wir haben zum Beispiel eine sogenannte „Elefantenrunde“ der Städte Mönchengladbach, Neuss und Düsseldorf gebildet. Dabei wird die Auszeichnung der „Närrische Maulkorb“ ausgelobt. Ein regelmäßiger närrischer Erfahrungsaustausch findet auch zwischen Bonn, Aachen, Köln und Düsseldorf statt.

Ich merke, deine Begeisterung für den Düsseldorfern Karneval ist ungebrochen.

Stimmt.

Wer dich kennt weiß, dass dein Herzblut am Düsseldorfer Karneval hängt. Könnte es eine Rückkehr vom Rücktritt in absehbarer Zeit geben?

Das möchte ich nicht ganz ausschließen. Aber, man wird sehen, was die Zukunft noch an Überraschungen zu bieten hat.



Susan Tuchel und Pascal Breuer

„Leute zum Lachen bringen, macht mich süchtig“

Interview mit dem Schauspieler Pascal Breuer


von Dr. Susan Tuchel

Sie stammen aus einer Schauspieler- und Künstlerdynastie. Ihr Urgroßvater, der Opernsänger Hans Breuer, war der Taufpate von Siegfried Wagner, dem Sohn von Richard und Cosima Wagner. Hans Breuer nannte seinen Sohn dann wegen der Verbundenheit zu den Wagners ebenfalls Siegfried. Der wurde prompt Theater- und Filmschauspieler und war an der Seite von Joseph Cotten und Orson Welles in „Der dritte Mann“ zu sehen. Ihr Vater, Walter oder auch Siegfried Breuer junior genannt, trat ebenfalls in die Fußstapfen seines Vaters – genau wie Sie und Ihr älterer Bruder Jacques. War Ihr Vater Ihr Vorbild?

Nur sehr bedingt. obwohl mein Vater in „Die Deutschmeister“ an der seite der jungen Romy Schneider zu sehen war, war er nicht der geborene Schauspieler. 1966, also in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, war er zum letzten Mal auf der Leinwand zu sehen. Meine Mutter war Französin und sie führten keine gute Ehe. Meine Kindheit empfinde ich rückblickend als zerrissen, das Wort Elternhaus klingt für mich fremd. Was mir Halt gab, waren die Tiere, mit denen ich aufwuchs: Da waren Boxer und Dobermänner, Pferde, Hühner, Schafe und auch Ratten. Deshalb wollte ich ursprünglich auch Tierarzt werden.

Was hinderte Sie daran?

Hauptsächlich, dass Schulen und ich nicht kompatibel sind. ich war heilfroh, als ich die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule schaffte. Nach der Schauspielschule habe ich mit Katja Riemann, mit der ich auch einige Jahre zusammen war, und mit Thomas Heinze und Heio von Stetten in einer WG gelebt. Die haben ja bekanntermaßen alle einen Senkrechtstart hingelegt. Die Anfangsjahre waren für mich ehrlich gestanden eher frustrierend. Aber immer mehr entdeckte ich die Komödie für mich und merkte, dass es süchtig machen kann, Leute zum lachen zu bringen.

Wie viele Schauspieler sind Sie auch Synchronsprecher und Regisseur und die deutsche Stimme des Bollywood-Schauspielers Shah Rukh Khan. Aber auch als Bildhauer sind Sie tätig. Ihre Skulpturen heißen „Der Kopf“, „Die goldene Frau“, „Die Scham“. Gibt es eigentlich noch Exemplare der limitierten Auflage der „Arschlochvase“?

Ja, die gibt es noch, die Idee kam offensichtlich nicht ganz so gut an. Die Bildhauerei in Ton und Bronze ist ein Hobby, ein Ausgleich zu meinem Beruf, der Fluch und Segen zugleich ist. Ist man erfolgreich, frisst er keine seelische Energie, aber immer hat man den Gedanken im Nacken, dass nur drei Prozent der Schauspieler von ihrem Beruf wirklich leben können.

Heißt das, dass sie sich einen anderen Beruf wünschen?

Nein, überhaupt nicht. Der Schauspielberuf ist ein Geschenk, trotzdem definiere ich mich nicht darüber und hüte mich auch davor, falschen Ehrgeiz zu entwickeln.

Sie leben in München mit einer italienischen Fotografin und ihrer 12 Jahre alten Tochter und zwei Katzen zusammen.

Im Moment leben wir immer noch eher auf einer Baustelle. Wir haben eine Dachwohnung in München gekauft in einem Hinterhof und diese komplett neu gebaut. Im Blaumann haben wir Wände hochgezogen und Böden verlegt. Das ging nur mit überaus komplizierten Kranaktionen, die die Baufirma Fischerhaus für uns durchgeführt hat. Die werben damit, dass sie unter schwierigsten Bedingungen bauen können und da haben wir sie beim Wort genommen.

Sie waren von April bis Juni in der Komödie 'Der Vorname' von Matthieu Delaporte im Theater auf der Kö zu sehen. Was steht im Herbst an?

Wir spielen dasselbe Stück noch bis zum 16. Oktober im 'Theater am Dom'. Ansonsten war es nicht das erste und vermutlich auch nicht das letzte Mal, dass ich im 'Theater an der Kö' gespielt habe, da ich René Heinersdorff schon recht lange kenne. Kennengelernt habe ich ihn vor 16 Jahren, als ich mit Grit Böttcher in der Komödie 'Die Kaktusblüte' in München gespielt habe.

Was verbinden Sie mit Düsseldorf?

Ich liebe diese Stadt, habe auf der Hohe Straße gewohnt und war sehr oft auf dem Carlsplatz. Am liebsten habe ich allerdings während der Spielzeit in Düsseldorf nachmittags meine Slackline (zum Seiltanzen, Anm.d.Red.) in dem kleinen Park am Schwanenspiegel zwischen zwei Bäumen gespannt. Sport zu treiben, gehört für mich einfach zum Leben dazu. Wobei ich Sportarten mit 'Zusatznutzen' mag. Beim Slacklinen, das man übrigens in ein paar Stunden erlernen kann, geht es auch um die innere Balance, beim Tauchen ums Abtauchen und beim Fallschirmspringen ums Loslassen können.

Wofür machen Sie sich stark, wofür engagieren Sie sich?

Für Tiervereine und Tiere aus Tierheimen. Trotzdem bin ich kein Vegetarier.

Und privat?

Da geht es mir um Beständigkeit. Meine Partnerin und ich besuchen gerade einen Boogie-Woogie-Kursus. Das ist ein sehr guter Ausgleich zu dem ganzen Baustress und glättet schon mal die Wogen.


Kurzvita

Pascal BreuerBereits mit 17 Jahren bestand der Franzose Pascal Breuer (Jahrgang 1966) die Aufnahmeprüfung an der Otto-Falckenberg-Schule in München, die den Kammerspielen angegliedert ist. Es folgten Engagements beim Bayerischen Staatsschauspiel, am Gärtnerplatztheater, am Teamtheater, an der Komödie im Bayerischen Hof, an den Komödien Düsseldorf und Köln und am Theater am Kurfürstendamm in Berlin. Breuer stand außerdem in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera, u. a. in „Eurocops“, „Diese Drombuschs“, „Küstenwache“, „Medicopter“ und „Soko Kitzbühel“. Regie führte er in Christopher Durangs „Gebrüllt vor Lachen“ am Münchner Theater 44 und in „Doppelzim-mer“ mit Heiner Lauterbach. Seit 2004 spielt er jedes Jahr zur Weihnachtszeit in der Komödie „Die Feuerzangenbowle“ im Bayerischen Hof den Pfeiffer „mit drei f“. 2006 wurde er mit dem Merkur-Theaterpreis für seine Gesamtleistung ausgezeichnet.