Karin-Brigitte Göbel und Susan Tuchel

„Ich möchte Menschen für neue Ideen und Konzepte begeistern“

Interview mit Karin-Brigitte Göbel, Vorständin der Stadtsparkasse Düsseldorf

von Dr. Susan Tuchel


„Bochum, ich komm aus dir ...“  Im Unterschied zu Herbert Grönemeyer, der in Göttingen zur Welt kam, wurden Sie in Bochum geboren, da, wo laut Grönemeyer „das Herz noch zählt / nicht das große Geld“. Was zählte in Ihrer Familie?

Meine Mutter war die Familienmanagerin, mein Vater Schichtführer bei den Stahlwerken in Bochum. Damit hört aber das Klischee der 60er-Jahre-Familie auch schon auf. Meine Mutter spricht Deutsch, Englisch und Französisch und wir hatten immer viele internationale Gäste bei uns zu Hause. Meine Eltern waren sehr weltoffen, wir waren oft in Europa unterwegs. Ich habe früh erkannt, dass Sprachen Menschen verbinden, Englisch wurde dann auch mein Lieblingsfach auf dem Gymnasium. Noch zum Grönemeyer-Song: In Bochum-Wiemelhausen, wo ich herkomme, gibt es auch eine „Königsallee“ und den „Pulsschlag aus Stahl“ habe ich durch meinen Vater sehr deutlich zu spüren bekommen. Durch den Schichtdienst meines Vaters bin ich von klein auf gewohnt, mich an unterschiedliche Rhythmen anzupassen. Was ich außerdem von meinen Eltern gelernt habe, ist Engagement zu zeigen und mich für meine Ziele einzusetzen.

Eigentlich wollten Sie gar nicht Bankerin werden, sondern Funkoffizierin bei der Handelsmarine. Wie kamen Sie ausgerechnet auf diesen Berufswunsch?

Ein Verwandter unserer Nachbarn war Kapitän zur See. Ich fand die Vorstellung, über die Weltmeere zu fahren, faszinierend. Da mein Vater, der sehr technikbegeistert war, viel mit mir und meiner Schwester in der Werkstatt gearbeitet hat, bin ich auf die Idee gekommen, Technik und Marine zu verbinden. Dabei entstand der Wunsch, Funkoffizierin zu werden. Allerdings war die Voraussetzung hierfür eine abgeschlossene Lehre als Radio- und Elektrotechnikerin. Das haben meine Eltern nicht unterstützt. Sie wünschten, dass ich eine Ausbildung bei einer Bank absolvierte. So führte mich mein Weg zur Deutschen Bank.

Das klingt alles noch nach einer ganz normalen Biografie. Aber nur wenige Azubis schaffen es bis in den Vorstand. Wie gelang Ihnen das?

Es gibt da eine glückliche Fügung, die mein Leben entscheidend prägte. In der Straßenbahn sprach mich auf dem Weg zur Arbeit ein Mann an und empfahl mir ein Studium. Dieser Mann war Prof. Dr. Heinz Becker, der Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und spätere Rektor der Fachhochschule Bochum. Das Studium absolvierte ich in den ersten Semestern parallel zu meiner Arbeit bei der Deutschen Bank. Freizeit und Wochenende gab es nicht, von Work-Life-Balance ganz zu schweigen. Aber es hat mir nie etwas ausgemacht. Ich wollte weiterkommen und lernte gern zusammen mit meinen Kommilitonen. Zu Professor Becker habe ich übrigens immer noch Kontakt.

Sie schlossen Ihr Studium mit Bestnote ab. Wie ging es dann weiter?

Über die Carl-Duisberg-Gesellschaft erhielt ich ein Stipendium, das mir die Möglichkeit gab, drei Tage in der Woche Englisch und Marketing zu studieren und zwei Tage Bankpraxis bei der Midland Bank.

Wie und wo haben Sie denn Ihren Mann kennengelernt bei so wenig Freizeit und Privatleben? 

Auch wieder so ein Zufall. Da das Stipendium in England nur auf sechs Monate angelegt war, wohnte ich nicht auf dem Campus, sondern im International House der Quäker. Dort lernte ich meinen Mann kennen. Er kommt aus Malaysia, studierte Chemieingenieurwesen und absolvierte ein Industriepraktikum. Alles fing ganz freundschaftlich an. Mehr wurde daraus, als er für mich eines Abends indisch kochte. Während er weiter in England studierte, musste ich für meine Diplomarbeit zurück nach Deutschland. Nach den Abschlussprüfungen führte mich mein Weg wieder zurück nach England, dieses Mal über ein Trainee-Programm der Chase Bank. Diese nahm damals ausschließlich Universitätsabsolventen, in der Regel von namhaften Hochschulen wie Oxford oder Cambridge. In einem Telefonat konnte ich bei dem Gespräch direkt ins Englische überleiten und wurde daher zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Danach erhielt ich das Trainee-Programm. Diese Zeit mit den internationalen Kollegen hat mich sehr geprägt. Es war ein intensives Lernpensum rund um die Uhr zu absolvieren mit wöchentlichen Prüfungen. Mein Mann musste nach dem Abschluss seines Studiums als Chemieingenieur wieder zurück nach Malaysia. Also führten wir sieben Jahre lang eine Fernbeziehung mit gelegentlichen Besuchen in Kuala Lumpur. 1989

Ihr Mann, der den Doppelnamen Thamotharampillai-Göbel trägt, kam also der Liebe wegen nach Deutschland und hält Ihnen seitdem den Rücken frei? 

(Lacht) Ersteres stimmt sicher. Zweites brauche ich nicht, ich bin mehr für ein partnerschaftliches Miteinander. Als mein Mann nach Deutschland kam, war das für ihn ein kompletter Neubeginn. Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten musste er kennenlernen, rasch gewann er eine Position als Internationaler Trainer für verschiedene Konzerne der Automobilindustrie. Rund 45 Länder hat er auf diese Weise beruflich kennengelernt. Heute ist er mit einem eigenen Büro selbständig.

Ihre Karriere ging auf jeden Fall nur in eine Richtung, nämlich steil nach oben. Mit 30 Jahren waren Sie bereits Stellvertretende Direktorin bei der Chase Bank in Frankfurt, bei der Frankfurter BfG-Bank übernahmen Sie unter anderem die Leitung des Auslandmarketings, bei der Bankgesellschaft Berlin wurden Sie Leiterin des Geschäftsbereichs Firmenkunden. Wie kam es zum Wechsel in die Welt der Sparkassen?

Ich erhielt im Jahr 2002 das Angebot, Mitglied des Vorstands der Taunus-Sparkasse in Bad Homburg zu werden. An diesem Angebot hat mich gereizt, näher an den Kunden und mit den Menschen in der Region zu arbeiten. Dann erfolgte 2009 die Berufung nach Düsseldorf. Düsseldorf hat mich immer schon gereizt. Als Jugendliche haben wir oft in der Altstadt gefeiert und die rheinische Fröhlichkeit kommt meinem Naturell sehr entgegen.

Sie wurden also zur Wahl-Düsseldorferin?

Unbedingt, ich fühle mich als Teil der Stadt, ihrer Menschen, ihrer Geschäftswelt, ihrer Kultur und ihres Brauchtums. 

Ich bin Mitglied in der Karnevalsgesellschaft Blau-Weiß und war 2018 ein Jahr lang Gästekönigin der St. Sebastianus Schützen. Mein Mann und ich leben im Zooviertel, lieben die Einkaufsstraßen der Stadtteile, die Brehmstraße, die Nordstraße und ganz besonders die Lorettostraße.

Ehrenamtlich kontrollieren Sie die Finanzen der Freunde und Förderer der Tonhalle Düsseldorf und sind Schirmherrin der Deutschen Multiple Sklerose-Gesellschaft Düsseldorf. Sie ermöglichen zwei Kindern in Indien in die Schule zu gehen, statt in der Ziegelindustrie zu arbeiten und unterstützen ein indisches Kinderheim. Gibt es noch mehr ehrenamtliches Engagement?

Ja, ich unterstütze die Bürgerstiftung Düsseldorf e.V. und bin außerdem im Vorstand des Freundeskreises der Tonhalle.

Sie sind eine bekannte Netzwerkerin, vielleicht auch für viele Frauen ein Vorbild?

Ich hoffe doch, dass mein Lebensweg für viele Frauen eine Motivation ist, ebenfalls in Führungspositionen zu gehen. Netzwerken ist da ganz wichtig. Ich habe die Frauennetzwerke „Denkpause“ und „Twin“ (Top Women in NRW) mitgegründet. Dieses Engagement zieht auch im eigenen Haus Kreise. In der Stadtsparkasse haben sich Frauen gemeldet, die in einer privaten Initiative den Nachwuchs auf Führungsaufgaben vorbereiten. Womöglich bin ich für diese Frauen ein Vorbild, worauf ich sehr stolz bin.

In Ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Vorstands der Stadtsparkasse Düsseldorf sind Sie nicht nur für private Kunden, den Mittelstand und die Konzerne ein wichtiger Partner. Als Vorständin der Stadtsparkasse tun Sie auch viel für die Stadt. Von welchen Summen reden wir da?

Seitdem ich im Amt bin, reden wir von mehr als 10 Millionen Euro. Wir unterstützen im Jahr rund 1.000 Projekte, die alle einzeln geprüft werden. Das fängt an bei kleinen Projekten für KITAS, die wir bei ihren St. Martins-Zügen unterstützen und geht bis zum Sponsoring von Ausstellungen wie der Cranach-Ausstellung im Lutherjahr oder der Unterstützung der Heinrich-Heine-Universität. Kein Engagement ist da zu klein oder zu „dumm“. Aber ich muss auch wissen, dass die Gelder richtig verwandt werden. Das bedeutet sorgfältige Recherche. Die Leute vertrauen mir als Person und qua Amt. Das ist eine große Verantwortung, aber man bewirkt viel, wenn man Menschen für neue Ideen und Konzepte begeistert. Und am Ende ist es immer ein Geben und Nehmen. Wenn ich etwas gebe, bekomme ich oft ein Vielfaches zurück.

Noch eine Frage zu den Kunden Ihres Unternehmens. Wohin wird die Reise gehen bei Null-Zins-Politik, volatilen Märkten und müssen wir uns auf noch mehr mobile Filialen einstellen?

Wir werden die persönliche Beratung nie aufgeben. Unsere Aufgabe ist es, einen Multi-Channel-Zugang für alle Kundenwünsche bereitzustellen, also digitale Dienstleistungen da anzubieten, wo sie gewünscht sind und persönlich zu beraten, wo der Kunde den Bedarf hat. Die Digitalisierung entwickeln wir zum Teil mit unseren Mittelständlern zusammen, die uns wichtiges Feedback geben. Wir bleiben unabhängig von der Wahl des Vertriebskanals das wichtigste Kreditinstitut in Düsseldorf.

Wie lautet, liebe Frau Göbel, Ihr Credo?

Mir scheinen drei Aspekte sehr wichtig: Spaß an der Arbeit, die Fähigkeit, in einem Team mitzuarbeiten und mitzugestalten und gemeinsam etwas für die Region und die Menschen zu bewegen.


Kurzvita

Karin-Brigitte-Goebel

Karin-Brigitte Göbel (Jahrgang 1958) startete ihre berufliche Karriere nach dem Abitur als Bankkauffrau bei der Deutschen Bank. Parallel dazu absolvierte sie ein BWL-Studium an der FHBochum, das sie mit Bestnoten abschloss. Ein Stipendium ermöglichte ihr einen Studienaufenthalt in England. Danach war Göbel Trainee bei der Chase Bank in London, wo sie innerhalb von fünf Jahren zur stellvertretenden Direktorin aufstieg. Bei der Frankfurter BfG Bank übernahm sie 1990 unter anderem die Leitung des Auslandmarketings.
Sechs Jahre später wurde sie von der Bankgesellschaft Berlin abgeworben. Im Jahr 2002 wurde sie in den Vorstand der Taunus-Sparkasse in Bad Homburg berufen. Dort verantwortete sie das Firmenkundengeschäft, das Geschäft mit gewerblichen Immobilienkunden und das Treasury. Die gebürtige Bochumerin wurde 2009 vom Verwaltungsrat der Stadtsparkasse Düsseldorf in dessen Vorstand gewählt. Seit dem 1. Januar 2017 steht sie an der Spitze des Vorstandes. Noch im selben Jahr ernannte die Bankenvereinigung Düsseldorf, der Zusammenschluss aller Kreditinstitute am Düsseldorfer Bankenplatz, sie zu ihrer Präsidentin. Göbel ist die erste Frau in diesem Amt. 
Hinzu kommen Aufsichtsratsmandate bei der EDD (ehemals Börse Düsseldorf) sowie bei weiteren Unternehmen; außerdem nimmt sie verschiedene Beiratsmandate wahr, unter anderem bei der Deutschen Bundesbank und der Digitalen Stadt Düsseldorf.


© Foto: Alexander Vejnovic, Das Fotostudio Düsseldorf


Caroline Link und Thomas Geisel

Caroline Link mit dem Helmut-Käutner-Preis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet


von Evelin Theisen

Am 15. November überreichte Oberbürgermeister Thomas Geisel den mit 10.000 Euro dotierten Filmpreis im Rahmen eines Festaktes im Plenarsaal des Rathauses. Der Preis wurde zum 16. Mal vergeben. Die Laudatio hielt der Kulturwissenschafler Prof. Dr. Jörn Glasenapp. Caroline Link: „Es macht mich sehr froh, wenn mir Menschen in meine Empfindungswelten folgen, meinen Geschichten zuschauen und zuhören und wenn sie mir sagen, dass ihnen meine Filme tatsächlich etwas bedeuten.“

In der Begründung der Jury heißt es: „In ihrem filmischen Werk der letzten drei Jahrzehnte überzeugt die Regisseurin mit Arbeiten wie „Jenseits der Stille“ (1996), dem Oscar-prämierten „Nirgendwo in Afrika“ (2001) oder ihrer jüngsten Literaturverfilmung „Der Junge muss an die frische Luft“ (2018). Es gelingt ihr immer wieder, emotional tiefgründige Themen einfühlsam einem breiten Publikum nahezubringen. Mit ihrer sensiblen Schauspielerführung gelingt es ihr, sowohl namhafte Darstellerinnen und Darsteller als auch immer wieder junge Talente zu Höchstleistungen anzuspornen.“

Oberbürgermeister Thomas Geisel: „Die Landeshauptstadt Düsseldorf würdigt mit dem Helmut-Käutner-Preis Caroline Link für ihre wegweisende und großartige Leistung als Filmschaffende. Sie entwickelt in ihren Werken eine geeignete Bildsprache, um anspruchsvolle Themen und gute Unterhaltung virtuos zusammenzubringen. Dabei ermutigt sie die Menschen stets, zu ihren Gefühlen zu stehen und sie zu zeigen.“

Die Verleihung wurde musikalisch durch Eszter Király (Klarinette) und Airam de Vera Ramos (Gitarre) von der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf begleitet. Sie spielten Filmmusik aus Caroline Links Werk „Jenseits der Stille“. Zudem gab ein Filmbeitrag Einblicke in die Arbeiten der Drehbuchautorin: Eine Zusammenstellung des Filmmuseums zeigte verschiedene Szenen aus Links sechs Langfilmen. Anschließend trug sich Caroline Link in das Goldene Buch der Landeshauptstadt Düsseldorf ein. Der Helmut-Käutner-Preis wird verliehen an „Persönlichkeiten, die durch ihr Schaffen die Entwicklung der deutschen Filmkultur nachdrücklich unterstützen und beeinflussen, ihr Verständnis gefördert und zu ihrer Anerkennung beigetragen haben“. Der Filmpreis der Landeshauptstadt erinnert an den in Düsseldorf geborenen Regisseur Helmut Käutner (1908 Düsseldorf - 1980 Castellina, Italien). Bekannt wurde Käutner mit Filmen wie „Die große Freiheit Nr. 7“, „Des Teufels General“ oder „Wir Kellerkinder“.

Bisherige Käutner-Preisträgerinnen und Preisträger:
2017: Margarethe von Trotta
2015: Ulrich Tukur
2013: Christian Petzold
2010: Christoph Schlingensief
2007: Dieter Kosslick
2004: Wim Wenders
2001: Hannelore Hoger
1999: Rudolf Arnheim
1995: Hanns Eckelkamp und Wolf Donner
1993: Hildegard Knef
1990: Wolfgang Kohlhaase
1988: Ulrich Gregor und Hilmar Hoffmann
1986: Bernhard Wicki
1984: Wolfgang Staudte
1982: Lotte Eisner


KochDichTürkisch-Team

KochDichTürkisch

Gemütlichkeit und türkisches Flair in Flingern


von Christian Theisen

Die türkische Küche liegt Orhan Tançgil aus Düsseldorf-Flingern am Herzen. Und vor allem die der eigenen Mama. Während seines Studiums in Stuttgart vermisste er sie so sehr, dass er die Speisen nachkochen wollte. Nur wie?

Wie in vielen Küchenkulturen werden Kochrezepte von der Mutter an die Kinder weitergegeben - mündlich oder auch schriftlich. Zum Glück hatte die Oma viele Rezepte einzeln sauber aufgeschrieben. Zuerst noch in osmanischer Schrift (von rechts nach links), später jedoch auf Türkisch in lateinischer Schrift. Allerdings waren alle Mengenangaben relativ (z.B. „bardak“ = „Glas“), wie es halt alle türkischen Mamas so machen. In Erinnerung geblieben ist ihm die Anweisung: „So viel Wasser hinzufügen, bis sich der Teig zwischen den Fingern anfühlt wie ein Ohrläppchen.“

Eine Transkription in die deutsche Sprache und deutsche Maßeinheiten musste also her. Dabei kam Orhan die Idee, zusammen mit seiner Mutter Videos zu drehen und sie damit auch anderen Interessierten zugänglich zu machen. Er gab dem Ganzen den schönen Titel „KochDichTürkisch“. Das ist jetzt fast 13Jahre her.

Mit den ersten einfachen Rezeptvideos ging es dann los. So etwas findet man heutzutage vielleicht überall im Internet, aber damals gehörte er zu den Online-Pionieren. Und da die Mama nicht vor die Kamera treten wollte, waren zu Beginn nur ihre Hände zu sehen. 

Mit den Jahren eroberten neuen Medienkanäle das Internet, also änderte sich auch das Format von KochDichTürkisch. Schon 2006 gab es einen eigenen Podcast auf Apple iTunes, dann wurden die Videos auch auf der deutschen Plattform sevenload gesendet. Später kamen Youtube, Facebook und Instagram hinzu. Und es gibt selbstverständlich auch eine eigene Webseite. Die ersten Videos waren „tahin pekmez“ und „sigara böreği“, heute sind über 130 mit Liebe produzierte Videos online. Und die Produktion geht natürlich weiter. 

Ladenlokal
Das neue Geschäft auf der Flurstraße in Flingern

Zurück in Düsseldorf stürzte sich Orhan Tançgil - zusammen mit seiner Frau Orkide - in die nicht unriskante Selbständigkeit und eröffnete auf der Birkenstraßein Flingern ein erstes Geschäft. In diesem Jahr erfolgte der Umzug in größere Räume auf die Flurstraße. Dort werden handverlesene türkische Feinkost, Bio-Produkte, hochwertige Gewürze und natürlich exzellente Weine und Raki angeboten. Darüber hinaus werden die Räumlichkeiten dafür genutzt, den Kunden die türkische Küche näherzubringen: Man kann verschiedene Kochkurse buchen und so beispielsweise die berühmten Vorspeisen - „Meze“ - selbst zubereiten oder an Feinkost-, Raki- und Weinverkostungen teilnehmen. Alles in dem wunderbaren Flair Flingerns, das mittlerweile viele Düsseldorfer in diesen Stadtteil gelockt hat. Beliebt sind die Kurse vor allem auch bei Unternehmen, die dort gerne einen Firmenevent veranstalten.

Der nächste, konsequente Schritt war ab 2013 die Herausgabe eigener Kochbücher. Zwar gibt es türkische Kochbücher schon seit den 1980er Jahren in Deutschland, denn durch die Gastarbeiter kamen auch viele Deutsche auf den Geschmack. Jedoch konzentrierten sie sich auf die übliche Restaurant- und Imbissküche. Das wollten Orhan Tançgil und seine Frau Orkide ändern, denn in vielen persönlichen Mails und Gesprächen wurde ihnen bestätigt, wie authentisch ihre Rezepte sind - wie bei der eigenen Mama halt.  

Um weitestgehend eigenständig zu bleiben, gründeten die beiden kurzerhand den Doyç-Verlag. Dort erschienen bislang drei Bücher, anfangs teilweise noch mit Crowdfunding-Unterstützung: SOFRAlar (Hausmannskost), MEZEler (Kleine Köstlichkeiten und Vorspeisen) und KEBAPlar (Fleischgerichte). Zwischendurch veröffentlichten sie zusammen mit dem Brandstätter Verlag noch das Buch „Türkei vegetarisch“ mit über 200Rezepten. Das Besondere an den Rezepten ist, dass sie mit vielen kleinen Helfern gespickt sind: genaue Maßangaben, Aussprachehelfer, Wein/Raki-Empfehlungen, QR-Codes für Videos etc.. Begleitet werden die Rezepte von persönlichen Anekdoten und Hintergrundinformationen. 

Bei all dem unternehmerischen Trubel, den die beiden in den letzten Jahren um die Ohren hatten, gibt es auch immer wieder Auftritte in Funk & Fernsehen. So hat Helmut Gote, bekannt beim WDR durch seine kulinarischen Kochsendungen, Orhan Tançgil schon des Öfteren als Fachmann für die Türkische Küche eingeladen. Und bei „daheim & unterwegs“ stand er 4 Jahre regelmäßig vor der Kamera, um zu kochen und Einblicke in seinen Erfahrungsschatz zu geben.

Dieses Jahr hat das Team von KochDichTürkisch nun deutlich größere Räume in Flingern bezogen. Im vorderen Bereich ist nach wie vor das Ladenlokal mit Büchern, ausgesuchten Delikatessen und dem größten Wein/Rakı-Sortiment aus der Türkei. Ein besonderes Prachtstück ist hier der Sucuk-Kronleuchter an dem die berühmten Sucuk-Würste in Ruhe reifen. 

Im hinteren Bereich – dem HÂN - gibt es nun eine 140 qm große, lichtdurchflutete Loftküchemit Industriecharme - die Sonne scheint sozusagen direkt in die Töpfe - undgenügend Platz für Kochkurse mit mehreren Teilnehmern. Vor allem konnten die Gemütlichkeit und das türkische Flair aus denalten Räumlichkeitenauf die neue Locationübertragen werden. Alles ist flexibel gestaltet, bei Meze-Abenden verwandelt sich der große Raum beispielsweise in eine türkische Taverne. Es sollen aber auch Film-Abende, Lesungen, Seminare, Poetry-Slams, Geburtstagsfeiern oder Offside-Meetings stattfinden. Orhan und Orkide Tançgil sind da vollkommen offen für Ideen. 

In Flingern gibt es nun einen wunderbaren Ort der Begegnung für Handwerk und Kulinarik. Wer also Lust hat zum Kochen, zum Verkosten oder selbst eine individuelle Veranstaltung zu organisieren ist hier bestens aufgehoben und jederzeit herzlich willkommen.

HAN-Panorama
Ort der Begegnung und der Gaumenfreuden: Das HÂN


Björn Merse und Christian Koke

"Die Fortuna ist eine starke Marke in der Stadt"

Interview mit Christian Koke, Vorstand Marketing Fortuna Düsseldorf


von Björn Merse

Herr Koke, Sie sind durch Ihre vorherigen Aufgaben in Düsseldorf gut vernetzt. Was hat letztlich den Ausschlag für eine Jobwechsel gegeben?

Es gab bei vor meinem letzten Job eine sehr lustige Situation bei meinem Einstellungsgespräch: Der damalige Gesamtgeschäftsführer fragte mich, ob ich bei meinem sportlichen Lebenslauf nicht direkt wieder weg bin, wenn der FC Bayern bei mir anrufen würde. Ich habe ihm sehr entspannt geantwortet, dass es da kein Problem geben würde. Aber wenn Fortuna Düsseldorf mich fragen würde, wäre ich sofort weg. Das es sieben Jahre danach so gekommen ist, freut mich ungemein und ist für mich eine Herzensangelegenheit.  

Haben Sie immer schon mal davon geträumt Vorstand eines Fußballbundesligisten zu werden?

Richtig geträumt habe ich nicht davon. Aber als ich aus dem Sportbusiness zum Medienunternehmen gewechselt bin, habe ich immer gesagt: Wenn ich wieder in den Sport zurückkehre, dann in einer Entscheider-Position. Das es dann bei meinem Herzensclub so gekommen ist, macht mich sehr glücklich und bringt für mich noch mehr Verpflichtung mit sich.  

Wie hat die Fortuna-Familie Sie aufgenommen?

Irgendwie war ich ja schon seit vielen Jahren „Mitglied der Fortuna-Familie“. Es ist mir nicht so schwergefallen und mir wurde es nicht sehr schwer gemacht. Es arbeiten sehr motivierte und tolle Menschen für die Fortuna, die jeden Tag das Beste für unseren Verein rausholen wollen.

Sie sind erst kurz in Amt und Würden. Was sind die bisher gravierendsten Veränderungen in Ihrem Arbeitsleben?

Da ich meinen ersten Tag direkt in der heißen Vermarktungsphase hatte und Fortunas Innenleben besser kennenlernen musste, waren es bis jetzt sehr intensive und lange Tage. Das ist aber ein sehr normaler Zustand, wenn man einen neuen Job anfängt.

Christian Koke und Björn Merse
Christian Koke und Björn Merse

Wie hat Ihre Familie auf das Angebot reagiert, Vorstand bei Fortuna Düsseldorf zu werden?

Mein Sohn Moritz war als heißer Fortuna-Fan natürlich sofort Feuer und Flamme für Papas neuen Job. Ich habe mich im Vorfeld mit meiner Familie allerdings darüber sehr intensiv ausgetauscht. Der Familie war aber im Grunde klar, dass ich diese Herzensangelegenheit wahrnehmen möchte. Wichtig ist es schon, dass die Familie für so einen Job Verständnis zeigt, da es kein Nine-to-five-Job ist. Da meine Familie es bis jetzt gewohnt war, dass ich viele Abendtermine hatte, ist die Umstellung nicht ganz so groß, wie vielleicht bei anderenFamilienvätern.

Sie sind Marketing Vorstand. Auf welche innovativen Kampagnen und außergewöhnliche Partner dürfen wir uns demnächst freuen?

An dieser Stelle möchte ich noch nicht zu viel verraten, aber im Laufe dieser Saison werden wir 125 Jahre alt und in diesem Zuge haben wir einige Ideen, um diesen stolzen Verein in unserer Stadt zu präsentieren. Die eine oder andere Überraschung wird aber auch schon vor dem offiziellen Geburtstag am 5. Mai 2020 auf unsere Fans zukommen. Es wäre ja keine Überraschung, wenn ich es an dieser Stelle schon verrate (lacht). Bei der Partnergewinnung haben wir schon in diesem Sommer einen guten Job gemacht. Wir stehen zum Ende des Sommers auf dem Niveau was wir im gesamten Verlauf der letzten Saison erwirtschaftet haben. Hier werden wir kurzfristig also mehr Umsätze als im Vorjahr generieren. 

Mittelfristig verfolgen wir als Vorstand das Ziel, ein noch stärkeres „Wir-Gefühl“ bei zukünftigen Partnern zu erzielen. Die Fortuna ist eine starke Marke in der Stadt und viele Partner können mit uns zusammen eine Erfolgsgeschichte schreiben.

Wo wird Fortuna in der Abschlusstabelle der Saison 2019/2020 landen?

Alle unsere Bemühungen und Anstrengungen zielen darauf ab, dass wir am Ende der Saison die Liga halten und mindestens den fünfzehnten Platz belegen. Wenn man unsere finanziellen Möglichkeiten mit Clubs wie Mainz, Augsburg oder Freiburg vergleicht, liegen wir immer zwischen 15 und 20 Millionen dahinter. Das kann man einfach nicht wegdiskutieren. Aber ich glaube, durch ein gutes Scouting und kreative Ideen unseres Sportvorstands Lutz Pfannenstiel und Cheftrainer Friedhelm Funkel können wir es schaffen, eine gute Mannschaft auf den Platz zu bringen.

Sie waren erfolgreicher Wasserballspieler und sind es im Seniorenbereich auch weiterhin. Was kann, Ihrer Meinung nach, ein Fußballer von einem Wasserballer lernen?

Schwimmen und immer den Kopf über Wasser halten sonst kann es auch schon mal wehtun (lacht).


Kurzvita

Christian KokeChristian Koke (46 Jahre) ist seit 14 Jahren mit Frau Anke verheiratet und hat zwei Kinder (Moritz und Amelie). Beruflich ist der Weg über die Stationen Rhein Fire (NFL Europe Football) Marketing, Lufthansa Marketing und Kommunikation, Sportstadt Düsseldorf Abteilungsleiter, WZ und Düsseldorf EXPRESS Verlagsleiter zur Fortuna gegangen.



Self-Update

Buchtipp: "Self-Update für Ihre Persönlichkeit"

Ein Ratgeber von Wulf-Hinnerk Vauk


Dieses Buch ist ein praktischer Ratgeber für den Umgang mit sich selbst. Dabei geht es nicht um existentielle, philosophische Fragen wie bei Richard David Prechts „Wer bin ich und wenn ja wie viele“, sondern um ganz praktische Antworten auf Fragen wie: Warum denke ich, wie ich denke, warum fühle ich, wie ich fühle und warum stehe ich beruflich und privat da, wo ich stehe? Und was kann ich daran ändern, um zufriedener und erfolgreicher zu sein? Für den Buchautor liegt die Lösung in einem Self-Update. Bei Computern sind sie eine Selbstverständlichkeit. Aber wer hilft uns dabei, unsere eigenen „Systemfehler“ zu erkennen, uns selber ein Update zu verpassen, wenn nicht alles rund läuft?

„Self-Update für Ihre Persönlichkeit“ ist als Lektüre für Minuten gedacht mit kleinen Tests und Übungen, die Spaß machen. Und ganz nebenbei erfährt der Leser mehr über seinen Charakter, seine inneren Einstellungen, seine Haltung und gewinnt eine neue Sicht auf sich selbst. 

Vauk, zuletzt Manager in einem Konzern, gründete 2012 das Unternehmen vauk business Diplomatie und coacht seitdem Führungskräfte, Teams und Privatpersonen. Er kennt den „Sand im Getriebe“ von zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso gut, wie die versteckten Fallen im Business. In diesem Buch lässt Vauk den Leser teilhaben an seinen Erfahrungen - wunderbar konzentriert in den Essenzen im Überblick.  

Sich immer wieder neu zu erfinden ist wichtig zum Glücklichsein

Wer mit sich selbst im Reinen ist, an seiner Charakterstärke arbeitet und sich seiner Werte bewusst ist, ist einfach ein glücklicherer und zufriedenerer Mensch, so das Fazit des Autors. Einen ersten Eindruck gibt der Zeichentrick-Trailer „Self-Update für Ihre Persönlichkeit“ auf YouTube. Unbedingt anklicken.

ISBN: 978-3-7469-8507-7, 96 Seiten, broschiert. Verlag: tredition GmbH, Hamburg 2019  



Die Runde der Raben

Buchtipp: "Die Runde der Raben"

Fantasy-, Abenteuer- und Reiseroman von Bernd Desinger


Welchen Roman erschafft ein Film-Experte und Weltenbummler, der schon Gitarrist einer Rock-Band war, eine Kameraausbildung hat und als Kino-Vorführer tätig war, der in Los Angeles lebte und dort das heute noch existierende deutsche Filmfest „German Currents“ begründete sowie eine erfolgreiche Film-Talkshow moderierte? Er schreibt eine Roman-Trilogie, die szenisch und erzählerisch die Möglichkeiten eines Fantasy-, Abenteuer-, Reise- und Entwicklungsroman vereint, literarische Erzähltechniken aufweist und bekannte Filmszenen zitiert. Er schöpft aus der Fülle seiner Erfahrungen.

Bernd Desinger, Leiter des Düsseldorfer Filmmuseums, transportiert Elemente der Artussage aus dem 12. Jahrhundert in die Gegenwart und erschafft eine Fantasy-Trilogie, deren letzter Band „Die Runde der Raben“ gerade erschienen ist. 

Am Ende eines dreizehnjährigen Schreib- und Reifeprozesses stehen dem Leser nun drei Bände mit insgesamt rund 1400 Seiten zur Verfügung, in denen die vier Romanhelden Abenteuer voller Magie und Poesie im Kampf der Fantasie gegen das bloße Reale erleben. Die Trilogie ist eine Hommage an das Leben, und man bekommt Lust, den Protagonisten auf ihren Reisen rund um die Welt und in das Land der begehbaren Bilder zu folgen.

Die „Doppelweg“-Trilogie liegt im Droste-Verlag vor.

510 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-7700-2059, 16,99 Euro



Initiative Gaslicht Team

INITIATIVE „DÜSSELDORFER GASLICHT“


von Barbara Schmitz

Schon 2009 von Gabriele Henkel ins Leben gerufen, formierte sich der Widerstand der Bürger und hält bis heute an. Mit der Video-Serie, den „Stimmen der Stadt“, hat die Initiative in den letzten drei Jahren rund 80 Interviews geführt und die Düsseldorfer befragt, was diese persönlich mit den Gaslaternen verbindet und was sie dem Stadtrat empfehlen, der über Abriss oder Erhalt befinden wird. 

Logo Initiative GaslichtZu den Tausenden abgegebener Stimmen per Postkarte, Meldezettel oder Mail hat speziell diese Video-Serie beeindruckend sichtbar gemacht, dass sich die Düsseldorfer in überwältigender Mehrheit für den Erhalt aller Gaslaternen aussprechen. Sie fühlen sich mit ihnen verbunden und lieben das sanfte natürliche Gaslicht, das auch die Touristen begeistert und unsere Stadt weltweit einzigartig macht. Die Gaslaternen bedeuten vielen Heimat und sind ein erhaltenswertes Kulturgut. Das empfindet auch die neue Planungsdezernentin Cornelia Zuschke, die den Denkmalwert der Gaslaternen, das Heimatgefühl und den Wunsch der Bürger respektiert, wie sie deutlich zum Ausdruck brachte. Seit Monaten erarbeiten rund 20 Aktive und Experten der Gaslichtinitiative zusammen mit der Stadtverwaltung Aspekte wie Gesundheit, Umwelt, Denkmal, Sicherheit und Stadtmarketing, die zur Entscheidungsvorlage für den Rat der Stadt dienen.

Nach zehnjährigem Einsatz für den Erhalt der Gaslaternen kann die Initiative Düsseldorfer Gaslicht zusammen mit der Bürgerschaft, allen Düsseldorfer Heimatverbänden und den Jonges, mit unzähligen Allianzpartnern und Unterstützern auf eine erfolgversprechende Bilanz blicken. Beim Heimatabend der Jonges im Henkel-Saal präsentierte die Initiative in einem Vortrag den langen Weg des Engagements und beleuchtete ihre Aktivitäten aus verschiedenen Blickwinkeln. (Foto: Lutz Cleffmann, Barbara Schmitz, Wolfgang Rolshoven,  Carolyn Eickelkamp und Andreas Junge)

Spenden zur Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit sind herzLicht willkommen.
Zahlungsempfänger: Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (RVDL)
IBAN: DE23 3705 0198 0002 2326 50 
Verwendungszweck: Düsseldorfer Gasbeleuchtung

Siehe auch den Kommentar von Dr. Paul Breuer aus unserem Frühlingsheft 2015.



Barbara Schmitz und Bernd Desinger

"Lange Zeit war mein eigentlicher Plan eine Karriere als Rockmusiker"

Interview mit Bernd Desinger, Leiter des Filmmuseums Düsseldorf, Autor


von Barbara Schmitz

Nach dem Studium hattest du beruflich die Chance, deinen Neigungen bei den Goethe-Instituten (internationale kulturelle Zusammenarbeit, Förderung der deutschen Sprache und Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes) nachzugehen. Du warst weltweit aktiv. War das damals dein Wunschberuf?

Beim Goethe-Institut haben sich die verschiedenen Dinge, die ich bis dahin gemacht hatte und die mich sehr interessierten, wunderbar zusammengefügt. Tatsächlich war bis dahin aber lange Zeit mein eigentlicher Plan eine Karriere als Rockmusiker.

Welche Erfahrungen aus der Zeit sind dir besonders wichtig?

Wenn man in anderen Ländern lebt und arbeitet, zumal auf anderen Kontinenten, erschließen sich einem im wahrsten Sinne des Wortes völlig neue Welten. Ich habe viele interessante Menschen kennengelernt, deren Gedanken und Arbeit ich sehr wertschätze, und spannende gemeinsame Projekte mit ihnen durchgeführt. Der berufliche Umgang mit anderen Kulturen ist dazu auch eine hohe Schule der Diplomatie. Bei aktivem Engagement ist es durchaus möglich, Schwerpunkte in seiner Tätigkeit zu setzen bzw. verfolgen. Das hat mir sehr gut gefallen.

Was hat dich bewogen, dich anschließend auf den Film und das Schreiben von Büchern zu konzentrieren?

Dies geschah nicht anschließend, sondern fand bereits vorher und auch parallel statt. Ich hatte schon vor und während des Studiums geschrieben und neben Sachbüchern dann zur Goethe-Zeit zwei literarische Bücher veröffentlicht. Was den Film angeht, machte ich während des Studiums unter anderem eine Kameraausbildung und arbeitete als Kino-Vorführer. Meine Examensarbeit schrieb ich über Literaturverfilmung. Von 2000 an bis zu meinem Umzug nach Los Angeles war ich in der Zentrale des Goethe-Instituts für die Bereiche Film und Audiovisuelle Medien tätig. In der Welthauptstadt des Films war das natürlich ein großer Schwerpunkt. Unter den vielen Programmen und Projekten habe ich das heute noch existierende deutsche Filmfest „German Currents“ begründet und eine erfolgreiche Film-Talkshow moderiert. Der Wechsel nach Düsseldorf zum Filmmuseum war insofern ein passender Anschluss an diese Zeit. Und das Schreiben ging natürlich weiter, nahm aber noch mehr an Fahrt auf.

Als Leiter des Filmmuseums bist du offensichtlich fasziniert von bewegten Bildern. Um Romane zu schreiben, benötigst du ja die Fähigkeit, in bildhaften Szenen zu denken. Was war zuerst da, die Liebe zum Film oder die Faszination für Geschichten?

Schon als Kind und Jugendlicher habe ich Geschichten geliebt, wahnsinnig viel gelesen und auch den einen oder anderen Gedanken selbst zu Papier gebracht. Den ersten Kontakt mit Film gab es allerdings auch bereits in der Grundschule. Ich freute mich über die gelegentlich gezeigten Kurzfilme und schaute mir ab, wie die Projektoren funktionierten. Im vierten Schuljahr wurde ich regelmäßig ausgerufen, um in anderen Klassen Filme vorzuführen. Mit etwa 15 erbte ich einen alten Schwarzweiß-Fernseher und sah fast jede Nacht irgendeinen Spielfilm aus aller Welt. Die Begeisterung für beide Medien hat indes einen gemeinsamen Kern. Denn was ist ein guter Spielfilm anderes, als eine in tollen Bildern erzählte Geschichte?

Als Autor hast du ja schon mehrere Sachbücher herausgegeben. Gab es ein auslösendes Element, warum du dich dann dem Schreiben von Romanen zugewandt hast?  

Genaugenommen war die literarische Arbeit zuerst da. Lange vor den Sachbüchern hatte ich über viele Jahre Texte für die Stücke meiner Bands geschrieben. Rocklyrik, wie ich das nenne, und Gedichte. Auch mein erster Roman, der nur eine längere Veröffentlichungsgeschichte hatte, war im Grunde vor dem ersten Sachbuch fertig.

Steht zu Beginn eines jeden Romans ein klares Script, Konzept? Oder entwickelt sich die Handlung noch beim Schreiben?

Die grundsätzlichen Plot Lines, wie man Neudeutsch sagt, und Charakterentwicklungen liegen früh fest und sind der Ausgangspunkt. Andererseits gibt es während des Schreibprozesses immer wieder Ergänzungen und Änderungen. Wichtig ist mir, glaubhafte Figuren zu schaffen. So überlege ich mir für die Haupthelden komplette Biografien, Verwandtschaftsbeziehungen, Freundschaften, Eigenarten, Vorlieben und so weiter.

Liegen neben deinem Bett immer Blatt & Stift?

Meistens ja, denn in der Tat kommt mir nachts schon mal die eine oder andere gute Idee. Andererseits bin ich dann überzeugt, dass ich mich nach dem Aufwachen auch so daran erinnern werde. Leider ein Trugschluss, oft habe ich die Idee dann doch vergessen.

Hast du ein Ritual beim Schreiben?

Mein Vorbild sind die Drehbuchautoren im alten Hollywood. Die saßen jeden Morgen um 9 Uhr in ihren kleinen Stuben in den Studios und schrieben. Den Luxus, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst, gibt es nicht. Dafür küsst einen die Muse viel öfter beim harten Arbeiten, als man glauben möchte.

Wieviel Anteil nimmt die Recherche an jedem Roman ein?

Auf jeden Fall einen erheblichen. Selbst Dinge, die ich zu glauben weiß, sichere ich oft noch mal ab. Zum Glück unerkenntlich für die Leserinnen und Leser können manchmal wenige Sätze genauso viel Zeit in Anspruch nehmen, wie mehrere Seiten.

Machen sich die Figuren Deiner Geschichten auch mal selbstständig, können sie dich auch mal überraschen?

Ja, das geschieht immer wieder und gehört zu den bereichernden Phänomenen beim Schreiben.

Erschaffst du in deinen Romanen auch Personen, die dir zutiefst unsympathisch sind?

Gelegentlich schon, solche Antagonisten sind in vielen Geschichten für die Handlung und die Entwicklung der Hauptcharaktere notwendig. Schwarz-Weiß-Zeichnungen versuche ich allerdings zu vermeiden. Ebenso wie bei mir auch die „Guten“ nicht immer moralisch richtig handeln, gibt es auch bei den fragwürdigen Charakteren Züge, die sie menschlich machen.

Hilft dir das Schreiben beim Verarbeiten eigener Befindlichkeiten?

Obwohl das kein erklärtes Ziel ist, stimmt das vermutlich schon. Beim Schreiben gerade komplexerer Geschichten setzt man sich mit vielem, auch mit sich selbst auseinander.

Deine Doppelweg-Trilogie, soeben erschien deren letzter Teil „Die Runde der Raben“, ist wunderbar vielschichtig und verwoben. Welche Genres bietest du dem Leser an?

Eine interessante Frage, denn in der Tat folgt die Erzählung keinem eindeutigen Genre, sondern vermischt mehrere. Es handelt sich einmal um einen großen Abenteuer- und Reiseroman. Obwohl er in der realen Welt von heute spielt, werden die Helden immer wieder mit fantastischen, surrealen Erlebnissen konfrontiert. Die Suche von Jannifer, Lance, Eric und Falk nach ihrem unter mysteriösen Umständen verschwundenen Freund Arthur tritt sehr bald in den Hintergrund. Ohne es am Anfang recht zu bemerken, haben sich alle auf eine große Suche nach sich selbst begeben. So handelt es sich auch im ganz klassischen Sinne um einen Bildungs- und Entwicklungsroman.

Welche Themen verpackst du hinein, was ist dir besonders wichtig?

Das ganz große Thema ist die Suche nach sich selbst, beziehungsweise die Selbstfindung. Auf ihren Reisen müssen sich die Hauptcharaktere immer wieder großen Herausforderungen stellen, Aufgaben bewältigen und Gefahren meistern. Die Freiheit des einzelnen, über sein Geschick zu entscheiden trotz sichtbarer und unsichtbarer Faktoren, die auf unser Leben steuernd einwirken, steht dabei im Vordergrund. Außerdem ist es mir ein Anliegen, die Augen für die Geschichte hinter der Geschichte zu öffnen, auch aufmerksam zu sein für das, was Gesellschaften gefährden kann. Bei allem aber sollen sich Leserinnen und Leser gut unterhalten fühlen und die Bücher genießen.

Stellst du Bezüge zu historischen, zeitgeschichtlichen und sozialen Zusammenhängen her?

Mit den Ländern und Orten, durch die die jungen Erwachsenen reisen, werden auch geschichtliche und gesellschaftliche Themen berührt, die diese selbst und oft die ganze Welt bewegt haben und bewegen. Man kann zum Beispiel über die Südstaaten der USA nicht reden, ohne die Geschichte der Sklaverei oder den Bürgerkrieg zu erwähnen, über Südafrika und die Townships nicht, ohne die Apartheid zu thematisieren. Neben historisch tiefgreifenden Einschnitten und Veränderungen wie bei den Indianervölkern Nordamerikas wird andererseits deren Weltvorstellungen und Mythen großes Gewicht verliehen.

Das völlig Unglaubliche knallt quasi in das Leben der fünf Protagonisten. Was inspirierte dich dazu? 

Nichts bringt einen so sehr dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, wie wenn man mit einer außergewöhnlichen, einer unerhörten Situation konfrontiert wird und diese bewältigen muss. Beim Schreiben macht es aber auch großen Spaß, die Heldinnen und Helden - teilweise völlig arglos - in eine Paralleldimension, in eine andere Zeit oder in eine märchenhafte Welt gleiten zu lassen.

Du schöpfst die volle Bandbreite der erzählerischen Elemente aus und spielst sogar mit Märchenmotiven und Zeitsprüngen, so auch in Band 3 der Trilogie „Die Runde der Raben“. Von deinen Charakteren, die weltweit unterwegs sind, um ihre Abenteuer zu meistern, landet einer zum Rosenmontag im heimischen Düsseldorf und streift die Zeit, als Robert und Clara Schumann auf der Bilker Straße wohnten.

Das stimmt. Zur Karnevalszeit schlägt Falk buchstäblich im heutigen Düsseldorf auf. Nachts verändert sich die Szenerie auf mysteriöse Weise …

Du bist bekennender Liebhaber der Original Düsseldorfer Gaslaternen. Darf ich hier verraten, dass auch sie im 3. Band kurz auftauchen?

Das ist in Ordnung, das konnte ich mir nicht nehmen lassen!

Dein Schreibstil umfasst dialoggetriebene Teile und epische Landschafts- und Ortsbeschreibungen. Wie kommt das bei deiner Leserschaft an, erhältst du da Feedbacks?

Gerade dieser Wechsel ist wahrscheinlich einer der Faktoren, die Kritik und Leserschaft als „filmisches Schreiben“ wahrnehmen. Erfreulicherweise sind die Reaktionen darauf sehr positiv. Leserinnen und Leser erwähnen immer wieder, dass sie die beschriebenen Orte und Gegenden so intensiv erleben, als seien sie gleichsam selbst dort.

Deine Trilogie ist eine märchenhaft reale Hommage an das Leben und hat dir 13 Jahre intensive Recherche und Arbeit abverlangt. Willst du so weiter powern?

Es gibt noch verschiedene Vorhaben, die ich mittelfristig umsetzen möchte. Ein derartiges Großprojekt ist allerdings derzeit nicht darunter.

Ganz herzlichen Glückwunsch zu deinem persönlichen Jubiläum. Du bist seit dem 1. August 2009, seit nunmehr 10 Jahren, der Leiter des Filmmuseums hier in Düsseldorf. Dürfen wir uns auf weitere Jahre mit spannenden Ausstellungen & Events rund um das Thema Film mit dir freuen?

Das hoffe ich doch sehr!


Kurzvita

Bernd DesingerBernd Desinger wurde 1962 in Oberhausen geboren. Er studierte deutsche Sprache und Literatur, Geschichte, Psychologie und Film. Beim Goethe-Institut arbeitete er viele Jahre unter anderem in Toronto, München und zuletzt in Los Angeles. Seit 2009 leitet er das Filmmuseum Düsseldorf. Der Romanautor veröffentlichte auch Rocklyrik und Gedichte sowie eine beliebte Aphorismen-Sammlung („... durch‘s Jahr kommen“, 2013). Zum ersten Mal trat er mit dem surrealen Thriller „Der Schütze“ (2006) an die Öffentlichkeit. Dann folgte mit „Unhadronische Materie“ eine Auswahl seiner lyrischen Texte. Der spannende Zukunftsroman „ZZZ - Zeltstadt Zeche Zollverein“ (2015) ist ins Jahr 2032 gesetzt. „Arthurs Entführung“, erster Teil der abenteuerlichen Doppelweg-Trilogie um vier junge Leute auf der Suche nach ihrem verschwundenen Freund, erschien 2017 im Droste Verlag. Der zweite Band „Der Sturz in den Strom“ folgte 2018, der Abschluss mit „Die Runde der Raben“ dann in diesem Frühjahr.



Hendrik Wüst und Siegmar Rothstein

"Die Mobilität der Zukunft vernetzt die verschiedenen Verkehrsträger"

Interview mit Henrik Wüst, Minister für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen


von Dr. Siegmar Rothstein

Sie sind seit zwei Jahren Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Verkehrsministerium gilt als eines der schwierigsten Ressorts. Die Straßen sind überlastet, überall wird über große Staus und Chaos auf den Autobahnen geklagt. Was unternimmt die Landesregierung, um Abhilfe zu schaffen?

Wir investieren Rekordsummen in die Sanierung, die Modernisierung und den bedarfsgerechten Ausbau der Infrastrukturen. Es gibt mehr Geld und mehr Personal für Planung, Genehmigung und Bau. Allein im letzten Jahr sind fast 1,4 Milliarden Euro in unseren Autobahnen, Bundesstraßen und Landesstraßen verbaut worden. Die Bahn investiert genauso viel Geld in das Schienennetz in Nordrhein-Westfalen. So bringen wir unsere Infrastruktur in Ordnung. Das Gute ist, dass die gesamte Landesregierung hinter den Maßnahmen steht. Das war unter der rot-grünen Landesregierung anders.

Wenn umfangreich gebaut wird, entstehen zusätzliche Baustellen und weitere Staus. Wird etwas unternommen, die Arbeit auf den Baustellen effektiver zu gestalten, mit dem Ziel, sie zügiger abzuwickeln?

Ja, wir haben einen 8-Punkte-Plan beschlossen, um Baustellen zu beschleunigen und besser zu koordinieren. Wir nehmen über 20 Millionen Euro in die Hand allein dafür, dass Baustellen schneller fertig werden. Damit können wir nach derzeitigem Stand insgesamt 296 Wochen Bauzeit sparen. Drei Baumaßnahmen sind bereits 44 Wochen schneller fertig geworden. Außerdem haben wir in der Verkehrszentrale Leverkusen eine Stabstelle für Baustellenkoordination eingerichtet. Ziel ist es, Baustellen auf Straßen und Schienen untereinander transparent zu machen. So sollen gegenseitige Beeinträchtigungen möglichst verhindert oder zumindest minimiert werden. Darüber hinaus nutzen wir die Chancen der Digitalisierung. So setzen wir zur Stauvermeidung Verkehrsbeeinflussungsanlagen oder Dynamische Wegweiser mit integrierter Stauinformation ein. Wo möglich, geben wir Standstreifen für den laufenden Verkehr frei, wie zum Beispiel auf der A3, der A4, der A57 und zukünftig auf der A52. Und wir bauen mehr an Wochenenden und in der Nacht. Ziel ist es immer, die Verkehrseinschränkungen durch Baustellen soweit wie möglich zu reduzieren und das anzugehen, was die Leute am meisten ärgert: Wenn sie in der Baustelle stehen und da passiert nichts.

Im Wahlkampf haben CDU und FDP die Verkehrssituation auf den Straßen in NRW heftig kritisiert. Die Probleme sind aber immer noch so groß, dass sie nicht in wenigen Jahren gelöst werden können. Müssen Sie nicht befürchten, dass nunmehr Ihnen im nächsten Wahlkampf die Staus vorgeworfen werden?

Der Unterschied ist, dass wir die Probleme bei den Infrastrukturen anpacken: Es wird schneller und mehr geplant, genehmigt und gebaut in Nordrhein-Westfalen. Ohne Baustellen bringen wir unsere Infrastruktur nicht in Ordnung. Das Gute ist: Danach wird es besser. Ich denke, die Menschen sehen, dass sich etwas bewegt im Land.

Sehen Sie Möglichkeiten, Teile des Güterverkehrs auf Schiene oder Wasserstraßen zu verlagern?

Ja, daran arbeiten wir. Wir haben die Förderung der nicht bundeseigenen öffentlichen Eisenbahnen wiedereingeführt. Das sind Gleisanschlüsse, die Industrie- und Gewerbebiete an die Hauptstrecken der Bahn anschließen. Damit bekommen wir mehr Güter von der Straße auf die Schiene. Außerdem setzen wir uns für den Schienenausbau nach Rotterdam und Antwerpen ein. Was die Wasserstraße angeht, ist die Situation ähnlich wie bei Straßen und Schienen. Viele Schleusen, Brücken und Schiffsanlegestellen sind marode. Zuständig für die Wasserstraßen ist allein der Bund. Deswegen habe ich mich beim Bund erfolgreich für einen „Aktionsplan Wasserstraßen“ für Nordrhein-Westfalen eingesetzt. Wir werben jetzt dafür, dass wichtige Projekte schnell angegangen und strukturiert umgesetzt werden. Ein erster Schritt ist gemacht: Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung an nordrhein-westfälischen Standorten bekommt 15 zusätzliche Stellen. Damit kann schneller geplant werden.

Auch die Bahn ist überfordert, die Züge sind oft unpünktlich. Der Bund beabsichtigt, Milliarden in die Erneuerung des Bahnverkehrs zu investieren. Welche Auswirkungen hat das für den Bahnverkehr in unserem Land?

Die Bahn und der Bund haben ein Modernisierungsprogramm für die Schiene über 86 Milliarden vereinbart. Das ist eine Hausnummer und der richtige Schritt. Davon wird auch Nordrhein-Westfalen, das das dichteste Schienennetz hat, massiv profitieren. Damit der Verkehrssektor seine CO2-Ziele erreicht, muss Deutschland wieder Bahnland werden. Das geht nur, wenn die Bahn auch wieder stärker in der Fläche präsent ist. Gerade in ländlichen Regionen gibt es zu oft keine vernünftige Alternative zum Auto.

Es wird immer wieder gefordert, den öffentlichen Personenverkehr zu stärken, um die Straße zu entlasten. Es wird vorgeschlagen, Tickets stark zu verbilligen und sogar den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anzubieten. Wäre das lösungsgerecht?

Das Problem des ÖPNV sind die Kapazitäten. Die Pendlerzüge sind schon heute rappelvoll. Wir kommen nur voran mit besserer Mobilität und besserem Klimaschutz, wenn wir den Menschen ein besseres Angebot machen. Das heißt Ausbau der Infrastruktur und Reaktivierung von Bahnstrecken. Der kostenlose ÖPNV nutzt nur denen, wo es schon ein Angebot gibt. In meiner Heimatstadt Rhede zum Beispiel hat seit 40 Jahren kein Zug mehr gehalten. Da hat dann keiner was von einem kostenlosen Ticket.

Sind Sie optimistisch, dass es mittelfristig gelingen wird, eine zufriedenstellende moderne Verkehrsinfrastruktur zu schaffen. Wie sieht die Mobilität von morgen aus?

Mobilität wird vielfältiger. Die Mobilität der Zukunft vernetzt die verschiedenen Verkehrsträger. Bei der Vernetzung steht immer der Nutzen für den Kunden im Fokus. Der Nutzer entscheidet selbst, welches für ihn das jeweils beste und sinnvollste Angebot ist. Er will eine leistungsstarke Mobilitätskette, die seinen jeweiligen Bedarf schnell, komfortabel und zuverlässig abdeckt. Deswegen fördern wir zum Beispiel Mobilstationen, die das Rad, das Auto, die Bahn und Sharing-Angebote verknüpfen.

Darüber hinaus nutzen wir auch die Chancen der Digitalisierung für einen besseren ÖPNV. Die Leute steigen nur auf Bus und Bahn um, wenn das Angebot attraktiv ist. Das fängt schon beim Ticketkauf an. Gerade die junge Generation lässt uns die Unübersichtlichkeit bei den Tarifen und Tickets nicht mehr durchgehen.

Sie können heutzutage zwar vom Sofa aus per App eine Weltreise inklusive Flug, Hotel und Mietwagen in Australien buchen. Aber versuchen Sie mal, am Automaten ein Ticket von hier nach Euskirchen zu buchen – dann wird’s interessant. Deswegen wird es eine App für alle Tickets in Nordrhein-Westfalen geben. Zum ersten Mal werden alle Tickets der Verbünde und der Bahn gebündelt und in einer App buchbar.

Die Digitalisierung wird unsere Mobilität aber auch in anderen Bereichen verändern. Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung auch für innovative Technologien wie das automatisierte Fahren. Der Weg hin zum komplett fahrerlosen Fahren ist noch weit, aber wir sind auf dem Weg dahin gut unterwegs. Es gibt viele gute Ansätze und Projekte, die uns diesem Ziel näherbringen. Auf dem Aldenhoven Testing Center (ATC) wird auf einem geschlossenen Testgelände alles untersucht, was auch der echte Straßenverkehr zu bieten hat: Haltestellen, Zebrastreifen, Fußgängerampeln, Kreisverkehre, Ein- und Ausfahrten. In Monheim soll Ende des Jahres ein echter Linienbetrieb mit automatisiert fahrenden Kleinbussen im 10-Minuten-Takt starten.

Und wir unterstützen zudem mit 1,5 Millionen Euro ein Testfeld für autonome Binnenschifffahrt. Es ist viel in Bewegung.

Aktuell beschäftigt sich die Öffentlichkeit intensiv mit Maßnahmen zur Erhaltung unseres Klimas. Auch der Verkehrssektor ist betroffen. Wie verfolgen Sie die Debatte über die CO2-Ziele?

Die Debatte braucht mehr Ehrlichkeit. Mehr als 60 Millionen Tonnen CO2 im Verkehrssektor einzusparen, kann gelingen. Allein das Verteuern von Emissionen wird aber nicht zum Erreichen dieser Ziele führen, wenn die alternativen Angebote nicht da sind. Pendler, die mit dem Auto unterwegs sind, durch höhere Kosten zum Umsteigen auf die Bahn zu zwingen, wird nicht funktionieren. Selbst dann nicht, wenn die Bahn billiger wird. Die Idee kann nur von Leuten kommen, die in Großstädten leben, wo bei allen Unzulänglichkeiten des Personennahverkehrs immerhin einer vorhanden ist. Was machen denn die, die dort leben, wo kein Zug mehr hält, auch der Bus sie nicht zur Arbeit bringt und die Strecke fürs Fahrrad zu lang ist? Für sie müssen bessere, sauberere Alternativen her, wenn man dem „kleinen Mann“ nicht nur in die Tasche greifen will.

Was schlagen Sie vor?

Deutschland muss wieder Bahnland werden. Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets zu senken ist zu wenig. In Deutschland wurden mehr als 5.000 Kilometer Bahninfrastruktur abgebaut. Wir brauchen mehr attraktive Schnellstrecken, Bahnreaktivierungen und eine Stabilisierung des vorhandenen Netzes durch Modernisierung und Digitalisierung. Um die Autos wieder sauberer zu kriegen, brauchen wir mehr Forschung in die Entwicklung klimafreundlicher Antriebe wie Elektro, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe. Das sind nur zwei ganz zentrale Elemente von vielen anderen. Die Mobilität im Export- und Transitland Deutschland sauberer zu machen, hat die Dimension der ersten Mondlandung. Sie erfordert enorme Anstrengungen, wird aber auch Innovationen freisetzen. Eine alleinige Verengung der Debatte auf eine neue Steuer oder Bepreisung wird nicht die notwendige Aufbruchsstimmung erzeugen.

Zum Schluss ein ganz anderes Thema: 

Hat die CDU nach Ihrer Ansicht in der großen Koalition das Konservative vernachlässigt, das Sie schon 2007 als Generalsekretär angemahnt haben? Seinerzeit haben Sie sich zu einem „modernen bürgerlichen Konservatismus“ bekannt. Werden Sie Ihre Gedanken wieder in die politische Diskussion einbringen?

Eine erfolgreiche CDU muss auf Grundlage des christlichen Menschenbildes breit aufgestellt sein. Das gilt heute wie damals. Ich glaube aber, dass wichtiger als die abstrakten Debatten das konkrete Arbeiten an Problemlösungen ist. Der demokratisch legitimierte Staat muss an vielen Stellen an seiner Handlungsfähigkeit arbeiten, sonst droht er ganz grundlegend Zustimmung zu verlieren. Selbst völlig unstreitige Planungen dauern noch immer zu lang. Wir tun hier im Land alles Mögliche, um zu beschleunigen, und ich mache auch auf Bundesebene Vorschläge dazu, weil viele Menschen sich sonst nicht mehr nur von einzelnen Parteien abwenden.

Dass wir in der inneren Sicherheit den kriminellen Clans auf die Füße treten, war dringend nötig. Dass in der Schulpolitik mit erkennbaren Erfolgen an Unterrichtsqualität gearbeitet wird und die ideologischen Debatten aus rot-grüner Zeit beendet sind, all das ist wichtig, um Vertrauen in Politik zurückzugewinnen.


Kurzvita

Hendrik WüstHendrik Wüst wurde 1975 in Rhede/Westfalen geboren. Studium der Rechtswissenschaften in Münster, 2003 zweites juristisches Staatsexamen und Zulassung als Rechtsanwalt, 2004 bis 2005 tätig für die Unternehmensberatung Eutop, 2006 bis 2010 Generalsekretär der CDU in NRW, von 2010 bis 2017 führte er die Geschäfte des Zeitungsverlegerverbandes Nordrhein-Westfalen und der Pressefunk GmbH & Co. KG, 2014 bis Juni 2017 Geschäftsführer der dein.fm Holding GmbH & Co. KG. Bereits vor seinem Abitur wurde Wüst 1994 Stadtverordneter im Rat der Stadt Rhede und blieb es bis 2009. 2000 bis 2006 Landesvorsitzender der Jungen Union in NRW, 2002 bis 2012 Beisitzer im Bundesvorstand der CDU, seit 2005 ist Wüst für seine Heimat direkt gewählter Abgeordneter des Landtages NRW, 2010 bis 2017 wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion, seit 2013 Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung CDU NRW, seit 30. Juni 2017 Minister für Verkehr des Landes Nordrhein Westfalen. Er lebt in Rhede im Münsterland, ist Jäger, seine weiteren Hobbies sind Sport, gutes Essen und Krimis.