22. August 2019In 2019/3

„Lange Zeit war mein eigentlicher Plan eine Karriere als Rockmusiker“

Interview mit Bernd Desinger, Leiter des Filmmuseums Düsseldorf, Autor


von Barbara Schmitz

Nach dem Studium hattest du beruflich die Chance, deinen Neigungen bei den Goethe-Instituten (internationale kulturelle Zusammenarbeit, Förderung der deutschen Sprache und Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes) nachzugehen. Du warst weltweit aktiv. War das damals dein Wunschberuf?

Beim Goethe-Institut haben sich die verschiedenen Dinge, die ich bis dahin gemacht hatte und die mich sehr interessierten, wunderbar zusammengefügt. Tatsächlich war bis dahin aber lange Zeit mein eigentlicher Plan eine Karriere als Rockmusiker.

Welche Erfahrungen aus der Zeit sind dir besonders wichtig?

Wenn man in anderen Ländern lebt und arbeitet, zumal auf anderen Kontinenten, erschließen sich einem im wahrsten Sinne des Wortes völlig neue Welten. Ich habe viele interessante Menschen kennengelernt, deren Gedanken und Arbeit ich sehr wertschätze, und spannende gemeinsame Projekte mit ihnen durchgeführt. Der berufliche Umgang mit anderen Kulturen ist dazu auch eine hohe Schule der Diplomatie. Bei aktivem Engagement ist es durchaus möglich, Schwerpunkte in seiner Tätigkeit zu setzen bzw. verfolgen. Das hat mir sehr gut gefallen.

Was hat dich bewogen, dich anschließend auf den Film und das Schreiben von Büchern zu konzentrieren?

Dies geschah nicht anschließend, sondern fand bereits vorher und auch parallel statt. Ich hatte schon vor und während des Studiums geschrieben und neben Sachbüchern dann zur Goethe-Zeit zwei literarische Bücher veröffentlicht. Was den Film angeht, machte ich während des Studiums unter anderem eine Kameraausbildung und arbeitete als Kino-Vorführer. Meine Examensarbeit schrieb ich über Literaturverfilmung. Von 2000 an bis zu meinem Umzug nach Los Angeles war ich in der Zentrale des Goethe-Instituts für die Bereiche Film und Audiovisuelle Medien tätig. In der Welthauptstadt des Films war das natürlich ein großer Schwerpunkt. Unter den vielen Programmen und Projekten habe ich das heute noch existierende deutsche Filmfest „German Currents“ begründet und eine erfolgreiche Film-Talkshow moderiert. Der Wechsel nach Düsseldorf zum Filmmuseum war insofern ein passender Anschluss an diese Zeit. Und das Schreiben ging natürlich weiter, nahm aber noch mehr an Fahrt auf.

Als Leiter des Filmmuseums bist du offensichtlich fasziniert von bewegten Bildern. Um Romane zu schreiben, benötigst du ja die Fähigkeit, in bildhaften Szenen zu denken. Was war zuerst da, die Liebe zum Film oder die Faszination für Geschichten?

Schon als Kind und Jugendlicher habe ich Geschichten geliebt, wahnsinnig viel gelesen und auch den einen oder anderen Gedanken selbst zu Papier gebracht. Den ersten Kontakt mit Film gab es allerdings auch bereits in der Grundschule. Ich freute mich über die gelegentlich gezeigten Kurzfilme und schaute mir ab, wie die Projektoren funktionierten. Im vierten Schuljahr wurde ich regelmäßig ausgerufen, um in anderen Klassen Filme vorzuführen. Mit etwa 15 erbte ich einen alten Schwarzweiß-Fernseher und sah fast jede Nacht irgendeinen Spielfilm aus aller Welt. Die Begeisterung für beide Medien hat indes einen gemeinsamen Kern. Denn was ist ein guter Spielfilm anderes, als eine in tollen Bildern erzählte Geschichte?

Als Autor hast du ja schon mehrere Sachbücher herausgegeben. Gab es ein auslösendes Element, warum du dich dann dem Schreiben von Romanen zugewandt hast?  

Genaugenommen war die literarische Arbeit zuerst da. Lange vor den Sachbüchern hatte ich über viele Jahre Texte für die Stücke meiner Bands geschrieben. Rocklyrik, wie ich das nenne, und Gedichte. Auch mein erster Roman, der nur eine längere Veröffentlichungsgeschichte hatte, war im Grunde vor dem ersten Sachbuch fertig.

Steht zu Beginn eines jeden Romans ein klares Script, Konzept? Oder entwickelt sich die Handlung noch beim Schreiben?

Die grundsätzlichen Plot Lines, wie man Neudeutsch sagt, und Charakterentwicklungen liegen früh fest und sind der Ausgangspunkt. Andererseits gibt es während des Schreibprozesses immer wieder Ergänzungen und Änderungen. Wichtig ist mir, glaubhafte Figuren zu schaffen. So überlege ich mir für die Haupthelden komplette Biografien, Verwandtschaftsbeziehungen, Freundschaften, Eigenarten, Vorlieben und so weiter.

Liegen neben deinem Bett immer Blatt & Stift?

Meistens ja, denn in der Tat kommt mir nachts schon mal die eine oder andere gute Idee. Andererseits bin ich dann überzeugt, dass ich mich nach dem Aufwachen auch so daran erinnern werde. Leider ein Trugschluss, oft habe ich die Idee dann doch vergessen.

Hast du ein Ritual beim Schreiben?

Mein Vorbild sind die Drehbuchautoren im alten Hollywood. Die saßen jeden Morgen um 9 Uhr in ihren kleinen Stuben in den Studios und schrieben. Den Luxus, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst, gibt es nicht. Dafür küsst einen die Muse viel öfter beim harten Arbeiten, als man glauben möchte.

Wieviel Anteil nimmt die Recherche an jedem Roman ein?

Auf jeden Fall einen erheblichen. Selbst Dinge, die ich zu glauben weiß, sichere ich oft noch mal ab. Zum Glück unerkenntlich für die Leserinnen und Leser können manchmal wenige Sätze genauso viel Zeit in Anspruch nehmen, wie mehrere Seiten.

Machen sich die Figuren Deiner Geschichten auch mal selbstständig, können sie dich auch mal überraschen?

Ja, das geschieht immer wieder und gehört zu den bereichernden Phänomenen beim Schreiben.

Erschaffst du in deinen Romanen auch Personen, die dir zutiefst unsympathisch sind?

Gelegentlich schon, solche Antagonisten sind in vielen Geschichten für die Handlung und die Entwicklung der Hauptcharaktere notwendig. Schwarz-Weiß-Zeichnungen versuche ich allerdings zu vermeiden. Ebenso wie bei mir auch die „Guten“ nicht immer moralisch richtig handeln, gibt es auch bei den fragwürdigen Charakteren Züge, die sie menschlich machen.

Hilft dir das Schreiben beim Verarbeiten eigener Befindlichkeiten?

Obwohl das kein erklärtes Ziel ist, stimmt das vermutlich schon. Beim Schreiben gerade komplexerer Geschichten setzt man sich mit vielem, auch mit sich selbst auseinander.

Deine Doppelweg-Trilogie, soeben erschien deren letzter Teil „Die Runde der Raben“, ist wunderbar vielschichtig und verwoben. Welche Genres bietest du dem Leser an?

Eine interessante Frage, denn in der Tat folgt die Erzählung keinem eindeutigen Genre, sondern vermischt mehrere. Es handelt sich einmal um einen großen Abenteuer- und Reiseroman. Obwohl er in der realen Welt von heute spielt, werden die Helden immer wieder mit fantastischen, surrealen Erlebnissen konfrontiert. Die Suche von Jannifer, Lance, Eric und Falk nach ihrem unter mysteriösen Umständen verschwundenen Freund Arthur tritt sehr bald in den Hintergrund. Ohne es am Anfang recht zu bemerken, haben sich alle auf eine große Suche nach sich selbst begeben. So handelt es sich auch im ganz klassischen Sinne um einen Bildungs- und Entwicklungsroman.

Welche Themen verpackst du hinein, was ist dir besonders wichtig?

Das ganz große Thema ist die Suche nach sich selbst, beziehungsweise die Selbstfindung. Auf ihren Reisen müssen sich die Hauptcharaktere immer wieder großen Herausforderungen stellen, Aufgaben bewältigen und Gefahren meistern. Die Freiheit des einzelnen, über sein Geschick zu entscheiden trotz sichtbarer und unsichtbarer Faktoren, die auf unser Leben steuernd einwirken, steht dabei im Vordergrund. Außerdem ist es mir ein Anliegen, die Augen für die Geschichte hinter der Geschichte zu öffnen, auch aufmerksam zu sein für das, was Gesellschaften gefährden kann. Bei allem aber sollen sich Leserinnen und Leser gut unterhalten fühlen und die Bücher genießen.

Stellst du Bezüge zu historischen, zeitgeschichtlichen und sozialen Zusammenhängen her?

Mit den Ländern und Orten, durch die die jungen Erwachsenen reisen, werden auch geschichtliche und gesellschaftliche Themen berührt, die diese selbst und oft die ganze Welt bewegt haben und bewegen. Man kann zum Beispiel über die Südstaaten der USA nicht reden, ohne die Geschichte der Sklaverei oder den Bürgerkrieg zu erwähnen, über Südafrika und die Townships nicht, ohne die Apartheid zu thematisieren. Neben historisch tiefgreifenden Einschnitten und Veränderungen wie bei den Indianervölkern Nordamerikas wird andererseits deren Weltvorstellungen und Mythen großes Gewicht verliehen.

Das völlig Unglaubliche knallt quasi in das Leben der fünf Protagonisten. Was inspirierte dich dazu? 

Nichts bringt einen so sehr dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, wie wenn man mit einer außergewöhnlichen, einer unerhörten Situation konfrontiert wird und diese bewältigen muss. Beim Schreiben macht es aber auch großen Spaß, die Heldinnen und Helden – teilweise völlig arglos – in eine Paralleldimension, in eine andere Zeit oder in eine märchenhafte Welt gleiten zu lassen.

Du schöpfst die volle Bandbreite der erzählerischen Elemente aus und spielst sogar mit Märchenmotiven und Zeitsprüngen, so auch in Band 3 der Trilogie „Die Runde der Raben“. Von deinen Charakteren, die weltweit unterwegs sind, um ihre Abenteuer zu meistern, landet einer zum Rosenmontag im heimischen Düsseldorf und streift die Zeit, als Robert und Clara Schumann auf der Bilker Straße wohnten.

Das stimmt. Zur Karnevalszeit schlägt Falk buchstäblich im heutigen Düsseldorf auf. Nachts verändert sich die Szenerie auf mysteriöse Weise …

Du bist bekennender Liebhaber der Original Düsseldorfer Gaslaternen. Darf ich hier verraten, dass auch sie im 3. Band kurz auftauchen?

Das ist in Ordnung, das konnte ich mir nicht nehmen lassen!

Dein Schreibstil umfasst dialoggetriebene Teile und epische Landschafts- und Ortsbeschreibungen. Wie kommt das bei deiner Leserschaft an, erhältst du da Feedbacks?

Gerade dieser Wechsel ist wahrscheinlich einer der Faktoren, die Kritik und Leserschaft als „filmisches Schreiben“ wahrnehmen. Erfreulicherweise sind die Reaktionen darauf sehr positiv. Leserinnen und Leser erwähnen immer wieder, dass sie die beschriebenen Orte und Gegenden so intensiv erleben, als seien sie gleichsam selbst dort.

Deine Trilogie ist eine märchenhaft reale Hommage an das Leben und hat dir 13 Jahre intensive Recherche und Arbeit abverlangt. Willst du so weiter powern?

Es gibt noch verschiedene Vorhaben, die ich mittelfristig umsetzen möchte. Ein derartiges Großprojekt ist allerdings derzeit nicht darunter.

Ganz herzlichen Glückwunsch zu deinem persönlichen Jubiläum. Du bist seit dem 1. August 2009, seit nunmehr 10 Jahren, der Leiter des Filmmuseums hier in Düsseldorf. Dürfen wir uns auf weitere Jahre mit spannenden Ausstellungen & Events rund um das Thema Film mit dir freuen?

Das hoffe ich doch sehr!


Kurzvita

Bernd DesingerBernd Desinger wurde 1962 in Oberhausen geboren. Er studierte deutsche Sprache und Literatur, Geschichte, Psychologie und Film. Beim Goethe-Institut arbeitete er viele Jahre unter anderem in Toronto, München und zuletzt in Los Angeles. Seit 2009 leitet er das Filmmuseum Düsseldorf. Der Romanautor veröffentlichte auch Rocklyrik und Gedichte sowie eine beliebte Aphorismen-Sammlung („… durch‘s Jahr kommen“, 2013). Zum ersten Mal trat er mit dem surrealen Thriller „Der Schütze“ (2006) an die Öffentlichkeit. Dann folgte mit „Unhadronische Materie“ eine Auswahl seiner lyrischen Texte. Der spannende Zukunftsroman „ZZZ – Zeltstadt Zeche Zollverein“ (2015) ist ins Jahr 2032 gesetzt. „Arthurs Entführung“, erster Teil der abenteuerlichen Doppelweg-Trilogie um vier junge Leute auf der Suche nach ihrem verschwundenen Freund, erschien 2017 im Droste Verlag. Der zweite Band „Der Sturz in den Strom“ folgte 2018, der Abschluss mit „Die Runde der Raben“ dann in diesem Frühjahr.


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